Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

.pdf
Скачиваний:
305
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
2.15 Mб
Скачать

»Ich weiß nicht. Auf irgendeinem Friedhof. Ich lasse Ihnen ihren Namen und ihre Adresse hier.« Ravic schrieb ihn auf einen Rechnungsblock der Klinik.

Veber legte den Zettel unter einen Briefbeschwerer aus Kristall, in den ein silbernes Schaf eingegossen war.

»Gut,Ravic.Ich denke,ich werde in ein paar Tagen auch fort sein. Viel operieren hätten wir doch kaum können, wenn Sie nicht mehr da sind.«

Er ging mit Ravic hinaus. »Adieu, Eugenie«, sagte Ravic.

»Adieu, Herr Ravic.« Sie sah ihn an. »Gehen Sie zum Hotel?«

»Ja. Warum?«

»Oh, nichts, ich dachte nur …«

Es war dunkel. Vor dem Hotel stand ein Lastwagen. »Ravic«, sagte Morosow aus einem Hauseingang heraus.

»Boris?« Ravic blieb stehen. »Die Polizei ist in der Bude.« »Das dachte ich mir.«

»Ich habe die Carte d’Identité von Ivan Kluge hier. Du weißt, von dem toten Russen. Noch anderthalb Jahre gültig. Geh mit mir zur Scheherazade. Wir wechseln die Fotos aus. Du suchst dir dann ein anderes Hotel und bist ein russischer Emigrant.«

Ravic schüttelte den Kopf.

»Zu riskant, Boris. Im Krieg soll man keine falschen Papiere haben. Besser gar keine.«

»Was willst du dann machen?« »Ich gehe zum Hotel.«

»Hast du dir das genau überlegt, Ravic?« fragte Morosow.

»Ja, genau.«

»Verdammt! Wer weiß, wo sie dich da hinstecken!« »Auf jeden Fall werden sie mich nicht ausliefern nach

Deutschland. Das ist vorbei. Auch nicht ausweisen nach der Schweiz.« Ravic lächelte. »Es wird das erstemal in sieben Jahren sein,daß die Polizei uns behalten will,Boris.Es hat einen Krieg gebraucht, um es so weit zu bringen.«

»Es heißt, daß in Longchamps ein Konzentrationslager eingerichtet wird.« Morosow zerrte an seinem Bart.»Dazu mußtest du aus einem deutschen Konzentrationslager fliehen … um jetzt in ein französisches zu kommen.«

»Vielleicht lassen sie uns bald wieder heraus.« Morosow antwortete nicht.»Boris«,sagte Ravic.»Mach

dir keine Sorge um mich. Ärzte braucht man im Krieg.« »Unter was für einem Namen wirst du dich festnehmen

lassen?«

»Unter meinem eigenen. Den habe ich hier nur einmal vor fünf Jahren gebraucht.« Ravic schwieg eine Weile. »Boris«, sagte er dann, »Joan ist tot. Erschossen von einem Mann. Sie liegt in Vebers Klinik. Sie muß begraben werden.Veber hat es mir versprochen,aber ich weiß nicht, ob er nicht vorher einrücken muß. Willst du dich um sie kümmern? Frag mich nichts, sag ja und fertig.«

»Ja«, sagte Morosow.

»Gut. Servus, Boris. Nimm von meinen Sachen, was du brauchen kannst. Zieh in meine Bude. Du wolltest ja immer mein Badezimmer haben. Ich gehe jetzt. Servus.«

»Scheiße«, sagte Morosow.

»Gut. Ich tre e dich nach dem Krieg bei Fouquet’s.« »Welche Seite? Champs-Elysées oder George V.?« »George V. Wir sind Idioten. Heroische Rotzidioten.

Servus, Boris.«

»Scheiße«, sagte Morosow. »Nicht einmal anständig verabschieden trauen wir uns. Komm her, du Idiot.«

Er küßte Ravic rechts und links auf die Backen. Ravic spürte den Bart und den Geruch nach Pfeifentabak. Es war nicht angenehm. Er ging zum Hotel.

Die Emigranten standen in den Katakomben. Wie die ersten Christen, dachte Ravic. Die ersten Europäer. Ein Mann in Zivil saß vor einem Schreibtisch unter der künstlichen Palme und nahm die Personalien auf.

Zwei Polizisten bewachten die Türen, aus denen niemand entfliehen wollte.

»Paß?« fragte der Polizist Ravic. »Nein.«

»Andere Papiere?« »Nein.«

»Illegal hier?« »Ja.« »Warum?«

»Geflohen aus Deutschland.Keine Möglichkeit,Papiere zu haben.«

»Name?«

»Fresenburg.«

»Vorname?«

»Ludwig.«

»Jude?«

»Nein.«

»Beruf?«

»Arzt.«

Der Mann schrieb. »Arzt?« sagte er dann und nahm einen Zettel hoch. »Kennen Sie einen Arzt, der Ravic heißt?«

»Nein.«

»Er soll hier wohnen. Wir haben eine Anzeige.« Ravic sah ihn an.Eugenie,dachte er.Sie hatte ihn gefragt,

ob er zum Hotel ginge, und war so überrascht gewesen, daß er noch frei war.

»Ich sagte Ihnen ja, daß niemand hier wohnt, der so heißt«, erklärte die Wirtin, die neben der Tür zur Küche stand.

»Seien Sie ruhig«, sagte der Mann mißmutig. »Sie werden ohnehin bestraft, weil Sie diese Leute hier nicht angemeldet haben.«

»Darauf bin ich stolz. Wenn Menschlichkeit bestraft wird, nur immer zu.«

Der Mann sah aus, als wolle er antworten; aber er

unterbrach sich selbst und winkte ab. Die Wirtin starrte ihn herausfordernd an. Sie hatte höhere Protektion und fürchtete nichts.

»Packen Sie Ihre Sachen«, sagte der Mann zu Ravic. »Nehmen Sie Wäsche und zu essen für einen Tag mit. Decke auch, wenn Sie eine haben.«

Ein Polizist ging mit hinauf. Die Türen zu vielen Zimmern standen o en. Ravic nahm seinen Ko er, der längst gepackt war, und seine Decke.

»Weiter nichts?« fragte der Polizist ihn. »Weiter nichts.«

»Das andere lassen Sie hier?« »Das andere lasse ich hier.«

»Das auch?« Der Polizist zeigte auf den Tisch neben dem Bett,auf dem die kleine,hölzerne Madonna stand,die Joan Ravic im Anfang ins »International« geschickt hatte.

»Das auch.«

Sie gingen hinunter. Clarissa, das elsässische Dienstmädchen, gab Ravic ein Paket. Ravic sah, daß die anderen die gleichen Pakete hatten.»Zu essen«,erklärte dieWirtin. »Damit Sie nicht verhungern.Ich bin überzeugt,daß nichts vorbereitet ist, wohin Sie kommen.«

Sie starrte den Zivilisten an. »Reden Sie nicht soviel«, sagte der ärgerlich. »Ich habe den Krieg nicht erklärt.«

»Die hier auch nicht.«

»Lassen Sie mich in Ruhe.« Er blickte auf den Polizisten. »Fertig? Führen Sie sie hinaus.«

Der dunkle Haufe setzte sich in Bewegung. Ravic sah den Mann mit der Frau, die die Kakerlaken gesehen hatte. Der Mann stützte die Frau mit dem freienArm.Unter dem andern hatte er einen Ko er; einen zweiten hielt er in der Hand. Der Junge schleppte ebenfalls einen Ko er.

Der Mann sah Ravic flehentlich an.

Ravic nickte. »Ich habe Instrumente und Medizin bei mir«, sagte er. »Keine Angst.«

Sie stiegen auf den Lastwagen. Der Motor knatterte. Der Wagen fuhr an.DieWirtin stand unter der Tür und winkte. »Wohin fahren wir?« fragte jemand einen der Polizisten.

»Ich weiß es nicht.«

Ravic stand neben Rosenfeld und dem falschen Aaron Goldberg.Rosenfeld trug eine Rolle unter demArm.Darin waren Cezanne und der Gauguin.

Sein Gesicht arbeitete.»Das spanische Visum«,sagte er. »Abgelaufen, bevor ich …«

Er brach ab.

»Der Totenvogel ist weg«,sagte er dann.»Markus Meyer. Gestern nach Amerika.«

Der Wagen schüttelte. Alle standen dicht aneinandergepreßt. Kaum jemand sprach. Sie fuhren um eine Ecke. Ravic sah den Fatalisten Seidenbaum.Er stand ganz in die Ecke gedrückt. »Da sind wir wieder einmal«, sagte er.

Ravic suchte nach einer Zigarette. Er fand keine. Aber er erinnerte sich, genug eingepackt zu haben. »Ja«, sagte er. »Der Mensch kann viel aushalten.«

DerWagen fuhr die AvenueWagram entlang und bog in den Place de l’Etoile ein.Nirgendwo brannte ein Licht.Der Platz war nichts als Finsternis. Es war so dunkel, daß man auch den Arc de Triomphe nicht mehr sehen konnte.

Nachwort

Das Tor des Hades

I.

Menschen oder – bezogen auf die abendländische Geschichte tre ender gesagt – Männer errichten Triumphbögen als Wahrzeichen für das Leid und den Schmerz,die sie über die jeweiligen Besiegten gebracht haben, und zur pompösen Ehrung ihrer jämmerlich und in Schmerzen gestorbenen Toten.Sie tun dies im Bewußtsein ihres Stolzes über ihre »heroischen« Taten.

Für den Humanisten und »militanten Pazifisten1« Remarque ist das titelgebende Monument – das 1836 errichtete Nationaldenkmal Frankreichs mit dem Grab des Unbekannten Soldaten, eines der touristisch beliebtesten und nationalistisch gefeiertenWahrzeichen von Paris – ein Symbol der Perversion menschlicher Aggressivität und Antihumanität in einem antihumanen Jahrhundert, ein düsteresWahrzeichen sinnlosen Todes und menschenunwürdigen Leidens. Schon bei der zweiten Erwähnung des Arc de Triomphe im Roman wird er mit dem »riesengroßen Tor des Hades« verglichen (S.20).2 Im letzten Satz des Romans hat die Finsternis der Kriegs-Verdunkelung, die Nacht des soeben erö neten Zweiten Weltkriegs, den Arc

de Triomphe im Abgrund der Lichtlosigkeit verschluckt und damit ausgelöscht.

Die Menschheit ist auf dem Marsch durch das Portal des Kriegsbeginns vom 1.September 1939 in den Hades des ZweitenWeltkrieges,die Schwelle des Todes ist überschritten, hinein in die schlimmsten Bereiche der Unterwelt unseres Jahrhunderts,eines Krieges,der die unbeschreibliche, unvorstellbare Zahl von 50 Millionen Kriegstoten bringen wird.50 Millionen ausgelöschte »Funken Leben«3,die gern gelebt, gelacht und geliebt hätten wie die Überlebenden. An anderen Stellen hat Remarque sinngemäß gesagt: Nur die Toten haben den Krieg ganz erlebt. Die Überlebenden neigen dazu, ihn in fürchterlicher Überheblichkeit zu einem glücklich überstandenen Abenteuer zu erklären, das nicht mehr und nicht weniger als die Vernichtung der Lebenschancen der Getöteten gekostet hat.Remarque,der bedeutendste und entschiedenste Autor des 20.Jahrhunderts für den Frieden, ohne jegliche Kompromisse an machtpolitische und nationalistische Eitelkeiten, verweist auf die Geschichte, die den größten Wunsch der überwiegenden Zahl aller Menschen: Frieden,bisher nicht hatWirklichkeit werden lassen.Er läßt Ravic bei der deprimierenden Lektüre von »einigen Bänden Weltgeschichte« feststellen:

Es war immer dasselbe, und immer wieder waren geduldigeVölker da,gegeneinandergetrieben in sinnlosem Töten für Kaiser,Religionen und Wahnsinnige – es hatte kein Ende. (S. 405)

Der Roman beginnt 1938 in der Nacht vor dem 20. Jahrestag des Wa enstillstandes an der Westfront vom 11. November 1918 im Wald von Compiègne. Als Ravic die Frau, die sich vom Pont de l’Alma in die Seine stürzen will, zum ersten Calvados des Romans in die Chau eurkneipe führt, erscheint »die Masse des Arc de Triomphe« in der Ferne »schwebend und dunkel« (S. 9), ein vorausdeutendes Omen auf das persönliche Schicksal dieser beiden Menschen.Am Abend des folgenden Tages beobachtet Ravic die Menschenmenge vor dem Arc de Triomphe und das angestrahlte Grab des Unbekannten Soldaten. Die zum Gedenken an den Wa enstillstandstag bei »dünn und blechern« klingender Militärmusik Versammelten stehen »schweigend«, der Schatten der Tricolore der Grande Nation zerreißt vor den Wolken und sieht aus, »als versinke dort ein zerfetztes Banner in der langen tiefer werdenden Dunkelheit« (S. 63). Eine Frau neben Ravic sagt:

Mein Mann ist im letzten Krieg gefallen. Jetzt ist mein Sohn dran … Wer weiß, was noch kommen wird

– (S. 63).

Doch die Zahl der Toten des Ersten Weltkriegs betrug »nur« rund 10 Millionen, im Zweiten Weltkrieg zeigte sich, daß die Barbarei des 20. Jahrhunderts noch steigerungsfähig war. Der Rahmen des Zeit-, Exilund Antikriegsromans Arc de Triomphe ist gesetzt. Es ist die kurze Spanne vom November 1938 bis zum September

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]