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Thema 18. Deutschsprachige Literatur der Schweiz

Der Beitrag der Schweiz zur deutschsprachigen Literatur reicht bis in die Anfänge der schriftlichen Fixierung der Dichtung zurück: Berühmt sind die Übersetzungen des St. Galler Mönchs Notker Labeo (~950-1022) aus der lateinischen Sprache in alemannische Mundart. Im 18. Jh. führten Bodmer und Breitinger ihren Literaturstreit mit Gottsched. Geßners Idyllen (1756) und Johann Caspar Lavaters Physiognomische Fragmente (1775-1778) sind genauso bekannt wie Albrecht von Hallers Gedicht Die Alpen (1732), das die schweizerische Landschaft als Rahmen für eine kulturkritische Betrachtung benutzt. Im 19. Jh. trugen J. Gottheit, G. Keller und C. F. Meyer maßgeblich zur deutschsprachigen Literatur bei. Robert Walsers (1878-1956) Romane und Feuilletons entstanden in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jhs.; sie wurden zu dieser Zeit kaum beachtet, erleben aber seit den 70er Jahren eine Renaissance. An den Literaturversuchen junger Autoren, die gegen ihre Vorgänger rebellierten und etwas Neues schaffen wollten (Sturm und Drang, Romantik, Naturalismus, Expressionismus), waren Schweizer Autoren kaum beteiligt.

Um 1916 entstand in Zürich ein Zentrum des Dadaismus Während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und in Österreich wurde die Schweiz zum ersten Fluchtziel für viele deutsche Schriftsteller, Schauspieler, Journalisten und Wissenschaftler. Vorher hatten die Schweizer Intellektuellen ihren Wirkungskreis auch in Deutschland gehabt – nun mußten sie sich den kleinen schweizerischen Markt mit deutschen Intellektuellen teilen. Zürich wurde zum Mittel­punkt des Theaters und des Kabaretts. Nach 1945 war die Situation der Schweiz völlig anders als die der übrigen europäischen Länder. Die Schweiz hatte am Zweiten Weltkrieg nicht teilgenommen, sie war neutral geblieben. Doch ihre zentrale geographische Lage erforderte nun die Auseinandersetzung mit den Problemen der Nachkriegszeit.

Die Nachkriegsliteratur erfuhr von zwei Schweizer Autoren wesentliche Impulse: von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Beide gehören der Generation an, die die politische Entwicklung Deutschlands bis zum Zweiten Weltkrieg bewußt verfolgen konnte. Sie traten aber erst Ende der 50er Jahre mit politisch engagierten Werken an die Öffent­lichkeit.

Der Erzähler und Dramatiker Max Frisch wird schon jetzt als,,Klassiker der Moderne“ bezeichnet. Seine Romane und Theaterstücke wur­den in viele Sprachen übersetzt. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm Frisch mehrere Reisen durch Deutschland, Polen, die Tschechoslowakei und Österreich. Sein Tagebuch 1946-1949 (1950) gibt Zeugnis von seinen Erfahrungen auf diesen Reisen. In knapper Diktion werden hier private Aufzeichnungen mit Reflexionen über Politik und Literatur kombiniert. Das Tagebuch ist von Anfang an für die Öffentlichkeit geschrieben; in der Vorbemerkung heißt es:

- einmal angenommen, daß es ihn [den Leser] gibt, daß jemand ein Interesse hat, diesen Aufzeichnungen und Skizzen eines jüngeren Zeitgenossen zu fol­gen, dessen Schreibrecht niemals in seiner Person, nur in seiner Zeitgenossen­schaft begründet sein kann, vielleicht auch in seiner besonderen Lage als Verschonter, der außerhalb der nationalen Lager steht -

Zwischen diesem Tagebuch und seinen späteren Werken kann man viele Parallelen ziehen; Frischs wichtigste Themen wurden hier schon angesprochen: Die Frage, wie ein Mensch seine Identität finden und vor allem, wie er sie bewahren kann, ist das zentrale Thema von Frischs erstem Roman Stiller (1954). Gleich der erste Satz,,Ich bin nicht Stiller“ führt mitten in die Problematik hinein. Es geht um die Frage nach dem Bild, das sich seine Umgebung von ihm entwirft. Jim White kommt aus Amerika in die Schweiz zurück und wird an der Grenze verhaftet, weil man ihn für den Bildhauer Anatol Stiller hält. Stiller wird seit einigen Jahren vermißt, er soll in eine Agentenaffäre verwickelt gewesen sein. White leugnet. Stiller zu sein. Seine Frau Julika und seine Freunde versuchen, ihm seine Identität als Stiller zu beweisen. Der Roman besteht zum großen Teil aus Tagebuchaufzeich­nungen Stillers/Whites; daneben baute Frisch Skizzen, Parabeln, Mär­chenhaftes sowie lyrische und dramatische Elemente ein. Auch die Problemstellung des Romans Homo Faber (1957) ist im Tagebuch 1946-1949 bereits genannt. Der Techniker Walter Faber, dem nichts auf der Welt ein Rätsel ist, der alles mathematisch errechnen kann, verliebt sich in ein junges Mädchen und folgt ihm bis nach Griechen­land, wo er ihren Tod verschuldet. Erst nach dem Unglücksfall erfährt Faber, daß das Mädchen Sabeth seine Tochter war.

Neben Max Frisch ist der Dramatiker F. Dürrenmatt wichtigster Repräsentant der Schweizer Literatur. Seine Komödie Die Ehe des Herrn Mississippi wurde 1952 in München uraufgeführt. Sie benutzt Elemente der Kriminalkomödie, spielt in einem Biedermeierzimmer und behandelt die Gegenwart. Florestan Mississippi ist ein fanatischer Kämpfer für die Gerechtigkeit, für die er sogar Verbrechen begeht. Dürrenmatts Romane Der Richter und sein Henker (1952) und Der Verdacht (1953) sind leicht lesbare und spannungsgeladene Kriminalromane. Beide haben einen aktuellen Hintergrund. Der Verdacht thematisiert die Vermutung des Detektivs Bärlach, der Leiter eines Zürcher Sanatoriums sei Arzt in einem Konzentrationslager gewesen.

Der Besuch der alten Dame, eine,,tragische Komödie in drei Akten”, erschien 1956. In diesem Stück spielt die Gemeinde, der,,Kleinstaat“, eine wichtige Rolle; deswegen hat man es als ein sehr schweizerisches Stück bezeichnet. Das verarmte Dorf Güllen wird von einer amerikani­schen Milliardärin besucht, die in diesem Dorf geboren wurde. Sie bietet der Gemeinde finanzielle Hilfe, fordert dafür aber den Tod ihres Jugendgeliebten. Er schickte sie vor vielen Jahren fort, als sie ein Kind von ihm erwartete. In Güllen wird dieser Handel zunächst entrüstet abgelehnt, dann siegt aber doch das Geld über die Moral. Der Jugend­geliebte ist zum Schluß derjenige, der sich opfert.

Anfang der 60er Jahre traten Frisch und Dürrenmatt mit gegenwartsbezogenen Stücken an die Öffentlichkeit und leiteten damit eine neue -engagierte – Phase der Literatur ein.

Andorra. Ein Stück in 12 Bildern (1961) von Max Frisch stellt an einem Modellfall das biblische Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“ auf sehr konkrete Weise dar: Andri wächst als Adoptivsohn bei einem Lehrer im Modellstaat Andorra auf. Er soll das Kind jüdischer Eltern sein. Nur der Lehrer weiß, daß Andri in Wirklichkeit sein unehelicher Sohn ist. Andri wird verachtet, die Leute entdecken an ihm,,typisch jüdische Eigenschaften“. Er kann sich gegen diese Feindseligkeiten nicht wehren und sieht sich schließlich selbst als Außenseiter. Andri muß als Jude, der er nicht ist, sterben. Frisch hatte in seinem Tagebuch 1946-1949 bereits eine Prosafassung dieses mehrfach umgearbeiteten Stoffes veröffentlicht.

Dürrenmatt ging es in seiner,,Komödie in zwei AktenDie Physiker (1962) um die Verantwortung der Wissenschaftler vor der Menschheit. Der Physiker Möbius, ein naturwissenschaftliches Genie, hat sich in eine Irrenanstalt zurückgezogen und hat die Aufzeichnungen seiner Entdeckungen auf dem Gebiet der Kernphysik verbrannt, damit sie nicht zur Vernichtung der Menschheit mißbraucht werden könnten. Zwei Agenten, in Wahrheit auch Physiker, sind Möbius auf der Spur, sie tarnen sich ebenfalls im Wahnsinn. Der eine nennt sich Newton, der andere Einstein. Die Krankenschwestern, die Verdacht schöpfen, werden ermordet. Zum Schluß erklärt die Leiterin der Anstalt, sie habe alle Unterlagen kopiert, bevor Möbius sie verbrannte, die Physiker seien ihre Gefangenen. Sie können den Mißbrauch ihrer Forschungsergebnisse nicht mehr verhindern. Die wirklich Verrückte ist also die Leiterin der Irrenanstalt. Dürrenmatt erläuterte sein Stück in den folgenden 21 Punkten:

Weder Frisch noch Dürrenmatt konnten tragische Konflikte in einer Tragödie, die individuelle Verantwortung voraussetzt, darstellen. Dür­renmatt erklärte die Komödie zur angemessenen Form der Darstel­lung:

Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Väter und Vorväter. Wir sind nur noch Kindeskinder. Das ist unser Pech, nicht unsere Schuld: Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie bei.

In den 60er Jahren traten bis dahin unbekannte Schweizer Autoren an die Öffentlichkeit. 1964 erschien von Peter Bichsel Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen. Die kurzen Prosatexte hatten gleich großen Erfolg. Bichsel erzählt sachlich-nüchtern vom Alltag sogenannter kleiner Leute; schon der Titel weist auf das Milieu hin. Die Jahreszeiten (1967) versuchen, das Alltägliche im Leben darzustellen. Doch durch den leitmotivisch wiederkehrenden Satz „Ich stelle mir vor“ (ähnlich wie in Mein Name sei Gantenbein von M. Frisch.) wird das Erzählte sofort auf eine fiktive Ebene gebracht. Kindergeschichten (1969) sind Texte, die für Kinder und Erwachsene geschrieben sind. Die Geschichte vom Mann, der seine eigene Sprache erfindet und zum Bett nun,,Tisch“ sagt, ist für Kinder ein lustiges Verwirrspiel. Für Erwachsene ist es eine Geschichte über Sprache als Kommunikationsmittel, das aber zur Isolation führen kann. Zum Schluß versteht der alte Mann niemanden mehr, aber auch er wird von niemandem verstanden.

mein liberales land

jeder darf frei seine meinung äußern

wenn ihn der Brotkorb nicht reut

mein konservatives land

zum bestehenden das du verteidigst

gehört die zerstörung dessen was besteht

(...)

mein schönes land

wo schmucke Schwermut prangt

mit grünen Soldaten mit roten geranien

Wie in den anderen deutschsprachigen Ländern die Mundart für die Literatur wiederentdeckt wurde, so gibt es auch in der Schweiz Mundartliteratur, deren Zentrum Bern ist. Gomringer und Marti schrieben Gedichte in Mundart. Urs Widmer verwendete in seinem Zweipersonenstück Nepal (1977) ebenfalls Mundart, um einer allgemeinen Erfah­rung noch mehr Authentizität zu verleihen.

Neben zahlreichen Prosatexten sind zwei Romane aus den 60er Jahren für die deutsche Literatur wichtig geworden: Frischs 1964 erschienener Roman Mein Name sei Gantenbein und der ein Jahr später von Adolf Muschg veröffentlichte Roman Im Sommer des Hasen. Frischs dritter Roman deutet schon durch den Konjunktiv im Titel auf die Problematik. Gantenbein stellt sich blind und wird zum genauesten Beobachter seiner Umwelt:

Ich stelle mir vor:

Sein Leben fortan, indem er den Blinden spielt auch unter vier Augen, sein Umgang mit Menschen, die nicht wissen, daß er sie sieht, seine gesellschaftli­chen Möglichkeiten, seine beruflichen Möglichkeiten dadurch, daß er nie sagt, was er sieht, ein Leben als Spiel, seine Freiheit kraft eines Geheimnisses usw. Sein Name sei Gantenbein. Ich probiere Geschichten an wie Kleider!

Muschg erzählt in Im Sommer des Hasen (1965) von sechs jungen Autoren, die von einer Schweizer Exportfirma ein halbes Jahr nach Tokio eingeladen werden, um sich im fremden Land umzusehen. Anschließend sollen sie in der Schweiz ihre Erfahrungen wiedergeben. In mehrfacher Brechung ergibt sich auf diese Weise ein Bild Japans und gleichzeitig auch ein Bild des jeweiligen Schriftstellers in der Auseinandersetzung mit seiner Umgebung.

Adolf Muschgs Erzählsammlungen Liebesgeschichten (1972), Entfernte Bekannte (1976) und Leib und Leben (1982) berichten von Beziehungen zwischen Menschen. Oft sind es Liebesgeschichten, die eigentlich schon zu Ende sind. Aus der Ferne wird noch einmal die verlorene Nähe beschworen. Die Erzählungen sind sehr konzentriert, sie könnten oft Stoff für einen ganzen Roman geben. Meist spielen sie in der Schweiz, mit dem Schweizer Bürgertum als sozialem Hintergrund. Die Erzählungen Muschgs werden wegen ihrer brillanten Sprache allgemein gelobt. Schon der Titel Entfernte Bekannte zeigt den Wider­spruch, in dem sich viele Figuren aus Muschgs Erzählungen befinden. Sie schwanken zwischen menschlicher Nähe, die sie sich wünschen, und großer Ferne, unter der sie leiden. Phantasievolle Handlungen der Erzählungen machen diese Spannung deutlich.

Gerade in den letzten Jahren gingen von der Literatur der deutschsprachigen Schweiz viele neue Impulse aus. Zahlreiche junge Autoren, die im Gegensatz zu österreichischen Autoren keine Gruppen bildeten, traten an die Öffentlichkeit. Nur einige von ihnen sind hier genannt. Die Vielfalt der Themen, Formen und Darstellungsweisen ist für die gesamte deutschsprachige Literatur ein bedeutender Beitrag und belebt die literarische Produktion der letzten Jahre.

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