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2.2.2.1 Erzählperspektiven

,,Der „Steppenwolf“ ist so streng gebaut wie ein Kanon oder eine Fuge und ist bis zu dem Grade Form geworden, der mir eben möglich ist." 16

In einem Kanon setzen die Stimmen bei gleicher Melodie in Abständen nacheinander ein, im Gegensatz dazu wird in einer Fuge ein Thema in Variationen von verschiedenen Stimmen nacheinander aufgenommen. Wendet man nun diese Definitionen auf den Steppenwolf an, so kann man die Stimmen auch als Perspektiven bezeichnen. Hier wird nämlich aus drei unterschiedlichen Perspektiven versucht die Zentralgestalt Harry Haller zu erfassen.  Die erste Perspektive wird vom fiktiven Herausgeber verkörpert, der die einleitenden Worte zu Harrys tagebuchähnlichen Aufzeichnungen spricht. Den Großteil macht allerdings die zweite Perspektive aus, Hallers subjektive Beschreibung seines Seelenzustands. Unterbrochen wird diese Sichtweise vom Traktat, der die dritte Stimme bzw. Perspektive ausmacht. Hier erfolgt eine wissenschaftlich abstrakte Analyse des Steppenwolfes. Diese drei Teilabschnitte sind aber keineswegs unabhängig voneinander.

Der fiktive Herausgeber von Hallers Schriften ist ein sogenannter Augenzeuge seiner Leiden. Die persönliche Bekanntschaft der beiden bekräftigt die Authentizität der folgenden Lebensgeschichte, zugleich wird mit der bürgerlichen Herkunft des Herausgebers ein großer Konflikt des Steppenwolfes eingeleitet. Haller fühlt sich gleichzeitig zum Bürgertum hingezogen aber auch von ihm abgestoßen. Somit wird der Kontrast der beiden Charaktere verdeutlicht und lässt Hallers Außenseiterrolle in der Gesellschaft verstärkt hervortreten. An einer Stelle unterstreicht der Herausgeber die Grundverschiedenheit zwischen Steppenwolf und dem Bürgerlichen: ,,Aber ich bin nicht er, und ich führe nicht seine Art von Leben, sondern das meine, ein kleines und bürgerliches, aber gesichertes und von Pflichten erfülltes." . Und doch besteht großes Interesse am Steppenwolf. Vielleicht verbirgt dieser geheime Träume und Sehnsüchte des Bürgertums, womit die Anteilnahme und Neugier erklärt wäre.

Neben der Beschreibung des Steppenwolfes aus seiner Sicht gibt der Herausgeber auch die Blickrichtung auf die Aufzeichnungen Hallers vor und somit auch Deutungsansätze für den Leser. ,,Sie bedeuten, ganz wörtlich, einen Gang durch die Hölle, einen bald angstvollen, bald mutigen Gang durch das Chaos einer verfinsterten Seelenwelt, gegangen mit dem Willen, die Hölle zu durchqueren, dem Chaos die Stirn zu bieten, das Böse bis zu Ende zu erleiden." Indem er von ,,Seelenwelt" spricht, negiert er beim Leser die Erwartung auf eine faktengetreue Autobiographie. Er öffnet somit das Tor zu weiteren Deutungsebenen. Dieses Tor kann der Leser durchschreiten und somit Haller verstehen lernen, er kann sich aber auch jederzeit wieder hinter das Tor zurückziehen. Denn der fiktive Herausgeber verkörpert jene Sicherheit des Bürgerlichen, die es dem Leser ermöglicht in Hallers ,,Seelenwelt" einzutauchen. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Herausgeber einen ,,Wegweiser für die Lektüre" gibt, die ,,Weichen für die Leseridentifikation" 20 stellt und mögliche Deutungen vorgibt. Hallers Seelenkrankheit ist in seinen Augen ,,die Krankheit der Zeit selbst, die Neurose jener Generation, welche Haller angehört, und von welcher keineswegs nur die schwachen und minderwertigen Individuen befallen scheinen, sondern gerade die starken, geistigen, begabtesten" 

Dann setzen ,,Harry Hallers Aufzeichnungen- Nur für Verrückte" ein, die den Hauptteil des Buches ausmachen. Sie stellen eine Art Selbstanalyse dar, die in Form eines Tagebuchs verfasst ist. Diese Form zeigt sich nicht im Äußerlichen, es gibt keine Zeitangaben o.ä., aber Haller schreibt in der Ich- Form und bedient sich einer monologisch reflexiven Erzählweise. Zunächst beschreibt er sein Wesen , den Konflikt zwischen Wolf und Mensch und seine erste Begegnung mit dem Magischen Theater. Obwohl die gewählte Form dem Leser impliziert, dass Harry das gerade Erlebte niederschreibt, gibt es doch Hinweise, dass die Aufzeichnungen rückblickend verfasst worden sind. Diese Hinweise sind nicht mit Textbeispielen zu belegen, doch erhärtet sich die Vermutung, wenn man das stetige Hinführen auf das Magische Theater betrachtet. Schon zu Beginn erkennt der Leser, dass das Magische Theater der Höhepunkt bzw. Umkehrpunkt von Haller Leidengeschichte werden wird. Indem er aber seine Perspektive einschränkt, also weder vor- noch zurückschaut, erlangen seine Einsichten einen sehr subjektiven Charakter. Sie bedürfen also einer Korrektur oder einer Erweiterung. Und eben diese bieten sich mit dem Traktat, der dritten Erzählperspektive. Das Traktat unterbricht die Aufzeichnungen Hallers zu einem Zeitpunkt, wo er sich einer zwingenden Änderung seiner Lebensweise schon bewusst ist, ihm nur die Art und Weise noch nicht bekannt ist. ,,Prüfend blickte ich zu der alten Mauer hinüber, heimlich wünschend, der Zauber möge wieder beginnen, die Inschrift mich Verrückten einladen, das kleine Tor mich einlassen. Dort vielleicht war das, was ich begehrte, dort vielleicht würde meine Musik gespielt?" Von einem Mann mit einem Bauchladen erhält Haller dann das ,,Traktat vom Steppenwolf. Nicht für jedermann." Das Traktat wird in seine Aufzeichnungen eingefügt und hebt sich hinsichtlich des Drucktyps und der Erzählform ab. Die sachlich nüchterne Schreibweise wird verstärkt durch die Er- Form und gewinnt somit den Anschein einer wissenschaftlichen Abhandlung (eben ein Traktat). Diese Perspektive ist eine vom Ich- Erzähler losgelöste, sie vermittelt eine objektive Distanz, Hallers Seelenleben wird nun kritisch beleuchtet und hinterfragt. So wird die Vorstellung seines geteilten Selbst in Wolf und Mensch entlarvt. Denn bisher schrieb er seine negativen Seiten oder alles Unbewusste, alles nicht Fassbare dem Wolf in ihm zu. Wohingegen seine angenehme und umgänglichen Seite den Menschen in ihm widerspiegelten. Das Traktat vermittelt ihm eine neue Sichtweise, dass er nämlich aus vielen verschiedenen Einzelteilen besteht. Mit dem Traktat werden ihm auch mögliche Wege zur Selbstbefreiung aufgezeigt. ,,Um dies zu erreichen [gemeint ist: ein ertragbares Leid], oder um vielleicht am Ende doch noch den Sprung ins Weltall wagen zu können, müsste solch ein Steppenwolf einmal sich selbst gegenübergestellt werden, müsste tief in das Chaos der eigenen Seele blicken und zum vollen Bewusstsein seiner selbst kommen.". Das Traktat endet und die Aufzeichnungen Hallers werden fortgesetzt. Er versucht nun, seine neuen Lebensmöglichkeiten zu erproben und den selbst zerstörerischen Gegensatz von Wolf und Mensch zu überwinden. Doch der Besuch beim befreundeten Professor, sein letzter Versuch aus der Isolation auszubrechen misslingt und Harry stürzt in eine tiefe Verzweiflung. Nun tritt Hermine in Erscheinung und alles nun folgende ist eine deutliche Vorbereitung auf das Magische Theater, wo Harry Einblick in seine Seele erhalten soll. Doch Haller versagt und die erhoffte Heilung tritt nicht ein. Die Aufzeichnungen enden mit den Worten: ,,Einmal würde ich das Figurenspiel besser spielen. Einmal würde ich das Lachen lernen. Pablo wartete auf mich. Mozart wartete auf mich.".

Und hier schließt sich der Kreis, denn schon der fiktive Herausgeber deutete ein offenes Ende an, ließ erahnen, dass Haller keine vollständige Heilung erfährt. ,,Er lebt noch, er geht irgendwo auf seinen müden Beinen die Treppen fremder Häuser auf und ab, starrt irgendwo auf blankgescheuerte Parkettböden und auf sauber gepflegte Araukarien, sitzt Tage in Bibliotheken und Nächte in Wirtshäusern oder liegt auf einem gemieteten Kanapee, hört hinter den Fenstern die Welt und die Menschen leben und weiß sich ausgeschlossen, tötet sich aber nicht, denn ein Rest von Glaube sagt ihm, dass er dies Leiden, dies böse Leiden in seinem Herzen zu Ende kosten und dass dies Leiden es sei, woran er sterben müsse."  . Aus drei verschiedenen Blickrichtungen versucht Hesse sich also dem Steppenwolf Harry Haller zu nähern. Und alle drei sind eng miteinander verbunden, nur durch sie kann der Leser versuchen, ihn zu verstehen und seinen Leidensweg mit ihm gemeinsam gehen. Wie streng der Aufbau nun ist oder wie nah er den Begriffen Kanon bzw. Fuge kommt, sei dahingestellt. Fest steht, dass diese Konzeption ihren Zweck erfüllt, die größtmögliche Annäherung an die Zentralgestalt und ein Eintauchen in seine Seelenwelt.

Einer wohl überlegten Gestaltung unterlagen auch die Nebenfiguren des Romans. Im folgenden sollen sie analysiert werden, jede Person hat eine ganz besondere Beziehung zu Harry und leistet jeweils ihren Beitrag zu Harrys Heilungsprozess.

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