Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
все тексты по УП в ворде.doc
Скачиваний:
0
Добавлен:
18.09.2019
Размер:
99.84 Кб
Скачать

Strafrecht und Gesellschaft ■ 163

Das Strafrecht umfasst den Teil der Rechts­ordnung, der im Detail Art und Vorausset­zungen staatlichen Strafens festlegt. Wie kein anderes Rechtsgebiet steht es im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Verarbei­tung von Straftaten ist deshalb nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftl. Problem (A). In der BRD ist sie umfassend gesetzl. geregelt (B), um willkürl. Entschei­dungen auszuschließen. Die Strafverfolgung beginnt meist mit einer Anzeige bei der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft. Handelt es sich um einen ernstzunehmenden Vorwurf, so führt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren durch, in dem versucht wird, den relevanten Sachverhalt soweit wie möglich aufzuklären. Bestätigt sich dabei der Verdacht einer Straftat und wird das Verfahren nicht eingestellt (§§ 153 ff. StPO), so erhebt die Staatsanwalt­schaft Klage vor dem zuständigen Gericht. In der öffentl. geführten Hauptverhandlung, dem wichtigsten Bestandteil des Strafverfah­rens, wird der Tatvorwurf im Detail erörtert und Beweis erhoben. Kann dem Angeklagten die Straftat nachgewiesen werden, so wird er zu einer Strafe verurteilt; andernfalls wird er freigesprochen. Die Strafvollstreckung liegt wieder in den Händen der Staatsanwaltschaft. Das Ermittlungs- und Strafverfahren stellt für den Betroffenen eine extreme Belastung dar, zumal es i. d. R. mit zusätzl. Sanktionen aus dem privaten Umfeld verbunden ist. Es ist da­her von größter Wichtigkeit, dass die Voraus­setzungen der Strafbarkeit unter öffentl. Kon­trolle im Detail festgelegt sind und in klarer, nachvollziehbarer Weise angewandt werden.

Das Gesetzlichkeitsprinzip Das in § 1 StGB und Art. 103 II GG fest­gelegte Gesetzlichkeitsprinzip besagt, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzl. bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

Dieses Prinzip geht auf P. J. A. Feuerbach (1775-1833) zurück, den Begründer der mo­dernen dt. Strafrechtswissenschaft. Der von ihm formulierte Grundsatz »nullum crimen, nulla poena sine lege« (»kein Verbrechen, kei­ne Strafe ohne Gesetz«) umfasst vier Aspekte, die man zusammen als die Garantiefunktion des Strafgesetzes (C) bezeichnet:

  1. Verbot von Gewohnheitsrecht: das Straf­gesetz muss schriftlich niedergelegt sein.

  2. Verbot von straferweiternder Analogie: die Strafe muss sich aus dem Wortlaut des Strafgesetzes herleiten lassen,

  3. Verbot von gesetzlicher Unbestimmtheit: das Gesetz muss Art und Voraussetzungen der Strafe klar erkennen lassen.

4. Verbot von Rückwirkung: das Strafgesetz

muss vor der Straftat existiert haben. Der Tatbestand eines Strafgesetzes enthält die abstrakte (vertypte) Beschreibung einer Ver­haltensweise, die vom Gesetzgeber als Un­recht angesehen und deshalb mit Strafe belegt wurde.

Bsp. für vertypte Unrechtsbeschreibungen: Zerstörung einer Sache (Sachbeschädi­gung); Tötung eines Menschen (Totschlag); Verletzung eines Menschen (Körperverlet­zung)

Bei der Entscheidung über strafrechtlich zu sanktionierende Verhaltensweisen orientiert sich der Gesetzgeber an der Sozialmoral. Das Strafrecht dient dem Schutz anerkannter Güter wie Leben, Freiheit und Eigentum, die da­durch zu Rechtsgütern werden. Allerdings ist nicht alles strafbar, was sozialethisch missbil- ligt wird; unter Strafe gestellt (pönalisiert) werden vielmehr nur solche Verhaltensweisen, die vom Gesetzgeber als bes. schwerwiegend angesehen werden. Man bezeichnet das Straf­recht deshalb bisweilen als das ethische Mini­mum, weil nur ein Mindeststandard der Sozi­almoral festgeschrieben wird, teilw. aber auch als das ethische Maximum, weil das Strafrecht nur die zentralen, bes. wichtigen Regeln der Sozialmoral enthält.

Das Strafrecht ist Teil des öffentlichen Rechts, weil es die Rechtsbeziehungen zw. Staat und Bürger regelt. Es hat drei Teile:

    1. Das v. a. im StGB geregelte materielle Strafrecht enthält in seinem Besonderen Teil (§§ 80-358 StGB) die Beschreibung der einzelnen Unrechtstypen mitsamt den damit verknüpften Rechtsfolgen (Strafen). Der Allgemeine Teil des Strafrechts (§§ 1-79 b StGB) regelt Grundsätzliches, etwa Fragen des Vorsatzes, des Versuches und der Rechtfertigungsgründe. Zahlreiche Fragen des Allgemeinen Teils sind aller­dings gesetzl. nur in Ansätzen oder gar nicht normiert.

    2. Das formelle Strafrecht oder Strafpro­zessrecht enthält zum einen (u. a. im GVG) Bestimmungen über den Aufbau und die Zuständigkeiten der Organe der Rechtspfle­ge (v. a. Gerichte und Staatsanwaltschaft), zum anderen (in der StPO) Bestimmungen über den Ablauf des Strafverfahrens. Hinzu treten die Bestimmungen über das staatl. Strafregister (im BZRG).

    3. Das Strafvollzugsrecht beinhaltet (im StVollzG) die Bestimmungen über die Durchführung der von den Strafgerichten verhängten Rechtsfolgen. Dabei kommt dem Vollzug der Freiheitsstrafe bes. Bedeu­tung zu.

Das dt. Strafrecht unterscheidet vier Formen strafbarer Handlungen (Straftaten) (A): das vollendete Vorsatzdelikt, das versuchte Vorsatzdelikt, das Fahrlässigkeitsdelikt und das (unechte) Unterlassungsdelikt. Die Vo­raussetzungen dieser Straftattypen unterschei­den sich z. T. erheblich; auch ihr Prüfungsauf­bau, d. h. die Prüfung der einzelnen Vorausset­zungen für die Strafbarkeit des Täters, weicht voneinander ab.

Das vollendete Vorsatzdelikt, das den »Nor­malfall« kriminellen Verhaltens darstellt, weist folgenden Prüfungsaufbau auf:

      1. Tatbestandsmäßigkeit, 2. Rechtswidrig­keit und 3. Schuld. Bei der Tatbestands­mäßigkeit wird zusätzlich zwischen dem objektiven und dem subjektiven Tatbestand unterschieden:

1 a. Den objektiven Tatbestand eines Delikts erfüllt, wer den vom Gesetz beschriebenen Unrechtstypus verwirklicht, also etwa einen Menschen tötet (§212 StGB) oder eine fremde Sache beschädigt (§ 303 StGB). 1 b. Der subjektive Tatbestand umfasst den Vorsatz, also den Willen des Täters, den objektiven Tatbestand eines Strafgesetzes zu verwirklichen. Um wegen Totschlags (§ 212 StGB) strafbar zu sein, reicht es also nicht aus, einen Menschen getötet zu haben; dies muss vielmehr vorsätzlich geschehen sein.

      1. Auf der Prüfungsstufe der Rechtswidrig­keit wird untersucht, ob sich der Täter auf einen Rechtfertigungsgrund, z. B. Not­wehr, berufen kann. Rechtfertigungsgrün­de schließen die Rechtswidrigkeit aus.

      2. Auf der Prüfungsstufe der Schuld wird ge­fragt, ob dem Täter die Tat persönlich vor­geworfen werden kann. Dies ist z. B. dann nicht der Fall, wenn der Täter noch ein Kind ist oder wenn er z. Z. der Tat infolge extre­men Alkoholkonsums schuldunfähig war.

Der Täter kann nur bestraft werden, wenn sein Verhalten (objektiv wie subjektiv) tat­bestandsmäßig und rechtswidrig und schuldhaft war.

Ein versuchtes Vorsatzdelikt (Versuch) zeichnet sich dadurch aus, dass der Täter zwar mit dem Vorsatz handelt, ein bestimmtes De­likt zu begehen, diesen Vorsatz aber nicht oder jedenfalls nicht vollständig in die Tat umset­zen kann. Beim Versuch liegt also der subjek­tive Tatbestand (der hier Tatentschluss ge­nannt wird) vollständig vor, während der ob­jektive Tatbestand nicht oder nur teilw. gegeben ist.

Bsp.: A schießt auf B, um ihn zu töten. Die Kugel verfehlt jedoch ihr Ziel: kein voll­endeter Totschlag, sondern nur ein Tot­schlagsversuch.

Erscheinungsformen der Straftat ■ 165

Ein versuchtes Vorsatzdelikt ist nur strafbar, wenn es sich bei der versuchten Tat um ein Verbrechen handelt, also um eine Tat, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahn­det wird (§12 1 StGB). Handelt es sich um ein Vergehen, also eine rechtswidrige Tat, die mit einer Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht wird, ist der Versuch nur strafbar, wenn dies im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist.

Der Prüfungsaufbau eines versuchten Vorsatz­deliktes sieht wie folgt aus: 1. Vorprüfung, ob die Tat nicht vollendet und der Versuch strafbar ist, 2. Vorliegen eines Tatentschlus­ses, 3. unmittelbares Ansetzen zur Tat­bestandsverwirklichung, 4. Rechtswidrigkeit und 5. Schuld.

Die Prüfungspunkte 2. und 3. werden auch als der Tatbestand des Versuchs bezeichnet. Beim Fahrlässigkeitsdelikt verwirklicht der Täter einen Straftatbestand nicht vorsätzlich, sondern aus Unachtsamkeit, also fahrlässig. Bsp.: Als A sein Gewehr reinigt, löst sich ein Schuss, der B tötet. A hat sich nicht wegen einer vorsätzlichen, sondern wegen einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) strafbar gemacht. Das (unechte) Unterlassungsdelikt ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Straftat­bestand nicht durch aktives Tun, sondern durch Unterlassen erfüllt wird.

Bsp.: A sieht seelenruhig zu, wie B ertrinkt. Es handelt sich um einen Totschlag durch Unterlassen. Die (unechten) Unterlassungsdelikte unter­gliedern sich zwar ebenfalls in Tatbestands­mäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, weisen aber beim Tatbestand einen eigenen, komplizierten Prüfungsaufbau auf.

Strafbarkeit setzt immer eine Handlung des Täters voraus. Unter Handlung versteht man willensgesteuertes Verhalten (sog. kausaler Handlungsbegriff). Es kann in einem (aktiven) Tun, aber auch in einem Unterlassen liegen (B).

Keine Handlungen sind Reflexbewegun­gen, Bewegungen im Schlaf und Instinktre­aktionen.

In der Literatur wird der Handlungsbegriff teilw. durch weitere Merkmale angereichert. So soll es nach dem sozialen Handlungsbegriff darauf ankommen, dass die Handlung sozial erhebl. Folgen hat. Der finale Handlungs­begriff setzt eine zielgerichtete Tätigkeit vo­raus.

Die daran anknüpfende finale Handlungs­lehre (Welzel) spielte in der strafrechtl. Grundlagendiskussion der 1950er und 1960er Jahre eine große Rolle.

Strafbarkeit setzt voraus, dass der Täter den objektiven Tatbestand eines Delikts vorsätz­lich erfüllt hat.

Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.

Man spricht auch von der kognitiven und der voluntativen Seite des Vorsatzes. Der Täter muss also den Willen zur Verwirk­lichung eines Straftatbestandes und das Wis­sen aller seiner Tatbestandsvoraussetzungen haben.

Der Vorsatz ist eine subjektive, in der Täter­psyche liegende Strafbarkeitsvoraussetzung. Er muss zum Zeitpunkt der objektiven Tat­bestandsverwirklichung vorhanden sein; ein nur im Vorfeld der Tat bestehender Vorsatz (dolus antecedens) oder ein Vorsatz, der erst nachträglich gefasst wird (dolus subsequens), reichen nicht aus.

Bei bestimmten Strafnormen (z.B. §§ 242, 263 StGB) treten im subjektiven Tatbestand neben den Vorsatz noch besondere subjektive Tatbestandsmerkmale, etwa eine Zueignungs­oder eine Bereicherungsabsicht.

Beim Fahrlässigkeitsdelikt genügt dage­gen fahrlässiges Verhalten, also eine Verlet­zung der gebotenen Sorgfalt. Das Wissenselement des Vorsatzes ist bes. problematisch. Vorsatz kann nur bejaht wer­den, wenn der Täter bei Begehung der Tat alle Merkmale des objektiven Tatbestandes in ih­ren wesentl. Zügen gekannt hat (A). Für das Tatobjekt heißt dies, dass eine gattungsmäßige Bestimmtheit (ein »Mensch«, § 212 StGB; ei­ne »Sache«, § 303 StGB) erforderlich ist, aber auch ausreicht. Weitergehende Vorsatzkonkre­tisierungen (der Mensch x, die Sache y) sind nicht notwendig.

Bei den deskriptiven Tatbestandsmerkma­len reicht zur Vorsatzbejahung aus, dass der Täter den »natürl. Sinngehalt« des Merkmals erfasst hat. Bei Tatbestandsmerkmalen, deren Bedeutung durch die Rechtsordnung fest­gelegt wird, den sog. normativen Tat­bestandsmerkmalen, ist nach h. M. eine Pa­rallelwertung in der Laiensphäre erforderlich. Bsp.: Beim Diebstahl (§ 242 StGB) reicht es aus, wenn der Täter den Bedeutungs­gehalt des Tatbestandsmerkmals »fremd« sinngemäß erfasst. Er muss also wissen, dass die weggenommene Sache einem an­deren gehört (ParallelWertung). Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Täter die ei- gentumsrechtl. Zuordnung im Detail ver­steht.

Es lassen sich drei Vorsatzarten unterschei­den (B):

1. Absicht liegt vor, wenn es dem Täter gerade darauf ankommt, den Tatbestand zu ver-

Der subjektive Tatbestand: Vorsatz ■ 171

wirklichen. Diese Zielvorstellung muss we­der mit seinem Motiv noch mit seinem Fernziel identisch sein. Bei der Absicht liegt der Schwerpunkt auf dem Wollensele- ment des Vorsatzes. Ob sich der Täter die Tatbestandsverwirklichung als sicher oder nur als möglich vorstellt, ist unerheblich.

        1. Wissentlichkeit (direkter Vorsatz) ist gege­ben, wenn der Täter sicher weiß, dass sein Handeln den Tatbestand verwirklicht, es ihm aber bei seinem Tun nicht darauf an­kommt, den Tatbestand zu verwirklichen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wissensele­ment des Vorsatzes. Ob die Tatbestandsver­wirklichung dem Täter erwünscht oder un­erwünscht ist, spielt keine entscheidende Rolle.

        2. Eventualvorsatz (auch bedingter Vorsatz oder dolus eventualis) liegt vor, wenn der Täter es ernsthaft für möglich hält, dass er rechtswidrig handelt und dies billigt bzw. sich damit abfindet. Bei dieser Vorsatzart ist sowohl das voluntative als auch das kogniti­ve Element des Vorsatzes gegeben. Beide sind aber gegenüber der Absicht bzw. der Wissentlichkeit erheblich abgeschwächt. Bsp.: Ein flüchtender Einbrecher, der Schüsse auf seine Verfolger abfeuert, han­delt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er sich mit deren Tod abfindet.

Wo das Gesetz nicht ausdrücklich Absicht oder Wissentlichkeit voraussetzt, genügt als Vorsatzart dolus eventualis. Dies gilt auch beim Versuch, der sich dadurch auszeichnet, dass der subjektive Tatbestand (Vorsatz) voll gegeben ist, während der objektive Tatbestand nicht oder nur teilw. verwirklicht wird. Die fahrlässige Verwirklichung eines Straftat­bestandes ist hingegen nur strafbar, wenn das Gesetz es ausdrücklich vorsieht. Dies ist etwa bei der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) oder der fahrlässigen Körper­verletzung (§ 229 StGB) der Fall, nicht da­gegen bei der fahrlässigen Sachbeschädi­gung. Letztere ist daher nicht strafbar. Ein in Ausbildung wie Rechtspraxis außeror­dentlich wichtiges Problem ist die Abgren­zung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit. Nicht selten entscheidet sie zwischen Strafbarkeit und Nichtstrafbarkeit der Tat. Oft hilft die Faustregel: Wenn der Täter sich sagt, »Ob etwas passiert, ist mir egal«, dann liegt Eventualvorsatz vor. Ein Sonderproblem stellt der sog. Alternativ­vorsatz dar: Der Täter kann mit einer Hand­lung zwei einander ausschließende Tatbestän­de verwirklichen und erkennt dies auch (C). Hier ist Vorsatz in Bezug auf beide Tatbestän­de zu bejahen.

Erfüllt willengesteuertes menschl. Verhalten einen Straftatbestand, so spricht eine Ver­mutung dafür, dass dieses Verhalten rechts­widrig ist, d. h. die Tatbestandsmäßigkeit indi­ziert die Rechtswidrigkeit. Ein Verhalten, das einen Straftatbestand er­füllt, ist jedoch ausnahmsweise erlaubt, wenn es durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt wird (A).

Rechtfertigungsgründe sind also »Erlaubnis­tatbestände«, die ein rechtsgutverletzendes (und damit grundsätzlich verbotenes) Verhal­ten ausnahmsweise gestatten.

Bsp.: A schlägt B zu Boden, weil dieser ihn mit einem Messer angegriffen hatte. In die­sem Fall erfüllt A vorsätzlich den objekti­ven Tatbestand einer Körperverletzung (§ 223 I Var. I StGB), doch kann sein Ver­halten durch Notwehr (§ 32 StGB) gerecht­fertigt werden. Rechtfertigungsgründe enthalten neben ob­jektiven Voraussetzungen auch ein subjekti­ves Element. So tritt etwa bei der Notwehr neben die objektiven Voraussetzungen (Vor­liegen eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs) der (subjektive) Verteidigungswille. Die meisten Rechtfertigungsgründe sind im StGB geregelt. Andere beruhen auf Gewohn­heitsrecht.

Die Zahl der Rechtfertigungsgründe ist nicht begrenzt; grundsätzl. ist es also mög­lich, neue Rechtfertigungsgründe zu entwi­ckeln (z.B. aus den Grundrechten). Rspr. wie Lehre sind allerdings bei der Annahme neuer Rechtfertigungsvoraussetzungen sehr zurückhaltend. Eine rechtswidrige, also nicht gerechtfertigte Tat wird als Unrecht bezeichnet. Ein solches rechtl. konstituiertes Unrecht ist strikt von mo- ral. Unrecht zu unterscheiden. Der Sprach­gebrauch des Alltags weicht hier nicht uner­heblich von der jurist. Ausdrucksweise ab.

Die wichtigsten Rechtfertigungsgründe:

  • Notwehr, §§ 32 StGB, 227 BGB. Wer an­gegriffen wird, darf sich angemessen vertei­digen. Schäden, die dabei dem Angreifer zugefügt werden, sind gerechtfertigt.

  • Rechtfertigender Notstand, §§ 34 StGB, 16 OWiG. Wer in einer Notlage einen Straf­tatbestand erfüllt, um sich oder einen ande­ren zu retten, ist gerechtfertigt. Sonderfor­men des allg. strafrechtl. Notstandsparagra­phen stellen die beiden Varianten des zivilrechtl. Notstandes (§§ 228, 904 BGB) dar.

  • Einwilligung. Willigt das Opfer in die Rechtsgutverletzung ein, bleibt zwar i. d. R. die Tatbestandmäßigkeit des Verletzerver­haltens bestehen, der Eingriff ist jedoch ge­rechtfertigt. Dagegen schließt das Vorliegen eines Einverständnisses bereits den Tat­bestand aus. Die Einwilligung ist gesetzl. nicht geregelt, sondern beruht auf Gewohn­heitsrecht.

  • Mutmaßliche Einwilligung. Dieser ge­setzl. ebenfalls nicht geregelte Rechtfer­tigungsgrund spielt dann eine Rolle, wenn eine ausdrückl. Einwilligung entweder nicht eingeholt werden kann oder wegen der Geringfügigkeit des Geschehens nicht eingeholt zu werden braucht.

  • Rechtfertigende Pflichtenkollision. Die­ser gesetzl. nicht geregelte Rechtfertigungs- grund greift in Situationen ein, in denen zumindest eine Handlungspflicht notwen­dig verletzt wird.

Bsp.: Wenn etwa A nur entweder B oder C retten kann, nicht aber beide, und er B rettet, erfüllt sein Unterlassen C gegen­über i. d. R. einen Straftatbestand (B). Trotzdem handelt A nicht rechtswidrig, wenn die Situation die Voraussetzungen einer rechtfertigenden Pflichtenkollision erfüllt.

  • Festnahmerecht, § 127 StPO. Wer bei ei­ner strafbaren Handlung auf frischer Tat ertappt wird, darf von der Polizei und u. U. sogar von Privatpersonen festgehalten wer­den.

  • Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB. Dieser Rechtfertigungs- grund spielt nur im Beleidigungsstrafrecht (§§ 185 ff. StGB) eine Rolle. Eine Verlet­zung der Ehre (etwa durch die Presse) kann danach gerechtfertigt sein, wenn sie bloß die unumgängl. Nebenfolge der angemes­senen Verfolgung eines anderen berechtig­ten Interesses (etwa dem nach polit. Infor­mation) darstellt.

Rechtswidrigkeit I: Rechtfertigungsgründell 173

Die Wirkung der Rechtfertigungsgründe besteht darin, dass ein tatbestandsmäßiges Verhalten ausnahmsweise als nicht rechtswid­rig eingestuft wird. Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes bedeutet für den Han­delnden eine Handlungserlaubnis, der auf Sei­ten des Betroffenen eine Duldungspflicht ent­spricht (C). Relevant wird dies bes. bei der Notwehr, wo ein Abwehrrecht nur dann besteht, wenn der Angriff rechtswidrig ist. Gegen einen durch Notwehr gerechtfertigten Angriff ist deshalb keine Notwehr zulässig. Die Rechtfertigung gilt in der gesamten Rechtsordnung, also bes. auch im Verwal- tungs- und Zivilrecht. Daraus folgt, dass an ein gerechtfertigtes Verhalten nicht nur keine Strafe geknüpft werden kann, sondern auch keine verwaltungs- oder zivilrechtl. Sanktion, z. B. die Verpflichtung zu Schadensersatz.

Rechtswidrigkeit II: Notwehr, Notstand, Einwilligung S. 175

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]