
Remarque, Erich Maria - Der schwarze Obelisk
.pdfalles gut werden und Isabelle gesund und –
Da stocke ich.Was dann? Wird sie nicht fortgehen? Und ist dann nicht plötzlich eine Mutter mit einer Pelzstola da, mit diskretem Parfüm, mit Verwandten im Hintergrund und AnsprüchenfürihreTochter?Istsiedannnichtverlorenfürmich, der nicht einmal genug Geld zusammenbringen kann,um sich einen Anzug zu kaufen? Und bin ich vielleicht nur deshalb so verwirrt? Aus stumpfem Egoismus, und alles andere ist nur Dekoration?
Ich trete in eine Kcllerkneipe. Ein paar Chau eure sitzen da, ein welliger Spiegel wirft mir vom Büfett her mein verzogenes Gesichtzurück,undvormir,ineinemGlaskasten,liegteinhalbes DutzendvertrockneterBrötchenmitSardinen,dievorAlterdie Schwänze hochkrümmen. Ich trinke einen Korn und habe das Gefühl,daß mein Magen ein tiefes,reißendes Loch hat.Ich esse dieBrötchenmitdenSardinenundnocheinigeanderemitaltem, hochgewölbtemSchweizerKäse;sieschmeckenscheußlich,aber ichstopfesieinmichhineinundesseWürstchenhinterher,dieso rotsind,daßsiefastwiehern,undichwerdeimmerunglücklicher und hungriger und könnte das Büfett anfressen.
«Mensch, Sie haben aber einen schönen Appetit», sagte der Wirt.
«Ja»,sage ich.«Haben Sie noch irgend etwas?» «Erbsensuppe. Dicke Erbsensuppe, wenn Sie da noch Brot reinbrocken –»
«Gut,geben Sie mir die Erbsensuppe.»
Ich schlinge die Erbsensuppe hinunter, und der Wirt bringt mir freiwillig,als Zugabe,noch einen Kanten Brot mit Schweineschmalz. Ich verputze ihn auch und bin hungriger und unglücklicher als vorher.Die Chau eure fangen an,sich für mich zu interessieren. «Ich kannte mal jemand, der konnte dreißig
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harte Eier auf einen Sitz essen»,sagt einer.
«Das ist ausgeschlossen. Da stirbt er; das ist wissenschaftlich nachgewiesen.»
IchstarredenWissenschaftlerbösean.«HabenSieesgesehen?» frage ich.
«Es ist sicher»,erwidert er.
«Esistgarnichtsicher.Wissenschaftlichnachgewiesenistnur, daß Chau eure früh sterben.»
«Wieso denn das?»
«Wegen der Benzindämpfe.LangsameVergiftung.»
Der Wirt erscheint mit einer Art italienischem Salat. Er hat seine Schläfrigkeit gegen ein sportliches Interesse eingetauscht. Woher er den Salat mit der Mayonnaise hat, ist ein Rätsel. Der Salat ist sogar frisch.Vielleicht hat er ihn von seinem eigenen Abendessengeopfert.Ichvertilgeihnnochundbrecheauf–mit brennendemMagen,derimmernochleerscheintundumnichts getröstet.
Die Straßen sind grau und trübe beleuchtet. Bettler stehen überall herum.Es sind nicht die Bettler,die man früher kannte
– es sind jetzt Amputierte und Schüttler und Arbeitslose und alte,stilleLeutemitGesichternwieauszerknittertemfarblosem Papier.Ich schäme mich plötzlich,daß ich so sinnlos gefressen habe.Hätte ich das,was ich hinuntergeschlungen habe,an zwei oderdreidieserLeutegegeben,sowärensiefüreinenAbendsatt geworden,undichwärenichthungriger,alsichesjetztnochbin. Ich nehme das Geld,das ich noch bei mir habe,aus der Tasche und gebe es weg. Es ist nicht mehr viel, und ich beraube mich nicht damit; morgen um zehn Uhr früh wird es ohnehin ein Viertel weniger wert sein, wenn der Dollarkurs herauskommt. Die deutsche Mark hat zum Herbst hin die zehnfache galoppierende Schwindsucht bekommen. Die Bettler wissen es und
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verschwinden sofort, da jede Minute kostbar ist; der Preis für dieSuppekannineinerStundeschonumeinigeMillionenMark gestiegen sein. Das richtet sich danach, ob der Wirt morgen wieder einkaufen muß oder nicht – und auch danach,ob er ein Geschäftemacher ist oder selbst ein Opfer. Wenn er selbst ein Opferist,isterMannafürdiekleinerenOpferunderhöhtseine Preise zu spät.
Ichgeheweiter.AusdemStadtkrankenhauskommeneinpaar Leute. Sie umgeben eine Frau, die ihren rechten Arm in einer Schiene hochgebunden hat. Ein Geruch von Verbandsmitteln weht mit ihr vorbei.Das Krankenhaus steht wie eine Lichtburg inderDunkelheit.FastalleFenstersinderleuchtet;jedesZimmer scheintbesetztzusein.InderInflationsterbendieLeuteschnell. Wir wissen das auch.
IchgeheinderGroßenStraßenochzueinemKolonialwarengeschäft, das oft noch nach dem o ziellen Ladenschluß o en ist.Wir haben mit der Besitzerin ein Abkommen getro en. Sie hatfürihrenMannvonunseinenmittlerenHügelsteingeliefert bekommen,undwirhabendafürdasRecht,zumDollarkursvom zweiten September für Mark imWerte von sechs DollarWaren bei ihr zu entnehmen. Es ist ein verlängertes Tauschgeschäft. DasTauschenistohnehinlängstüberallMode.Mantauschtalte Betten gegen Kanarienvögel und Nippsachen, Porzellan gegen Wurst, Schmuck gegen Karto eln, Möbel gegen Brot, Klaviere gegenSchinken,gebrauchteRasierklingengegenGemüseabfall, alte Pelze gegen umgearbeitete Militärjacken und den Nachlaß Verstorbener gegen Lebensmittel.Georg hatte vor vierWochen sogareineChance,einenfastneuenSmokingbeimVerkaufeiner abgebrochenenMarmorsäulemitFundamenteinzuhandeln.Er hatnurschwerenHerzensdaraufverzichtet,daerabergläubisch ist und glaubt, in den Sachen der Toten bleibe lange Zeit noch
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etwas von den Toten zurück. Die Witwe erklärte ihm, sie habe denSmokingchemischreinigenlassen;erseidamitalsoeigentlich vollkommen neu, und man hätte annehmen können, daß die Chlordämpfe den Verstorbenen aus jeder Falte vertrieben hätten.Georg schwankte sehr,denn der Smoking paßte ihm; er verzichtete dann aber trotzdem.
IchdrückedieKlinkedesLadensnieder.DieTüristverschlossen.Natürlich,denkeichundstarrehungrigdurchdasFensterauf dieAuslagen.MüdegeheichschließlichnachHause.AufdemHof stehensechskleineSandsteinplatten.Siesindnochjungfräulich, kein Name ist auf sie eingehauen.Kurt Bach hat sie angefertigt. Es ist zwar eine Schändung seines Talentes, da es gewöhnliche Steinmetzarbeitist,aberwirhabenimAugenblickkeineAufträge für sterbende Löwen und Kriegerdenkmäler – deshalb arbeitet Kurt auf Vorrat sehr kleine,billige Platten,die wir immer brauchen,zumal jetzt bis im Herbst,wo es,wie im Frühjahr,wieder ein großes Sterben geben wird.Grippe,Hunger,schlechte Kost und mangelndeWiderstandskraft werden dafür sorgen.
GedämpftsummendieNähmaschinenhinterderHaustürder Familie Knopf. Durch das Glasfenster der Tür dringt das Licht vom Wohnzimmer, in dem die Trauerkleider genäht werden. Das Fenster des alten Knopf ist dunkel. Wahrscheinlich ist er schon tot.Wir sollten ihm den schwarzen Obelisken aufs Grab setzen,denke ich,diesen finsteren Steinfinger,der aus der Erde indenHimmelzeigt.FürKnopf warereinezweiteHeimat,und verkaufen haben ja bereits zwei Generationen von Krolls den dunklenAnkläger nicht können.
IchgeheinsBüro.«Kommherein!»ruftGeorg,dermichgehört hat,aus seinem Zimmer.
Ich ö ne die Tür und staune. Georg sitzt im Lehnstuhl, wie
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üblich,die Zeitschriften mit Bildern vor sich.Der wöchentliche Lesezirkel der elegantenWelt,dem er angehört,hat ihm gerade neues Futter gebracht. Das aber ist nicht alles – er sitzt da im Smoking, mit einem gestärkten Hemd und sogar einer weißen Weste, ein Bild wie aus der Zeitschrift: Der Junggeselle. «Also doch!» sage ich. «Du hast die Mahnung deiner Instinkte der Vergnügungssucht geopfert.Der Smoking derWitwe!» «Keineswegs!» Georg räkelt sich selbstgefällig. «Was du hier siehst,isteinBeispieldafür,wiesehrunsFrauenimEinfallüberlegensind.EsisteinandererSmoking.DieWitwehatdenihrenbei einemSchneiderdafüreingetauschtundauf dieseWeisegezahlt, ohnemeinZartgefühlzuverletzen–Dusiehsteshier–derSmo- kingderWitwewaraufSatingefüttert,dieserhierhatreineSeide. ErpaßtmirauchunterdenÄrmelnbesser.DerPreisist,durchdie Inflation,inGoldmarkderselbe;dasStückeleganter.Somachtsich Zartgefühlausnahmsweiseeinmalsogarbezahlt.»
Ich betrachte ihn. Der Smoking ist gut, aber auch nicht ganz neu. Ich vermeide es, Georgs Zartgefühl zu verwirren und zu behaupten, daß auch dieses Stück wahrscheinlich von einem Totenstamme.WasstammtschließlichnichtvonToten?Unsere Sprache,unsere Gewohnheiten,unserWissen,unsereVerzweiflung – was nicht? Georg allerdings hat im Kriege,besonders im letzten Jahr,so viele Uniformen von Toten getragen,manchmal nochmitfahlenBlutfleckenunddengestopftenEinschußlöchern, daß es nicht nur neurotisches Zartgefühl bei ihm ist, wenn er dasjetztnichtmehrwill–esistRebellionundderWunschnach Frieden.UndFriedensymbolisiertsichfürihndarin,nichtmehr Anzüge von Toten tragen zu müssen.
«Was machen die Filmschauspielerinnen Henny Porten,Erna Morena und die unvergeßliche Lia de Putti?» frage ich.
«Sie haben dieselben Sorgen wie wir!» erklärt Georg.
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«Sich so schnell wie möglich in Sachwerte zu flüchten,Autos, Pelze,Tiaras,Hunde,Häuser,AktienundFilmproduzenten–nur fällt es ihnen leichter als uns.»
Er schaut liebevoll auf das Bild einer Hollywood-Party. In unbeschreiblicher Eleganz sieht man dort das Bild eines Balles. DieHerrensind,wieGeorg,imSmokingoderimFrack.«Wann bekommst du einen Frack?» frage ich.
«Nachdem ich mit meinem Smoking auf dem ersten Ball gewesen bin.Ich werde dazu nach Berlin ausreißen! Drei Tage! Irgendwann, wenn die Inflation zu Ende ist und Geld wieder Geld ist und kein Wasser. Inzwischen bereite ich mich vor, wie du siehst.»
«Dir fehlen die Lackschuhe», sage ich, zu meinem Erstaunen irritiert über den selbstzufriedenen Mann vonWelt.
Georg holt das goldene Zwanzigmarkstück aus der Westentasche, wirft es hoch, fängt es auf und steckt es wortlos wieder ein.IchbetrachteihnmitfressendemNeid.Dasitzter,ohneviel Sorgen,eine Zigarre steckt in seiner Brusttasche,sie wird nicht bitter wie Galle schmecken wie mir Wernickes Brasil, drüben haustLisaundistvernarrtinihn,einfach,weilerderSohneiner Familieist,diebereitseinGeschäfthatte,währendihrVaternoch ein Gelegenheitsarbeiter war. Sie hat ihn als Kind angestaunt, wenn er einen weißen Umlegekragen trug und auf den Locken, die er damals noch besaß, eine Matrosenmütze, während sie ein Kleid aus dem alten Rock ihrer Mutter schleppte – und bei diesem Staunen ist es geblieben. Georg braucht nichts weiter zu seiner Glorie zu tun.Lisa weiß nicht einmal,glaube ich,daß er kahl ist – für sie ist er immer noch der bürgerliche Prinz im Matrosenanzug.
«Du hast es gut»,sage ich.
«Ichverdieneesauch»,erwidertGeorgundklapptdieHeftedes
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Lesezirkels Modernitas zu. Dann holt er ein Kistchen Sprotten vonderFensterbankundzeigtauf einhalbesBrotundeinStück Butter.«WiewäreesmiteinemschlichtenNachtessenmitBlick auf das abendliche Leben einer mittleren Stadt?»
EssinddieselbenSprotten,beidenenmiraufderGroßenStraße vor dem Laden das Wasser im Munde zusammengelaufen ist. Jetzt kann ich sie plötzlich nicht mehr sehen.
«Du erstaunst mich», sage ich. «Warum ißt du zu Abend? Warum dinierst du nicht in deiner Kluft im ehemaligen Hotel Hohenzollern,im jetzigen Reichshof? Kaviar und Seetiere?» «Ich liebe Kontraste», erwidert Georg. «Wie sollte ich sonst leben,alsGrabsteinhändlerineinerKleinstadtmitderSehnsucht nach der großenWelt?»
Er steht in voller Pracht am Fenster. Über die Straße kommt plötzlicheinheisererBewunderungsruf.Georgstelltsichenface, dieHändeindenHosentaschen,sodaßdieweißeWestezurGeltungkommt.Lisazerschmilzt,soweitdasbeiihrmöglichist.Sie zieht den Kimono um sich,vollführt eine Art arabischen Tanz, wickeltsichheraus,stehtplötzlichnacktunddunkelalsSilhouette vorihrerLampe,wirftdenKimonowiederum,stelltdieLampe neben sich und ist aufs neue warm und braun, von Kranichen überflogen, ein weißes Lachen wie eine Gardenie im gierigen Mund.Georg,wieeinPascha,nimmtdieHuldigunghinundläßt michwieeinenEunuchen,dernichtzählt,daranteilnehmen.Er hat durch diesenAugenblick für lange Zeit hinaus den Knaben im Matrosenanzug, der dem zerlumpten Mädel imponiert hat, aufs neue in seiner Stellung gefestigt.Dabei ist ein Smoking für Lisa, die unter den Schiebern der Roten Mühle zu Hause ist, wahrhaftig nichts Neues; aber bei Georg ist das natürlich etwas ganz anderes.Reines Gold.«Du hast es gut»,sage ich noch einmal. «Und einfach! Riesenfeld könnte sich Arterien aufbeißen,
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Gedichte machen und seine Granitwerke ruinieren – er würde nicht scha en,was du als Mannequin erreichst.»
Georgnickt.«EsisteinGeheimnis!Aberdirwillichesverraten. Tuenieetwaskompliziert,wasaucheinfachgeht.Esisteineder größtenLebensweisheiten,dieesgibt.Sehrschweranzuwenden. Besonders für Intellektuelle und Romantiker.»
«Sonst noch was?»
«Nein.Aber produziere dich nie als geistiger Herkules, wenn eineneueHosedasselbeerreicht.DuirritierstsodeinenPartner nicht,erbrauchtsichnichtanzustrengen,dirzufolgen,dubleibst ruhig und gelassen,und das,was du willst,fällt dir,bildlich gesprochen,in den Schoß.»
«MachdirkeinenFettfleckaufdieSeidenaufschläge»,sageich. «Sprotten tropfen leicht.»
«Duhastrecht.»GeorgziehtdenRockaus.«MansollseinGlück nie forcieren.Ein weiteres beachtenswertes Motto.»
ErgreiftwiedernachdenSprotten.«Warumschreibstdunicht Motto-SerienfürKalenderfirmen?»frageicherbittertdenleicht- fertigen Bauchredner der Lebensweisheit.«Es ist schade,solche Platitüden nur so in das Universum hineinzureden.»
«Ichschenkesiedir.FürmichistdaseinStimulans,keinePlatitüde.Wer von Natur schwermütig ist und noch einen solchen Beruf hat, muß alles tun, um sich zu erheitern, und soll dabei nicht wählerisch sein.Abermals ein Motto.»
Ichsehe,daßichihmnichtbeikommenkann,undverschwinde deshalb,alsdieSprottenkisteleerist,inmeinerBude.Aberauch dakannichmichnichtaustoben–nichteinmalaufdemKlavier, dessterbendenodertotenFeldwebelswegen–,undTrauermär- sche,das einzig Mögliche,habe ich ohnedem genug im Kopf.
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ImSchlafzimmerdesaltenKnopf tauchtplötzlicheinGespenst auf.EsdauerteineWeile,eheichimspiegelndenMittagslichtden Feldwebel erkenne.Er lebt also noch und hat sich aus dem Bett ans Fenster geschleppt. Grau stiert der Kopf über dem grauen Nachthemd in dieWelt.
«Siehan»,sageichzuGeorg.«ErwillnichtindenSielensterben. DasalteSchlachtroßwilleinenletztenBlickindieRichtungder Werdenbrücker Schnapsfabriken tun.»
Wir betrachten ihn. Der Schnurrbart hängt als trauriges Gestrüpp vom Munde. Die Augen sind bleifarben. Er glotzt noch eine Zeitlang,dann kehrt er sich ab.
«DaswarseinletzterBlick»,sageich.«Rührend,daßselbsteine soabgehärteteSeelevoneinemMenschenschindernocheinmal dieWeltanschauenwill,bevorsiesiefürimmerverläßt.EinSto für Hungermann,den sozialen Dichter.»
«Er tut einen zweiten Blick»,erwidert Georg.
Ich verlasse den Vervielfältigungsapparat Presto, an dem ich Katalogblätter für unsere Vertreter hektographiere, und komme zum Fenster zurück.Der Feldwebel steht wieder da.Er hebt hinter den spiegelnden Fensterscheiben etwas hoch und trinkt. «Seine Medizin!» sage ich.«Wie doch selbst die wüsteste Ruine am Leben hängt! Ein zweiter Sto für Hungermann.»
«Das ist keine Medizin»,erwidert Georg,der schärfereAugen hat als ich.«Medizin kommt nicht in Schnapsflaschen.» «Was?»
Wir ö nen unser Fenster. Die Spiegelung verschwindet, und ich sehe, daß Georg recht hat: Der alte Knopf säuft aus einer unverkennbaren Schnapspulle. «Ein guter Einfall seiner Frau», sage ich, «ihm Wasser in eine Schnapsflasche zu füllen, damit
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er es so leichter trinkt. Denn Schnaps hat er nicht mehr in der Bude;alles ist ja durchsucht worden.»
Georg schüttelt den Kopf. «Wenn das Wasser wäre, hätte er dieFlaschelängstdurchsFenstergeschmissen.Solangeichden Alten kenne, hat er Wasser nur zum Waschen benützt – und das auch nicht gern.Das da ist Schnaps,den er trotz der Haussuchung noch irgendwo versteckt gehabt hat,und du,Ludwig, hast das erhabene Schauspiel vor dir, einen Menschen mutig seinemSchicksalgegenübertretenzusehen.DeralteFeldwebel will auf dem Felde der Ehre fallen,die Hand an der Gurgel des Feindes.»
«Sollen wir nicht seine Frau rufen?»
«Glaubst du,sie könne ihm die Flasche wegnehmen?» «Nein.»
«Der Arzt hat ihm höchstens ein paar Tage geben.Was ist da der Unterschied?»
«Der des Christen und der des Fatalisten. Herr Knopf!» rufe ich.«Herr Feldwebel!»
Ich weiß nicht,ob er mich gehört hat,aber er macht eine Bewegung, die wie ein Gruß mit der Flasche aussieht. Dann setzt er aufs neue an.«Herr Knopf!» rufe ich.«Frau Knopf!»
«Zu spät!» sagt Georg.
Knopf hatabgesetzt.ErmachtnocheinezweitekreisendeBewegungmitderFlasche.Wirerwarten,daßerzusammenbricht. Der Arzt hat erklärt, jeder Tropfen Alkohol sei tödlich für ihn. NacheinerWeileverschwindeterimHintergrunddesZimmers wie eine Leiche, die langsam im Wasser versinkt. «Ein schöner Tod»,sagt Georg.
«Wir sollten es der Familie sagen.»
«Laß sie in Ruhe.DerAlte war eine Pest.Sie sind froh,daß es soweit ist.»
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