Vorlesung 5. Unmittelbare sprachliche Bilder
Bilder wollen gesehen werden. Sie sind zunächst nur für das Auge erfassbar. Sprachliche Bilder haben dagegen schon von vornherein mittelbaren Charakter, verlangen ein anderes Verständnis als fotografierte oder gemalte Bilder der Wirklichkeit. Sprachliche Bilder knüpfen an das Erlebnis dieser physischen Welt an, das in der Erinnerung bewahrt bleibt und durch Sprache neu, wenn auch oft verwandelt, ins Bewusstsein geruckt oder gar als Vorstellung neu geschaffen werden kann. Das Wesen jeder Dichtung wird gerade in der neugeschaffenen Bildlichkeit gesehen, die bestimmte Sinnbezüge verdeutlicht. Darin unterscheidet sich Dichtung von allen theoretischen oder bloß kommunikativen Texten, die Informationen ohne Bilder oder allenfalls mit Bildzusätzen vermitteln, während Dichtung neben der Form und dem Gehalt weitgehend aus seiner Bildlichkeit wirkt.
Mittelbare sprachliche Bilder
Neben den unmittelbaren sprachlichen Bildern, den »anschaulich-sinnfälligen Darstellungen eines Gegenstandes oder einer Erscheinung auf beliebigem sprachlichen Wege«, gibt es Bilder, in denen zwei oder mehrere Bildbereiche zu einer Aussage zusammenwirken, so dass der Bildsinn das Gemeinte nur mittelbar ausdrückt. Diese mittelbaren oder übertragenen Bilder sind seit alters bekannt und werden in der antiken Rhetorik als Tropen gekennzeichnet und verschieden gruppiert.
Mittel der Bildhaftigkeit
Der Vergleich
Zwischen den unmittelbaren und den mittelbaren Bildern ist der Vergleich einzuordnen. Er gehört nicht mehr recht zu den unmittelbaren sprachlichen Bildern, weil hier das Gemeinte nicht durch die ihm angemessenen Wörter, sondern durch ein Bild (Wort) aus einem anderen Sinnbereich ausgedrückt wird, ohne das dieses seine Eigenbedeutung verliert. Die Verbindung von Bild und Vergleichsbild wird möglich durch eine gemeinsame Eigenschaft (das tertium comparationis) beider Bilder (Wörter) und durch die Gleichsetzung beider Hilfen einer Vergleichspartikel (z.B. wie, als ob, als) oder eines Vergleichsverbs (z.B. gleichen, ähneln). In vielen Vergleichen wird die erste Vorstellung (das erste Bild) erst durch das Vergleichsbild deutlich. Mancher Lyriker nutzt diese Möglichkeit, um schwer Sagbares durch reich ausgestaltete Vergleiche auszumalen. Man denke etwa an Eichendorffs Gedicht »Mondnacht« oder an zahlreiche Gedichte R. M. Rilkes.
Ich möchte einer werden, so wie die,
Die durch die Nacht mit wilden Pferden fahren ... (Rilke, »Der Knabe«)
Ihm ist, als ob es tausend Stabe gäbe ... (Rilke, »Der Panther«)
Frühling ist wiedergekommen. Die Erde ist wie ein Kind, das Gedichte weiß. ... (Rilke, »Sonette an Orpheus«)
Der Vergleich kann im Gleichnis zur selbständigen literarischen Form werden, die ein Unbekanntes erläutert, wie die Gleichnisse Jesu lehren, oder als analoges Geschehen für eine ähnlich geartete Situation der Wirklichkeit stehen, wie in älteren und modernen Parabeln.
Man unterscheidet:
Vergleiche auf Grund direkter Bedeutung, welche bloß der sachlichen Veranschaulichkeit dienen (z.B. rational präzisierende, reale Vergleiche, in der wissenschaftlichen Prosa, im Alltag, in der Publizistik). Sie können als Mittel der Bildhaftigkeit angesehen werden
Vergleiche, welche auf Grund uneigentlicher metaphorischer Bedeutung entstanden sind. Sie sind bildlich, meistens hyperbolisch, emotional und subjektiv: Wie eine Natter schlängelt sich der Fluss durch das Tal (W.Borchert). Vergleich hat hier einen poetischen Charakter, weil er eine Personifikation in sich birgt.
