
- •Einleitung
- •1.4 Einstellungen, Stellungsnahmen bezüglich der Zukunft
- •1.7 Zufall als Unterschied zum Futurismus?
- •1.11 Zur Lebensenergie, „Élan vital„ (Bergson):
- •2. Literaten, Künstler, Philosophen und Wissenschaftler, die beide Kunstrichtungen
- •2.1 Wissenschaftler, die beide Kunstrichtungen beflügelten:
- •2.2 Philosophen, derer Ideen die Futuristen und der Dadaisten inspirierten:
- •2.3 Die Literaten als Inspirationsquelle des Futurismus und Dadaismus:
- •Gemeinsame Künstlerfiguren beider Bewegungen:
- •Gemeinsame literarische Projekte und Ausstellungen, Briefwechsel mit den einzelnen Dadaisten
- •3. Weitere Ähnlichkeiten
- •3.1 Epatage/ Provokation
- •3.2 Ähnlichkeit der Datierung der Manifeste und sonstiger Ereignisse bei den beiden:
- •3.3 Soziodemografische Beschaffenheit beider Bewegungen:
- •3.4 Gemeinsamkeiten (und seltener Unterschiede) in den Ansichten der beiden:
- •3.4.1 Die Vision des „Neuen Menschen“
- •3.4.5 Erotik, Nacktheit
- •4.Gemeinsamkeiten in der Stellungsnahme seitens der totalitären Regimes
Einleitung
Zur Forschungslage.
Hermann Korte: „Dada war weder ein bloßer Appendix des deutschen Expressionismus noch eine Variante des italienischen Futurismus. Marinetti hatte 1913 in seinem „Varieté“-Manifest zwar eine „Schule der Spitzfindigkeit, der Kompliziertheit und geistiger Synthese durch seine Clowns, seine Taschenspieler, Gedankenleser, Rechenkünstler, Komiker, Imitatoren und Parodisten, seine Musical-Clowns und seine exzentrischen Amerikaner“ beschworen. Aber das futuristische Variete war als Bühneninstitution entworfen, welche der modernen technischen Zivilisation im Marinettischen Sinne entsprechen sollte: eine „Schule des Heroismus“, der „verwickelsten politischen Ereignisse“, und damit des Krieges, den der Autor an anderer Stelle als „blutigen und notwendigen Text der Kraft eines Volkes“ gepriesen hatte.
Die Propaganda für den Kriegseintritt Italiens (1915) war Teil dieser futuristischer Aktivitäten, und der Erste Weltkrieg wurde zu einer Art Nagelprobe für die öffentlich proklamierte Kriegsbegeisterung. Noch einmal sorgte die futuristische „Kompagnie“ von Kriegsfreiwilligen. Schon zwei Jahre später indes hat sich die Situation gründlich verändert: Boccioni war gefallen, Luigi Russolo hatte den Okkultismus entdeckt, und Carlo Carra hatte mit de Chirico die neue Richtung der „Pittura Metafisica“, der „metaphysischen Malerei“ begründet – eine fast provozierende Rückkehr der malerischen Technik zu Tradition und Formstrenge, eine klare Absage an den in Materialschlachten des Weltkrieges pervertierten Technik-Fetisch futuristischer Manifeste. Der leere, bedrohliche Platz, ein immer wieder variiertes Motiv de Chiricos, hatte den gerade noch angemalten futuristischen „Lärm der Straße“ abgelöst.
Dem Verfall des Futurismus im Jahre 1917 stand die ebenso kurzlebige wie rasche Aufstiegsgeschichte des Dadaismus gegenüber. Im Kontrast zum Futurismus ließ dieser keinen Zweifel an seiner radikalen Ablehnung des Krieges und der ihn stützenden gesellschaftlichen Gruppen. Huelsenbeck hat 1920 in seiner Schrift „En avant dada. Die Geschichte des Dadaismus“ die Haltung zum Krieg anschaulich beschrieben und dabei die Internationalität des Zürcher Dada hervorgehoben...“ (Korte, S. 26-27).
Aus, Korte, Hermann: „Die Dadaisten“. Reinbek bei Hamburg, 1994.
Falkenhausen, Susanne von: „Der Zweite Futurismus und die Politik des Faschismus in Italien von 1922-1943“. Frankfurt, Köln, Bamberg, 1979.
Das Thema der Relationen zwischen dem Futurismus und dem Dadaismus scheint bisher kaum erforscht zu sein. Ausser einem von Richard Sheppard verfassten, 35 Seiten umfassenden Aufsatz „Dada und Futurismus“, im Rahmen des„12. Amherster Kolloquiums zur deutschen Literatur“ im Francke Verlag Bern und München 1982 veröffentlicht, sind nur wenige - und, außerdem ziemlich veraltete weiteren Publikationen zu dem Thema bekannt.
Dazu Sheppard: „Drei verschiedene Gruppen lassen sich hier unterscheiden: einmal Arbeiten wie Rafael Benets „Il Futurismo comparade el movimento Dada“ (Barcelona 1948) oder José Pierres „Le futurisme et le dadaisme“, die beide Bewegungen nebeneinander stellen ohne ihre Interaktion zu dokumentieren oder ihre Unterschiede zu differenzieren. Davon abzuheben sind solche Arbeiten, die einen Teilaspekt der Beziehungen zwischen den zwei Bewegungen untersuchen, wie etwa Dorothea Eimerts „Der Einfluss des Futurismus auf die deutsche Malerei“ (Köln 1974) und Giovanni Listas fünf bahnbrechende Aufsätze über das Wechselverhältnis zwischen Tzara und dem italienischen Futurismus: Prampolini, Tzara, Marinetti: inedits sur le futurisme“. In: Lettres nouvelles“ Nr.3/1977.S.122; „Marinetti et Tzara. Encore sur Tzara et le futurisme“, ebda, Nr.5. S.114- 149. Tristan Tzara et le dadaisme italien. La poetica de'll arte giocco. In: la fiera letteraria. Schließlich gibt es auch einige Schriften, die weitschweifigen Aussagen über die umfassenden Beziehungen bringen, ohne sie jedoch anhand von Einzelfällen zu untersuchen: Hans Richter: Dada- Kunst und Antikunst. Köln, 1964, S. 33. Eberhard Roters: „Mouvement Dada“. In: Tendenzen der Zwanziger Jahre. Katalog der 15. europäischen Kunstausstellung. Teil 3: Dada in Europe. Berlin 1977“ (Sheppard, S. 65). Nach der Sichtung der vorhandenen Literatur kommt Sheppard zum Schluss: „Dieser Problemkomplex ist bisher zu wenig erforscht worden“ (Sheppard, S. 29).
Mit all den von Sheppard aufgelisteten Mängeln versucht die vorliegende Magisterarbeit aufzuräumen: erstens werden die mannigfaltige Wechselstruktur beider Bewegungen, Unterschiede und Interaktion zwischen ihnen beleuchtet. Zweitens wird nach Möglichkeit versucht, nicht nur die Teilaspekte, sondern die Problematik in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Drittens wird auch auf die Einzelfälle eingegangen. Darüber hinaus wird versucht, auch die Beziehungen zwischen den anderen Künstlern beider Bewegungen anstatt nur zwischen Tzara und Marinetti aufzuzeigen. Gezeigt wird vor allem, wie verschiedene Künstler sowohl des Dadaismus als auch des Futurismus einander gegenseitig wahrnahmen und welche Äusserungen sie über die jeweils andere Bewegung, ihre Einzelvertreter und Kunstwerke in ihren Erinnerungen, Interviews, poetischen und prosaischen Werken und Kunststücken gemacht haben.
Auch dem geistreichen Aufsatz Sheppards innewohnen einige Schwächen: er beschränkt seine Forschung der „fundamental zu betrachtenden Unterschieden“ auf die „metaphysischen und ästhetischen Voraussetzungen“ (daselbst). Vorliegende Magisterarbeit versucht auch weiteren Unterschieden Rechnung zu tragen.
Ziele vorliegender Magisterarbeit:
Da die genaue Analyse und Vergleich beider Kunstrichtungen anhand ihrer Gemälde und Zeichnungen viel zu weit führen würde und den von der Uni vorgegebenen Limit von 60- 100 Seiten deutlich überschreiten würde, entschloss ich mich, mich auf die Analyse folgender Problembereiche zu beschränken und zu konzentrieren: Erstens die Ergebnisse der von renommierten, namhaften Futurismus/ Dadaismus - Forschern vorgenommenen Untersuchungen kurz zu skizzieren und den verschiedenen in der kunstwissenschaftlichen Literatur vertretenen Meinungen über die Einflüsse und Wechselwirkungen beider Kunstbewegungen sowie den Begegnungen und Korrespondenzen ihrer einzelnen Vertreter gerecht zu werden. Zweitens das, was die wichtigsten Vertreter des Dadaismus über den Futurismus und seine Epigonen sagten und schrieben, zu zitieren. Drittens, werden anhand der Analyse bestimmter Texte die Übernahmen oder einfach die Ähnlichkeit in den Ansichten jeweils anderer Kunstrichtung findig gemacht. Dabei wird es sich um die Passagen handeln, die von ihren Verfassern selbst nicht als eine Entlehnung oder eine Ideengemeinsamkeit mit der anderen Kunstbewegung aufgefasst werden, bei welchen dennoch eine gewiße kunsttheoretische, philosophische und schlichtweg weltanschauliche Ideennähe besteht, welche die beiden Kunstbewegungen von den anderen ihren zeitgenössischen Bewegungen abhebt. Vor allem werden der genauen Analyse die Äußerungen der Dadaisten : unterzogen, und somit die beiden vor allem in Bezug auf ihre Statements zu vergleichen. Dazu nahm ich die besonders wichtigen Ideen des Futurismus, wie etwa Verherrlichung des Krieges bzw. der Zukunft, und suchte nach einer Reihe der für die futuristische Kunsttheorie wichtigsten ideologischen Bausteine in den dadaistischen Texten (Tzara, Huidobro, Huelsenbeck, Hausmann usw.), sowie auch nach der Stellungsnahme letzterer bezüglich des Futurismus. Diese Vorgehensweise sollte umfangreiche Gemeinsamkeiten, (fast direkte) Entlehnungen, die Weiterentwicklung, Veränderungen und die Mutationen der futuristischen Ideen in der dadaistischen Weltauffassung ansatzweise verzeichnen, aber auch die Unterschiede entdecken.
Nachdem ich die Ergebnisse dieser Textvergleiche präsentiert haben werde, werde ich hier als Nächstes die Künstler, Literaten, Philosophen und Wissenschaftler kurz auflisten, die entweder einen bestimmten Einfluss auf die beiden Kunstrichtungen ausgeübt hatten und derer Ideen vorwegnahmen, oder sich als Kunstschaffende sowohl im Futurismus als auch im Dadaismus betätigten.
Danach will ich kurz die mögliche ideologische Basis (den »Zeitgeist«) kurz skizzieren, in dessen Bann sich die beiden befanden (vor allem, die Idee des Mitwirkens am Erschaffen des »neuen Menschen“, welche die Dadaisten als auch die Futuristen bewegt hatte), und die daraus folgende Idee der Mechanisierung des Menschlichen und der Vermenschlichung des Mechanischen.
Zum Schluß werde ich mich dem gemeinsamen Nenner hinwenden: Der Ähnlichkeit der Wahrnehmung des Futurismus und des Dadaismus seitens des National- Sozialismus und des Kommunismus (für welche, wie den zitierten Dokumenten ersichtlich wird, beide- Futurismus und Dadaismus- einfach dasselbe degradierende Übel waren).
Futuristische Einflüsse auf die Dadaisten aus der Sicht der kunstwissenschaftlichen Literatur in Allgemeinen
„Einige der Berliner Dadaisten – Hausmann und Mehring,die in Berlin wohnten, Hannah Höch und Grosz, die 1912 zum Studium nach Berlin kamen – erlebten damals als junge Künstler die Futuristen in der Galerie“Sturm“...<...> Die Futuristen beeinflußten - neben Delaunay – George Grosz in seiner Maltechnik. Auch regten sie Hugo Ball, Richard Huelsenbeck und Raoul Hausmann zu Experimenten dadaistischer Dichtung an. Typographische und motlibristische Experimente, die Materialasssemblagen, die Collagetechnik und vor allem die herausfordernden Publikumsstrategien des futuristischen „Varietés“ faszinierten die Dadaisten“ (Bergius, S.54). „Hier /in der Galerie „Sturm“) kreuzte sich russische, italienische und französische Kunst, hier wurde Berlin als Schmelztiegel von östlichen, südlichen und westlichen Einflüßen wirksam. Die Futuristenausstellung 1912 und der „Erste deutsche Herbstsalon“ (September 1913) waren Höhepunkte vor dem Krieg, bei denen Walden einen repräsentativen Querschnitt der internationalen Avantgarde zeigte“ (Bergius, S.62).
Einfluß auf Kölner Dada
„In Köln schlossen sich Max Ernst, Johannes Baargeld und Hans Arp zusammen,deren dadaistische Ergebnisse in einer lautstarken Veranstaltung am 20. April 1920 vorgestellt worden. Im Kölner Dada (1918- 1922) sind die futuristischen Elemente in ähnlicher Weise wie bei den Zürcher und Berliner Dadaisten verarbeitet worden. (Eimert, S. 308). „Das Frühwerk des kurze Zeit dem Kölner Dada angehörenden Heinrich Hoerle, der später mit Franz Wilhelm Seiwert den Kern der „Progressiven“ bildete, zeigt expressionistisch – futuristische Züge“ (Eimert, S.363).
Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus der Sicht der Kunsthistoriker/ der kunstwissenschaftlichen Literatur
„In diesem künstlichen, vom Land eingeschlossenen Asyl <namens Schweiz> fand sich eine bunte Schar von Künstlern – Symbolisten, Kubisten, Futuristen, Expressionisten-zusammen; das einzige, was sie miteinander verband, war ihre Abscheu vor dem Krieg und ihre Entschlossenheit, sich ihm zu entziehen“ (Short, S. 30).
Für Robert Short sind die kunsttechnischen Gemeinsamkeiten des Dadaismus mit dem Futurismus unzweifelhaft und ersichtlich: „Die Eigenart des Dadaismus lag... nicht so sehr in seinen Kunstprodukten,die in der Form oft schamlos vom Kubismus, Futurismus und Expressionismus abgeleitet waren“ (S.20). „In stilistischer Hinsicht machten die Dadaisten bei vielen ihrer eher ästhetisch orientierten Vorgängern Anleihen: Sie übernahmen die Collage vom Kubismus, die typographische Akrobatik und den „Bruitismus“ (Geräuschmusik) vom Futurismus, und den freien Gebrauch der Farbe vom Expressionismus, spontane Techniken von Kandinsky und poetische Erfindungen von Apollinaire und Max Jacob“ (Short, S. 21). . „Der Dadaismus nahm auch Einflüße von zeitgenössischen Kunstbewegungen wie De Stijl und dem Konstruktivismus auf“ (Short, S. 32). ) (Arp, zit. bei Short, S.32). Was Short' Erachtens den Dadaismus vom Futurismus abhebt, ist die prinzipiell andere Position des Kunstschaffenden in Dada: „...Eine völlig neue Auffassung von schöpferischer Tätigkeit, eine neue Gleichung mit den Variablen Kunst – Ich – Realität<... ...> Der Dadaismus sah den Künstler – ebenso wie später auch der Surrealismus – als einen geistigen Abenteurer, für den Produktivität nur eine zweitrangige Bedeutung hatte“.
Ähnlichkeit zu der futuristischen Bewegung besteht für Short auch in der Führung der beiden Bewegungen: „Nachdem sich Hugo Ball vom Züricher Dada verabschiedete, stieg Tristan Tzara „zu dem führenden Kopf der Bewegung“ an. Hier macht Short einen hierarchischen Vergleich: In der dadaistischen „Nomenklatur“; so läßt sich Shorts Meinung darstellen, war Tzara dasselbe wie Marinetti in der futuristischen. Seine Machtansprüche und die Anerkennung solcher seintens anderer Dadaisten sind für short mit denen des Marinetti vergleichbar. Denn Tzara hätte auch die Politik anderen Kunstbewegungen gegenüber entschieden: „Sein in der dritten Nummer seiner Zeitschrift Dada veröffentlichtes Dada - Manifest schuf ... eine noch größere Distanz zum Futurismus und Expressionismus...“
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den politischen Einstellungen
„Rechts- Links“:
Als Erstes wäre hier die Feststellung angesagt, dass bereits die den beiden Bewegungen zugrunde liegende Philosophie die politische Betätigung vorsah. Selbst wenn ein dadaistischer oder ein futuristischer Künstler keine bestimmte politische Stellung bezog, so sollte alleine seine Zugehörigkeit zum Futurismus oder Dadaismus als ein politisches Statement gelten. Die Kunst beider radikalen Modernebewegungen war seinem Wesen nach politisch, und sollte ein Künstler in politischer Hinsicht nicht klar „definieren“ können, so galt für ihn im politischen Sinne schlechthin: „radikal“.
Beide Kunstbewegungen verband miteinander wenn nicht gemeinsame künstlerische Plattform, doch eine gemeinsame politische Tendenz: antikonservativ (und das ist freilich ein dehnbarer Begriff), antiklerikal, antimonarchistisch1 und „antipassatistisch“,, im Sinne - „gegen das Vergangene“, ganz gleich, was man darunter verstehen könnte –im ganz breiten Sinne des Wortes „anarchistisch“ und auch „pro – revolutionär“. Die Definition blieb dabei dem einzelnen Künstler überlassen. Julius Evola z.B., der sich zugleich in beiden „Lagern“ - der der Dadaisten und dem der Futuristen verkehrte, begriff es erst, Revolutionär“ zu sein, gegen „Gestern“ mit seiner Geschichte, Sprache, auch Logik und Sinn zu kämpfen – für eine „Ultra- Moderne“ - um dann, wieder „revolutionär“, gegen die Moderne zu kämpfen, indem er dem Aufbau der SS half und zu einer „Erhebung wider die moderne Zeit“ in seinen Aufsätzen aufrief.
:„Marinettis Weggefährten kamen aus unterschiedlichen, fast nie nationalistischen politischen Richtungen: Umberto Boccioni und Gino Severini waren Marxisten, Carlo Carrà war Anarchist oder stand den anarchistischen Ideen nahe, Antonio Sant' Elia war Sozialist, usw.“2
Perfetti spricht von den vier Eckpfeilern des frühen Futurismus:
1) Antisozialismus - „Häufig wiederkehrendes Thema der Protestliteratur jener Zeit“: Sozialismus als ein „Pfeiler traditionalistischer Gesellschaft“, dessen „Kultur der Arbeit“- „traditionell, grau, anti-modern“ sei .
Sympathie für das gesamte regellose linke Umstürzlertum (auch syndikalistisch und libertär).
Antiparlamentarismus, nach Marinetti „lärmende Hühnerställe“ (besonders gegen parlamentarische Entartungen wie Korruption, Banalität, Traditionalismus).
„Antifeminismus“: (als Kampfansage gegen den „albernen Romantizismus des Mondlichts“ bei gleichzeitiger Beibehaltung und Erweiterung sozialer und politischer Rechte der Frau)
Antiklerikalismus „der bis zum Plan der „Entvatikanisierung“ Italiens reichte“3
Polemik gegen den Kult der Vergangenheit (die auf ein Antirömertum und Weltbürgertum und eine positive Bewertung der Rassenmischung hinauslief“ (Perfetti, S.169).
Ansonsten: „Die politischen Stellungsnahmen der Futuristen... zeichneten sich durch ein absolutes Fehlen politischer und sozialer Pläne aus“. (Perfetti, S.168)4
Luigi Russolo zeigte sich „revolutionär“ u.a. Dadurch, dass er die revolutionsverherrlichenden Bilder malte, wie etwa „La rivolta“ von 1911.
Sein Gemälde beschrieb er im Ausstellungskatalog wie folgt: „Der Zusammenstoß zweier Mächte. Das revolutionäre Element der Enthusiasten und roten Lyriker gegen die Macht der Schlaffheit und des starren Festhaltens an der Tradition. Die Engel sind die schwingenden Wellen der früheren Macht. Die Perspektive des Hauses ist zerstört, wie ein Faustkämpfer zweimal gebeugt, der einen Schlag in den Wind empfängt“ (Walden, S. 15)
Wie diese allgemeine Grundtendenzen sich weiter entfalten sollten, welche konkreten Formen sie einnahmen, hing von der konkreten politischen Situation ab5. Die Rezeption der politischen Ideen des Futurismus war in Deutschland von Anfang an von den expressionistischen Einflüßen vorbestimmt, welche die bittere Note des Misstrauens in den Glauben an die möglichen Veränderungen einbrachten. Gab es in Deutschland zwar einzelne Anarchisten, z.B. Stirner und Serner, (ob Individualananchisten oder Anarchokommunisten) so gab es kaum organisierte anarchistische Syndikaten wie in Italien, wo ein für Revolution auftretender Künstler sich politisch und künstlerisch zugleich bewegen konnte. Im wilhelminischen Deutschland sowie auch in der Weimarer Republik gab es stattdessen mehrere sozialdemokratische und kommunistische Gruppen mit ihrer Ordnungsliebe und dem Konzept einer durchdachten, nicht spontanen Revolution.
So kam es vor, dass die in Deutschland politisch aktiven Dada-Künstler sich überwiegend um die KPD gruppierten: Franz Jung, z.B., „ein bereits etablierter Schriftsteller“, war später der Mitgründer der rheinischen kommunistischen Partei (Short, S.38), die Brüder Herzfelde und ihr Freund Georg Grosz, die 1918 der KPD beitraten. - alle drei bildeten den radikal – politischen Flügel der Berliner Dadaisten – Gruppe6 und standen, nach Hans Richter,, „etwas links von,links“.
Die Revolutionsverherrlichung musste dementsprechend auch durch gedacht und auf die Ausarbeitungen der Klassiker des Klassenkampfes stützen. So war ein deutscher Avantgardist entweder von Anfang an diszipliniert in Bezug auf das, war aus der Sicht des Parteizentralkomitees erwünscht war, oder eben als blieb ihm nichts weiter übrig, als als ein politischer Aussenseiter zu agieren. Die Nüchternheit des Nordeuropas, im Unterschied zu der Leichtsinnigkeit des Südeuropas war ein weiteres Hindernis für die Entfaltung der allzu kitschigen und umstürzlerischen Kunst in den radikalen politischen Parteien. So kam es dazu, dass unter den deutschen Kommunisten, Sozialdemokraten, ja sogar der USPD die Ideen der künstlerischen Avantgarde weniger Zustimmung finden konnten, als unter ihren italienischen Kollegen. Ob mit weniger oder mehr Parteidisziplin, aus welchem Grund auch immer: auch die italienischen Futuristen ergriffen öfter die Seite des „Proletariers“. So beschrieb Carlo Carrá sein Bildnis „Die Beerdigung des Anarchisten Galli“ wie folgt: „Dramatische Wiedergabe des Kampfes zwischen der Kavallerie und dem revolutionären Proletariat“ (In: Walden, S.7) Noch mehr sogar:„Im Unterschied zu vielen idealistisch ausgerichteten kulturellen Bewegungen in Deutschland, so auch „Novembergruppe“, realisierte der Futurismus in Italien die gemeinsamen Forderungen nach einer Popularisierung der Kunst und Einbeziehung auch der unteren Klassen in die künstlerischen wie gesellschaftspolitischen Aktionen in einem beträchtlichen Maße, zumindest vor dem Krieg. Dafür sprechen die rege Anteilnahme an den futuristischen Aktionen sowie die Verbreitung der Zeitschrift „Lacerba“. Auch positive Äußerungen der kommunistischen Funktionäre Lunatscharski und Gramsci über Marinetti sprechen dafür, dass der Futurismus nicht nur bei den italienischen Rechten, sondern auch im linken plitischen Flügel und unter den Arbeitern selbst gut angekommen war.
Sogar die italienische Rechte war experimentierfreudiger als die deutsche oder russische Rechte. So ist es nicht verwunderlich, dass die deutschen Rechtsradikalen die futuristische und dadaistische Kunst als unzulässig für die Partei und ihre Propaganda ablehnten, während die italienische Faschistische Partei dem Futurismus wohlwollender und wohlgesinnter gegenüber stand7.
Interessant sind die Einflüsse der Futuristen auf die „Novembergruppe“. „Forderungen wurden aufgestellt, mit dem Alten radikal „aufzuräumen“. Diese Tendenzen erinnern an ähnliche Proklamationen der futuristischen Innovatoren.... ... Vom „Sturm“ kamen zum Beispiel Johannes Molzahn, Walter Dexel, Fritz Stuckenberg, Oskar Fischer und Hans Brass. Das sind diejenigen Maler des „Sturm“, bei denen mehr oder weniger starken futuristischen Einfluß zu finden ist. Die Futuristen selbst waren in der Novembergruppe durch Enrico Prampolini vertreten“ (Eimert, S. 287). „Vor allem Prampolini gelang es, nach dem Krieg die Verbindung zur deutschen Malerei aufrecht zu erhalten. 1919 nahm er an der ersten Ausstellung der Novembergruppe“ in Berlin teil und schrieb das Vorwort zu deren Aquarellausstellung 1920 in Rom: „Esposizione esspressionista Novembergruppe“, die von Marinetti organisiert wurde“8 (Eltz, S. 153).
Die Aktivitäten und Ideen der selbsternannten , von den Soldaten- und Arbeiterräten politisch abgehobenen Geistesaristokraten“- „Novembergruppe“,prallte mit ihrer „Radikalität“ und beanspruchte für sich die Rolle eines Zentrums aller revoltierenden Künstler Deutschlands.,vom „Arbeitsrat für Kunst“ geprägt und mit dem Ziel der Einigung von Kunst und „Volk“ erschienen Hausmann und Jung als apolitische „intellektuelle Blähungen“. 9Dadaisten Raoul Hausmann, Hannah Höch, Hans Richter und George Grosz traten ihr bei. In Bälde enttäuscht, gründeten sie alternativ eigene Gruppe, den Club Dada - als „Verspottung der revolutionären Konjunktur (E. Bloch) und anarchistisch . Schon der Name musste sie von der „Novembergruppe“ abheben, und das Wort Club sollte eine Anspielung auf den Jakobinerklub gewesen sein10 (den radikalen Linken im revolutionären Konvent ähnlich wollten die Dadaisten daher ihren Club auch in den „Berg“ umbenennen)11, also das revoltierende Potenzial und Absichten zum Ausdruck zu bringen – andererseits aber als Tarnung für die Überwachungsorgane fungieren, weil den Namen „Club“ trugen damals v.a. männerbünderische , konservative und monarchistisch - reaktionäre Verbindungen.
.“ Zu jener Zeit, als der Besprechungen über die erste Veröffentlichung von Club Dada, auch der Beschluß zur ersten Dada-Soiree im April 1918, mußten zunächst geheimgehalten werden. Die Zeitschrift wurde in der Provinz gedruckt. Wegen der schweren polizeilichen Kontrolle entschieden sich die Dadaisten für eine kurzfristige Ankündigung der ersten Dada-Soiree“ (Bergius,S. 24- 28).
Sogar der eher apolitische Schwitters- „nicht der aggressive Agitator, sondern immer der eher stille, aber umso nachdrücklichere Chronist seiner Zeit“ beschreibt in seiner Komposition „“Ohne Titel (Mai 191) „revolutionäre Stimmung in jenem Mai 1919. Von „Streik“ und „Metallarbeiterstreik“ ist hier zu lesen, von Elektrizitätsarbeitern und Unternehmern sowie von Lebensmitteln, die damals rationalisiert waren im Nachkriegsdeutschland“ (Elger / Grosenick, S.62)
Jedoch fand Schwitters den Begriff „der proletarischen Kinst lächerlich: in dem neben ihm von
Tzara12, Arp, Doesburg, und Chr. Sprengemann in Den Haag am am 6.3.23 unterzeihneten „Manifest Proletkunst“ steht geschrieben:
Ziel derr Kunst ist der reife Mensch, nicht der Proletarier Nur kleine Talente ... können aus Mangel an Kultur, da sie das Große nicht übersehen, ...sowas wie proletarische Kunst (d.h. Politik in gemaltem Zustande) machen. Die Kunst ...ist weder proletarisch noch bürgerlich... sie entwickelt Kräfte... statt durch soziale Verhältnisse sich beeinflußen zu lassen. Das Proletariat ist ein Zustand, der überwunden werden muss“ ... Die Nachahmung des Bourgeoiskultes durch den Proletkult geschehe „zum Schaden von Kunst und zum Schaden von Kultur“.
Der Kommunismus ist schon eine ebenso bürgerliche Angelegenheit wie der Mehrheitssozialismus, nämlich Kapitalismus in neuer Form“Seine Kunst erfand er für die Aufrechterhaltung „eigener verfaulter Kultur (Russland). ... Jedes proletarische Werk ist weiter nichts als ein Plakat für das Bürgertum.
Das, was wir hingegen vorbereiten, ist das Gesamtkunstwerk welches erhaben ist über alle Kunstplakate, ob sie für Sekt, Dada oder Kommunistische Diktatur gemacht sind“ (Abgedruckt in: Orchard/Krempel, S. 155-156).
Trotzdem war selbst die Kommunismus – Begeisterung einiger Berliner Dadaisten nicht ohne Ironie, wenn nicht gar Hohn. Z.B. Trug die Dada- Zeitschrift „„Die Schammade“ den Untertitel „Dilettanten erhebt euch!“ (Elger/Grosenick, S.23).
Dieselbe Ironie ist auch in dem Manifest „Was ist der Dadaismus und was will er in Deutschland“ spürbar – einer Parodie auf das Programm des „Politischen Rates geistiger Arbeiter“ des Kurt Hiller in seinem „Das Ziel“. „Sinnestäuschung und -störung sind in diesem Manifest, besonders in seinem ersten Abschnitt, nicht mehr auseinanderzuhalten... Schließlich werden in den weiteren Punkten die utopischen Ansprüche eines neuen Kollektivismus dergestalt persifliert, dass daraus ein „dadaistischer“ Sinn entstand, beispielsweise in der Forderung der „Einführung des simultanen Gedichtes als kommunistischem Staatsgebiet“ oder „der sofortigen Durchführung einer großdadaistischen Propaganda mit 150 Zirkussen zur Aufklärung des Proletariats“ (Bergius, S. 40).
Doch nicht alle Dadaisten, selbst bei ausgeprägten linken Sympathien und Einstellungen, pflegten Kontakte zu den anderen Linken,selbst wenn sie, politologisch gesehen, zum selben - linken- Lager gehörten.
So sagt Vera Broido – Cohen, 1928- 1934 Hausmanns Lebensgefährtin („zusätzlich“ zu der bereits „vorhandenen“ Lebensgefährtin Hannah Höch) im Interview mit Bartomeu Marí:
„Als ich Raoul Hausmann kennenlernte, hatte er den Kontakt zu allen Dadaisten abgebrochen, die Kommunisten waren, also zu den Brüdern Herzfelde, Wieland und John <Heartfield> und anderen. Er hielt Ideologien aller Art, aber insbesondere politische Ideologien, unvereinbar mit Dada. Und er hegte überhaupt keine Illusionen über Sowjetrußland“ (Der deutsche Spießer ärgert sich, S. 103).
Auch der später sich als „Gefühlskommunist“ bezeichnende Huelsenbeck schrieb mit Ball in ihrem „Literarischen Manifest“: „Wir wollen den Appetit verderben an aller Schönheit, Kultur, Poesie, an allem Geist,Geschmack,Sozialismus, Altruismus...“
Selbst beim Nennen vieler so genannter Dada - Kommunisten sollte man die Differenzen berücksichtigen: viele von ihnen waren eher Anarchokommunisten: „In Geprächen mit Kessler emnwickelte Herzfelde seine utopisch – gesellschaftspolitische Ideen: Die Menschen sollen sich nicht nach Staaten, sondern nach frei zu wählenden Gesetzesgemeinschaften (in Analogie zu Religionsgemeinschaften) organisieren. Ein jeder sollte erklären dürfen, nach welchem Gesetz er leben wolle. Mit diesen Vorstellungen streifte Herzfelde mehr anarchokommunistische Utopien als offizielle marxistische Positionen. Sein Eintritt in die KPD Ende 1918 kam nicht seiner Integration gleich – im Gegenteil.Er kritisierte aus dadaistischer Sicht den „akademischen Intellektualismus“ als „eine in marxistischen Parteien geradezu krankhaften Erscheinung““. ... Auch „fühlten sich die Künstler von der Partei unverstanden – so legte es Wieland Herzfelde in seinem Essay „Gesellschaft, Künstler und Kommunismus“ dar -, weil diese revoltierende Künstler als dekadent abqualifizierte, wo es darum gehe, ihnen einen Weg zum Kommunismus zu ebnen“.
Was die russischen Futuristen anbetrifft, so waren bei vielen Sympathien auf der Seite der Kommunisten.
So arbeitete Chlebnikow 1920 21 einige Zeit in der Zeitung „Kawkassckaja Kommuna“ („Die Kaukasische Kommune“, wo er rote Agitationsversen schmiedete, die die Befehlshaber der Weißen Armee, Wrangel und Koltschak, anprangerte, mit den Vorlesungen über die „konterrevolutionären Regierungen“ vor den Hörern der Matrosenuniversität von Baku auftrat und die Gedichte zu den Propagandaplakaten verfasste Hardshijew, S.322- 324). Auch andere Futuristen – Majakowski, Krutschenych – arbeiteten für die Abteilung Agitation und Propaganda der Partei.
as Nichteinhalten eigener Versprechen ist die beide Kunstrichtungen verbindende Wesensart. Am 18. März 1929 wird der Anführer der futuristischen Akademiestürmer, der verjährte Filippo Tomaso, zum Mitglied der Italienischen Akademie ernannt. Auch diese ganz eindeutige Unehrlichkeit, auch dieses unverschämtes Nichteinhalten eigener Versprechen wird von den Futurismusfans in der Kunstforscherwelt als etwas Legitimes, Richtiges ja Großartiges gefeiert: Marinetti habe das nicht aus „purem Opportunismus“ getan, sondern lediglich um auf den Faschismus „Einfluss zu nehmen, zu korrigieren und zur Bekämpfung des Traditionalismus zu bringen“ (Pefetti, S. 176, in Bartsch/Scudiero). Als ob durchs öffentliche Absagen an die Vorschlagenden er nicht mehr Einfluß auf die Öffentlichkeit in Italien hätte. Als ob nicht die Prinzipientreue das stärkste und schlagfertigste Argument im gerechten Kampf gegen die geistlosen Vorkämpfer des Gestrigen gewesen wäre!
Sogar das unverblümte Lakaientum - Marinettis Bitten, die ohnehin starke Regimepropaganda zu stärken - wird für eine Heldentat des Widerstandes ausgegeben: Nicht wie einer, der dem Führer schmeicheln möchte, sondern „Im Geiste“ „der Multiplizierung erneuernder und revolutionären Kräfte“ „forderte er... Mussolini auf, die Ausstellung der faschistischen Revolution von 1932-1933 ständig offen zu halten“. So eine Speichelleckerei kam selber dem Benito lächerlich vor, welcher (anscheinend nicht ohne gewissen Hohn) „Bemerkungen“ machte „über den Widerspruch zwischen dieser Aufforderung und vorheriger Position als Verächter des „Staubs der Archive“ und der „Trümmer der Fundstücke der Kunst“. Und der Knecht Filippo erwidert: „Die Revolution sei „vielmehr als das Land“, und daher sei es keine Szenerie, sondern eine „Pflicht“ zu sagen, was sie ist, wie sie entstanden ist und was sie werden sollte“ (Perfetti, S.177). Mit anderen Worten ausgedruckt: Duce und Faschismus seien mehr als Italien selbst, und stehen über dem Volk. Das ununterbrochen der Bevölkerung einzureden, die uneingeschränkte Agitation dessen bemängelt der ehemalige Akademiestürmer und jetziges Akademiemitglied beim Faschistenführer und ruft zu noch mehr Fanatismus und Übereifer auf.
Ähnliche (ganz milde ausgedrückt) „Ungereimtheiten“ liefern in hohem Maße die Dadaisten: Die sich jeglichem Diktat angeblich wehrenden Grosz, Brüder Herzfelde, und vor allem Aragon und Elaurd13 und Tzara14 (welcher sich so abschätzend über Kommunismus äußerte) traten den kommunistischen Parteien ihrer Länder bei, und beugten somit dem Joch des Totalitarismus und des „Bürgertums“. welches schliesslich auch in den kommunistischen Diktaturen, wenn auch völlig verarmt, fortbestand.
Anarchistisch und eigensinnig in ihren besten Jahren, verrieten sehr viele Dadaisten und Futuristen aus dem Opportunismus ihre Freiheitsideale und dienten seither den totalitären Regimes.
Antideutsch / „Antipreußisch“ und „Antiitalienisch“ bei den Futuristen und bei den Dadaisten
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Futurismus und Dadaismus bestand in der kritischen Stellung den offiziellen Institutionen des wilhelminischen Deutschlands gegenüber.
Einer der konsequentesten und überzeugtesten Kritiker des deutschen Wesens unter den Dadaisten war Hugo Ball mit seiner „Kritik der deutschen Intelligenz“ - die er attribuierte mit Epiteln wie „berüchtigt, Prinzipien – und Herzlosigkeit, Mangel an Logik und Präzision... instinktiver Moral“ (Ball, „Kritik“, S. 12).
Ball meinte, die geistige Elite sei zu schwach und isoliert, gewesen, um im Mittelalter und in Neuzeit den Deutschen den Anschluss an das kulturelle Erbe der Menschheit zu verschaffen, also zu der Kunst und Wissenschaft Italiens. Dadurch blieb das Volk angeblich barbarisch und begriff das Wesen des Christentums nicht; Kreuzzüge waren ein Ersatz des Glaubens und der Zivilisiertheit.
Martin Luther habe die Lage zusätzlich verschlimmert, und unterwarf die Deutschen der Macht des Kapitals, des Nationalismus, des Militärs und der Regierenden – des Königs und der Junker. Er beraubte das Land des Mystizismus und bestärkte die Obrigkeitshörigkeit in der Bevölkerung.
Durch die Zerschlagung Thomas Müntzers wich das Land vollends vom Wege der geistigen und gesellschaftlichen Evolution ab.
Trotz der Zuwendung zum Katholizismus blieb Ball antiklerikal (sowohl in Bezug aufs Luthertum als auch auf das Papsttum) und anti – monarchistisch. Er sympathisierte mit dem Proletarier, dessen weitere Versklavung für ihn der Marxismus – Mischung aus deutscher und jüdischer Pedanterie und prüder Wissenschaftlichkeit - darstellte15. Genauer sind die Ansichten Balls und deren Bezüge zum Dadaismus und Futurismus in dem im Anhang untergebrachten Exzerpt zu lesen.
Deutschlandskritische Einstellungen pflegten während des Krieges auch viele andre Dadaisten – so u.a. Huelsenbeck, Richter, Hausmann, Grosz, Herzfelde.
Der Kampf gegen den Traditionalismus war trotz der „patriotisch“ - nationalistischer Phraseologie der Futuristen ein Kampf gegen die Borniertheit der Italiener: ihre Küche, ihre Geschichte, ihre Selbstgefälligkeit, ihren Römer – und Kaiserkult, ihre Anbetung des Papstes und der Kirche, deren Einschränkung auch die autoritäre Rolle Italiens in der Welt einschränken sollte. Die Auftritte und Publikationen der Futuristen wurden mit derselben Erbitterung und Feindseligkeit seitens der italienischen „Patrioten“ attackiert, wie solche der dadaistischen – seitens der deutschen.
Daher kann man beide Richtungen tendenziell als „anti-national “- „antideutsch“ und „anti-italienisch“ - ansehen.
Ambivalente Stellung zur Frau Im Futurismus und im Dadaismus. Befreiung der Frau vs. Frauenfeindlichkeit: Eine gewisse Ambiguität, Ambivalenz dem weiblichen Geschlecht gegenüber, wo die Anerkennung der Frau mit dem Hass ihr gegenüber gepaart ist, verbindet miteinander beide Bewegungen. Marinetti sprach in seinem „Tod dem Mondlicht“ sowie im „Futuristischen Manifest“ von den Frauen sehr abschätzend – dabei gab es das „Manifest der Futuristischen Frau“, und die Frauen beteiligten sich an den futuristischen Ausstellungen.
Auch russische Futuristen, trotz der Bekundung ihrer „Fortschrittlichkeit“ in allen Bereichen des modernen Lebens trotz der Kontakten zu den linksradikalen Gruppen wie den Bolschewiken oder den Soziailisen – Revolutionären, welche ihrerseits auf der Abschaffung der traditionellen Geschlechterrollen sowie der Unterdrückung der Frau bestanden) zeigten oft ihre Verachtung den Frauen gegenüber. So erklärte der Futuristendichter Krutschönych in seinem „Wsorwal'“ aus dem Jahre 1913, S. 57 sein Ziel aus: „die niederträchtige Verachtung den Frauen und Kindern gegenüber“.
Von derselben Ambivalenz ist auch die dadaistische Bewegung gekennzeichnet.
Einerseits – und dafür gebührt ihnen Lob – verkündeten sie, dass die „kommunistische Bewegung zum Fiasko des männlichen Geistes führen würde, wenn in ihr nicht eine radikale Umstellung von bloß ökonomischer Gerechtigkeit zu einer Sexualgerechtigkeit vollzogen wird, die die Frau endlich zur Frau werden läßt“ (Hausmann, zit. bei Bergius, S. 125). Jedoch:
„Trotz der emanzipatorischen Bekundungen ihrer männlichen Mitstreiter und deren politischen Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter wurde Hannah Höch von den meisten Dadaisten als eine nicht ernst zu nehmende Künstlerin akzeptiert. Bezeichnend dafür ist das zweifelhafte Lob Hans Richters in seinem Erinnerungsbuch „Profile“, in dem er vor allem ihr „Talent, als Vorsteherin der Atelier – Abende bei Hausmann“ lobte, bei denen sie sich „durch die belegten Brötchen plus Kaffee, die sie trotz Geldmangel auf irgendeine Weise hervorzuzaubern verstand“ unentbehrlich gemacht habe. Ihrer Teilnahme an der 1. Internationalen Dada – Messe 1920 stimmten George Grosz und John Heartfield erst nach massiven Interventionen durch Raoul Hausmann zu“.
„Hannah Höch stand am Rande des Club Dada. Noch im Juni-Juli 1920, bei den Vorbereitungen zur „Ersten Internationalen Dada-Messe wollten Grosz und Heartfield Hannah Höch nicht an der Ausstellung beteiligen. Erst als Hausmann mit einem Rückzug seiner Werke drohte, willigten die Dadastreiter ein. Hannah Höch war zu der Zeit schon eine selbstbewußte Künstlerin, die ihren avantgardistischen Weg allein bestritt, jedoch von Dadaisten in ihrer künstlerischen Produktion noch nicht anerkannt und schlicht als „Hannchen Höch verülkt wurde“ (Bergius, S. 130). Man könnte solches Verhalten der Dadaisten auf eine noch nicht ausgereifte Kunstpersönlichkeit Höchs zurückführen, wenn nicht die Tatsache, dass die „Münchner expressionistischen Werkstätten sie zu der Teilnahme an ihrer Ausstellung in Chicago einluden, wo nur „das Beste der jungen Kunst Deutschlands gezeigt werden sollte (Bergius, a.a.O.).
Noch offenkundiger wird die Heuchelei der angeblichen Frauenfreundlichkeit der Dadaisten in dem Brief von Grosz an Otto Schmalhausen im März 1918: „Unter uns: ich scheiße auf die Tiefe von Frauen, meistens verbinden sie damit ein häßliches Überwiegen männlicher Eigenarten, Eckigkeit und Schenkellosigkeit; ich denke wie Kerr (der Kritiker) 'Jeist hab ick aleene.“ (zit. bei Bergius, S. 180).
Obwohl begabte Malerin aus der Klasse des Orlik an der Kunstgewerbeschule, gab Eva Grosz, gebürtige Peter, nach der Heirat mit Grosz ihre künstlerische Tätigkeit auf. Dabei betrieb sie ein Atelier für Mode und Kunstgewerbe am Kurfürstendamm 239 ganze 3 Jahre lang, von 1917 bis 1920, konnte also für ihren Unterhalt alleine sorgen. In ihrem Brief an Otto Schmalhausen beklagt sie sich über die Behandlung seitens Grosz':im Alltag, außer wenn Grosz vom Sexualtrieb gepackt ist, „quält er mich zu Tode, nörgelt an mir rum, beleidigt mich,obwohl oft unbewußt, wo er kann... In seinen „Reden in Herzfeldes Gegenwart“ „quälte er“ sie „solange, bis ich heulend rausstürzte“... wie ich mich dadurch erniedrigt, entweiht fühle“ (zit. bei Bergius, S. 181).
„Aufschlußreich für Grosz' Verhältnis zu seiner Frau ist auch eine montierte Postkarte an die Galerie von Garvens, bei der er im April 1922 ausstellte. Darauf infantilierte er Eva, indem er auf ihr Gesicht einen übergroßen Kinderkopf klebte“. (Bergius, a.a.O.).
Sogar Raoul Hausmann – der 1918 zur Bedeutung Dada notierte, „die intellektuelle Lüge des größeren Wertes des Mannes vor der Frau“ sei „zu verhindern“ (Bergius, S. 33) war nichts weiter als ein männlicher Chauvinist, der seine primitiven patriarchalen Frauen versklavenden Männerfantasien vom einem Harem als die Befreiung der Frau ausgab. Hausmann wollte gleichzeitig mit Hannah Höch und seiner Ehefrau Elfriede Hausmann – Schaeffer in einer Dreierbeziehung leben (Bergius, S. 125) – so, dass die beiden auch Mütter seiner Kinder fungieren würden und sich mit ihrer Rolle als eine von mehreren Frauen abfinden würden. Man muss Unverschämtheit und die Fähigkeit zum schamlosen Verdrehen der offensichtlichen Tatsachen Hausmanns besitzen, um diese rückständige Lebensweise eines orientalischen Despoten zum einem fortschrittlichen Emanzipationsakt zu erklären.
Ähnlich frauenfeindlich verhielt sich auch der „geistige Lehrer“ Hausmann Franz Jung, welcher zeitweilig mit Margot Jung und Cläre Oering lebte, womit er seine sexuellen Triebe auslebte und dabei ebenfalls von der Sexualbefreiung der Frau sprach.
Ob Raoul Hausmann oder Franz Jung, ob John Heartfield, ob Hans Richter oder eben George Grosz - überall treffen wir die Beispiele der Frauenverachtung, welche die bisher verbreitete Meinung ob der angeblichen Frauenfreundlichkeit seitens der Dadaisten (zumindest verglichen mit den Futuristen) in die Frage stellen.
All die genannten Dadaisten wollen die Frau als ein treues, zugleich widerstandloses und die Untreue des Mannes tapfer ertragendes und tolerierendes Wesen sehen. Interessanterweise ist die Vision des Futurismus von der Frau ganz anders: nämlich als ein starkes selbstbewußtes Wesen. So schreibt Marinetti in seinem Manifest „Das Varieté“16 unter dem Punkt 9: „Das Varieté ist für den Mann eine lehrreiche Schule der Aufrichtigkeit, es verherrlicht seinen Raubtierinstinkt und reißt der Frau alle Hüllen, alle Phrasen, alle Seufzer und alle romantischen Schluchzen vom Leib, sie sie verunstalten und tarnen17. Es läßt dafür alle die bewundernswerten animalischen Eigenschaften der Frau hervortreten, ihre Fähigkeit einzufangen, zu verführen, treulos zu sein und Widerstand zu leisten.“ (In Schmidt-Bergmann, S. 222).
Futurismus will zwar die niederen Instinkte des Mannes wecken, weibliche Fähigkeit aber zum Widerstand Leisten und zur Untreue will er sogar - anders als so viele Dadaisten - als „bewundernswerte Eigenschaften“ fördern!
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der zugrunde liegenden Philosophie
Gemeinsamkeit: Internationalität
Außer seinem typisch spanischen (nzw. Kubanischen) Nachnamen verband Picabia mit Kuba und Spanien nichts.
„Von den künstlerischen und literarischen Stilrichtungen der unmittelbaren Jahre zuvor, dem Futurismus in Italien, dem Kubismus in Paris und dem deutschen Expressionismus, unterschied sich der Dadaismus durch seine breite internationale Unterstützung. Die Literaten und Künstler in Zürich, Berlin, Hannover, Köln, New York, Paris standen miteinander im Kontakt, beteiligten sich an den dadaistischen Aktivitäten und lieferten Beiträge zu zahlreichen Publikationen der Bewegung“ (( Elger/Grosenick, S. 6).
Ob die Internationalität als ein Unterschied zum Futurismus angesehen werden darf, ist schon als dem Grund fraglich, da die Futuristen ebenfalls breite internationale Verbindungen entfachten und in vielen Zentren der Welt präsent waren: zahlreiche Städte Italiens wie auch Paris, Berlin, London, Moskau und weitere unzählige Städte Russlands, Polen etc. Umfasste ihr Korrespondenz – und Ausstellungsnetz. Die Futuristen stellten mit den Künstlern anderer Richtungen gemeinsam
aus,organisierten Vorträge und publizierten in den Periodika zeitgenössischer moderner Kunstschulen- man denkt an die „Sturm“- Ausstellungen, 1. Deutschen Kunstsalon. (Ausführlicher dazu im Abschnitt „Kontakte“) . Auch z.B. Die bulgarischen Künstler wie Nicola Diulgheroff, Rougena Zlatova stellten in Italien in den futuristischen Pavillons aus, ..
Anregungen durch den Futurismus
Schadographie
<Wegen der Riemann' schen Theorie der Verbindung dreier Raumdimensionen mit der der Zeit> kam nicht so ungefähr, dass der Futurist Anton Guilio Bragaglia seine futuristische Hypothese (1911-1913) für den Fotodynamismus als ein Übersetzen von Zeit in Raum verstanden wissen wollte und meinte: „Zeit wird in entscheidender Weise als eine vierte räumliche Dimension von uns hervorbracht... dass Bewegung den Körper wirkungsvoll zerstört und die Farben von Bildern
in ihre Bestandteile zerlegt
Die Loslösung von Abbild und Wirklichkeit
Die um 1910 aufkommende ungegenständliche Malerei (Picasso, Braque, Kandinsky) sicherte der kameralosen Fotografie – dem Photogramm – bald einen adäquaten Platz in der Kunst. Dass es vorwiegend Künstler waren, bei der sie das materielle Wesen der Fotografie mit dem Immateriellen der Gedanken (Ideen) in Einklang zu bringen hofften, tritt in Bragaglias Traktat „Fotodinamismo Futurista“ deutlich zutage. Bragaglia schlägt darin die totale Abkehr vom „statischen Realismus fotografischer Wirklichkeitsabbildung“ vor und meint: „Der Apparat,die Maschine, müsse
vom Künstler überwältigt werden, bis er auch das wahrnimmt, was seine fotografische mechanische Natur an sich übersteigt: die Idee der Bewegung, den Rhythmus des Lebens“. Weiter artikuliert er seine Vorstellung: „Wir wollen eine Revolution der Fotografie bewirken: Sie soll bereinigt, nobilitiert und zu einer wirklichen Kunst erhoben werden. Ich behaupte, dass aus mechanischen Mitteln der Fotografie nur dann Kunst werden kann, wenn man die einfache fotografische Wiedergabe der unbewegten Wirklichkeit überwindet oder der in einer Momentaufnahme eingefrorenen Wirklichkeit überwindet und mit Hilfe anderer Mittel und Versuche erreicht, dass die Fotografie auch Ausdruck und Schwingung des lebendigen Lebens wird“.
Vom Gegenständlichen zur Abstraktion
Die Idee Bragaglias, auch das Unsichtbare in der Fotografie abzubilden, wurde von den Futuristen deshalb streng abgelehnt, weil er sich eines Fotoapparates bediente. Sie distanzierten sich, indem sie erklärten „... dass alles, was sich auf „Fotodynamismus“ bezieht, ausschliesslich Innovationen im Bereich der Fotografie betrifft...“ (Auer: Das Photogramm – ein phantasievoller Beitrag zu der Kunst“,in: Schad/Auer (Hrsg), S. 76- 77).
Direkte Anleihen künstlerischer Innovationen aus dem Futurismus:
Bruitismus
Einige Dadaisten geben zu: Der Bruitismus entstammt ursprünglich dem Futurismus: „Zwar hatten die Futuristen schon den Begriff und die Technik des Krachmachens in die Kunst (und ihre Veranstaltungen) eingeführt. Als Kunst nannten sie es Bruitismus Dieser Bruitismus wurde im Cabaret Voltaire aufgenommen und im Schwung und der Raserei einer neuen Bewegung bereichert : nach oben und unten, rechts und links, nach innen (Stöhnen)) und nach außen (Gebrüll)“ (Richter, „Kunst...“, S. 18).,
Andere nicht: „Wir vollführen einen Höllenlärm. Das Publikum um uns schreit, lacht und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wir antworten darauf mit Liebesseufzern, mit Rülpsen, mit Gedichten, mit „Muh, Muh“, mit „Miau, Miau“ mittelalterlicher Bruitisten“. (Arp, zit. bei Short, S.32. Ursprung des dadaistischen Bruitismus sieht Arp folglich nicht im Futurismus, sondern im Mittelalter.
Die Forschung erkennt die futuristischen Einflüße auf die Entstehung dadaistischen Bruitismus an: „Die Fortentwicklung eines starken futuristischen Elements erkennt man an der zentralen Rolle, die das Simultangedicht und der „Bruitismus“ in den Programmen des „Cabaret Voltaire“ spielten, sowie an dem Einfluss von Marinettis „Worten in Freiheit“ auf die Typographie und den Umbruch der dadaistischen Zeitschriften“ (Short, S. 32).Dadas „Kunstprodukte“ waren „in der Form oft schamlos vom ...Futurismus ... abgeleitet “ (S.20). „Stilistisch – ästhetisch gesehen liehen die Dadaisten „die typographische Akrobatik und den „Bruitismus“ (Geräuschmusik) vom Futurismus“an. (Short, a.a.O.).
Die Meinung teilt auch Bergius: Simultaneität, Bruitismus, Bewegung – diese innovativen futuristischen Darstellungsformen des Modernen wirkten zweifellos auf die Dadaisten“ (S.54).
In der Auflistung seitens Ball' der Vorzüge Huelsenbeck' scher Dichtung sind die bruitistischen Anklänge spürbar: „Seine Verse <“Phantastische Gebete“> sind ein Versuch, die Totalität dieser unnennbaren Zeit mit all ihren Rissen und Sprüngen, mit all ihren bösartigen und irrsinnigen Gemütlichkeiten, mit all ihren ihrem Lärm und dumpfen Getöse in eine erhellte Melodie aufzufangen...“ (zit. bei Bergius, S. 102).
Cabaret
Dada's improvisatory cabaret technique, with its shock – effects, is a product of Futurism. It is clear from contemporary accounts that Dada´s soirées were virtually indistinguishable frm the Futurist performances which had been taking place all over Europe since 1912.
Manifest
The 'manifesto' as a litarary genre, whether declaimed from a stage with all sorts of provocative and often clownish trimmings or distributed as a fly-sheet,goes back to the manifestos of Futurists,beginning with Marinetti's first manifesto, published in Le Figaro in 1909.
Poème dada
Was Elke Orth an den Merkmalen der poèmes dadas aufführt, läßt sich kaum alleine auf die Dadaisten beziehen. Mit ähnlichen Mitteln arbeiteten bereits zahlreiche zeitgenössische Literaten:
„Die poèmes dadas nehmen den größten Teil an der dadaistischen Dichtung ein. Besonders stark sind sie auch im Werk Francis Picabias vertreten.
Die poèmes dadas verzichten, entgegen jeder Tradition und Konvention, auf Reime, Verse und Strophen. Die Gedichte zeichnen sich durch eine einfache Sprache aus, ihre Titel stehen in keinem Zusammenhang zum Inhalt, und der Inhalt umgreift kein klar definiertes Thema.
Die poèmes dadas sind syntaktisch und grammatikalisch einwandfrei konstruiert und oft auch interpunktiert. Sie erscheinen auf den ersten Blick als korrekte Gedichte und lassen einen inhaltlichen Sinn vermuten, der jedoch nicht existiert. Die Worte sind lediglich auf syntaktischer Ebene korrekt, auf semantischer Ebene stehen sie im Widerspruch zueinander.
Poèmes phonique
„The phonetic poem was quite certainly not inspired by the obscure and isolated experiments of Scheerbart,not yet by Mallarmé's reflections on the subject of vers libre; the source lay much closer at hand. It was „parole in libertà“ of Futurists“ (Haftmann, S. 216-217).
Poéme typographiques
In den Poéme typographiques
kratisch oder liberal gesinnte Kunstforscher können den Futuristen diese Nähe verständlicherweise nicht verzeihen, und sind sogar im Namen ihrer zugegeben richtigen Prinzipien bereit, unwissenschaftlich vorzugehen. Dass auch hier darunter die wissenschaftliche Genauigkeit und Richtigkeit leiden, ist ebenfalls ersichtlich.
Optophonetisches / Simultanes Lautgedicht
Dass den Futuristen zumindest bezüglich des optophonetischen / Simultanen Lautgedichts der Ruhm der Entdecker gebührt, bestreiten nicht mal die überzeugten Leugner futuristischer Einflüsse aud den Dadaismus. Weiterentwickelt ist es zwar „von Raoul Hausmann (1886- 1971), „schallnachahmend“ oder einfach bestehend aus Buchstaben, ist er unter dem Aspekt eines Plakats in Form setzte. FMSBW ist wohl das erste Gedicht,das keinen Sinn hatte- es setzte sich ausschließlich aus Konsonanten zusammen-und sollte an den Mauern angeschlagen werden“. (Lemoine, S.33).
Aber: „30. März. Nächtliche Gala – Vorstellung im Cabaret Voltaire. Huelsenbeck, Janco und Tzara tragen ein Simultangedicht vor, das sie gemeinsam (in Anlehnung an die Experimente der Futuristen sowie an Henri Martin Barzun und Fernard Divoire) verfasst haben“ (Rubin, S.159). .
Und unter den futuristischen Vorbildern, welche diese Gedichtsform anregten, befindet sich „F.T. Marinetti: dieser „ schuf verbale Vorlagen, die sich bemühten, ein Gefühl für die Gewalt der von ihm propagierten mechanischen Welt zu vermitteln:
Stan- tuff Stan- tuff Stan- tuff
Stan- tuff- Foo Stan- tuff- Foo
di gioia penetrare nel grasso chi friggeride friggeride
nostalgia graasssaaa graasssaaa
Kurt Schwitters bediente sich ganz anderer Geräusche auf mehr oder weniger dieselbe Weise. Er stückelte die zufälligen menschlichen, von anderen nicht beachteten oder unterdrückten Geräusche zusammen: Niesen, Husten und Stottern wurden für ihn das Rohmaterial für sorgfältig konstruierte Noten- Vorlagen:
tesch
haisch
tschiiia
pesche püsch
haisch
tschiii aa
pesche püsch
haisch
happaisch
hapeschepüsch
happapeschaich
happe tschaa
happe tschaa“ (Froehlich,in Hermann„In Sinn und Unsinn“, S. 17-18).
Durch gleichzeitige Aufführung von Simultangedichten „überlagerten sich die verschiedenen zu einem frenetischen Stimmengewirr, das als Sinnbild für die ohrenbetäubende Geräuschkulisse in den Schützengräben und die Dynamik der modernen Großstadt gedeutet werden konnte. Die Simultaneität solcher Eindrücke, die großflächigen Reklametafeln, die Geschwindigkeit und der Lärm der technischen Verkehrsmittel waren bereits das Thema der italienischen Futuristen. 1911 malte ihr Wortführer Umberto Boccioni das programmatische Bild der Bewegung: „Der Lärm der Straße dringt ins Haus“. Mechanische dadaistische Konstruktionen, wie sie u.a. Raoul Hausmann, Max Ernst, Francis Picabia oder Kurt Schwitters entworfen wurden, waren immer nur funktionslose, ironische oder erotische Darstellungen.
„Dada erfand die Synthese des modernen Wesens: l' homme bruitiste sur la base simultane“ (Mehring, „Enthüllungen“,in „Dada Dokumentation“, S. 70).
„Neue schöpferische Impulse gingen mit dem Erfolg der Soiree einher. „Ich habe Verschiedenes mit Baader gemacht“ schrieb Hausmann an Hannah Höch zwischen dem 1. und 5. Mai 1918, „Simultangedichte, einen Simultanroman...“ (Bergius, S. 32).
„Das „poème simultan“, das in verschidenen Sprachen, Rhytmen, Tönen von mehreren Personen zugleich vorgetragen wurd, das „concert des voyelles“, eine Mischung aus bruitistischer Musik, das 'poeme statique', eine Art optisches Gedicht, „ auf das man sieht wie auf einen Wald, das „'poeme mouvementiste', ein Vortrag mit primitiven Bewegungen, den Huelsenbeck erfand. Auch sog. 'Negergedichte', die er mit negroiden Lautassoziationen belebte...' (Bergius, S. 102)
Collage, Photomontage, Typographische Experimente
Photomontage, so enthusiastically practised by Hausmann, was basically no more than a „correct“ application of the 'realistic' principle of assembling suggestive documentary items to produce an all-embracing, dynamic pattern of interpenetrating of reality. All Hausmann did was to apply this principle exclusively to mechanically – reproduced items“ (Haftmann, in. Richter, „Dada Art and anti- Art“ S. 216-217).Auch nach Bergius, verdankt die dadaistische Collage ihre Entstehung der Anregung durch die Futuristen (S. 57).
Collage wurde dennoch von den Dadaisten weiterentwickelt: „Hausmann, Heartfield, haben die Benützung und den Wert der Collage auf eine Art definiert, die ihre gänzlich von denen Picassos und der Futuristen abhebt“ (Lemoine, 24)
Max Ernst „setzt Collagetechnik nicht nur ein, um Menschen und Maschinen zu entthronen, sondern um eine Empfindung des Wunderbaren zu vermitteln- durch Bilder“ mit „Phantasie“, „Inhalt“, „Realismus“ - anders als die Collagen der Berliner Dadaisten, die „die Zerschlagung der ursprünglich vorhandenen Normalität“ anvisieren. Collagen der Futuristen mögen zwar im Vergleich zu den dadaistischen realistischer wirken und weniger Dementi alles Normalen beinhalten-jedoch ist das Merkmal der Normalitätszerschlagung auch bei ihnen sichtbar.
Dadaisten, so die kunsthistorische Forschung, griffen die futuristischen Anregungen auf und brachten diese auf eine höhere Stufe: „Die Berliner Gruppe erweiterte die dadaistische Bildsprache, um das Verfahren der Fotomontage, das in Zürich unbekannt war, aber bedeutende Vorbilder bei den russischen Konstruktivisten und italienischen Futuristen hatte“( Elger/Grosenick, S. 18).
Bodo Uhse zieht eine Parallele zwischen dem sprachlichen Futurismus Majakowskis und den Montagen Heartfields: „“Wie Majakowski absichtsvoll um einer bestimmten Wirkung willen die Umgangssprache in seine Dichtung hineinnimmt, so bedinet sich Heartfield der Fotografie statt der Farbe...“ (In: Herzfelde, S.339).
Zur futuristischen Collage sagt Roters:
Die Lettern in den Bildern der Kubisten sind Buchstabenstillleben. Sie wollen genauso wenig auf ihren Inhalt hin gelesen werden, wie die Flaschen in jenen Bildern ausgetrunken werden wollen. Im Unterschied zum Kubismus ist der Futurismus eine ausgesprochen literarishe Bewegung. Es geht ihm nicht um den Bildaufbau sondern um Bildzerstörungin einer Entsprechung der Zerstörung der überlieferten Formen aller europäischen Kultur. Der Futurismus ist daher anarchistisch,atavistisch und aggressiv, seine ästhetische Verherrlichung des Krieges ist wohl die Ursache für die politischen Irrwege des Futurismus. Die Zerstörung und Vernichtung der tradierten Formzusammenhänge soll aber zugleich der befreiung der elementaren Impulse dienen, die von den alten Formen zusammen- und gefangengehalten werden. Ein wichtiges Indizdafür sind die „mots libres“, die befreiten Wörter. Die Wörter unserer Sprache, aus den alten Sinnzusammenhängen und aus der alten Syntax herausgerissen, entfalten befreit eine neue eigene Impulskraft: onomatopoetische Anarchie. Das energetische Prinzip verbreitet sich auch in stakattohaftem Rhythmus der Bilddarstellung, die motorische Bewegung zu suggerieren sucht. Die Collagen der Futuristen gleichen daher Wort – Explosionen. Die Wörter, die darin erhalten sind, sollen gelesen werden, indem sie gesehen werden. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist Carlo Carràs „Manifestazione interventista“ aus dem Jahre 1914“ (Roters, Eberhard: „Collage und Montage“, S. 10-17, hier S.12-13, in: Hähnlein).
Plakat
The layout of Dada posters and fly-sheets, which employed typographical elements of capriciously as painters used the various elements that made up their collages, incorporated
Futurists ideas (Haftmann, S. 216-217)).
Spirale - Entlehnung aus dem Futurismus
La Rotative Plaque Verre (Optique de Precision): Es handelt sich um eine Maschine, die das Bild der Schokoladenmühle von 1914 materialisiert. Aber mit ihrem Motor, ihrem Lenkrad, ihrem Fuß, ihrer Achse und ihren Schaufeln dient sie lediglich dazu, eine Spirale hervorzurufen, die eine optische Täuschung ist“. (Lemoine, S.68).
Futuristische vs. Dadaistische Soirees
Die Ähnlichkeiten zwischen den dadaistischen und futuristischen Soirees sind frappierend. Im Anhang findet sich eine Gegenüberstellung zweier Soirees: eines futuristischen, von Russolo, und eines dadaistischen, von Hausmann beschrieben.
Futuristische Skulptur
„In der Art, wie Hausmann in seinem „Mechanischen Kopf“ die Materialien verwendet, erinnert Lemoine auch an das „Manifest der futuristischen Skulptur“ von Umberto Boccioni“ (Lemoine, S.38). Beschreibung des Kopfes, vom Künstler selbst gemacht befindet sich im Anhang.
Maschine als ikonographisches Objekt und Maschinenmensch; Einstellungen zur Maschine im Dadaismus
„..Die Maschine und ihre Hervorbringungen... waren Ungegenstand par excellence, sie konnten nur unsichtbar bleiben. Diese Anstößigkeit hatte einen geschichtlichen Grund.
Sie entspringt der heuchlerischen Verleugnung der Industrieproduktion, einer Verdrängung, die den bürgerlichen Geschmack im 19. Jahrhundert bestimmt hat“ (Schuldt, S XX).
Beide – Futurismus und Dadaismus – machten mit dieser Verdrängung Schluss.
Vorhandene Literatur tendiert grundsätzlich zu den folgenden Ansichten:
Maschine sei im Futurismus zugleich ein Anbetungsobjekt und die Angstquelle. Jedenfalls behandelt der Futurismus die Maschine mit dem obliegenden Respekt und Pietät, während für den Dadaismus sie als eine Kreatur der verachtungswürdigen Spezies Mensch niemals bewundernswert vorkommen könnte. Sie sei eine Art Affen Gottes: Indem sie menschliche Schwächen wiedergibt und verankert, macht sie diese noch deutlicher, überführt diese in noch weitaus höhere Dimensionen. Was an und im Menschen bereits unsympathisch war, wird in der Maschine zum Ausdruck menschlicher Unvollkommenheit, Verdorbenheit, Unzulänglichkeit.
Zwar kommen auch im Dadaismus gewisse Zweifel am Fortkommen der Industrialisierung und der Mechanisierung zum Vorschein, doch wählt der Dadaismus keine bestimmte Behandlungslinie für die Maschine, denn anders als der Futurismus weiss sie keinen Ausweg, keine passende Antwort auf die Herausforderung seitens der sich erhebenden Machinisierung. Dadaismus will diese Antwort auch nicht wissen. Er verzichtet auf die belehrende Haltung bzw. will sich nicht als der Retter der Menschheit postulieren und positionieren, denn die Menschheit kommt ihm nicht als rettungswürdig vor. In dieser Haltung des Dadaismus muss man aber nicht unbedingt die Misanthropie erblicken- obwohl der Hass der Dadaisten gegen die sogenannte „Bourgeoisie“, ihre sog. „Abscheu gegen bürgerliche Konventionen“ nichts weiter als der Hass auf den gewöhnlichen Menschen ist - sondern eher Gleichgültigkeit eines übermüdeten Soldaten, welcher seinen Dienst nunmehr in der kitschigen Auseinandersetzung mit der sog. Realität sieht als in dem Versuch, seinem König einen schönen Dienst zu erweisen.
Demgegenüber glaubt der Futurismus auf die Herausforderung seitens der Maschine eine Antwort parat zu haben: Eher die Maschine, kraft ihrer Perfektion, eine absolute Macht über seinen Schöpfer erreicht, muss sich der Mensch selbst mechanisieren und robotisieren. Denn als solcher wird er seiner gefährlichen Schöpfung zuvorkommen können. Aus der Nietzsches These „Auch der Gott hatte seine Schwäche: dies war seine Liebe zu dem Menschen“ entwickelt Marinetti eine Verhaltungslinie für den Maschinengott Mensch: sich zunehmend eigener Schöpfung zu ähneln. Denn der Mensch darf keinesfalls irgendwelche Schwächen gegenüber seinen Kreaturen zeigen, sonst endet er wie sein eigener Schöpfer- in der Gottes-, sprich Menschendämmerung. Und so was darf nicht geschehen.
Insoweit kommt der Futurismus interessanterweise menschlicher, humaner vor als der Dadaismus. Und nicht nur in Bezug auf den Menschen, für welchen es nun doch eine Hoffnung gibt, sondern auch bezüglich der Maschine. Sein Schöpfer soll nicht auf die extremen Mitteln der Vernichtung des Erschaffenen zugreifen - wie dies der biblische Gott mit seinen Kreaturen einst anstellte, was viele Technisierungsgegner damals wie heute vorschlugen - sondern, im Gegenteil, den Maschinen möglichst grosse Freiheiten einräumen und sich selbst im Wege der Technisierung evolutionieren lassen. Menschlich war an seinem Konzept die Humanisierung, Bestattung der Maschine mit menschlichen Zügen und Fähigkeiten.
Die Methoden, mit welchen Marinetti sein Ziel erreichen will, sind aber alles Andere als menschlich. Der Mensch muss sich auf den pulsierenden Rhythmus der Grossstädte einstellen, mit ihm verschmelzen, sich in ihm auflösen. Er soll lernen, unermüdlich zu sein, niemals schlafen wollen, immer kreativ zu sein. Die Nacht lang durchzufeiern soll für ihn zu einer Gewohnheit werden. Er soll auf den Verzehr verzichten können. Jedes seiner Körperorgane muss zu einem ausdauerfähigen ersetzbaren Detail werden. Somit nimmt der Futurismus dem Menschen einerseits die Angst vor seiner Schöpfung, zwingt ihm aber andererseits die Furcht vor sich selbst und dem unvermeidbaren Werdegang auf dem Wege zum Übermenschentum auf.
„Von der Technikbegeisterung der Futuristen für die moderne Kriegsmaschinerie haben die Dadaisten sich angewidert abgewandt.“ (Elger/Grosenick, S. 12).
und: „Der futuristische Einfluss wurde von Dada modifiziert. Während die Futuristen aufgrund ihrer Technikfaszination die utopische Vision vom „utopischen Menschen mit Ersatzteilen“- stählern, verfügbar und befreit von den Bedrohungen des organisch verfallenden Lebens – hegten, war diese Vorstellung für die Dadaisten ein kultureller Schock, den sie vor allem nach dem Krieg in ihren Krüppeldarstellungen zum Ausdruck brachten. Schon in der Silvesternacht 1915/16 demonstrierte HugoBall mit der deutschen Übersetzerin futuristischer Dichtung Else Hadwiger in Berlin gegen den Krieg. Auf ihrem Balkon riefen sie in die „schweigende Nacht der Sroßstadtbalkone und und Telegraphenleitungen“von Berlin: „A bas la guerre“. Dies war für die Futuristen eine undenkbare Haltung, denn sie sahen stets im Einklang mit der dynamischen Entwicklung der Technik und deren Auswirkungen. Konsequenterweise stellte der Krieg für sie den Höhepunkt jeder Aktionsform dar – ein futuristisches Gesamtkunstwerk!“ (Begius, S.127)
Das trifft, wie die unten angegebenen Beispiele zeigen, nur für einen Teil der Dadaisten, z.B. für Hugo Ball. Und selbst für sie ist die Hypothese nur bedingt gültig. Denn die Dadaisten mögen die Widersprüche und widersprechen ihren eigenen Aussagen.
Maschine und Mechanik bei Hausmann: „Aber die elementaren Kräfte dieser dieser jeder spezialwissenschaftlichen Denkweise entrückten Lebensvorgänge kann der Mensch nicht bewältigen in der Hypothek der klassischen Mechanik oder der Relativitätstheorie - es fehlt ihm eine schöpferische Anschauung der tiefen Bezüglichkeiten“. (Hausmann,, zit. bei Bergius, S. 129). Alles, was sich erhofft, ausgehend von den vertrauten Gesetzmässigkeiten der Natur, der Physik und der Mechanik der Entzifferung der vitalistischen Prozeße gerecht zu werden, und sei es auch die Kunst - kann dies nicht schaffen. Für Hausmann könnte zu diesen „nicht fähigen“ Versuchen auch der Futurismus zählen, wenn dieser sich viel zu sehr des „Mechanischen“ bedient, anstatt auf die tiefere Betrachtung des Schöpferischen zurückzugreifen.
Auch wenn man in dem Hausmann'schen „Tatlin at Home“ zum Teil die Einflüsse des zeitweiligen Mitstreiters der Futuristen, den de Chirico, und zwar seiner „Pittura Metaphisica“ sieht, so ist das für den Futurismus typische Stellen der Maschine in den Mittelpunkt der Betrachtung hier nicht zu übersehen. Wer weiß, vielleicht hat Hausmann hier Marinettis zukünftiges Manifest „Auch wir Menschen, auch wir sind mechanisiert“ vorweggenommen und beeinflußt? Wie dem auch sei: der Dargestellte - „Tatlin - war /für die Dadaisten/ der Erfinder der Maschinen- Kunst. Dies beweist das Bild mit den mechanischen Elementen, die den Kopf der Person ausmachen, oder die sich in anderen Bildern in der Collage befindenden Elementen“ (Lemoine, S.37). „Es lebe die Maschinen – Kunst Tatlins“ als Motto ganzer Dada – Ausstellung spricht klare Worte der Maschinen – Begeisterung.
Maschine bei Heartfield „Heartfields Monteuranzug verhalf ihm zu seinem Dada- Titel. Er signalisierte das Bemühen des Künstlers, seine Werke mit der Maschinen-, Stadt- und Arbeitswelt zu verbinden“ (Bergius, S. 186). Auch hier – wenn auch unterschwellig – kommt eine eher Positive Wertung der Maschine zum Vorschein.
Maschine und Mechanik bei Mehring Auf das Zusammenspiel, des Absurden und des Mechanischen kommt, nach Didier Plassard, der Wert des Bühnenstückes von Mehring', „Einfach klassisch! Eine Orestie mit glücklichem Ausgang“, für welches Heartfield und Grosz die Marionetten ausfertigten. Die Tücken weiterer Mechanismen wie stehen den Protagonisten im Wege(ein riesiges WC, eine „Kuckuck“ schreiende Schießscheibentür, ein Grammophon als griechischer Chorersatz. (Bergius, S. 210). Hier kann man eher die negative Wertung der „Maschinerie“ erblicken.
Maschine bei Duchamp und Picabia „Auch die Dadaisten hatten großes Interesse an den metaphorischen Möglichkeiten gezeigt, die die Maschine bot. Aber während die futuristische Kunst den mechanischen Dynamismus naiv verherrlichte, behandelten Duchamp und Picabia die Maschine mit Mißtrauen und bitterer Ironie. Sie benutzten die Analogie Mensch-Maschine, um das Leben seines geistigen Inhalts zu berauben“ (Short, S.27).
Duchamps und Picabias Maschinen – Metaphern enthalten eine Tendenz zur Passivität und Resignation, so Short (S. 69)– das macht einen deutlichen Kontrast zu den lebenserfüllten und zweckvollen futuristischen Maschinen. In den Worten Anna Balakians sei nach dadaistischem Verständnis „die Sprache selbst in ihrer Struktur und und ihrem Inhalt irrational und bietet sich als Symptom des erniedrigten Zustandes des Menschen dar,der ein bloßer, seiner Freiheit beraubter Automat in einer auf Automatisierung reduzierten Welt ist“ (zit. bei Short, S.69).
Dem widerspricht aber Schuldt: „Wenn manche Interpreten in diesen Arbeiten ein Urteil Picabias
sahen, eine vernichtende Demaskierung der Liebe als einer rein mechanischen, zwangsläufigen, kalten und gefühllosen Verrichtung, so geben sie damit nur zu erkennen, dass sie sich von den alten, repressiven Bewertung der Maschine nicht lösen können, und dass sie außerdem das mimetische Verhältnis von Bild und Beschriftung bei Picabia auf den Kopf gestellt haben: ihnen wird nicht das Bild zum „Aussehen des Titels“, sondern die Beschriftung zu dem Wortlaut des Bildes“. (In: Heinz, S. XXI – XXII).
Seine Maschinen sind nicht „skuril, grotesk, übermenschlich“ - , sondern „.ohne das „übertrieben Menschliche...“„...als Maschine abgebildet, mit den ihr zugehörigen oder entlehnten ästhetischen Mitteln <...> Seine Maschinen sind nicht komisch. Er verzieht nicht das Gesicht... er schneidet keine Grimassen“ (Schuldt, XXIII, a.a.O.).
Maschine bei Schwitters „Das Metzbild 29A... Darstellung einer monumentalen Indistriehalle, in der riesige Zahnräder und Scheiben die Maschinen antreiben. Die gevierteilte rechteckige Form, oben in der Mitte der Darstellung, wirkt hier wie ein Gebäudefenster, durch das die Proportionen der riesigen Maschinen anschaulich werden. Von der Technikbegeisterung der italienischen Futuristen ist allerdings nichts zu verspüren. Schwitters' Maschinenpark wirkt eher veraltet, teilweise defekt und scheint sich in einem produktiven Leerlauf zu bewegen. Es ist seine ironische Antwort auf die aktuelle Zeitstimmung, deren Begeisterung für die moderne Technik in einem krassen Widerspruch zum herrschenden politischen Chaos steht“ (Elger/Grosenick, S.64).
Maschine bei Ball: In der folgenden Passage ist die Einstellung Ball zu der Maschine zwar ambivalent und ist beileibe nicht eindeutig negativ, neigt aber eher doch zur negativen Sicht der Dinge:
„Auch Johannes V. Jensen („Die neue Welt“) rief damals laut genug:
„<...> Lasset uns Hymnen singen auf diese Zeit (der Maschine), die in jeder Beziehung zu bejahen ist. Versuchen wir, ihr spezifisches Pathos zu entfesseln. -- Technik gegen Mythus18 hieß hier die Lösung,schroff und drohend. Als Wechselbegriff bot sich dar: eine antikisch gesehene Wiedergeburt der Einzelphysis: Sport, Jagd, Bewegung. Der Zwiespalt zwischen Technik und Mythus, zwischen Maschine und Religion, ist resolut zu beseitigen zugunsten der patentierten Errungenschaften“ (Ball, „Flucht...“, S. 11-12).
Neun Zeilen weiter ist Ball in seiner Auseinandersetzung mit der Technik noch kritischer: hier spricht in ihm ein Expressionist im Geiste Marc's und ein späterer Kulturpessimist katholischer Prägung:
„Die moderne Nekrophilie. Der Glaube an die Materie ist ein Glaube an den Tod. Der Triumph dieser Art Religion ist eine entsetzliche Abirrung. Die Maschine verleiht der toten Materie eine Art Scheinleben. Sie bewegt die Materie. Sie ist ein Gespenst.. Sie verbindet Materien untereinander und zeigt dabei eine gewisse Vernunft. Also ist sie der systematisch arbeitende Tod, der das Leben vortäuscht. Sie lügt noch flagranter als jede Zeitung, die von ihr gedrückt wird. Außerdem vernichtet sie in ununterbrochen unterbewußter Einwirkung den menschlichen Rhythmus. Wer es an einer solchen Maschine ein Leben lang aushält, muss ein Heroe sein oder zerbrochen werden. Von solchen Wesen ist keine spontane Regung mehr zu erwarten. Ein Gang durch das Zuchthaus kann nicht so furchtbar sein wie ein Gang durch den lärmenden Saal einer neuzeitlichen Offizin. Die tierischen Geräusche, die stinkenden Flüssigkeiten“.
Für Ball haucht die Bewegung kein Leben in die unlebendige Materie, geschweige denn, veredele diese. Im Gegenteil: Die ohnehin unangemehme Materie erscheint dem Pessimisten Ball noch unannehmbarer durch diesen mißlungenen Versuch, sie zum Leben zu rufen. Maschine ist noch toter als eine in sich rührende unbewegliche Materie. Faszinierten die Futuristen die durch die Maschine beschleunigten Rhythmen, so erschreckt den Dadaisten Ball genau diese Eingenschaft der Maschinenwelt.
„Der Tod ist der Ruhezustand des Lebens, nicht dessen Abwesenheit. Das „Nichts“ gibt es nicht. Der Tod ist dem Kreis ähnlich: ihm fehlen lediglich der Anfang und das Ende, der Rest ist vorhanden. Die Triebfeder ist eingeschlossen und bewegt sich nicht, doch die Kraft in ihr ist nicht abwesend, sondern ruht sich. Die Kraft liegt und besteht in der Ruhe, in der Möglichkeit der Sich – Entfaltung, in der Potenz- eine potenzielle, schlafende Kraft.
Öffne nur das Schloss und sieh da: die Triebfeder springt wie ein aufgewecktes Tier auf;Tatendrang erfüllte, wachende Kraft, Energie kommt zutage.
. Je tiefer der Schlaf des Lebens, desto symmetrischer ist dieses. In der schlafenden Natur schläft am tiefsten ein Stein. Dem Steine innewohnt auch die allergrößte Festigkeit; Streben zur Einheitlichkeit, die Anziehung innerer Elemente zueinander und ihre gegenseitige Affinität sind im Steine besonders ausgeprägt“. So schrieb Nikolaj Kulbin, Der Arzt des Generalstabes der Russischen Armee, ein Maler und und Kunsttheoretiker, Busenfreund mehrerer Futuristen in seinem Buch „Studie der Impressionisten“, Sankt – Petersburg, 1910, im Aufsatz : „Zur Harmonie und zur Dissonans (Vom Tod, Leben und Sonstigem)“, S. 15-16).
Versucht man die Logik der Ball' schen Abneigung aus diesen Worten abzuleiten (unabhängig davon, ob Ball dieses Buch vertraut war)19 so kann man Folgendes vermuten: Das Leben gerät für Ball im Falle einer Maschine aus den Fugen: Die Symmetrie bleibt, solange es sich dabei um kein organisches Leben handelt. Doch ganz ohne Leben ist die Maschine nicht. Eine unbekannte Form davon, von noch größerer Symmetrie erfüllt, ist hier am Werk. Die Maschine kommt Ball noch toter vor, weil sie von einer noch größeren Symmetrie zeugt: diese äußert sich nunmehr auch in der Bewegung (denn die Bewegungen der Maschine, anders als diejenigen eines Lebewesens, sind ganz präzise und folglich perfekt symmetrisch) und nicht nur in der -(grundsätzlich anorganischen) chemischen Form. Auf das Aufkommen der bis dahin geschlafenen Kraft, welche sich nun in der Maschine entfaltet, ist Ball allem Anschein nach nicht vorbereitet. Es ist keine „élan vital“„
Maschine bei Johannes Theodor Baader roi rouge: (der rote König),ein Werk des Johannes Theodor Baader wird wie folgt beschrieben:...eine Maschinenkonstruktion“, „Entwurf für eine technische Apparatur“ - mit „zahlreichen Schrauben“, „von einem Schwungrad im Bildzentrum wird die Energie mithilfe einer Stange auf ein weiteres Rad übertragen“ Elger/Grosick, S. 76). Bruchteile futuristischer Ideen sind in der Beschreibung zu erkennen.
Otto Gross: Auch der zeitweilige Mitstreiter der Dadaisten, der Psychoanalytiker Otto Gross, wendete sich „gegen die entsetzliche Gewalt des Maschinellen“ (Bergius,S. 75)
Es wird in der Literatur (wie schon oben gezeigt) oft erwähnt, dass für die Dadaisten – z.B. Ernst, Picabia, Duchamp- die menschliche Liebe, die erhabenen Gefühle als groteske Maschinen erscheinen. Stimmt das aber? Schuldt z.B. Ist vom Gegenteiligen überzeugt: „Picabia bejaht die anonymen vorgegebenen Formen des Mechanischen, unterscheidet sie ausdrücklich von seiner bisherigen Arbeit mit selbstgeschaffenen Formen. Die Maschine verkörpert ihm den Geist einer neuen Zeit; mehr als ein bloßes Anhängsel, ist sie für ihn ein nicht mehr herauslösbarer Bestandteil des Lebens, „vielleicht die Seele überhaupt““ S. XXI in: Heinz).
Mal angenommen, die Dadaisten wie Picabia, Duchamp, Ernst etc. würden die menschliche Seele vermittels dessen Überführung in eine maschinelle Form auslachen wollen: Dieses Vorhaben wird als eine Neuerung gegenüber dem Futurismus angesehen. Denn letzterer sei so von der Automatik und der Maschine angetan, dass er diese nie in einer herabsetzenden Weise darstellen würde. Die Analyse der futuristischen Manifesten läßt auch andere Deutungsmöglichkeiten zu:
„Das Varieté verachtet systematisch die ideale Liebe und ihre Romantik, indem es bis zum Überdruß, mit der Monotonie und der Automatik der täglichen Routine, die sehnsüchtigen Schwärmereien der Leidenschaft wiederholt. Es mechanisiert das Gefühl auf eigenartige Weise, verachtet die Zwangsvorstellung des fleischlichen Besitzes und gibt ihr einen hygienischen Fusstritt, erniedrigt die Wollust zur natürlichen Funktion des Koitus, beraubt sie jeden Geheimnisses, jeder deprimierenden Angst und jedes anti – hygienischen Idealismus“ (bei Schmidt-Bergmann, S. 223).
Der langweilige Alltag wird der Automatik gleichgesetzt. Für den Futurismus gab es also die „Automatik“ als der sich immer wiederholende Prozeß schon seit eh und je. Es gilt also, führt man den Gedanken Marinnettis konsequent aus, die bisher im Menschenleben noch nie vorhandene Automatik einzuführen, sondern diese eintönige Automatik der faden und farblosen Abläufe des menschlichen Alltags durch eine höhere Automatik zu ersetzen. Es ist nicht so, dass der Mensch mit seinen sich stets wiederholenden psychophysiologischen Prozessen bis dato kein Automat gewesen war – es ist vielmehr so, dass es für diesen alten Automatentypus keinen Platz mehr in der neuen Welt gibt. Die (alten) Automatismen und die Automatik sind nicht zu besingen. Also widerspricht die dadaistische Sichtweise des Menschen als eines „Cyborgen“ und das Verlachen eines solchen keineswegs der futuristischen Sicht der Dinge. Der Mensch ist schon immer eine Frankenstein'sche Kreatur gewesen, wie der Hausmanns „mechanische Kopf“. . Es heißt, die alten Automaten in einen höheren, erhabeneren Entwicklungszustand zu überführen: nicht den Menschen zu einem Automaten verkommen zu lassen, sondern den bereits bestehenden so minderwertigen Automaten „Mensch“ auf eine höhere Stufe der Automatenevolution zu bringen!
Marinetti hat die Wichtigkeit der Selbstwidersprüche hervorgehoben. Es ist nicht bekannt, ob er seinen Vergleich des Routinealltags mit der Automatik auch weiter für angesagt hielt. Die Frage danach, ob bereits im Futurismus die Idee des Menschen als eines Automaten und des Menschenlebens als der Maschinerie ausreichend ausformuliert worden war, oder diese erst im Dadaismus gedeiht hätte und ausreifte, bleibt offen. Auch fehlen meines Wissens die eindeutigen Aussagen seitens Picabia, ob er die Liebe mithilfe seiner Bilder „demaskieren“ wollte. Seine Beschreibung der Maschine als „vielleicht der Seele überhaupt“ erlaubt vielfältige Interpretationen. Seine Äußerung könnte im Geiste derer stehen, die letztendlich die Maschine in die Welt der Kunst hineinließen, seien es die Futuristen, Konstruktivisten oder einige der Expressionisten; sie könnte die Skepsis eines Dadaisten verdeutlichen gegenüber seinen Zeitgenossen oder dem Menschen per se , wie das im Falle des „Mechanischen Kopfes“ Hausmanns geschah; es könnte sich um eine Abwandlung des futuristischen Themas handeln: sich dem Thema des Automaten, der Maschine zu widmen, und dabei gewisser Begeisterung für die Maschine zu verfallen, ohne das Bild durch die Komponenten des Dynamismus und Simultanismus, wie die futuristischen Kollegen, zu bereichern; Picabia könnte unter dem Einfluss der metaphysischen Malerei De Chiricos gestanden haben, und seine auf die Menschen und die Darstellung derer komplizierter seelischer Abläufe gerichtete Gemälde könnten dann als eine Vorstufe des Surrealismus angesehen werden.
Es müßte sich sowieso nicht um die gleichen Einstellungen handeln, wenn z.B. ein französischer und ein deutscher Dadaist sich des Automaten- bzw. Maschinenthemas bedient. Für Picabia und Duchamp. könnte der maschinisierte Mensch eine andere Bedeutung haben als für Hausmann, Grosz und Ernst: Die in der Tradition des Pointillismus und Impressionismus herangewachsenen Franzosen konnten der Maschine in deren Relationen zu dem Menschen eine andere Relation beimessen als die Deutschen, für welche der Fortschritt und der Tumult der Grossstadt als Inbegriff der Großstadt und der Industrialisierung dank ihrer expressionistischen Einflüsse eher negativ beladen war.
Auch innerhalb desselben Landes könnten es Unterschiede innerhalb einer künstlerischen Richtung gegeben haben. Von Duchamp wissen wir, er habe die Wahl seiner Maschinenobjekte (auch der „Ready – Mades“ )getroffen gerade wegen ihrer „jenseits des Geschmacks“- Stellung: sein Ziel war, „„Schwelgen im Geschmack“ zu vermeiden. Eine mechanische Zeichnung, sagt er, enthält keinen Geschmack“. Das Unpersönliche, Anonyme, Kalte der mechanischen Formen und der Gegenstände der mechanischen Formen hat er ausdrücklich hervorgehoben. Er spricht von einem „Präzisionsgemälde, das mit der Schönjeit des Gleichgültigen begabt ist ““ (Schuldt, S. XIX).
Bei Picabia hätte eine Begeisterung für die neue, für ihn bisher in dem Ausmaß unbekannte von extremer Technikherrschaft dominierte Lebensart der Amerikaner die Rolle gespielt haben. Weniger also die Flucht von den möglichen Geschmacksurteilen, als bei seinem Landsmann Duchamp, und schon gar nicht das Misstrauen dem Technisch – Automatischen wie bei den deutschen Dadaisten.
Auch innerhalb des deutschen Dadaismus sind verschiedenartige der Zuwendung zu der Technik, Mensch – Maschine und dem Automaten zugrundeliegende Prämissen zu vermuten. Während dem Hausmann – und daran läßt es sich nicht zweifeln – es darauf ankam, die Schwächen, Die Widersprüche und die Sünden des modernen Menschen – kurzum, die Unzulänglichkeiten seiner Zeitgenossen anzuprangern (zumindest seine im Nachhinein erstellte Beschreibung des künstlerischen Intentionen in Bezug auf den „Maschinenkopf“ lässt sich so zusammenfassen), so ist eine solche Stellung bei Grosz weniger annehmbar. Denn als allzu selbstkritisch ist uns Grosz nicht bekannt – und auf seinem „Maud“ - Bild ist er selbst als eine Maschine dargestellt. Es ist natürlich nicht unmöglich, dass er sein „tierisches“ Verhalten seiner Frau gegenüber auf diese Weise eingestand, doch die Art der Darstellung spricht eher für Short' Erklärung, dass wir hier die Kunstmetaphysik De Chiricos haben: diese These stützt auch die „chiricoeske“ Landschaftsarchitektur im Hintergrund. Und die „Maschinenbilder“ Ernsts lassen sich am besten nachvollziehen, wenn wir uns dessen entsinnen, dass er bereits in seiner Dada – Phase den Weg zu dem Surrealismus einschlug.
Eines ist sicher: sowohl die deutschen als auch die französischen Dada – Künstler kannten die Maschinenbilder der Futuristen und diesen zugrunde liegenden Konzepte. Wie bewusst und wie intensiv, inwieweit überhaupt dann die vom Impressionismus, Pointillismus, Orphismus und Expressionismus beeinflussten Künstler sich mit ihren Futurismus - Kenntnissen auseinandersetzten, ist eine andere Frage.
Kontakte zwischen den Futuristen und den Dadaisten
„1913. Berlin. Ausgestellt wurden unter anderem Werke von. Den Futuristen. Marinetti hält während der Ausstellung zwei Vorträge“ (Rubin, S. 160). .
„Die Roboter des Dadaismus, die Maschinenästhetik der Konstruktivisten und besonders die Dynamik der Futuristen wurden von Belling mit seinem Grundthema der Raumplastik verschmolzen“ (Eltz 33)
Ausstellungen.
Zu den Kontakten zwischen den späteren Dadaisten Arp, Schwitters, Tzara und den Futuristen Boccioni, Marinetti sowie zu den anderen namhaften Vertretern deutscher (Döblin, Kandinsky, Kokoschka, Benn, Marc, Stramm, Strindberg, Worringer, Pechstein) und französischer Kunstszene (Delaunay, Léger, Apollinaire) kam es spätestens bereits 1910: Alle diese Künstler und Schriftsteller– in vierzehn Jahrgängen- waren ständige Mitarbeiter der Avantgarde – Zeitschrift „Der Sturm“.. (Eimert, S. 91).
Ein weiterer Anlass für die Begegnung Arps mit seinen futuristischen Kollegen sollte der von Walden, Macke und Marc organisierte „1. Deutsche Kunstsalon“ gewesen sein, wo er unter anderem sowohl mit den späteren Dadaisten Ernst und Picabia20 als auch mit den italienischen Futuristen und mit dem russischen Futuristen Larionoff ausgestellt hatte. (Eimert, S.94).
2.Sturm – Ausstellung 1912: zeigte 10 Bilder Boccionis, 10 Carrás, 6 Russolos, 8 Severinis. Ab 12. Apr.1912. Berlin
Wanderausstellung futuristicher Werke wurde in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Wiesbaden, Dresden, Köln, Leipzig; Rotterdam, Paris, Lodon, Brüssel, Amsterdam, La Haye und Budapest gezeigt. Hatten die späteren deutschen Dadaisten davor keine Möglichkeit gehabt, nach Berlin zu kommen und dort die Werke der Futuristen bestaunen, so konnten sie ihre Kenntnislücke nun in einer der 7 weiterer Städte Deutschlands auffüllen.
An dieser Ausstellung nahmen 366 Werke und 80 Künstler aus USA, Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, der Schweiz und Spanien teil. Von den Futuristen waren u.a. Carrà, Boccioni, Severini, Russolo, und russischer Futurist Burljuk präsentiert (Eimert, S.107).
Weitere Kontakte bestanden 1918 bei der Gründung der „Novembergruppe“: diesem sich aus den Vertreten verschiedener Kunstrichtungen (u.a. „Bauhaus“, „Dresdner Sezession“, „Gruppe 1919“, „Das Junge Rheinland“ aus Karlsruhe, „Hallische Künstlergruppe“, Magdeburger „Die Kugel“, Gruppe „Rih“ aus Düsseldorf, Expressionismus, „Del Stijl“, etc.) (Eltz, S.120) zusammengesetzten „Rat geistiger Arbeiter“, dessen Wille zur Beseitigung des Alten futuristisch anmutete und u.a. auch mit den Futurismus -beeinflußten „Sturm“ - Künstlern Johannes Molzahn, Walter Dexel, Fritz Stuckenberg, Oskar Fischer und Hans Brass besetzt war, gehörte der Futurist Enrico Prampolini und die Dadaisten Hannah Höch, Hans Richter, George Grosz und Hans Arp an ((Eimert, S. 287).
Die Parallelen zwischen dem italienischen Futurismus vor dem Ersten Weltkrieg und der „Novembergruppe“ sind unübersehbar. Mit ihrer Gründung sollten sich neue, schöpferische Kräfte zusammenschliessen, in in dieser Gemeinsamkeit einen maßgebenden Einfluß auf die Entscheidung aller künstlerischen Fragen in dem neu sich formierenden Deutschland zu erlangen. Ebenso wie die Futuristen waren sie keine Gruppe einer künstlerisch und stilistisch einheitlichen Form, und sie beschränkten ihr Programm nicht auf eine bestimmte Kunstgattung. In der spezifischen politischen Situation und aus ihren Erlebnissen heraus konnten und wollten sie die Kunst nicht mehr als eine Privatangelegenheit des Künstlers oder einer kleinen geistigen Elite betrachten. Vielmehr wurde ihnen Öffentlichkeit zum Anliegen der Kunst. Eben dieses gemeinsame Anliegen machte den Zusammenschluss so verschieden ausgerichteter Künstler möglich. Die Charakterisierung der Anfänge des Futurismus durch Carla Pellegrini könnte ebenso für die ursprüngliche „Novembergruppe“ gelten:
„... Die Gruppe selbst umfasste Pazifisten, ... Idealisten ... und Anarchisten. Sie alle hatten sich um das Banner des Futurismus in der Überzeugung geschart, dass Handeln wichtiger sei als Theorie, daß die Kulturein politisches Kampfinstrument sei und daß durch ihre Veranstaltungen das Publikum seine eigene Identität und Kreativität finde“.
Die angestrebte enge Verbindung von Kunst und Volk brachte, wie beim Futurismus, ein zunehmendes Heranziehen anderer kultureller Bereiche mit. Das Zusammenwirken von Musik, Literatur, Theater, bildenden wie dekorativen Künsten und vor allem auch des neuen Mediums Film sollte die umfassende Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit allen neuen kulturellen Entwicklungen ermöglichen. Die Publikumsprovokation der futuristischen „serate“ wurde hingegen mehr von den Dadaisten übernommen: in ihren „soirées“. Die Abende der „Novembergruppe“ waren eher kunstpädagogisch motiviert; das Publikum sollte nicht zur neuen Ekenntnis geschockt, sodern belehrt und überzeugt werden. Diese neue Tendenz kommt auch in den Bildbeschreibungen der Ausstellungskataloge zum Vorschein.
Das Bestreben der „Novembergruppe“, Mittler zwischen Kunst und Öffentlichkeit zu sein, ließ sie gleich den Futuristen zum Plakat, zum Flugblatt und zu anderen propagandistischen Mitteln greifen. Ebenso wie der Futurismus versuchte die „Novembergruppe“ und andere fortschrittliche deutsche Künstlervereinigungen nach dem Ersten Weltkrieg, die Gesellschaft mit ihrer Kunst zu beeinflußen und in Richtung ihrer künstlerisch - politischen Vorstellungen zu verändern.
Ganz anders als bei den Futuristen waren diese Vorstellungen allerdings maßgeblich von humanitären und sozialen Idealen, von von dem Wunsch nach einer besseren Welt geprägt. Dieser hohe ethische Anspruch hatte eine politische Implikation, die einen weiteren wesentlichen Unterschied zum Futurismus deutlich macht. Viele Mitglieder der „Novembergruppe“ gerieten in ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach konkreter politischer Veränderung und der Furcht vor Kompromittierung und Korrumpierung ihrer menschlichen und künstlerischen Ideale im politischen Alltag.
Ebenso wie beim Futurismus vor 1918 waren die Vorstellungen nicht nur sehr unterschiedlich – Einigkeit bestand vor allem darin, was man bekämpfen und abschaffen wollte, nicht aber in spezifischen Qualitäten der neu zu schaffenden Gesellschaft -, sondern auch von utopischen Ideen geprägt. „Hier werden die allgemeine unpolitische Grundhaltung und jener ausder Hochstimmung der Revolutionszeit geborene Glaube sichtbar, die eine Veränderung des ganzen Staates und der Gesellschaft durch die Kunst allein für möglich halten“ /Nerdinger, „Rudolf Belling“/. Doch rascher als die Futuristen, die sich ja nur zögernd21 auf künstlerische und kulturelle Ziele beschränkten, erfolgt in der „Novembergruppe“ die Ernüchterung ihrer gesellschaftspolitischen Utopien. Die beste Überzeugung, die die noch 1918 als durch gemeinsamen revolutionären Elan verbundene Avantgarde hatte erklären - Kunst und Leben sei untrennbar -, konnte sich in der neuen politischen Realität nicht durchsetzen. Bereits 1919 erfolgte ein Abrücken vom radikalen Programm; die Gruppe verstand sich nun als Vereinigung, die lediglich radikale politische Ziele zu verfolgen habe, die Verwirklichung des politischen Programms wurde aber- wieder – jedem selbst überlassen. Die Konsolidierung der neuen Republik führte zwangsläufig zu einer Differenzierung dieser Bewegung in verschiedene parteipolitische Positionen oder aber auch zu einer erneuten Abkehr von jeglicher politischer Betätigung“ (Eltz, S. 124- 126).
Hausmann und Höch suchten internationalen Anschluß an revoltierende Künstlergruppen, z.B. Futuristen in Rom. Aufgrund dieser Verbindungen lernte Hannah Höch 1920 Enrico Prampolini.
Aus dem „Programm und Einladung zum Vortragsabend am Freitag, den 12. April 1918, abends 81/2“ geht hervor, dass dort nebst „DerDadaismus im Leben und in der Kunst“, den „Sincopations, eigene Verse“ und Raoul Hausmanns „Das neue Material in der Malerei“ auch „Futuristische und dadaistische Verse“ von Else Hadwiger vorgetragen werden mussten, und zwar:
von F.T. Marinetti: „Verwundetentransport“, „Beschiessung“ - beides aus „Zang Tumb Tumb“; von Paolo Buzzi, aus dem Zyklus „Berlin“- „Brandenburger Tor“, „Die Wache zieht auf“ und „Wertheim“; von Libero Altomare - „Die Häuser sprechen“; von Luciano Foglore - „Der Mensch“; von Corrado Govini - „Seele; und von Aldo Palazzeschi - „Lasst mir den Spass“. Dadaistische Verse wurden mit einem einzigen Gedicht eines einzigen dadaistischen Autors vertreten – nämlich mit Tristan Tzaras „Retraite“ (Programm abgebildet bei Bergius, S.31).
Auch für einen (leider nicht stattgefundenen) Dada-Abend im Mai 1918 u.a. „wurden angekündigt ein simultanistisches Gedicht (6 Mitwirkende) u. Bruitistische Musik (Bergius, S.31).
„Die Exzentrik des ersten Vortragabends schlug auch innerhalb der Dadaistengruppe weitere Wellen. Dada entzündete die Künslter zu enthemmenden „Apachetänzen in Futuristenkellern“, von denen Grosz in seinem Brief an Otto Schmalhausen vom 29.4.18 begeistert erzählte“: „da kann man das Gruseln lernen“. Grosz, Baader, Huelsenbeck, Hausmann, Alberts (der noch einmal auf der „Ersten Internationalen Dada-Messe“ als Photograph auftauchte), Musikdada Preiss, Succi (die Freundin von Grosz), der Galerist I.B. Neumann und der Künstler Nerlinger, der von der Zeit von Grosz künstlerisch beeinflußt war, nahmen an diesen Abenden Ende April des Jahres 1918 teilund verschworen sich zu einer „Hexentanzplatz A.G., Gesellschaft zur Abhaltung schwarzer Messen“. Nach Alexanders Ragtime Band wurde heftig und ausgelassen getanzt. „Turbulente Querschnitte durch Aprilnachts“ - so charakterisierte Grosz dieses Erlebnisspektrum, das viel zur Dynamisierung der Dada-Gruppe beitrug“ (Bergius, S.32-33).
. Wie sehen also, das – zumindest zu dem Zeitpunkt- Futurismus für die Berliner Dada-Szene 1918 so in Ehren gehalten wurde, dass seinetwegen und auf seinen Namen auch die abendlichen Veranstaltungen der Berliner Boheme jener Periode getauft wurden.
Futurismus beeinflußte auch weitere prädadaistische Soirees: „Zu einer Kulmination von frühexpressionistischen, futuristischen und prädadaistischen Impulsen kam es auf den drei Vortragsabenden, die Hugo Ball und Richard Huelsenbeck am 12. Februar, am 26. März und am 12. Mai 1915 in Berlin veranstalteten“ (Bergius, S. 56).
Christian Schad, der „Entdecker“ der Schadographie22, damals noch Dadaist, erinnert sich „Im Sommer 1920 faßte ich während eines Rom – Aufenthalts den Entschluß, nach Neapel zu gehen, wo ich begann, meine neu-sachlichen Bilder zu malen. In Rom traf ich oft mit Julius Evola und Prampolini zusammen. Evola hätte gerne meine Unterstützung für eine von ihm geplante Dada-Ausstellung im Salon Bragaglia gehabt, ich aber war in dieser Zeit gerade so mit meinen neu-sachlichen Bildern beschäftigt, dass ich überhaupt keine Ambitionen auf diese Ausstellung hatte. Ich glaube, dass Evola darüber ziemlich verärgert war, aber meine Entscheidung war getroffen“ (Schad/ Auer, S. 14-15).
Dadaistische Kontakte zu den Futuristen bestand auch in der Veröffentlichung futurismusbezogener Meldungen. So, protestierte Breton'sche Littérature gegen die Verhaftung von Marinetti (Richter, „Art an Anti-Art“, S. 173).
Auch einzelne Dadaisten pflegten Kontakte zu den Futuristen, nicht als Mitglieder der Gruppe, sondern afu eigene Faust: Hausmann, weiß Bergius bescheid, erweiterte und intensivierte Kontakte zu ausländischen Avantgarde 1922,u.a. zu Marinetti nach Rom (Bergius, S.127).
1921 gründete F. Ruggero Vasari eigene Zeitschrift „ Futurismus“ in Berlin. Themenbereiche: Film Skulptur, Architektur, Photographie, Innenarchitektur, Musik, Malerei.
An der „Gr. F. Ausstellung“ im März 22 nahmen teil „bedeutendste f. Künstler“: Boccioni, Depero, Dottori, Governato, Marasco, Pannaggi, Prampolini, Soffici, Paladdini, Balla, Russolo, Carrá, Cuangiullo, Fornari, Marchi, Togo, Tato, Zlatkova, Belling, Mohr, Murayama, Nagano, Vera Steiner, Belzova, Bogouslawskaja, Puni, Zalit und Dzirkal. Die Werke des Dadaisten Iwan Puni waren im 2. Heft zu sehen: („Musikant“), im 5./6. („Lustiger Bruder“) . (Eltz 29-31).
Begriff der Stille im Futurismus und im Dadaismus: Unterschiedliche Behandlung
„... Ihr Wellen!
Zerreißt mit eurem blendenden Gelächter
der Stille Grabgewölbe!“ (Marinetti, „Gegen die Syllogismen“, in: Hadwiger, Else:“Futuristische Dichtungen“, hrsg. von Joan Bleicher, „Vergessene Autoren der Moderne VI“, hrsg. von Franz- Joseph Weberund Karl Riha, Universität- Hochschule Siegen (2. Aufl.). Siegen, 1985, S. 12-13).
Vgl. Arp: „Ich möchte diese Arbeiten Kunst der Stille nennen. Es ist die Kunst, die sich von der äusseren Welt abwendet, um sich der Stille, dem Inneren, dem Wahren zu öffnen“.
Expressionistische Komponente im Dadaismus als Unterschied zum Futurismus
„Bereits im März 1919 hatte sich Max Ernst gemeinsam mit seiner Frau Louise Strauss – Ernst und dem Künstler Willy Fick an einer dadaistischen Störaktion der Aufführung des Stückes „Der junge König“ von Raoul Konen im Kölner Schauspielhaus beteiligt.
Im Mai 1917 veröffentlichte Huelsenbeck in der Zeitschrift „Neue Jugend“ seine Hymne „Der Neue Mensch“. .. formuliert voller Pathos. Von den ironischen Wortspielereien des Züricher Dadaismus ist hier plötzlich nichts mehr zu spüren. Huelsenbeck hatte sich, so gestand er später selber ein, vorübergehend vom Dadaismus losgesagt. Und tatsächlich dauerte es ein ganzes Jahr, bis er mit einem Vortrag, den er am 22. Januar 1918 im Graphischen Kabinett I.B. Neumann hielt, wieder öffentlich für die Bewegung eintrat“ (Elger/Grosenick, S. 14-15).
„Um 1914/15 bildete das Atelier von Ludwig Meidner /1884- 1966/ eine Art Brücke zwischen futuristischem Impuls und expressionistiacher Verarbeitung“ (Bergius, S. 55).
Unterschied: Größere Meinungsdifferenzen und Heterogenität der dadaistischen Bewegung; Die Selbstleugnung Dadas
Ausführliche Darstellung dieses bisher kaum erforschten Problembereiches findet sich im Anhang.
Melancholie in der Ironie als Unterschied zum Futurismus
„Mit dieser Vielschichtigkeit unterschieden sich die Dadaisten deutlich von den Futuristen, die aus ihrem Lachen die Melancholie ausgrenzten, ja diese sogar verboten, um den futuristischen „Herrenmenschen“ optimistisch – effektvoll illuminieren zu können. Während die Futuristen die Zukunft des Menschen in seiner „heroischen“ Anpassung an die Zwänge der modernen Produktion sahen, leisteten die Dadaisten gerade solchen Bedingungen der Verwertung und Normierung vehementen Widerstand. Dada wollte den „europäischen Mischmenschen“ nicht neu konstruieren, sondern ihn entblößen (Bergius, S.20).
Nutzlosigkeit als Unterschied zum Futurismus
„Die Züricher gaben ihrer Abscheu dem politischen Geschehen gegenüber dadurch Ausdruck, dass sie sich jeder eigenen eigenen Stellungsnahme radikal verweigerten und sich auf eine nihilistische Position zurückzogen“ (Elger/Grosenick, S. 17). „Die Maschine (von der Skulptur La Rotative Plaque Verre (Optique de Precision) dient zu nichts; sie bringt nur Kunst hervor, ist eine unnütze Maschine, die gleich dem Licht Raum Modulator von Laszlo Moholy- Nagy, der Strömung der kinetischen Kunst der 50er und 60er Jahre vorausgeht“ (Lemoine, S.52)
Den wahren Geist Dadas strahlen vor allem Max Ernst' collagierten Zeichnungen sinnfreier Konstruktionen ... aus“ ( Elger/Grosenick, S. 24).
Die Dada- Zeitschrift „„Die Schammade“ ... präsentierte auf ihrem Titel eine absurde, dadaistische Maschinenkonstruktion von Max Ernst (Elger/Grosenick, S.23).
Unterschied zum Futurismus in den Anschauungen: Antiurbanismus,
„...Unterkühlte, pessimistisch – melancholische Sicht auf eine untergehende, durch technische Betriebsamkeit turbulent wirkende, simultan in ihren widersprüchlichen Bildern erscheinende Welt teilte Grosz mit den Dadaisten.... „ Bei ihm „erschien die Großstadt als Folie der psychischen Zustände“, in seinen Briefen spricht „Lebensangst, melancholische Ohnmacht und bodenlose Ernüchterung“ (Bergius, S.171).
Kritische Stellung der „Großstadt“ und dem „maschinellen Zeitalter“ gegenüber stellt die großformatige Collage Hannah Höchs „Mit dem Küchenmesser geschnitten“, bestehend aus den „Bildern von Personen, vermengt mit den Photographien von Großstädten, modernen Bauten, Maschinen, über Worte, Buchstaben, Zahlen zerstreut...“ Diese Kritik „steht der Weltanschauung des Expressionismus nahe“ (Lemoine,S. 40).
Was den Gedanken nahelegt, dass der Dadaismus vielleicht doch dem Expressionismus viel näher stand, als bisher angenommen ist und auch als es die Dadaisten selber glauben wollten - und dass diese zum Teil vorhandene geistige Nähe eventuell eine Wesensart ist, die den Dadaismus vom Futurismus, welcher solchen Einflüssen nicht (zumindest in dem Ausmass) ausgesetzt war, unterscheidet.
Stellungnahme zum Krieg
In der kunstwissenschaftlichen Literatur ist die Meinung vertreten, dass die Dadaisten angeblich von Anfang überzeugte Kriegsgegner waren – anders als die Futuristen.
„Anders als der italienische Futurist Umberto Boccioni oder die deutschen Expressionisten Max Beckmann, August Macke oder Erich Heckel sind sie nie der naiven Vorstellung verfallen, den Krieg als ein heroisches Gemeinschaftserlebnis der europäischen Jugend zu verklären“ Elger/Grosenick, S. 8) .
Diese Meinung müßte man wohl revidieren und korrigieren. Es sind keine Zeugnisse der Kriegsbegeisterung der Futuristen nach den persönlich gemachten Erfahrungen mit dem Krieg überliefert worden. Manche Futuristen wurden nüchterner nach dem Kriegsausbruch – die weniger intelligenten zumindest nach dem Eintritt Italiens in den Krieg bzw. nach der Einberufung in die Armee oder nach dem freiwilligen Melden zum Kriegsdienst. Boccioni war nicht der einzige,der im Krieg fiel. Auch eher unwahr wäre die Behauptung, sämtliche Futuristen der 1. Generation wären die eingefleischten Kriegsbewunderer gewesen. Eher im Gegenteil: auch bei ihnen kam nach der anfänglichen kriegsbedingten Hochstimmungswelle die bittere Enttäuschung (war es bei den Dadaisten anders?). So wissen wir z.B. über Carrà: „Von der glühenden patriotischen Kriegsbegeisterung, die noch aus allen Aufsätzen seines Buches Guerrapittura 1915 dem Leser unübersehbar nämlich oft durch Fettdruck hervorgehoben) in die Augen springt, scheinen ein Jahr später kaum noch Spuren vorhanden“. (Bartsch, in: Carrà, S. 41).
Und nicht nur das: „Es dürfte auch zugute kommen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Carrà nicht wie Marinetti, Boccioni, Russolo und Sironi sich freiwillig zum Kriegsdienst meldet. Als er 1917 offiziell eingezogen wird, gerät er, entsetzt über das militärische Leben, prompt in eine Krise, aus der er sich langsam mit seinen „metaphysischen“ Meditationen im Wortsinne „herausarbeiten“ kann“ (Bartsch in: „Carrà“,S. 43-44).
Der einige wahrhafte „Kriegsfan“ – wie sich herausstellte, ein Pantoffelheld, dessen Kriegsfreude kaum über sein vertrautes Heim hinausragte- war F.T. Marinetti, ein älterer Mann, der viele jüngere und viel begabtere Künstler somit in den Tod riß (und selber aus dem Schlamassel heil zu kommen).
Es ist auch unwahr zu behaupten, sämtliche Dadaisten wären von den Tagen des Kriegsausbruches an die waschechten Kriegsverweigerer gewesen. So meldete sich Johannes Theodor Baargeld 1914 als Kriegsfreiwilliger. Es wird darauf hingewiesen, dass er seine Entscheidung bitter bereut hätte (Elger/Grosenick, S. 76) – doch dasselbe läßt sich auch über die Futuristen sagen, welche dem Aufruf des Großmauls Marinetti zum Kriegsdienst gefolgt hatten und sich als Freiwillige für den Krieg meldeten : auch sie bereuten ihre Entscheidung – zumindest diejenigen von denen, die die Kriegshölle überlebten. .
Als Freiwillige meldeten sich auch Richard Huelsenbeck und Otto Dix. Ja selbst George Grosz (1915) und der „Dada – Anarchist“ Franz Jung, welcher 1915 – 1918 „Die freie Straße“ herausgab! (obgleich bereits nach 2 Monaten Feldartilleriedienst krank entlassen) (Bergius, S.105). Auch sie erlagen der verdummenden Kriegspropaganda – ganz wie ihre expressionistischen und futuristischen Kollegen.
Eher kriegsverherrlichend verliefen die Soirees Huelsenbecks:
„Aber auch die Provokation setzte Huelsenbeck schon zynisch ein, indem er als dadaistischer Kriegsbefürworter dem kriegsmüden Publikum vorstellte - allerdings nur, um die Pazifistenlektüre als Modeerscheinung zu entlarven“ (Bergius, S. 23).
„Mit provokatorischen Mitteln ging Huelsenbeck noch einen Schritt weiter, indem er das „Hokuspokus des Daseins“ auf der Bühne inszenierte. Futuristische Gedichte,vor allem die Kriegsgedichte von Marinetti: „Verwundetentransport“, „Beschießung“ aus „Zang Tumb Tumb“ von Else Hadwiger vorgetragen, erregten das Publikum. Dazu wälzte sich ein Soldat in epileptischen Krämpfen am Boden (nach Hausmanns Erinnerungen), und Huelsenbeck begleitete die Lesung mit Holzknarre, Kindertrompete und Trommelgeräuschen. Während Marinetti in diesen Geräuschen in diesen Gedichten den Krieg und seine Verherrlichung glorifizieren wollte, verkehrten die Dadaisten in ein bruitistisches, sinnloses „Hokuspokus“ mit einem zynischen Unterton. Das Publikum reagierte heftig und chaotisch und fing selbst an, sich in die Szene zu setzen. In der „Berliner Zeitung am Mittag“ vom 13.04.18 empörte man sich über die Imitation der Maschinengewehrfeuer durch eine eine Kinderknarre“ (Bergius, S.43).
Trotzdem muss man zugeben, dass die Dadas überwiegend dem Kriege den Kampf ansagten. Kein Wunder auch: Die Kriegsfreiwilligen glaubten in ihrer überkommenden Naivität, lebendig und unversehrt heim zu kommen. Die Überlebenden konnten beurteilen, wie albern diese Hoffnung war – und wurden somit gegen die Kriegssympathie geimpft: „Als im Februar Balls Cabaret Voltaire eröffnete, waren Boccioni, und der expressionistische Dichter August Stramm bereits gefallen“ (Elger/Grosenick, S. 9).
Anders als von den bürgerlichen Gütern und bürgerlicher Schläfrigkeit gelangweilter Marinetti, welchem die Beweglichkeit des Krieges toll vorkam, machten die Kernfiguren des Dadaismus bei der Gründung ihrer künstlerischen Bewegung und beim Verfassen ihrer ersten Aufrufe und Manifeste ziemlich andere Erfahrungen im Leben und hatten daher auch die vom Ziervater des Futurismus unterschiedlichen Einstellungen, denn sie haben an eigener Haut erlebt, was der Krieg ist. Man muss deutlich vor Augen haben, dass Marinetti sein erstes, krieg verherrlichendes Manifest 5 Jahre vorm Ausbruch des 1. Weltkrieges schuf-zu jener Zeit also, wo die Industriegesellschaften rasche Fortschritte machten, und wo nichts das baldige Ende der gewöhnlich-vertrauten Weltordnung prophezeite, während die frisch gebackenen Desertiere, verwundete und einfach den Krieg satt habenden Soldaten, die sich in der Spiegelgasse zu Zürich zusammenschlossen die sog. Hohen Geschwindigkeiten der Schlachten hautnah erlebt hatten. Vielleicht hätten sie den Mitmenschen mit dem Kriegslob auch schockieren wollen, wenn sie ihre Manifeste lange vor dem Kriegsausbruch verfasst hätten.
Ihre Antikriegshaltung ist also ein Unterschied zum Futurismus:
„Der rote König Baargelds - „ist auch eine Geste gegen die Expressionisten, die sich 1914 mit verhängnisvoller Begeisterung in das vermeintliche Gemeinschaftserlebnis des Krieges haben mitreißen lassen“(Elger/Grosnick, S, 76).
„Als der Krieg ausbrach, ging unser Hass gegen das offizielle Deutschland und Alles, was sich ihm anschloss, in eine Art paroxystischer Wut über. Wir konnten keine Uniform sehen, ohne die Fäuste zu ballen. Wir überlegten, was praktisch zu tun sei“. (Huelsenbeck, 65).
„Wir wollen den Krieg mit Nichts zu Ende bringen“ (Huelsenbeck, „Dokumentation“, S. 34).
„Schließlich hat uns die Kriegspresse nicht daran hindern können, Marschall Foch für einen Flunkerer und Präsident Wilson für einen Schwachsinnigen zu halten“ (Breton, S. 36, „Dokumentation“).
Hier ein Beispiel dafür, dass sich der beinahe militante Pazifismus der Dadaisten keineswegs nur auf Deutschland bezog-wie es die Kriegstreiber so gerne sehen wollten:
Maurice Barrès, ehemals „Prinz der Jugend“ und geistiger Mentor einer ganzen Generation, dessen Werke persönliche Freiheit auf Kosten moralischer Konventionen betonten degradierte zum einflußreichen Boten des erzkonservativen Bürgertums, der Superpatrioten und Rechtsradikalen , rabiater Anti- Dreyfus - Haltung, säbelrasselnder Kriegsbegeisterung der Vergeltung an den Deutschen. einem „Stadtausrufer von Massakern geworden.
Breton und Aragon, einmal glühende Bewunderer, über seinen Überzeugungswandel entsetzt, organisierten nach den gescheiterten Versuchen den Kriegshetzer von dem Irrglauben abzubringen, ein„richtiges Gerichtsverfahren“ „mit zahlreichen Zeugen, darunter glühende Anhänger von Barrès und Verleumder Dadas , einer Jury, Verteidiger und Ankläger und natürlich einem vorsitzenden Richter: Breton selbst“. Breton wohnte einigen echten Sitzungen im Palais de Justice bei, um die Einzelheiten des Verfahrens zu studieren. Für ihn war es keine Parodie, sondern Wirklichkeit...“.
Anklagepunkte: der reaktionären Atmosphäre der Dritten Republik entscheidend beigetragen zu haben (Weigerung, der Anerkennung des sowjetischen Staates antikommunistische Hetze; Blütezeit der Pogromorganisationen wie z.B. Charles Maurras' L'Action Francaise- Monarchismus und attacken auf Immigranten, Freimaurer und Juden); „Reputation eines Denkers usurpiert“ zu haben, , sein Mandat nicht erfüllt“ und nur die Illusion „eines freien Mannes“ gewesen zu sein.
Die Dadaisten erschienen in weißen Chirurgenkitteln und mit Baretten- rot für die Anklage, schwarz für die Verteidigung-, um Gerichtsgewänder zu imitieren.
Tzara, Picabia und Ribemont – Dessaignes standen dem Projekt offen feindselig gegenüber .
Tzara nahm sich sich eindeutig vor, „das Verfahren möglichst zu unterlaufen“
.Der Auftritt Perets glich jenem kriegsverherrlichenden Huelsenbecks: „Zuschauer „waren alle nahezu einhellig empört über Benjamin Pérets Auftritt als „Unbekannter Soldat“. Mit einer deutschen Uniform und einer Gasmaske angetan betrat Péret die Bühne, bellte ein Paar Sätze in einem Deusch, wie es Schulkinder beherrschen, und ging im Stechschritt wieder ab, während der Saal in lautstarke Proteste ausbrach und die „Marseillaise“ anstimmte. Einige erhitzte Besucher stürmten die Bühne, während sich der Vorhang eilig schloß. Der „Unbekannte Soldat“ kam knapp mit Leib und Leben davon“.
„... Barrès wurde schließlich zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt-womit das Gericht unter der von Richter Breton geforderten Todesstrafe blieb“ (Polizzotti, S.226-230).
Blasphemie/ Antireligiosität
Marinettis Aufruf „Unsere gemeinsamen Feinde“ enthält die Liste folgender Gegner: „Klerikalismus, Geschäftemacherei, Moralismus, Akademismus, Pedanterie, Pazifismus, Mittelmässigkeit“ (zit. bei Perfetti, S. 167).
„Das erste futuristische politische Manifest“ enthielt, nebst einigen peinlichen national – populistischen Forderungen eine „ Beschwörung “ „der unauslöschlichen Schande eines möglichen klerikalen Siegs“ (zit. bei Perfetti, S. 165).
Trotz der offen feindseligen Einstellung der Kirche und oftmals dem Glauben gegenüber druckten die Futuristen diese in ihren Kunstwerken nicht aus.
So wissen wir vom 1921- 22 entstandenen „Bild „Tanz von Saint- Guy“, dass dieses nur noch einen leeren Raum enthält , von dem Schnüre herabhängend, „an die kleine Papierstücke mit Aufschriften festgemacht sind: „Tanz von Saint-Guy“ und „Tabac Rat“, hier wird der Spot zum Skandal. Desgleichen in 391, wo ein Tintenfleck mit „Jungfrau Maria“ betitelt ist“ (Lemoine, S. 65) /wohl eine Anspielung auf „unbefleckte Empfängnis“?/
Ist der Gott im Futurismus durch die hohe Geschwindigkeit, das Dionysische, Wirbeln und Spiralen, Kraftlinien, zentrifugale Kräfte, Konus, Kegel etc. überwunden, die die Einheit des Gottes zerschneidet, um die eigene Achse dreht, schleudert und entkräftet, so ist wird die dadaistische Überwindung Gottes mit anderen Mitteln erreicht: nämlich mit der „Ver- Nichtung“, dem Nichtigmachen, der Degradierung Gottes und aller seiner Kreaturen zu dem wertlosen unnützen Gegenstand. All das Treiben, auch der „elan vital“ ist für den Dadaisten nutzlose Hast und Hektik, ohne Ziel und ohne den endgültigen Plan.
Der Gott des Dadaismus ist weder ein Gott des Hasses, des Jähzorns oder der Rache, noch ein Gott der Liebe. Wie derjenige der Futuristen jenseits von Gut und Böse stehend, ist er ein Gott ohne Vorhaben, dem, im Unterschied zu seinem futuristischen Pendant, an dem Willen, Persönlichkeit und Charakter fehlt.
Dada – Musik vs. Futurismo – Musik
Da beide Kunstbewegungen sich als „global“ ansahen und die Welt in ihrer Gesamtheit, „total“ erfassen und verändern wollten23 (wenn auch, wie beim Dada, halb scherzhaft), und zwar für sämtliche Felder24, wobei Politik für sie die Widerspiegelung der Kunst, die darstellende Kunst eine Spiegelung der Musik werden sollte25, kann man im Rahmen vorliegender Magisterarbeit Vollständigkeits halber die Frage der Musik im Futurismus und im Dadaismus nicht ignorieren.
Begeisterung für die Musik drückten die Futuristen bereits in der Entstehungszeit aus: Zum Erscheinungsbild des idealen Wesens, eines Übermenschen und Gottesersatzes namens Gazourmah gehört die schönste Musik, zu der „jeder Schwung“ seiner „grossen orangefarbenen Flügeln“ wird, so Marinetti in seinem „Mafarka“.
Die Maler beider Bewegungen befassten sich mit den Fragen der Musik: so nimmt Carrà in seinem Manifest „Malerei der Töne, Geräusche und Gerüche“ (1913) Bezug auch auf die Musik. Auch Feruccio Bussoni mit seinem „Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“.
Andererseits drückten sich die Komponisten beider Bewegungen in den darstellenden Künsten wie etwa der Malerei und in der Collage aus. Luigi Russolo war sowohl ein Maler als auch Musiker und Komponist.
Und: Dada-Komponist Hans Heinz Stuckenschmidt (1901-1988) schuf auch die Collagen, wie etwa „Die Impotenz des Herrn Dr. Pfitzner“ (auf der Dada-Messe ausgestellt)- als Polemik
gegen Pfitzners hasserfüllte Kritik „Ästhetik der musikalischen Impotenz“ des Busoni'schen „Entwurfes“. Pfitzner disqualifizierte das Manifest Busonis als „Futuristengefahr“ , Stuckenschmidt sah darin hingegen „einen anregenden Beitrag zu der Musikgeschichte“. „Ich glaube nicht“ schrieb er rückblickend, „daß irgendeine Schrift über Musik, ausgenommen vielleicht Schönbergs Harmonielehre, auf mich beunruhigender und aufwühlender gewirkt hat“. In seinem 1958 geschriebenen Essay über Busoni bezeichnete Stuckenschmidt Pfitzners Reaktion als „ätzend-nationalistisch“(zit. bei Bergius, S.198).
Musik begleitete alle dadaistische und futuristische Soirées. Bereits im Cabaret Voltaire 1916 wurden die Auftritte in den von Janco angefertigten Masken mit „plumpen, tappenden Schritten , einigen hastig fangenden, weit ausholenden Posen“ und „einer nervösen schrillen Musik“ unterstrichen. (Ball, zit. nach Lemoine, S. 12). Und während der Eröffnung der Galerie Dada im März 1917 war die Musik von Alban Berg und Arnold Schönberg zu hören (Elger/Grosenick, S. 13-14).
Auch für einen (leider nicht stattgefundenen) Dada-Abend im Mai 1918 kündigte man die Bruitistische Musik an(Bergius, S.31).
Bruitistische Musik, war Teil des „poème simultan“, „das in verschidenen Sprachen, Rhythmen, Tönen von mehreren Personen zugleich vorgetragen wird.' (Bergius, S. 102.
Musikalische Kompositionen (etwa bei Schwitters' 40 - minütiger „Sonate in Urlauten“- Gliederung durch klassische Tempi – Angaben : rondo, scherzo und presto) lagen vielen lautmalerischen Dichtungen der Futuristen und der Dadaisten zugrunde. Man paßte auf die Melodik und Ästhetik der Sprache: Rhythmen und Wiederholungen der Silbenreihen.
Sich engagierend für avantgardistische musikalische Formen trat Stuckenschmidt für die „Mechanisierung der Musik“ ein. Hannah Höch hob einen undatierten Zeitungsausschnitt mit dem Titel „Ende der Konzerte“ aus den zwanziger Jahren zu diesem Thema auf: „Außerdem deutete Herr Stuckenschmidt, ein Hauptvertreter des Musikmechanisierungsprinzips an, wäre es keineswegs ausgeschlossen, dass man in einiger Zeit auch das Orchester einschließlich Dirigent mechanisieren werde. Dadurch würden neue Töne erschlossen. Man könnte Töne elektrisch erzeugen“ (Bergius, S. 224).
Folgende Stelle aus Richter'schen Erinnerungen verdeutlicht, welche Rolle der Musik als Inspirationsquelle in der Malerei zukam:
„Ferruccio Busoni, with whom I sometimes discussed my problems by the Caspar Escher fountain in front of Zurich railway station, advised me to study the principles of counterpoint, since my experimentation with positive and negative shapes , my 'black and whitee obsession', showed analogies with contrapuntal theory. He suggested that I should play through the little preludes and fugues that Bach wrote for his wife. This would teach me, he said, better than any explanation, the spiritual beauty that lay in this principle. So 'by chance' I came upon the analogy between
music and painting. And by a later „chance“ this was to take on a new meaning I never dreamed of at the time. Meanwhile, I at least had a point of departure for my 'harmonization' of surface, in which white and black entered into a dynamic relationship. This black-white relationship demanded to be organized musically. Organization submitted to chance. Chance gave variety to organization. A balance was achieved. In this way I discovered, in many hundreds of more or less abstract 'Heads', the freedom to make music in my own way“ (Richter, „Ar...“, S. 61-62).
Und über die erste Einsicht in die Zeichnungen Viking Eggeling'. „Here in the highest perfection
was a level of visual organization comparable with the counterpoint in the music: a kind of controlled freedom or emacipated discipline, a system within which chance should be given a comprehensible meaning“(a.a.O., S.62).
Wie wichtig Musik und wie unzertrennlich sie vom Gesamtschaffensbereich des Dadaismus und des Futurismus ist, beweist auch, dass auch die Feinde der modernen Kunst, wie z.B. der spätere Chefideologe des III. Reiches Rosenberg in seinen „Ersten Aufzeichnungen. Von Form und Formung im Kunstwerk“ bereits 1918 auf die Verbindung zwischen der Malerei und der Musik in ihren Werken eingehen wird.: „Die Futuristen und Expressionisten, welche das äußere Objekt coute que coute abschaffen und das Innere direkt durch abstrakte Linien und Farben darstellen wollen, berufen sich manchmal auf die Musik. Auch dort, sagen sie, sind nur Wechsellungen in der Farbigkeit und im Rhythmus; und der Komplex dieser Nuancen gibt das Innere rein wieder“. Rosenberg bemängelt bei den Futuristen die Einsicht, „Harmonie und jeder Rhythmus“ seien „Ausdruck“und „nicht nur ein Spiel von verschiedenen Wellenlängen“ (Rosenberg, Schriften, 1. Band, S. 32).
Musik war eine Begegnungsstätte der Futuristen mit den Dadaisten:
Die dem Futurismus entstammende Musikform – der Bruitismus - „wurde dann von Edgar Varèse zu musikalischem Rang erhoben wurde. Varèse folgt dann der Russolos Entdeckung der Geräuschmusik, einem der grundlegenden Beiträge des Futurismus zur modernen Musik. Russolo hatte im Jahre 1911 eine Geräusch – Orgel konstruiert, auf der man all die – so störenden – Geräusche des Alltags hervorzaubern konnte.
Instrument wurde bei der Uraufführung von Bunuel – Dalis Film „L' age d'or“ 1930 im 'Cinema 28' in Paris zerstört, als die „Camélots du roi“ und andere reaktionären Organisationen auf die Leinwand, auf der dieser 'anti' (katholische) Film gezeigt wurde, ihre Stinkbomben warfen und dann alles kurz und klein schlugen: Stühle, Tische, Bilder von Picasso, Picabia, Man Ray und eben auch die mit den Bildern im Foyer aufgestellte bruitistische Orgel Russolos. Dieser Bruitismus wurde im Cabaret Voltaire aufgenommen und im Schwung und der Raserei einer neuen Bewegung bereichert : nach oben und unten, rechts und links, nach innen (Stöhnen)) und nach außen (Gebrüll)“ (Richter, „Kunst...“, S. 18).
Hier trifft die „futuristische „Orgel“ eine dadaistisch – surrealistische Veranstaltung.
Zu den wichtigsten Vertretern der Dada - Musik zählen Alban Berg, , Arnold Schönberg und Paul Scheerbart, Gerhard Preiss, Hans Heinz Stuckenschmidt, Jefim Golyscheff, Erik Satie, Hartmann26; zu den futuristischen - Francesco B. Pratella, Luigi Russolo, Ferruccio Busoni.
Einfluss auf einzelne dadaistische Künstler aus der Sicht der kunstwissenschaftlichen Literatur
„Kirchner, Meidner, Marc, Macke, Morgner, Campendonk, Feininger, Molzahn, Muche, Itten, Dix,Grosz, „ja selbst Kandinsky – sie alle reagierten, jeder in seiner bereits weitgehend geformten Bildsprache, auf die Herausforderung der Futuristen“ (Maur, S.11).
Erwin Blumenfeld:
„Zuerst in der Zeichnung probiert Blumenfeld kurzfristig verschiedene Handschriften aus. Diese Einflüsse belegen die visuellen Einflüsse der Sturm – Künstler, insbesondere von Carlo Carrà...“ (Adkins, S.10).
„1919/20 versuchen beide Fruende <Blumenfeld und Paul Citroen> in Amsterdam einen Kunsthandel anzulegen. >Blumenfeld erzählt>: „Mit meinem im Krieg gewonnenen Französisch schrieb ich an damals unbekannte Größen, deren Werke wir aus dem Blauen Reiter, vom Sturm und vom Ersten Deutschen Herbstsalon kannten“, darunter „Severini und Carlo Carrà, und bat um ihre Generalvertretung für Holland. Alle gaben uns Zeichnungen in Kommission, für die wir keine Kunden fanden. Es war viel zu früh“ (Adkins, S. 34).
„Angespornt von der fragmentierten Welt der büchmannschen Sinnsprüche, inspieriert vom Fotojournalismus, Kubismus, Futurismus... produziert Blumenfeld zwischen 1916 und 1933 ein große Vielfalt an Montagen<. .. ...> über Hundert Montagen haben bis heute überlebt“ „Als echter Dadaist, folgt er keinem einheitlichen Stil, sondern versucht sich in den Zeichnungen an den aktuellen, hauptsächlich in der Galerie von Herwarth Walden gesehenen Kunstrichtungen, darunter „Futurismus Carlo Carrà“ (Adkins, S.52). „Weitere in Montagen eingearbeiteten Zeichnungen reflektieren die visuelle Lehre vom Sturm; für die Formen und Farben sind besonders... Carlo Carrà... Vorbild gewesen“. (Adkins, S. 83).
„Eine frappierende formale Ähnlichkeit ist zwischen Carlo Carràs Patriotischem Fest von 1913 und Blumenfelds Ball Erinnerung von 1919 festzustellen. Ein patriotisches Fest in Vorfreude auf den bevorstehenden Weltkrieg, das bereits 1914 als Manifestazione Interventista berühmt wird, scheint Inspiration für Blumenfelds „Explosion“ im Rotlichtviertel von Amsterdam gewesen zu sein. Carràs Lautgedicht, das dynamisch „es lebe der König“ und „es lebe die Armee“ verkündet, wir in die Erinnerung an einen Maskenball verwandelt, bei dem die Eintrittskarten in einen Amsterdamer „Dansklub“ den Ort des Geschehens angibt. Carrà schreibt dem Kollegen Gino Severini
über seine Arbeit: „Ich habe jegliche Darstellung menschlicher Figuren unterdrückt, und die plastische Abstraktion städtischen Tumultes wiederzugeben“. Blumenfelds Ball Erinnerung wird eine seiner ganz wenigen Arbeiten ohne menschliche Figur bleiben“ (Adkins, S. 85).
„Erwin Blumenfelds Freund Paul Citroen war im Besitz von Carràs Gemälde Das Begräbnis des Anarchisten Galli ... Ähnliche <wie bei Carrà und Grosz> finden sich in Blumenfelds Zahlen,Strindberg, Heinz <1918/19> sowie in der Radierung Café Berlin (1921) wieder“ (Adkins, S. 95).
Hans Arp: „1919 wird für Ernst der Futurismus nochmals zu dem Ideenspender, als er in Köln zusammen mit Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld die Dadagruppe gründete“ (Eimert, S. 164).
Hannah Höch: Ihr „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ von 1920 enthält unter anderem die „Maschinenelemente <...> charakteristisches Bild einer modernen Maschinenwelt. Dieselloks, ein Wagon des Orient – Express, Automobile und Turbinen, einzelne Kugellager, Speichen – und Zahnräder verteilen sich über gesamte Bildfläche und verbinden auf diese Weise die einzelnen Szenen miteinander. Zugleich setzen sie die gesamte Darstellung in eine dynamische Bewegung“. (Elger / Grosenick, S. 44).
Fortunato Deperos Figurinen: „Il soldatino hip-hop“, 1917, „Ginnasta“, 1921 – beeinflussten Höch.
Meines Erachtens sind bei folgenden Arbeiten Hannah Höchs Einflüsse des Futurismus spürbar: „Mechanischer Garten“, 1920; „Konstruktion mit Blau“, 1919; „Den Männern gewidmet,die den Mond eroberten“,1969 (Einflüsse des 2. Futurismus); ganze indeutige Einflüsse Deperos, Mino Rossos: „Der warme Offen“ (1924/25); „Die Frau des warmen Offens“, (1924/25); „Die Mäuse“ (24/25); „Weiße Woche“; fut. Windungen: Vivace, 1955; „Gesprengte Einheit“,1955; „robotesk“ im Geiste Deperos: „Ohne Titel (Ankündigung der Rückkehr von Hannah Höch und Til Brugman nach Berlin), 1929/30.. Bewegung durch den Raum: „Rotes Textilblatt“, 1952.
George Grosz
Die ersten Werke Grosz´, Die Stadt und Würdigung an Oskar Panizza gehören nach der Meinung Serge Lemoines außer dem Expressionismus auch dem Kubo- Futurismus an (S. 42).
„Carràs Gemälde Das Begräbnis des Anarchisten Galli mag Inspiration für George Grosz' Höllenbild Widmung an Oskar Panizza gewesen sein. Vor einem glühenden Tanz und Caféhaus verläuft die Schnapsgasse grotesker Tode und Verrückter“ (Grosz an Schmalhausen). Grosz sieht die Mensch-Tier-Fratzen der linken Seite seines Bildes als symbolhaft für Alkoholismus, Syphilis und Pest“. (Adkins, S. 95).
Die Meinung teilt auch von Maur: „George Grosz' Komposition Widmung an Oskar Panizza nimmt Bezug auf Carràs Das Begräbnis des Anarchisten Galli“ S.11).
In Der Schuldige bliebt unbekannt- einer Kombination von Zeichnung und Collage - ist für Lemoine „der Hafen von Hamburg in einer noch futuristischeren Art dargestellt“ (S. 42).
Auch in dem Bild „Daum marries her pedantic automaton George in may 1920,John Heartfield is very glad of it“ (1920, Mischung aus Aquarell, Feder-und Tuschzeichnung und Collage) „versucht Grosz wie Hausmann eine Synthese der Ästhetik der „methaphysischen Malerei“ zu erstellen und der „Kunst der Maschine“ Tatlins, wie er sie sich in der Präzision und Neutralität vorstellt, die ihm die von der industriellen Zeichnung beeinflußte Ausführung liefert“ (Lemoine, S.43).
Hier „präsentiert sich Grosz als Maschinenfigurine, der jedes individuelle menschliche Antlitz abhanden gekommen ist. Ihr Körper besteht aus einem technischen Getriebe, das durch eine Kurbel in Gang gesetzt und dessen Funktionsfähigkeit von mehreren Meßgeräten überwacht wird <...> <...> Die männliche Figurine verweist bereits auf den Einfluß der italienischen Pittura Metafisica von Giorgio de Chirico und Carlo Carrá. Ihre Manichini – Figuren treten im selben Jahr auch bei Raoul Hausmann auf. Die strenge perspektivische Architektur erinnert an die menschenleeren italienischen Stadtlandschaften in den Gemälden de Chiricos“ (Elger/ Grosenick, S.50)
Futuristisch mutet an auch die gemeinsam von Hausmann und Grosz ausgefertigte Collage „Leben und Treiben in Universal City um 12 Uhr 5 Mittags“ mit darin „verstreuten Bildern von Gebäuden, Maschinen, Personen, Schildern und Texten, die an die Betriebsamkeit einer großen Stadt zur Mittagsstunde erinnert“ (Lemoine, S.43). .)
Was jedoch die Sicht der futuristischen Fetische Großstadt und Maschinenmensch anbetrifft, so ist Haltung Grosz´ verhaltener. Das letztgenannte Bild stellt nach Lemoine „halbentblößte Frau, „einen Roboter“ und eine „Perspektive der „beschleunigten großen Stadt“ dar, „es handelt sich um eine kritische Sicht der Gesellschaft und der modernen Hauptstädte, wo der Mensch nichts anderes mehr ist, als eine Maschine“ (Lemoine, S.43). .)
„Grosz reagierte ähnlich unmittelbar wie Max Ernst. 1920 malte er eine Serie von Gemälden und Aquarellen wie Diabolospieler, die diese Begegnung reflektieren. „Bei dem Bemühen, einen klaren, einfachen Stil zu bilden, kommt man unwillkürlich in die Nähe Carràs“. Zugleich kann man, Grosz' Äußerungen zusammenfassend sagen, daß er dem wirft er dem Carràvorwirft, zu „bourgeois“ und zu „metaphysisch“ zu sein , sein, Menschenbild sei zu „individuell“, „zu irreal“, „zu feinschürfend – psychologisch“, „zu un - kollektivistisch“ . Homo Sapiens wäre für Grosz „ein fast mechanischer Begriff“. „Das Einzelschicksal ist nicht mehr wichtig27. . Die Farbe dränge ich zurück. Linie wird individuell – photographisch gezogen, konstruiert wird, um Plastik zu geben“(Maur, S. 15).
Man Ray: Futuristisch klingt die Einstellung M. Rays zu der Arbeit: „Ihn faszinierte der mechanische Charakter des Arbeitsprozeßes...“ (Elger/Grosenick, S.86).
Über seinen „Kleiderständer“ von 1920: „Das Mischwesen von Mensch und Maschine war ein Topos in dem modernen fortschrittsgläubigen Jahrzehnt der zwanziger Jahre und in Variationen in allen künstlerischen Gattungen präsent. Nicht zufällig ähnelt die künstlich erschaffene Frau in Fritz Langs Meisterwerk „Metropolis“ von 1927 jener von Man Ray inszenierten und fotografierten weiblichen Figur aus dem Jahr 1920“ ( Elger/Grosenick, S. 86).
Auch hier sehen wir also den futuristischen Traum verwirklicht: Die Verschmelzung Mensch-Maschine.
Raoul Hausmann:
„Am Anfang seiner künstlerischen Karriere> orientierte er sich an Futurismus und Expressionismus“ ( Elger/Grosenick, S. 34).
Die Photomontage „Tatlin lebt zu hause“ zeigt ... .... präsentiert das Porträt des russischen Konstruktivisten, aus dessen Schädeldecke eine komplizierte Maschinerie aus Kolben, Rädern, Messuhren, Gewinden und Schrauben wachsen läßt. Hinter Tatlins Kopf kann der Betrachter einen Holzständer entdecken, der eine Art Gefäß trägt. Darin findet sich eine organische Struktur aufbewahrt. Die numerischen Beschriftungen weisen auf ein biologisches Lehrbuch als Bildquelle hin. Die organische und die mechanische Welt sind die beiden Gegenpole in Hausmanns Fotomontage.
... Im Hintergrund rechts fällt der Blick auf den Rumpf eines Schiffes mit der Antriebsschraube. Die Motive legen weiterhin die Assoziation nahe, Tatlin habe sein Gehirn auf dem Ständer abgelegt und gegen ein Maschinenwerk ausgetauscht. Damit illustriert die Darstellung eine dadaistische Utopie, in welcher das mechanische durch ein mechanisches Denken ersetzt wird. Nur auf diese Weise, so die Dadaisten, könne die neue(Maschinen-) Kunst entstehen, die für eine mechanische, rationalistische und letztlich auch friedliche Welt einsteht“ ( Elger/Grosenick, a.a.O.)
Mitte der zehner Jahre des vergangenen Jahrhunderts bewegte er sich noch in der Sturm – Galerie (Elger/ Grosenick, S. 40). „Auch die futuristischen Dichtungen konnte er hier bereits kennen lernen“ (a.a.O.).
Nach der Isolierung von anderen Dadaisten entdeckte Raoul die „metaphysischen Interieurs der italienischen Maler Giorgio de Chirico und Carlo Carrá. Auch de Chiricos Manichino – Figuren
(ital. manichino- Gliederpuppe) hatten jeden individuellen Ausdruck verloren und und waren Teil einer mechanischen Dingwelt geworden. Hausmann hat eine solche Weltsicht, wie sie vor ihm mit dem Mechanischen Kopf formuliert wurd, auch später noch einmal aufgegriffen“ (Elger/Grosenick, S. 38)
Paul Haviland: Ein weiterer Dadaist, schrieb in der September – Ausgabe der Picabias Zeitschrift „291“: Wir leben im Maschinenzeitalter. Der Mensch hat die Maschine nach seinem eigenen Bild geschaffen. Ihre Glieder bewegen sich, ihre Lunge atmet, ihr Herz schlägt, durch das Nervensystem laufen elektrische Impulse. Das Grammophon ist die Nachbildung seiner Stimme, die Kamera die Nachbildung seines Auges. Die Kamera ist die Jungfernzeugung des Menschen“ (zit. bei Elger/Grosenick, S. 90). Diese Einstellung ist ein klar futuristisches Statement.
Dazu läßt sich sagen: Auch die mittelalterliche Rüstung könnte man als eine Protoform, ein Prototyp des Robotesken ansehen,als eine Vorwegnahme der Robotisierung, der Verlängerung des Körpers.
Francis Picabia
„Francis Picabia zeichnete absurde Maschinenkonstruktionen, welche die Technikbegeisterung und Fortschrittsgläubigkeit der modernen Zeiten persiflierten“ ( Elger/Grosenick,, S. 25). „Picabias Maschinenbilder sind ein Statement gegen die traditionelle Malerei und entsprangen dem Wunsch, für das moderne Ingenieurzeitalter einen ästhetischen Ausdruck in der Malerei zu finden“ (Elger, S. 94). „Was Picabia betrifft, so läßt sich eine ... impregnation“ kaum nachweisen. Obwohl er sich nämlich einem nicht- figurativen Stil zuwandte, ist das wohl nicht auf eine solche Beeinflußung durch den Futurismus zurückzuführen, sondern viel mehr auf seinen Kontakt mit der Pariser Avantgarde, insbesondere mit Marcel Duchamp, den er im Juli 1911 kennengelernt hatte, und Guillaume Apollinaire, mit dem er sich 1910 eng befreundete. Außerdem ist das einzige Moment in Picabias nicht- fugurativem Schaffen, das eventuell auf den Futurismus zurückgeführt werden könnte, sein Versuch, dynamische Bewegung darzustellen, der in Werken wie „Udnie (jeune fille americaine; danse“ (1913) oder „Little Udnie“ (ca. 1913- 1914) zum Ausdruck kommt“ Es wäre jedoch eine Untertreibung: Futuristisch im Sinne einer Bewegungsdarstellung muteauch n die Werke Picabias an: „Chancon nègre“ (Negersong), ganz eindeutig (Windungen etc.) bei „Culture physique“, 1913; teils „Impétuosité francaise“ („Französische Unbändigkeit1913; „Au choix; à la volonté“ („Zur Auswahl; nach Belieben“, 1913/14; kubo- futuristisch: „New York“, 1913; 1913/14; und „aeruopitturesk“: „Decaveuse“, ca. 1922; pointillistisch/ teils vibrierende Fläche(?): „Coquetterie“, 1922; „Les rochers à Saint – Honorat (die Felsen bei Saint – Honorat), ca. 1924/25, „Le baiser“ („Der Kuss“), seine Maschinenbilder: Gabrielle Buffet elle corrige les moeurs en riant (Gabrielle Buffet – lachend korrigert sie die Sitten)“ (weniger), ca. 1915; „Ici, cést Stieglitz- Foi et amour (Hier, das hier ist Stieglitz – Glaube und Liebe)“, 1915; „Fille née sans mère (Ohne Mutter geborene Tochter)“, ca. 1915; „Mecanique Mechanisch“), 1916; Einflüsse de Chiricos: „Femme coquette à la sculpture grecque (Kokette Frau mit griechischer Skulptur), ca. 1940-42; „Machine tournez vite (Maschine, drehen Sie sich schnell, ca. 1916-18; Ventilateur, ca. 1917; Organes de crics de manuoevre de portes d e'ecluse“, „Petite solitude au milieu des soleils“ (Kleine Einsamkeit inmitten der Sonnen); ca. 1915-20; „C'est claire (Klar!), ca. 1919; Totalisateur, ca. 1922; „Brouette (Schubkarren), ca.1922; „Sphinx,
ca. 1922. „Aber Picabia hatte sich bereits seit 1905, als er sich vom Vitalismus Nietzsches angezogen fühlte, mit diesem Problem befasst, und das Interesse daran war noch 1910- 11 durch seine Bekanntschaft mit der Philosophie Bergsons gefördert worden28. Zu berücksichtigen bleibt ferner, dass die lyrische Bewegung, die von 1914 bis 1918 in Picabias Gemälden spürbar wird, mit den Gewalttätigkeiten des futuristischen „dynamismo“ nichts zu tun hat und statt dessen mit einer gewissen ironischen Trockenheit arbeitet29, die für den Futurismus ganz und gar untypisch ist. Es ist noch aus dem weiteren Grunde unwahrscheinlich, dass der Futurismus die maschinistischen Bilder Picabias von 1915 angeregt hätte, da sie, weit davon entfernt, die Maschine und damit die mechanisierte Zivilisation und die Herrschaft des Menschen über die Maschine zu verherrlichen30, eher einen sardonischen Kommentar zur Mechanisierung des Menschen in der modernen Welt und damit letzten Endes zu der Absurdität der Maschine überhaupt liefern. Wenn wir Picabias „French Artists Spur on American Art“, der am 24.10.1915 in der „New York Trubune“ erschien, glauben sollen, wurde seine unerwartete Auseinandersetzung mit der Maschine unmittelbar durch sein Amerika- Erlebnis im letzten Drittel des Jahres 1913 und in der Zeit vom Mai 1915 bis zum Juni 1916 ausgelöst. In seinem Aufsatz hat er sich über dies Erlebnis wie folgt geäussert:
„I have been profoundly impressed by the vast mechanical development in America. The machine has become more than a mere adjunct of human life. It's really a part of human life- perhaps a very soul. In seeking forms through which to interpret ideas or by which to expose human characteristics I have come at length upon the form which appears most brilliantly plastic and fraught with symbolism. I have enlisted the machinery of modern world, and introduced it into my studio“31.
Lemoine widerspricht dem Sheppard. Für ihn sind Bilder Picabias zwar voller „Argwohn auf die industriellen Maschinen als Produkt der modernen Welt und Zeugen des Fortschritts als auch auf die Malerei und Sprache“ (als Beispiel solchen „Argwohns“ nennt er z.B. Picabias „Prostitution Universelle“) (S.30), gibt jedoch zu, dass z.B. Seine „Machine tournez vite“ („Schnelldrehende Maschine“) von „industriellen Zeichnungen und der Welt der Maschine inspiriert“ sei (S.29).
Die Frage danach, inwieweit es möglich ist, Picabia schon 1909 von dem in Paris- der Heimatstadt Picabias- veröffentlichten „Futuristischen Manifest“ erfuhr beeinflusst werden konnten, bleibt trotzdem offen. Kaum ein französischer Künstler konnte umhin kommen, vom Manifest zumindest gehört zu haben. Zahlreiche weitere Manifeste, auch in französischer Sprache zugänglich, und Kunstausstellungen in Paris folgten darauf.
Picabia lernte spätestens 1910 die Futuristen durch Herwarth Waldens Galerie und die damals auch begonnene , insgesamt 15 Jahre währende Mitarbeit an seiner Zeitschrift kennen – auch persönlich, geschweige denn ihre Ausstellungsobjekte. Der kompositorische Aufbau einiger seiner Bilder, z.B. der bereits erwähnten „Udnie“ verrät die futuristischen Einflüsse, welcher seine Entstehung kaum lediglich durch die Lektüre Bergsons begründen läßt.
Otto Dix (1891- 1961). Er arbeitete in Dresden und nahm an der Dada- Messe 1920 teil. Bis ungefähr 1918 Expressionist, dann vom Kubo-Futurismus geprägt (Lemoine, S. 48).
Kurt Schwitters (1887- 1948).
Ihn, der später „seine eigene Kunst schuf, den „Merz““, bezeichnet Lemoine als „vom Expressionismus und dem Kubo-Futurismus herkommend“ (S.54).
An einer weiteren Stelle merkt er an: „Die auf Diagonalen ruhende Komposition,die Verwendung von hell-dunkel, die Auflösung von Formen verraten... sehr wohl den Einfluß des Expressionismus und des Kubo- Futurismus“ (a.a.O.)
Für den zumindest unterschwelligen Einfluss des Futurismus spricht auch der Titel der Collage Schwitters' „Getrennte Kräfte“ 1920).
1918 begann seine Annäherung den zeitgenössischen künstlerischen Entwicklungen. „zunächst traten in seinen Werken expressionistische und futuristische Formenelemente auf“ (Elger/Grosenick, S.60).
Die Datierung auf 1918 als einen Wendezeitpunkt zu den abstrakten Werken teilen auch Cardinal und Webster: „Bereits 1918 schuf Schwitters abstrakte und halb abstrakte Zeichnungen, wobei einige kristallin, andere visionär wirken (z.B. „Abstraktion Nr. II (Die Gewalten)“, 1918. Die Rundungen und Schattierungen dieser Gebilde (z.B. „Z 91 Landschaften“, 1918) erinnern an frühere Arbeiten der italienischen Futuristen Giacomo Balla und Umberto Boccioni, die Schwitters vielleicht in Kunstzeitschriften kennengelernt haben könnte“ (Cardinal/Webster, S. 61)
Diese Annäherung durfte auch schon früh zustande gekommen sein, denn „Wie Werner Schmallenbach feststellt, hatte sich Schwitters schon früh mit den Werken der Vorläufer der Avantgarde auseinandergesetzt: Der italienische Futurismus, der Kubismus in Frankreich sowie der Orphismus eines Robert Delaunay, sie alle machen von Schriftzügen Gebrauch (Cardinal/Webster, S. 58).
„Schwitters zum Futurismus: „Nun suchte ich, als ich zum ersten Male diese Bilder in Sturm in Berlin ausstellte, einen Sammelnamen für diese neue Gattung, da ich meine Bilder nicht einreihen konnte in alte Begriffe, wie Expressionismus, Kubismus,Futurismus oder sonst wie“ (zit. bei Elger/Grosenick, S.22). Diesen Worten kann man entnehmen, dass Schwitters sich ehemals doch unter dem futuristischen Einfluß stand, und nun sich davon abwandte und nach einer Neuorientierung suchte, da seine Werke seines Erachtens nicht mehr den Merkmalen seiner ehemaligen Leitkunstrichtungen (etwa denen des Futurismus) entsprachen.
„Schwitters markante Kompositionen aus verschiedenen Papierresten waren inspiriert von <...> den verwirrenden Darbietungen der „Parole in Libertà“ (Befreiung der Sprache) der Futuristen Filippo Marinetti und Carlo Carrà. Doch erhielt diese Kunstform bei dem Erfinder von Merz eine ganz eigene Gestalt und Überzeugungskraft“ (Cardinal/Webster, S. 39).
In „schneidend – inkongruenten Zeilen wie“:
Häuser fallen, Himmel stürzen ein.
Bäume ragen über Bäume.
Himmel grünt rot.
Silberne Fische schwimmen in der Luft“
Nicht nur die futuristische Bildsprache – auch futuristischer „Befreiter Vers“ hinterliess Spur in Schwitters'schem poetischen Oeuvre:„Er <Schwitters> war inspiriert vom Soldaten und Poeten August Stramm, der vom Konzept der <seinerseits> durch „Parole in libertà“ (Befreiung der Sprache) von Filippo Marinetti beeinflußt war“. ( Cardinal/Webster, S. 118).
„Über Schwitters' Gedicht „Wand“, wo dieses Wort „nicht weniger als 34-mal verwendet wird“ und welches „mit einem Countdown von 5 bis 1 „ beginnt, sagen Cardinal und Webster: „Die mehrmalige Wiederholung desselben Wortes filtert die verbleibenden semantischen Reste, sodass der Leser abgelenkt wird und beginnt, auf die verschiedenen Gestaltungen von Groß– und Kleinschrift sowie auf die Wahl einer kleineren Schrift achten. Solche Abenteuer in der Typographie waren bei den Futuristen und den Dadaisten gang und gäbe, während die Reduktion von Wörtern und inhaltslose Laute in der „Zaum“ - Dichtung der russischen Futuristen erinnert“.(Cardinal/Webster, S. 119).
„Die Klangpoesie <...> nahm im frühen Jahrhundert eine völlig neue Rolle ein, als die von den Futuristen proklamierte „Befreiung der Sprache“ eine wichtige Waffe in der Aufhebung gegen soziale Normen wurde“ (Cardinal/Webster, S. 119).
Hinter Merz stand keine abgeschlossene Lehre: „Merz wurde nie wirklich zu einer strengen Doktrin – wofür eine formelle Definition nötig gewesen wäre, so wie sie die Futuristen und Surrealsiten in ihren zahlreichen Manifesten festzulegen suchten -, sondern es war eine Sammlung von Einsichten, Vorstellungen und Reaktionen“ (Cardinal/Webster, S. 11).
„Schwitters Werk verunsicherte die Kritiker auch deswegen, weil es jeder eindeutigen Einordnung entzog. In den frühen Rezensionen kann man – ja nach Tendenz des Autors – kaum die gleichen Werke erkennen: Merz wurde als kubistisch, expressionistisch, futuristisch, neoklassisch, wegweisend, hysterisch, schizophren, subversiv, lächerlich, dekorativ, kindisch, fraulich (gleichbedeutend mit trivial) eingestuft (Cardinal/Webster, S. 17).
Futuristen und ihre Ausstellungen dienten dem Schwitters als Inspirationsquelle nicht nur ob derer künstlerischen Innovationen, sondern auch auf politischer Ebene: „Schwitters berichtete den Freunden in Basel und Paris über öffentlichen Widerstand gegen die Nazis, was dem Tatbestand des Verrats gleichkam, und Moholy - Nagys Ehefrau erinnerte sich, wie er sich bei einer Futurismus-Ausstellung in Berlin, angeheitert und alkoholisiert, über Nazifunktionäre amüsierte“ ( Cardinal/Webster, S. 26- 27).
Auch später, nach seiner Abkehr vom Futurismus, sollte er zu seinen futuristischen Vorbildern zurückgekehrt haben: „Abstrakte Gemälde, die Schwitters in einer recht gehemmten Phase zwischen 1938 und 1939 schuf, erinnern mit ihren arabesken Schleifen und quasi – pointillistischen Tupfen ... an die Gemälde der Futuristen Umberto Boccioni und Carlo Carrà“ (Cardinal/Webster, S. 94).
Doch Schwitters begeisterte nicht nur die futuristische Dichtung und Malerei, sondern auch die futuristische Architektur: „1926 publizierte Schwitters „Großstadtbauten“, Hilbersheimers Broschüre über futuristische Stadtarchitektur, als Merz 18/19“ (Cardinal/Webster, S.135).
„Balla und Schwitters kannten sich wohl nicht persönlich, doch doch bewunderte und rezipierte Schwitters seine Werke und die der anderen Futuristen. Stilistische Affinitäten finden sich voraallem Zeichnungen und Bildern aus den Jahren 1917-1919, die insbesondere Ballas Werken von 1914 nahe stehen. Die Bewunderung blieb jedoch nicht einseitig. Marinetti, der Schwitters 1934 in Berlin traf und von ihm ein gewidmetes Foto des Merzbaus erhielt, vermerkte auf dessen Rückseite: „Schwitters, Astrottista <sic> futurista del Gruppo di Hannover“ womit er die Aktivitäten des Merz – Künstlers kurzerhand zu einer Sektion der italienischen Bewegung erklärte“ Cardinal/Webster, S.164).
Auch Rubin – eine Seltenheit!- gibt im Falle Schwitters futuristische Einflüße zu: „Die Vörläufer dieses langen und anspruchsvollen Gedichtes <“Anna Blume“> waren die Lautgedichte der Züricher Dadaisten, die ihrerseits von... den italienischen Futuristen inspiriert waren (F.T. Marinetti traf dafür ein, die Sprache „nicht als Kommunikationsmittel, nicht als Denkinstrument, sondern als ein Verhalten zu gebrauchen“ (Rubin, S. 148).
Marcel Duchamp
„Und das gleiche32 gilt für Duchamp, auch wenn Pierres Behauptung auf den ersten Blick einleuchtender wirkt. So groß ist tatsächlich der Unterschied zwischen seinem Schaffen vor und nach 1911, und so deutlich zeichnet sich dieser Unterschied gerade in den beiden Fassungen seiner bedeutendsten Arbeit , „Nu descendant un escalier“, ab, von denen die zweite von denen die zweite aus dem Jahr 1912 ungleich dynamischer ist als die erste aus dem Dezember 1911, dass nichts näher liegt, als hier den Einfluß des Futurismus zu sehen. 33 Arturo Schwarz dagegen leugnet eine solche Verbindung und steht auf dem Standpunkt, Duchamp habe sich mit den Experimenten der Futuristen, die Illusion der Bewegung im Bild hervorzurufen, gar nicht befasst34. Er meint, Ducamps erster Kontakt mit der futuristischen Gruppe in Paris beschränke sich sich auf ein zufälliges Zusammentreffen mit Boccioni gegen Ende Januar 191235- also nach der Fertigstellung der zweiten Fassung von „Nu descendant un escalier“- beschränke Ähnlich hat sich John Golding geäußert, der behauptet, Duchamp habe später einen Einfluß des Futurismus auf sein damaliges Schaffen überhaupt geleugnet, um zu dem Schluß zu kommen:
„But despite certain superficial similarities, Duchamps vision was even further removed from that of Léger and of Futurists than it was from that of the true Cubists. The art of Futurists was one of optimism strongly tinged with bombast, and they glorified and virtually deified the position of the machine in society. Duchamps vision was not exactly pessimisistic but it was passive and critical, and his anarchy was of a subtler, gentler brand. Fundamentally he saw machine and its effects with distrust“.
Golding tut so, als ob er nicht wüßte, dass die Verherrlichung der Maschine lediglich einen Teil des futuristischen Oevres ausmacht. Und dass es sich hier im vorliegenden Fall gar nicht zur Debatte steht , welche Stellung Duchamp in Bezug auf die Maschine bezog, denn hier handelt es sich um die Übernahme der Darstellungsweise einer anderen von den Futuristen ausgetragenen und mit Kunstmitteln propagierten Idee-nämlich der der „élan vital“.
Hinter dem „Nu descendant un escalier“stünde nach Golding Duchamps offen zugegebenes Interesse an der Chronophotographie, nicht der Futurismus.
Anders als bei Sheppard ist mit den möglichen futuristischen Einflüssen bestellt bei Lemoine. Für ihn sind die Gemälde wie „Le Roi et la Reine entoures de nus vite, Le Passage de la Vierge al la Marièe“ („Der König und die Königin umgeben von Akten- Der Übergang der Jungfrau zur Braut“ und „Nu descendant un escalier“ („Akt, eine Treppe hinabsteigend“) „gelungene futuristische Bilder, in denen Duchamp mechanische Elemente und mehr oder weniger wesentliche Formen vorstellt, die er in ein caravaggioähnliches Licht eintaucht“ (Lemoine, S.8). Auch zum weiteren Bild Duchamps, „Schokoladenmühle Nr.2, merkt Lemoine: „Gewiß handelt es sich um eine Maschine, wie sie die Futuristen und Fernand Léger inspiriert hatte, die aber genau und undifferenziert dargestellt ist, ohne künstlerische Aussage“ (A.a.O., S. 9).
William S. Rubin erkennt die kubistischen Einflüsse auf Duchamp an (Zerlegung der Formen), will aber (wie so viele Kunsthistoriker) keine futuristischen anerkennen: „Es ist kaum anzunehmen, dass Duchamps Idee unter dem direkten Einfluß des Futurismus entstand. Er kannte Gino Severini, hatte seine Vorstellungen über die Bewegung aber schon lange entwickelt, bevor die erste futuristische Ausstellung im Januar 1912 in Paris (Galerie Bernheim–Jeune) stattfand“. Auch er will also nicht einsehen, dass Duchamp von den futuristischen Innovationen, etwa der Dekomposition, der Bewegung, der Zusammenfügung der zerlegten Formen noch vor der Ausstellung 1912 erfahren haben konnte (z.B. durch seinen Kumpel Picabia, den er vor der Ausstellung bereits zwei Jahre kannte, und der bereits 1910 durch seine Kontakte etwa zu „Sturm“ und dadurch zu den Futuristen ihr Oeuvre kannte). Vielmehr will Rubin die mögliche Entstehungszeit Duchamp'scher, dem Futurismus so nahen Idee auf unbestimmte Zeit zurückdatieren, welche dem aus Sicht Rubin erst-möglichen Kontakt zum Futurismus vorausgeht. Auch beantwortet er nicht die berechtigte Frage, warum Duchamp seine angeblich schon so lange bestehenden „Vorstellungen über die Bewegung“ auch künstlerisch nicht schon lange verwirklicht hatte.
Nicht einmal mögliche Übernahme der vom Futurismus propagierten Simultaneität sieht Rubin ein, obwohl, so Rubin: „Im Porträt der Schachspieler hatte Duchamp gleichzeitig fünf verschiedene Stellungen derselben Figur gezeigt, aber nicht im Sinne einer Reihe von Bewegungen“ (Rubin, S.32)
„Wahrscheinlich ist dagegen,- beharrt Rubin,- daß Duchamp wie die Futuristen durch dieselben Quellen beeinflußt wurden: den Film und die Chrono – Photographie von Muybridge und Marey. „Die Chrono – Photographie war damals Mode“ schrieb Duchamp später. Studien von Pferden in Bewegung und von Fechtern in verschiedenen Positionen fanden sich in den Alben von Muybridge und waren mir gut bekannt“ (Rubin, S. 33). Warum er denn diese „Mode“; ihm schon länger bekannte Muybridge' und Marey'sche Fotoexperimente nicht sofort, wesentlich eher in eine bewegungsbedingte Bilddekomposition umgesetzt hatte, erklärt Rubin nicht.
Jedoch, ohne futuristische Einflüße anerkennen zu wollen, tut Rubin das, indem er sagt: „Bei den verschiedenen Bewegungsphasen im Traurigen jungen Mann griff nun eine Idee auf, die seit 1910 in der Luft lag. Damals war in einem der futuristischen Manifeste von Nachbildern auf der Netzhaut die Rede gewesen und eine Kunst propagiert worden, die durch Übereinanderschichtung von Bildern derselben Figur in wenig voneinander Abweichenden Bewegungsphasen Bewegung suggeriert sollte, was Werke wie Giacomo Ballas Hundeleine in Bewegung mit akademischer Perfektion demonstrierten“ (Rubin, 32-33). Oder z.B., indem Rubin meint, die kubistische Entlehung – Formzerlegung - „sollte <Duchamp> in einer dem Futurismus verwandten Weise zusammensetzen“ (Rubin, S. 32).
Rubin (ohne das zu merken), gibt dadurch zu, dass er sich von einer „in der Luft liegenden“ letztendlich „futuristischen“ Idee inspirieren ließ, denn aufgegriffen wurde sie schließlich in einem futuristischen Manifest jener Zeiten. Wären dem Willliam S. Rubin andere solche „Niederschreibungen“ und „Verwörtlichungen“ dieser Idee bekannt, hätte er sie an der Stelle aufgeführt. Indem er das nicht tut, gibt Rubin dessen Urheberschaft eher dem Futurismus zu.Denn man muss erst eine wissenschaftliche Kenntnis an die Kunst anpassen können (etwa mithilfe eines Manifestes und/ oder eines Kunstwerkes), damit diese noch nicht-künstlerische Idee in den Bereich des Künstlerischen überführt wird und zum Teil desjenigen wird.
Zumindest stehe der Akt, die Treppe hinabsteigend für William Rubin „ in seinem „Mechanismus“ auch dem Futurismus nahe“, obgleich auch „aus einem anderen Geiste geboren“. Denn, abgesehen von den Manifesten, lassen die Bilder - vor allem die des Boccioni, etwa Abschiede oder Die Kräfte einer Straße – erkennen, „daß der Futurismus häufig an Sehnsucht und Mystik appelliert“, wogegen Duchamps Akt „unsentimental und ironisch“ sei, „mit einem Unterton von Sarkasmus, wie wir ihn im Futurismus nur selten finden“. Leider nennt Rubin keine Anhaltspunkte, an welchen er im Akt den besagten Sarkasmus und Ironie ausmacht, denn m.E. sind solche im Bild kaum ersichtlich. Außerdem müßte Rubin wissen, dass der Futurismus ausgerechnet Sehnsucht und Sentimentalismus, als „Mondlicht“ gebrandmarkt, nicht nur per Manifesten ablehnt und verabscheut – und das viel entschiedener, ja (wie es für den Futurismus als ein abgeschlossen totales Weltanschauungssystem typisch ist) fanatischer als der weitaus „lockere“ Dadaismus. „Duchamp hat sich Bergsons Erkenntnis zu eigen gemacht, daß Humor zum Bild eines Menschen gehört, der vorübergehend seines menschlichen Status beraubt und auf den Zustand eines Automaten oder einer Maschine reduziert ist (ein Mensch z.B., der auf einer Bananenschale ausrutscht). Diese Art Humor, wie auch seine Umkehrung, die Humanisierung der Maschine, wurde zu Duchamps späteren Werken noch bewußter untersucht“.
Die Futuristen „beraubten“ aber den Menschen seiner Natur nicht mehr als die Dadaisten. Auch die Dadaisten – und Duchamp im besonderen Ausmaße- sahen die Spezie „Mensch“ als einen Automaten auf viel härtere Weise. Außerdem war die Humanisierung der Maschine im Futurismus sogar noch vordergründiger. Bergson machten sich die Futuristen zumindest so zu eigen, wie die Dadaisten. Humor, Ironie, ja Sarkasmus, wurden von den Futuristen beinahe besungen – vgl. Ihr „Varieté“ - Manifest“. Man kann also das Fehlen des Humors in den Werken der Futuristen nie als einen Unterschied zum Dadaismus,speziell im Vergleich zu Duchamp ansehen.
Fraglich ist auch, ob die Futuristen so auf die Mystik abstellten. Von der Kritik wird ihnen jedenfalls öfter das Gegenteil vorgeworfen – zu materialistisch, ja zu realistisch und naturalistisch (so Arp) , zu „un – geistig“ gewesen zu sein (vgl. Sheppard: „Der Glaube der Futuristen an die letzthinnige Wirklichkeit des Materiellen und die permanente Gegenständlichkeit der Gegenstände“ (S.53), „Wirklichkeit... im wesentlichen materiell, ein mechanisch – chemischer Komplex“ (S.51).welche „nur ein dynamisches System der Atomen“ sei(S.. 54),und „materielle Essenz der Gegenstände“ ausmache. (S. 51). Und umgekehrt, sieht die Kunstwissenschaft eher im Dadaismus die Neigung zum Metaphysischen. Doch, stimmt die Ansicht Rubins, so war die „Mystik“ in den dadaistischen Werken eigentlich eine Rarität - jedenfalls bis auf sie im Mussolini – Italien die „Arte Sacra“ aus den Überlebensgründen aneigneten. (ausführlicher darüber im Abschnitt „Religiosität“). Mystische Einstellung blieb im Futurismus gewiss eine persönliche Angelegenheit; wie die Religiösität war sie jedem einzelnen Futuristen überlassen. Da sie, wie die religiösen Gegenstände an sich, in der Vergangenheit viel zu oft zum Inhalt der künstlerischen Darstellung wurde, bevorzugte der Futurismus ihnen lieber auf Distanz zu gehen.
Max Ernst: „Den wahren Geist Dadas strahlen vor allem seine collagierten Zeichnungen sinnfreier36 Maschinenkonstruktionen....“ (Elger, S.24).
„Ein kleines Buch mit De Chirico - Reproduktionen (1919) und Abbildungen der Werke von Carlo Carrà in der Zeitschrift Valori Plastici hatten Ernst stark beeindruckt; die Nachwirkung dieses Nachdrucks wird in der Fluchtperspektive einiger Collage deutlich wie auch in den sonderbaren Köpfen des Bildes I zinkblech I gummituch 2 tastzirkel I abflußfernrohr I röhrender Mensch, die eine, wenn nur entfernte, Verwandtschaft mit Bildern De Chiricos wie Die beiden Schwestern
und Inkonsequenzen des Denkers aufweisen. Dem Werk de Chiricos und Carràs noch näher steht die 1919 unter dem Titel Fiat Mobes publizierte Mappe mit acht Lithographien; sie enthält Schneiderpuppen von der Art, wie die italienischen Maler für ihre Mannequins benutzten, und auch die gleichen vorgetäuschten Perspektiven“ (Rubin, S.131-134, 162).
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Futurismus aus der Sicht der Dadaisten; Die Äußerungen der Dadaisten über den Futurismus
André Breton: „Der Kubismus war eine Stilrichtung der Malerei, der Futurismus eine politische Bewegung, DADA ist ein Geisteszustand. Diese beiden Dinge einander gegenüberzustellen, ist ein Zeichen von Ignoranz oder mangelndem Vertrauen“ (Breton, Manifest Geografie Dada, zit. bei Short, S. 18). Breton leugnet also futuristische Einflüsse auf Dada oder jegliche Geistesverwandtschaft.
Hans Richter: Richter gibt futuristische Einflüsse sogar bereitswillig zu: „The Italian Poets Ungaretti and Savinio and the painter Prampolini had been active in the sphere of Paris Dada, without secceeding in establishing a Dada were still too close together, in time and in ideas. Boccioni had anticipated use of new materials like cardboard, wire, pieces of wood, and so on) so Dada was not really necessary in the land of the Futurists. Nevertheless, Tzara includes the artists I have just named, as well as the second – generaion Futurists Evola, Cantarelli and Fiozzi, in his list of Dadaists“ (Richter, „Dada Art and Anti- Art, S. 199).
„On one more occasion Dada showed a certain solidarity in resistance and negation. Marinetti ans Russolo put on a Bruitistic concert and were hissed by their former friends. Both had been forerunners and trail – blazers for Dada. The row ended with Dada being, literally 'àl' instant', thrown out of the Theatre des Champs Elysées, where the concert took place“ (Rubin, S.191)
„Looked at in retrospect, Dada has a definite, inevitable and even foreseeable place in the historical development of art. Dada is an event which took place between 1916 and 1922. It belongs within the framework of the great movements to which it constituted a reaction, Expressionism, Cubism and Futurism, and the movement which followed it... Surrealism <... ...> Dada's points of departure had been established before the war. ... they were Expressionism, Cubism and Futurism. All the Dadaists had some connection to these movements. Arp and Hans Richter came from Munich andknew Kandinsky, Klee and the endeavours of the Blauer Ritter school, and through them the theories of Cubism and Futurism. Marinetti himself, the spokeman of Futurism, exchanged letters with the Zurich Dadaists – and of course Futurism one one of the main arsenals from which Dada drew its weapons. Marcel Duchamp, the protagonist of New York Dada, had paid homage to the Futurist theory of formation through motion in his famous Nude Descending A Staircase, which caused such a sensation at the 1913 Armory Show... The... Futurists... were shown in exhibitions at the gallery in Zurich which served to illuminate Dada's wide artistic background. A rapid survey od Dada's varoius techniques and formal innovations will show that these derive derive almost exclusively from the stylistic movements I have already mentioned:
Richter „heard in 1. Detuscher Kunstsalon – Exhibition 1910 Marinetti speak, distributed Futurist fly – sheets...“
Die von Tzara erstellte Liste der Präsidentinnen und Präsidenten Dadas enthältauch die Namen der Futuristen Cantarelli und Evola (Richter, „Art...“, S. 201).
George Grosz über den Futurismus: „Das Programm <des Berliner Dada> war nicht eigentlich politisch, es war modern futuristisch“ („Ein kleines Ja und ein großes Nein. Ein Leben von ihm selbst erzählt“ S.570, zit. bei Eimert, S. 305)
Hans Arp über futuristische Ideen, Malweise und Einflüsse, den Unterschied des Dada zum Futurismus: nachdem an einer Stelle Arp die Rolle des Spontanen, des „Zufalls“ in seiner Kunst hervorhob, stellte er fest: „Russische und holländische Künstler erstellten zu dieser Zeit uns scheinbar nahestehende Werke, gehorchten aber ganz anderen Intuitionen. Sie sind in Wirklichkeit eine Würdigung an das moderne Leben, ein Glaubensbekenntnis an die Maschine und die moderne Technik. Obwohl abstrakt behandelt, verbleibt in ihnen immer ein Rest von Naturalismus und Augentäuschung“.
Obgleich es sich hier um die russischen und niederländischen Maler handelt, würde sich gewiß aus Arps sich dasselbe auch über den Futurismus sagen lassen: Zufall und das Spontane unterscheiden den Dada vom Futurismus. Und: Futurismus stelle, anders als der Dada, viel mehr aufs Naturalistische ab.
'Duchamp über den Futurismus: Duchamp preist den antipassatistischen Kampf des Futurismus und schützt den futuristischen Vorschlag der Zerstörung des Alten von den Übergriffen und Missverständnissen: „Und ich glaube, die Idee der Zerstörung alter Gebäude, alter Erinnerungsstücke ist vorzüglich. Sie steht in einer Linie mit dem mißvertandenen Manifest der italienischen Futuristen, das nur symbolisch – wenngleich es nur wörtlich genommen wurde – die Zerstörung der Museen und Bibliotheken forderte. Den Toten sollte es nicht gestattet werden, soviel stärker als die Lebendigen zu sein. Wir müssen lernen, die Vergangenheit zu vergessen und unser eigenes Leben in unserer eigenen Zeit zu leben“ (Duchamp, S.9).
Richard Huelsenbeck über den Futurismus: „Es soll der Presse und dem Publikum durch unser auftreten gezeigt werden, dass es Persönlichkeiten gibt, die die Sache der „jüngsten“ Literatur auch im Kriege weiterführen. Diese jüngste Literatur hat eine ganz bewußte Tendenz. Diese Tendenz: Expressionismus, Buntheit, Abenteuerlichkeit, Futurismus, Aktivität, Dummheit (gegen die Intellektualität, gegen die Bebuqiuns, gegen die gänzlich Arroganten)“ (Aus dem „Literarischen Manifest“, von Hugo Ball mitverfasst, bei Bergius, S. 57 abgedruckt).
Hugo Ball über den Futurismus: Von Hugo Ball „wir die neue Ästhetik des Futurismus gefeiert“ als „Revolution der Unterminierung, der ekstatischen Krankheit, die nach Ausbruch sehnt: die Nervenfächer und Rhythmusfelder des Todes, des Lichtes, der Dynamos und der Uratome. Eingefangene psychische Telefunken zetern, schreien und kreisen in zinnobergrünem Getöse. Bewegung der Spermatozoen alles Seins ist festgehalten. Urkraft effulgiert in singenden Linien. Aktiv gewordene zerfetzte Körper tanzen, Lichtgranaten in platzender Wut, Sinfonien und Schwaden von Blut und Gold. Schwangere Himmel und ejakulierte Fixsterne. Rotglühende Männer und aufbrüllende Sklaven, Wahnsinn und Umsturz: atemberaubende heulende Dinge, die kommen werden, die kommen werden. (Ball, „Die Reise nach Dresden“, in: „Revolution“, Jg.1, Nr.3, Nov. 1913; In: „Künstler und die Zeitkrankheit“, S. 12f.; zit. bei Bergius, S. 53.).
Hugo Ball bezog sich in seiner Darstellung der Futuristen auf eine Ausstellung, die er im Richterschen Salon in Dresden gesehen hatte. Diese Ausstellung war Teil einer Futuristenwanderausstellung, die Herwarth Walden 1912 (vom 12. April bis zum 31. Mai) in seiner Galerie „Sturm“ in Berlin erstmals präsentierte. In Dresden wurden jene futuristischen Bilder gezeigt, die der Bankier Dr. Alfred Burchardt aufkaufte, der eventuell identisch ist mit dem „Finanzdada“ Dr. Otto Burchard, der später die „Erste Internationale Dada-Messe“ in seiner Galerie am Lützowufer ermöglichte. Für einen Pauschalpreis von 11 650 Mark erwarb er 24 von 35 futuristischen Werken von Carrá, Boccioni, Severini und Russolo aus der „Sturm“- Ausstellung (Bergius, S.53, mit Verweis auf Baumgarth, „Futurismus“, S. 86 u. Martin, Marianne: „Futurist Art and Theory 1909-1915“, Oxford 1968).
In Dresden „sah ich ... die ersten Futuristenbilder. Da waren Carrà „Die Beerdigung des Anarchisten Galli“;Russolo „Die Revolution“; Severini „Der Pan-Pan - Tanz in Monico“ und Boccioni „Die Macht der Straße“. Mein begeisterter Bericht darüber muß in Nummer 4 oder 5 erschienen sein“. (Ball, „Flucht“, S.15).
„Marinetti schickt mir seine „Parole in libertà“ von ihm selbst, Canguillo, Buzzi und Govoni. Es sind die reinen Buchstabenplakate; man kann so ein Gedicht aufrollen wie eine Karte. Die Syntax
ist aus den Fugen gegangen.Die Lettern sind zersprengt und nur notdürftig wieder gesammelt. Es gibt keine Sprache mehr, verkünden die literarischen Sterndeuter und Oberhirten; sie muß erst wieder gefunden werden. Auflösung bis in den innersten Schöpfungsprozeß“ Ball, „Flucht“, S.41-2).
Vicente Huidobro über Marinetti und Futurismus „„Guerra al cliché!“ Wo Rhetorik und Literatur negativ konnotiert und gleichbedeutend sind mit eingeschliffenen Floskeln, da orientiert sich die alternative Auswahl der Redewendungen vorzugsweise an deren Neuheit. Aber schon der Versuch, eine Vorstellung seiner Beschreibung vom Neuen zu geben, führt Huidobro in eine erste Konfrontation mit der europäischen avantgardistischen Gruppierung, den Futuristen:
Sin embargo, el senor Marinetti prefiere un automóvil a la pagana desnudez de una mujer. Es esta una cualidad de nino chico: el trencido alte todo. Agú Marinetti“. „ El Futurismo“, zit. bei Hopfe, S.34 . „In diesem 1914 veröffentlichten Text verweist Huidobro auf Rubén Daríos artikel: Marinetti y el futurismo vom 5.4.1909 in La Nación, Buenos Aires“. Huidobro unternahm auch den Vergleich zwischen dem italienischen und dem katalanischen Futurismus“ (Hopfe, a.a.O.)
. Keine „creatio ex nihilo“, sondern Konzepteinbindung in die Dichtungstradition, als Einfügung der Brüche in das Vorgefundene, so Hopfe, sei Huidobros Antwort auf die voreilige Leugnung der Errungenschaften der bestehenden Kultur. Daher: „Er stimmt also keine naive Apologie des Neuen an (das verurteilte er schon in seiner Futurismuskritik)“ (Hopfe, S. 39).
Aber auch die Dadaisten und die Surrealisten finden langsam bei ihm keinen Gefallen mehr. „Ansatzpunkt der Kritik beider Richtungen ist für Huidobro deren Arbitrarität, die dem dadaistischen und dem surrealistischen Dichten systematisch zugrundelag. Was dies für die Dadaisten der provokatorische Akt von Dekomposition vorgefundener Materialien und deren Rekomposition als Collage nach dem Prinzip des Zufalls, so installierten die Surrealisten dafür die automatische Schreibweise. <...> <...> Huidobro regt sich dort, wo er die bewußt kontrollierende Arbeit des Dichters ausgeschaltet sieht (Hopfe, S. 45).
Raoul Hausmann über den Futurismus
„Besonders den energetischen Impuls der Futuristen auf Dada Berlin hob Hausmann noch heraus:
„Marinetti... forderte die Kunstatomauflösung auf allen fünf Gebieten, und da er, selbst vom Zeit- Raum- Geschehen bewegt, ein Beweger war,so ging von ihm die einzige und auch erste neue Kraft-Bewegung des Jahrhunderts aus, ohne aber mehr als Teilresultate zu erzielen...“ (Hausmann, „Neue Wahrheiten“, in: „Sprache im technischen Zeitalter“, H.37 1958, S. 168, zit. bei Bergius, S. 54).
Walter Mehrung über Marinetti: „Und so, schon aus Widerspruch gegen die Autorität meines Vaters und seiner ganzen Bibliothek, geriet ich ausser mir, als ich auf dem Schulweg ein Flugblatt in die Hand bekam, das die italienischen Futuristi zur Eröffnung ihrer ersten „Berliner Kollektivschau“ 1911 (In Herwarth Waldens „Sturm“- Salon) verteilten:
„Zerstört die Museen!
Brennt die Museen nieder!“
In zwei Hinterzimmern eines bürgerlichen Hauses, in die ich mich hineinstahl wie in ein Bordell, standen sich- vor Gino Severinis simultanem Wandgemälde- Kaleidoskop „Panpan- Tanz in Del Monico“,- vor Boccionis explodierendem Porträt „Das Lachen“,- vor Delauneys einstürzendem „Eifelturm“,- vor den quadratischen „Nus“ und „Natures mortes“ des Gleizes, Metzinger, Le Fauconnier,- vor den ungegenständlichen „Weißen Formen“ Kandinskys die Entarteten und die noch gemäßigten Sezessionisten und „Brückeleute“ wutschnaubend gegenüber; und die rein formale Kontroverse artete in eine reele Keilerei aus, die durch die von ahnungslosen Besuchern alarmierte Berliner Polizei mit Brachialgewalt abgebrochen wurde.
Glücklicherweise war der Anführer und Sponsor der italienischen Futuristi, F.T. Marinetti, nicht nur ein Millionärssohn, sondern auch ein geborener Versammlungsredner, der einer Handvoll Cafehausbohemiéns einreden konnte, er spräche zu kochenden Volksmassen vor der Entscheidungsschlacht.
Er pries sein futuristisches Unternehmen im Superlativ einer konkurrenzlosen Industriereklame und rüde wie eine extreme Wahlpropaganda an:
„Zerbrecht die Syntax! Sabotiert das Adjektiv! Fort damit... mit allem! Nicht als das Verbum...“ ,
obwohl er damit bloß den Evangelisten Johannes und den Symbolisten Mallarmé nachbetete.
Nie verlegen um neue Patentlösungen, erfand die die „Typographischen Ideogramme“, die als „Blickfang“ kreuz und quer gedruckte Annoncenlyrik- und auch das politische Warenzeichen Fascismo (was ihm nachher, als er auf dem Urheberrecht bestand, die Ungnade zweier Konkurrenten, des Literatur- Bravos Gabriele D' Annunzio und des Nationalcamorristen Benito Mussolini, zugezogen hat).
Schon bei seinem ersten Auftritt, fast um ein Jahrzehnt voraus, hatte er auf den Plätzen Mailands, der „mechanisiertesten Stadt der Welt“, den ganzen Parade- Klimbim der Diktatur: die römische Diktatorgeste, den Lorbeer um den kahl rasierten Schädel, die Megaphonstimme und die Vernichtung des Individuums vorweggeschwindelt:
„Man muss das Ich in der Literatur ausrotten!“
und das Rezept für den sterilisierten Massenmord:
„Der Krieg- einzige Hygiene der Welt!“
Welch wahrhaft futuristisches Heilrezept! Und doch, was für ein alter Text!
Bis zu seinem sang- und klanglosen Tode- 1944 im Fortissimo seines futuristisch polyphonen Zweiten- Weltkrieges- Schnellfeuerorchesters: „Zang Tum tu Umb“- papageite F.T. Marinetti, der Futuristen- Gaga des Duce, auf den internationalen Schriftsteller- Weltkongressen:
Agressivitá corragio, eroismo sind die typisch futuristischen und faschistischen Tugenden“ (Mehring, „Die verlorene Bibliothek“, S. 143- 144)
„Die neue Zeitkrankheit war im Grunde gar nichts andres als die alte ewige Unruhe der Romantik, der irreparablen „Inneren Zeit“, die tiefste Wirklichkeit des Ich-Selbst“, des „Élan- vitale“des Philosophen Henri Bergson.
In Italien wurde sie als „Fascismo“, von dem Quattrocento- Epigonen Gabriele D' Annunzio, von dem Futuristen Marinetti zur Norm und von einem „Popolo“ Journalisten, Benito Mussolini als „staatliche Normaluhr“ eingeschaltet.“ (Mehring, a.a.O., S.210).
Walter Mehring über Futurismus: „Der Weltmarsch startet in der Arena der futuristischen Gegenwart (Mehring: „Sensationell. Enthüllungen. Historischer Endsport mit Pazifistenfoto“ (In: „Dada Dokumentation“, S.70).
George Grosz über den Futurismus:
„... Es war eine recht interessante Zeit, knapp vor dem ertsen Weltkrieg, man schwärmte für das Neue. F. Malten Manifeste u. bereiteten schon damals eine Art faschistische Kunst vor. Boccioni malte ein viel duskutiertes Bild: „das Lachen“. Man wollte wider alles auf einmal darstellen, auf verschiedenen Ebenen – das war der Simultanismus. Bewegung wollte man...“ (z.t bei Eltz, S. 107).
1. Rezipienz futuristischer Ideen in dadaistischen Texten bzw. die Ideen, die gemeinsame Begeisterung hervorriefenBegeisterung gleichermassen hervorriefen; Passagen aus dadaistischen Statements mit kunsttheoretischer, philosophischer und weltanschaulicher Ideennähe zum FuturismusSprache /Technik/:
„Wir ersetzen die Tränen durch die von einem Kontinent zum anderen gespannten Sirenen.“ (Tzara, Dada Manifest 1918, S. 21). Die Maschine tritt hier an die Stelle der menschlichen Emotionen, und heult ersatzweise für den Menschen. Während der Mensch nicht mehr weint, also mechanisiert wird, wird die Maschine „humanisiert“. Das könnte als eine Entlehnung aus Marinettis Slogan „Auch wir Menschen sind Maschinen, als wir sind mechanisiert“ begriffen werden.
„Wir erklären, dass das Auto ein Gefühl ist, das uns mit den Langsamkeiten seiner Abstraktionen genauso wie die Ozeandampfer, die Geräusche und die Ideen genügend verwöhnt hat“ (Tzara, Manifest des Herrn Antipyrine“, S. 14). /Paraphrase Marinettis: „Wir erklären, dass ein Auto schöner ist, als Nike von Samothrake“. Zugleich ist es aber eine Parodie auf die Verherrlichung des Autos, aber auch auf die „Gefühlsbetonung“ des Expressionismus und des Symbolismus/ des „Jugendstils“. Die Aussage sieht wie ein Patchwork, wie eine sprachliche Collage aus, aus den Bruchteilen der Äußerungen von den bekannten Manifesten nach der Willkür Tzaras zusammengesetzt bzw. zusammengeklebt und durch eine solche Zusammenfügung ab absurdum geführt und zunichte gemacht. Damit wird sowohl mit der impressionistischen als auch mit der futuristischen Weltauffassung abgerechnet. Solchen Zusammenfügungen in den Dada- Manifesten werden wir noch öfter begegnen.
„Bereitet die Aktion des Geisers unseres Blutes vor- unterseeische Bildung transformativer Flugzeuge, zellulare und verschlüsselte Metalle im Sprung der Bilder„ (Tzara, „Proklamation ohne Anspruch“, S.30). Die futuristische Perspektive wird hier in der Gleichstellung „menschliches Gemüt= Technik“ /hier Flugzeug/ übernommen. Auch „Sprung der Bilder“, also das Simultaneitätsprinzip, ist hier deutlich erkennbar.
Die futuristische Verschmelzung Mensch- Maschine ist von den Dadaisten „fetzenhaft“ übernommen- als sporadische unbewusste Entlehnung: „Bei jedem Knoten jeder Maschine gibt es die Nase eines Neugeborenen“ (Tzara, Manifest des Herrn Aa des Antiphilosophen“, S. 32)