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Der_Campus

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»Ja.«

»Wieso eine Kampagne?«

»Universitä tspolitik Ð der Prä sident betreibt seine Wiederwahl.«

»Wie heiût die Studentin?« »Weiû ich nicht.«

»Das weiût du wohl.«

»Nein, der Name in der Zeitung war geä ndert.« Sie sah ihn durchdringend an. »Ist es Babsi?« »Babsi?«

»Sie hat hier angerufen, kurz bevor du deinen Akademievortrag hieltst. Als du mich auf dem Empfang danach allein gelassen hast und mit einer fremden Hose zurü ckkamst.« Plö tzlich schrie sie: »Tu nicht so! Du weiût genau, wovon ich spreche! Hanno, du bist das gewesen mit der Vergewaltigung, ich sehe es dir an. O mein Gott! Du... du... du miserabler, windiger Schuft, du, wie stehen wir jetzt da? Ich kann mich nirgends mehr sehen lassen!« Plö tzlich griff sie ihr Sektglas und warf es ihm mit voller Wucht an den Kopf, so daû er sich ducken muûte, um es nicht ins Gesicht zu kriegen. Ein Schwall Sekt traf ihn ins Gesicht, wä hrend das Glas hinter ihm zerschellte. »Alles Schö ne reiût du runter!« schrie sie. »Da versucht man, was aufzubauen, dann kommst du und machst es kaputt! Du machst immer alles kaputt! Alles hast du kaputtgemacht, was ich aufgebaut habe, alles! Ich habe ü berhaupt keine Freude mehr am Leben gehabt.« Wie in Zeitlupe sah Hanno, daû ihr die ersten Trä nen direkt aus den Augen sprangen, dann ergoû sich ein lauter Strom ü ber ihr Gesicht, und sie lief die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Hanno hö rte, wie sie die Tü r zuschlug, und dann herrschte Stille. Langsam erhob er sich und las die Scher-

ben des Sektglases auf. Ob

Sarah

etwas gehö rt

hatte?

War

sie

ü berhaupt zu Hause? Oder

schlief

sie vielleicht

schon?

Es

half

nichts, er muûte es ihr jetzt sagen. Noch heute abend. Wenn sie morgen zu den Zitkaus fuhr, wü rde er keine Gelegenheit mehr dazu haben.

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Er ging leise die Treppe hinauf, vorbei an dem ehemals ehelichen Schlafzimmer, und klopfte an Sarahs Tü r.

»Sarah?«

Er klopfte noch mal.

»Du lä ût Sarah damit in Ruhe!« Er hatte Gabrielle gar nicht gehö rt und fuhr herum. Sie stand mit verquollenem Gesicht da und zitterte vor Wut.

»Ich muû es ihr sagen, sonst erfä hrt sie es durch die Zeitungen.« »Ich lass' das nicht zu, daû du das M ä dchen auch noch kaputt-

machst. Hö rst du Ð das lasse ich nicht zu!« »Ich muû es ihr selber sagen.«

»Geh weg, geh weg von uns Ð laû uns in Ruhe.«

Hinter ihm ging die Tü r auf, und Sarah stand da, schlank und dünn in ihrem Nachthemd.

»Mü ût ihr euch denn immer streiten?«

»Siehst du, was du angerichtet hast?« schrie Gabrielle. »Sarah, ich muû dir etwas sagen.«

Gabrielle stellte sich schrä g vor Sarah und hielt einen Arm wie eine Schranke schü tzend vor ihren mageren Kö rper.

»Du lä ût sie gefä lligst mit deinen schmutzigen Geschichten in Ruhe!«

»Papi, was ist denn los? Laû mich doch los, Mami, was willst du denn? Was ist los?«

»Mami will nicht, daû ich dir etwas Schreckliches erzä hle, was mir passiert ist. Aber du muût es wissen...«

»Passiert, passiert...« schrie Gabrielle, »getan hast du es. Dein Vater ist ein... ein... Sexualverbrecher. O Gott, ich ü berlebe das nicht!« Damit drehte sie sich um und lief in ihr Schlafzimmer.

Sarah starrte ihn verstä ndnislos an. »Was hat Mami gesagt?« »Komm, gehen wir in dein Zimmer. Leg dich ins Bett, so. Jetzt

erzä hl ich dir alles.« Er ü berlegte. »Du erinnerst dich doch an den anonymen Anruf neulich?« Sarah nickte. »Nun, damit hat es zu tun. Wenn man im ö ffentlichen Leben steht, so wie ich...« Das klang zu pompö s. »Ich habe Feinde.«

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»Feinde? Ich dachte immer, du hä ttest nur Freunde!«

»Nein, zum Beispiel, wenn man Studenten durchs Examen fallen lä ût, mö gen die einen nicht besonders. Und damit hat es zu tun. Ich habe es abgelehnt, eine Studentin von mir zu prü fen, weil sie zu schlecht war. Darauf hat sie einen Nervenzusammenbruch bekommen und behauptet nun, ich hä tte mit ihr... also daû ich mit ihr...«

»Nun sag schon, sie behauptet, du hä ttest mit ihr geschlafen?« »Ja.« Er war verblü fft, mit welcher Leichtigkeit sie das ä uûerte.

»Aber sie hat noch mehr behauptet.« Er machte eine Pause, um zu schlucken. »Ich soll sie dazu gezwungen haben.«

»Du meinst, vergewaltigt...?«

»Ja, und mit dem Examen erpreût. Morgen wird es in allen Zeitungen stehen, und ich mö chte, daû du es von mir hö rst. Und weil Mami das verhindern wollte, haben wir uns drauûen gestritten.«

Sie sah ihn an und griff seine Hand. »Papi, sie lüg t doch, oder?« »Ja.«

»Schwö rst du es?« Er zö gerte. »Wenn du es schwö rst, weiû ich, daû sie lüg t, und dann ist mir ganz egal, was andere sagen. Auch was Mami sagt.« Das letzte hatte sie fast geflü stert.

Als Hanno sie in den Arm nahm, kuschelte sie sich dicht an ihn. »Ich glaube nur dir!« flü sterte sie. »Schwö rst du es?«

Hanno machte einen Arm frei und hob ihn zum Schwur. »Schwö rst du, daû du nichts mit dieser Studentin zu tun hast?«

Eine kleine metaphysische Angstwelle lief durch ihn hindurch. Sollte er einen Meineid leisten? Andererseits konnte er doch nicht an der Eidesformel herumdiskutieren? Der warme Kö rper seiner Tochter entschied es.

»Ich schwö re.«

»Jetzt ist es gut. Armer Papi! So ein Aas! Warum lüg t sie? Um sich fü r das Examen zu räc hen?«

»Ja.«

»Weiût du, daû Angelika Liebig auch mit unserem Mathelehrer geschlafen hat?«

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»Tatsäc hlich?«

»Ja, und er ist vor den Direktor zitiert worden und hat einen Verweis bekommen. Ich weiû es von Anja. Kriegst du nun auch einen Verweis?«

»Ich werde am Freitag vor einen Ausschuû zitiert, und meine Strafe ist, daû alle Zeitungen ü ber mich schreiben. Also werden es auch alle deine Mitschü ler wissen und dich damit quä len. Die werden sicher nicht zimperlich sein. Denk an den anonymen Anruf!«

»Das war schrecklich Ð so... sä uisch!«

»Solche Sachen werden dir auch einige deiner Mitschü ler sagen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Es ist besser, du rechnest damit. Du muût dich jetzt etwas abhä rten.«

»Fü r dich ist es aber auch schrecklich.«

Hanno füh lte, wie ihm die Trä nen in die Augen traten. Ihm wurde klar, daû sein Leid ihr Leid war. Wenn sie an ihn glaubte, war ihm der Rest ziemlich egal. Er sagte es ihr unter Trä nen, und Vater und Tochter weinten ein biûchen zusammen, bis Sarah einschlief. Dann ging er leise nach unten. Auf der Kü chenuhr war es kurz nach Mitternacht. Der neue Tag hatte schon begonnen. Da fiel ihm ein, daû am Hauptbahnhof schon die neuen Zeitungen verkauft wurden. Warum fuhr er nicht hin und las sie als erster, dann wuûte er, was auf ihn zukam?

Als Hanno kurz vor eins auf dem Hachmannplatz vor dem Hauptbahnhof aus seinem Wagen stieg, blickte er vom ersten Kreis der Hö lle auf verschiedene Gruppen von Verdammten. Rechts in Richtung St. Georg strichen die Nutten durch die engen Gassen hinter dem Deutschen Schauspielhaus und schauten nach Kunden aus. Geradeaus, hinter einem Absperrgitter vor dem Bieberhaus, hatte sich eine Schlange aus Asylanten gebildet, die sich einen gu-

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ten Platz sichern wollten, wenn morgens um acht die Auslä nderbehö rde aufmachte. Links unter dem ausladenden Vordach des Bahnhofsgebä udes lagen, hockten, saûen und standen einzeln und in kleinen Trupps Fixer, Dealer, Drogensü chtige, Penner und Obdachlose. Und direkt vor ihm auf dem Parkplatz holten und brachten die Taxis die Strichjungen und Nutten mit ihren Kunden. All diese Gruppen waren an ihrer Kleidung erkennbar. Was hatte Hirschberg gesagt, Refeudalisierung der Gesellschaft? Hier schlug sie sich im Kostü mzwang nieder. Das funktional Unauffä llige der bü rgerlichen Kleiderordnung war der schrillen Expressivitä t stä n- discher Trachten gewichen, mit denen die zahlreichen Zün fte und Innungen von Ganoven, Strichern und Zuhä ltern ihre kollektive Identitä t zum Ausdruck brachten, wä hrend die Asylanten sowieso schon aus den Zeitzonen stä ndischer Gesellschaften kamen. Hanno kontrollierte zweimal, daû alle Tü ren seines Autos auch abgeschlossen waren, prü fte auch den Kofferraum und ging in das

Bahnhofsgebä ude.

Der

Anblick der groûen Eingangshalle erin-

nerte ihn plö tzlich

an

die Universitä t. Dieselbe Verbindung von

Massen und Vernachlä ssigung. Bei den Benutzern derselbe Kontrast zwischen vorü bergehendem Aufenthalt bei denen, die Weiterreisen wollten, und permanenten Parasiten lumpenproletari-

schen Zuschnitts.

Derselbe

Widerspruch zwischen funktionaler

Hö chstleistung und

galoppierendem Verfall. Dieselbe

Kombina-

tion von Anonymitä t und

flü chtigen Kontakten. Und

derselbe

Kunstwille bei den Graffiti. Es war die dunkle Gegenwelt der Universitä t, ihre karnevalistische Verkehrung, ihr geträ umter Widerschein in den dunklen Wassern der Nacht.

Hanno durchquerte die Halle und wandte sich dann nach links in einen Gang. Er hatte das Gefüh l, daû all diese schattenhaften Ge-

stalten an den Wä nden ihn anblickten. Sie wisperten und

flü ster-

ten. »Hast du mal fün f Mark?« »You want to fuck my

sister,

lovely girl?« »Gib mal'ne Zigarette, Alter!« Auf dem schmutzigen Fliesenboden vor den Schlieûfäc hern lehnte, unbekü mmert um

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das Getrappel um sie herum, ein Mä dchen, hatte den linken Arm angewinkelt und setzte sich mit der rechten Hand einen Schuû. -Sie muû ungefä hr in Sarahs Alter sein¬ dachte Hanno, und er empfand eine Welle der Erleichterung, daû Sarah seine Katastrophe so gut zu verarbeiten schien. Wenn sie jetzt noch die näc hsten Tage ü berstand, war es geschafft.

Der Gang ö ffnete sich zu einer kleinen Rotunde mit Geschä ften fü r Reiseandenken, Blumen und Proviant. Alle waren jetzt geschlossen, bis auf den Pressekiosk. Vor seinem hell erleuchteten Eingang stapelten sich verschnü rte Blö cke mit frischen Zeitungen. Leider wü rde die Abendpost noch nicht dabei sein, sie erschien erst spä ter. Der tü rkische Verkä ufer muûte einige der Blö cke aufschnü ren, als Hanno seine Sammlung von Zeitungen verlangte. »Abendblatt, BILD, Rundschau, Morgenpost und JOURNAL«, sagte er. »Fallen die Aktien?« fragte der Verkä ufer in akzentfreiem Deutsch. Hanno zahlte und griff sein Paket. Sein Herz klopfte. Er suchte eine Gelegenheit zum Sitzen. Wo er auch hinblickte, es gab keine Bank. Kurz entschlossen ging er auf einen Stapel Bretter zu, der mit einem Metallband verklammert vor der Drahtabsperrung einer Baustelle lag, setzte sich und blä tterte die Zeitungen durch. Obwohl er darauf vorbereitet war, traf ihn die Gewalt der Ü berschriften mit der Wucht eines Leberhakens. BE-

KANNTER SOZIOLOGE ALS SEX-PROFESSOR ENTLARVT, stand da in

riesigen Blockbuchstaben neben einem Bild von ihm beim Akade-

mievortrag. DAS SEXMONSTER HEISST PROFESSOR HACKMANN Ð

SEXUELLE ERPRESSUNG AN DER UNI: ES WAR PROFESSOR HACK-

MANN. Hanno füh lte sich schwindelig, er hatte Müh e mit dem Atmen. Die Buchstaben verschwammen ihm vor den Augen. -Jetzt nur keinen Kreislaufkollaps¬, dachte er, und zwang sich zum regelmä ûigen Atmen. Er konzentrierte sich auf die Maserung des Brettes, auf dem er saû, und zä hlte die Astlö cher. Er wartete darauf, daû der Sturm in seinem Inneren sich wieder legte. Nach einer Ewigkeit füh lte er sich einem neuen Blick auf die Zeitungen gewachsen. Er las zunäc hst das JOURNAL. Wieder nahm ihm die

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Ü berschrift den Atem: EXAMEN GEGEN SEX:

DIE PRÜ FUNGEN DES

PROFESSOR HACKMANN. Ein Exklusivbericht

ü ber die Hinter-

grün de des Uniskandals von Martin Sommer.

 

»Bettina S. ist fassungslos. Das hä tte sie nie von Professor Hackmann erwartet. Bettina S. studiert im 7. Semester Soziologie. -Ich wuûte ja nicht, was mir blüh te¬, sagte sie: Wie sie reagierten viele Studentinnen am Soziologischen Institut. Aber es ist wahr: Der sexuelle Erpresser ist Dr. Hackmann, angesehener Professor fü r Soziologie. Lange schien zweifelhaft, ob man den Vergewaltiger von Clara C. finden wü rde. Dann hä tte Professor Hackmann weiter erpreût, dann hä tten die Kandidatinnen weiterhin Sex gegen Examen liefern mü ssen. Es ist der Zä higkeit eines Mannes zu danken, daû das nicht geschehen ist: Professor Bernd Weskamp. Als Vorsitzender des Disziplinarausschusses war er mit der Untersuchung des Falles betraut. -Es haben viele geholfen¬, sagte er und meinte damit auch die Recherchen des JOURNAL. -Man darf doch so etwas nicht auf sich beruhen lassen.¬ In einer ersten Stellungnahme sprach der Universitä tsprä sident Dr. Schacht von einer Schande fü r die Universitä t Hamburg und drü ckte die Betroffenheit aller Angehö rigen der Universitä t aus. -Wir schulden es ihrem Ansehen, den Fall rü ckhaltlos und vor den Augen der Ö ffentlichkeit aufzuklä ren¬, sagte er. -Aber so ein Fall rü ttelt auch wach. Wir werden uns kün ftig den Problemen, die besonders Frauen an

der

Universitä t haben,

stä rker zuwenden.¬

Professor Hackmann

ist

als Stellvertretender

Geschä ftsfüh render

Direktor des Soziolo-

gischen Instituts zurü ckgetreten und hat seinen Vorsitz in der Berufungskommission niedergelegt. In der Fachwelt genieût Professor Hackmann hohes Ansehen. Er ist Mitglied der Hamburger Akademie der Wissenschaften und Kün ste, Herausgeber mehrerer Reihen und Zeitschriften und sitzt in vielen Beratergremien namhafter Institute. Unter Kollegen und Studenten gilt er als umgä nglich, aber elitä r. -Er hat immer viel verlangt¬, sagte seine Assisten-

tin Dr. Veronika Tauber und lachte dann ü ber den neuen

Sinn,

den ihre Bemerkung durch die Enthü llungen angenommen

hatte.

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Seiner Sekretä rin, Frau Eggert, war nie etwas Besonderes aufgefallen. Er hatte zu allen ein gutes Verhä ltnis. Noch vor wenigen Tagen hatte er sich schü tzend vor die Mitglieder des Instituts gestellt, nachdem das JOURNAL ü ber den Fall berichtet hatte. -Aber da wuûte ja noch niemand, daû er selbst der Tä ter war¬, sagte seine Sekretä rin unter Trä nen.«

»Willkommen in der Heimat, Hanno!« sagte plö tzlich eine rauchige Stimme direkt neben ihm. Hanno fuhr auf und blickte in das stoppelige Gesicht von Norbert dem Penner. Unter einem offenen Mantel, der noch aus Napoleons Winterfeldzug zu stammen schien, sah Hanno seine eigene Smokinghose im Zustand intensivster Strapaziertheit. Sie hing an Norbert wie an den Beinen eines Gehenkten. Norbert blickte ohne Befangenheit an sich hinunter.

»Hä lt

nix

aus, so

'ne

vornehme Hose.« Zu

Hannos Erstaunen

knöp fte

er

sie auf

und

zeigte ihm darunter

eine zweite Hose.

»Guck dir die an. Ne einfache Hose von C & A. Eine Hose fü r einen kleinen Mann auf der Straûe. Nix Besonderes. Kein feiner Stoff oder so. Aber so was von solide, das glaubst du nicht. Hat alles ausgehalten, Feuer, Wasser, Sä ure, Tritte, Hundebisse Ð einfach alles. Sogar als ein Typ mir mal draufgepiût hat, habe ich nix

gespü rt. Imprä gniert war sie Ð wasserdicht.

Lä ût nix durch. Du

bist geschü tzt, einfach solide gemacht. Da ist

dieses feine Zeugs

nix dagegen. Willst du sie wiederhaben?«

 

Hanno winkte ab. »Nein danke, behalt sie Ð ich brauch sie nicht mehr.«

Norbert setzte sich neben ihn auf die Bretter und holte einen Flachmann aus der Manteltasche. »Willst du einen? Aber du muût ja sicher noch fahren.« Er nahm einen Schluck und lieû die Flasche wieder verschwinden. »Hanno, was du da neulich gesagt hast, bei dem Vortrag Ð ü ber Solidaritä t und einer fü r alle und so, da hab ich oft drü ber nachgedacht. Weiût du was, du hast recht! Solidaritä t Ð das gibt es. Freundschaft auch. Hast du mal einen Zehner?«

Hanno griff nach seinem Portemonnaie. Es war nicht da. Er

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stand auf und tastete seine Jackentaschen ab, seine Hosentaschen und die Gesä ûtasche. Nichts.

»Hast du die Zeitungen da drü ben am Kiosk gekauft?« Hanno nickte.

»Dann ist es dir geklaut worden. Warte einen Moment, ja? Ich bin gleich wieder da.«

Norbert verschwand, und Hanno setzte sich wieder hin und ü berflog die Artikel in den anderen Zeitungen. Aber da wurde nur die Presseerklä rung des Prä sidenten zitiert. Der Artikel im JOURNAL war sehr viel detaillierter. Hanno las ihn noch einmal durch. Dieser Martin Sommer muûte wesentlich bessere Informanten ha-

ben.

 

 

»... wie das JOURNAL aus

verlä ûlicher Quelle

erfuhr, liegt

dem Disziplinarausschuû eine

neue Erklä rung der

betroffenen

Studentin vor. Ü ber den Inhalt ist noch nichts bekannt geworden ...«

»Hier hast du es.« Aus dem Schattenreich des Bahnhofs war Norbert der Penner wieder aufgetaucht. Hanno traute seinen Augen nicht: In der Hand hielt er sein Portemonnaie.

»Wo hast du denn das plö tzlich her?«

Norbert reichte es ihm zurü ck. »Ich weiû doch, wer um diese Zeit hier arbeitet.« Und er beschrieb mit einer weit ausholenden Handbewegung das Jagdrevier seines Freundes, des Taschendiebs. »Da habe ich es dir wiedergeholt. Aus Freundschaft!« füg te er hinzu. »Da waren doch deine ganzen Papiere drin.«

Hanno machte das Portemonnaie auf. Tatsäc hlich, die Papiere waren da Ð aber das Geld war weg.

»Na ja, sonst hä tte ich es gar nicht wiedergekriegt. Aber zehn Mark Finderlohn hat er mir gegeben. Der ist echt in Ordnung. Und du sollst besser aufpassen, soll ich dir bestellen. So was Geistesabwesendes hat er noch nicht erlebt. Er hat gleich gemerkt, du bist ein Professor. Der Junge hat einfach Menschenkenntnis, das braucht man in seinem Beruf. Was ist denn das?« Norbert hatte ein Auge voll von den Schlagzeilen erhascht und las laut jede ein-

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zelne Silbe vor. DAS SEXMONSTER HEISST PROFESSOR HACKMANN.

Sag bloû, das bist du?«

Hanno nickte und gab ihm die Zeitung. Norbert las konzentriert, lieû dann die Zeitung sinken und sah Hanno an.

»Stimmt denn, was die da schreiben?« »Nein.«

»Diese Schweine!« Norbert dachte ü ber die Schlechtigkeit der Welt nach. »Siehst du, alles gelogen, was in der Zeitung steht.

Neulich stand drin MODERNE UNTERKUNFT FÜ R OBDACHLOSE

ERÖ FFNET. In der Schröd erstraûe. Ich geh hin, steht da so ein Typ am Eingang. -Verpiû dich!¬ sagt er. -Das hier ist nicht fü r Penner.¬ -Steht aber in der Zeitung¬, sag ich. -Scheiû auf die Zeitung¬, sagt er

Ðund weiût du was? Das tu ich auch. Ich geb dir einen Rat, Hanno

Ðumsonst! Glaub nicht, was in der Zeitung steht! Mach's gut, ich hab eine Verabredung!«

Und Hanno sah zu, wie die huschenden Schatten des Bahnhofs Norbert den Penner verschluckten, als hä tte es ihn nie gegeben.

20

Das war sein Tag. Er hatte all das hier verursacht. Hä tte er nicht so eine gute Nase gehabt, wü rden diese Leute jetzt nicht hier sitzen. Martin Sommer schaute sich um. Der groûe Hö rsaal des Pä dagogischen Instituts war bis auf den letzten Platz besetzt. Aber er selbst hatte noch in der ersten Reihe einen Platz gefunden, denn fü r ihn war reserviert worden. Er saû auf einem der Stüh le, auf denen ein Schild mit der Aufschrift »Presse« gelegen hatte. In den Seitengä ngen waren die Kamerateams postiert, und um ihn herum die Kollegen der Zunft. »Sie sind doch der Bursche, wegen dem wir jetzt hier rumsitzen mü ssen!« hatte ihm eine kleine, fette Reporterin der BILD-Zeitung giftig zugeflü stert. Wegen dem! Ein Deutsch sprachen die, dachte Martin, wä hrend er sich nach Bekannten im Hö rsaal umdrehte. Plö tzlich gewahrte er zwischen

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