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Der_Campus

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»Und warum sollte er jetzt nicht mehr funktionieren?«

»Es gibt eine Schwachstelle im System. Eine Vermischung von Politik und Sexualmoral, die neu auf dem Markt ist.« Er blickte Hanno aus seinen Bulldoggenaugen an. »Der Fall in Ihrem Institut, sexuelle Belä stigung, feministischer Protest, Political correctness. Das ist wie eine Kernfusion, die ganz neue Strahlungen freisetzt. Töd liche Strahlungen. Sie füh rt zu Krebs in der Politik und Krebs im Journalismus.«

Hanno hatte die Vision, daû der Zigarrenqualm Hirschbergs sich zu einem gewaltigen Atompilz formte, der sie alle umhü llte. Aber was er sagte, war richtig. Hanno wuûte nicht, ob er sich davor fü rchten sollte oder nicht. Einerseits wurde die Gefahr, die ihm drohte, in Hirschbergs Analyse zu einer mäc htigen gesellschaftlichen Tendenz, die soviel Rü cksicht auf sein persö nliches Schicksal nehmen wü rde wie ein Erdrutsch. Andererseits war diese Unpersö nlichkeit entlastend. Irgendwie war es wü rdevoller, einem Weltbü rgerkrieg zum Opfer zu fallen, als fü r ein ganz persö nliches Verbrechen einsam gehenkt zu werden, nachdem man noch vorher am Pranger gestanden hatte. Aber in diesem Fall bedeutete die Niederlage im Bü rgerkrieg fü r ihn, am Pranger zu stehen. Der Gedanke an die näc hste Woche ü berrollte ihn wie eine eisige Welle. Mein Gott, er hatte sich schon fast wieder lebendig gefüh lt! Bald wü rde er diese Insel der Seligen verlassen, wo selbst der Tod so zivilisiert und wohlerzogen war, und in die Stü rme des Eismeers zurü ckkehren. Von der anderen Seite des Tisches tö nte die ekstatische Stimme Gabrielles herü ber, die lustige Geschichten von Konrad der Dohle erzä hlte. Felix, der Knabe mit dem Kissen und alle jungen Leute von Wulfsfeld hatten sich um sie versammelt und hö rten ihr hingerissen zu, wä hrend ihre Mü tter milde dazu läc helten.

»Wir saûen auf der Terrasse«, hö rte er Gabrielle, »und ich hatte gerade frischen Kaffee eingegossen, da landet Konrad mit einem Bein in der Erdbeertorte und mit dem anderen bei der Frau des Attaches in der Kaffeetasse.« Lä rmende Jubelrufe waren die Ant-

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wort. Ob sie nicht mal mit Sarah und der Dohle nach Wulfsfeld kommen kö nnte? Gabrielle schien zu zö gern und die Zustimmung der Mamis abzuwarten. »Oh, bitte, bitte, Mami, ja?« Hanno konzentrierte sich wieder auf seinen Gespräc hspartner.

»Kö nnte ich Sie vielleicht näc hste Woche anrufen, wenn ich mehr ü ber die Sache weiû?« fragte er Hirschberg. »Vielleicht habe ich dann ein paar Informationen, die Sie brauchen kö nnen.«

Hirschberg stach mit der Zigarre nach ihm. »Genau darum wollte ich Sie gerade bitten.«

Beim Aufbruch kam Hirschberg noch einmal zu ihm. »Sie wissen ja, auch fü r Journalisten gibt es zehn Gebote. Und das erste Gebot lautet: -Gib niemals deine Quelle preis, sonst kriegst du nie wieder eine Information!¬ Paradoxerweise sind Journalisten die verschwiegensten Leute, die es gibt. Und sie wissen am meisten. Auf Wiedersehen, Herr Professor Hackmann! Rufen Sie am besten abends an. Sie kö nnen auch zu mir nach Hause kommen. Wir sind nä mlich beinah Nachbarn. Auf Wiedersehen.«

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Die Universitä t Hamburg hatte keinen Namen. Sie war nicht die »Albert-Ludwigs-Universitä t« oder die »Wilhelm-August-Uni- versitä t«, denn sie war nicht von einem Landesherren gegrün det worden. Sie war von der Bü rgerschaft der Stadt Hamburg, und das erst sehr spä t, im Jahre 1919, gegrün det worden. Aber sie hieû auch nicht »Heinrich-Heine-Universitä t« wie die Universitä t Dü s- seldorf, obwohl Heine auch in Hamburg gelebt hatte und auf dem Rathausmarkt sein Denkmal stand. Statt eines Namens hatte die Universitä t eine Prä sidialverfassung. Das war eine Errungenschaft der Reform. Anderswo wurde turnusmä ûig ein neuer Rektor gewä hlt, aber der eigentliche Machthaber, sozusagen der Premier-

minister seiner machtlosen Majestä t des Rektors, war dann

der

Chef der Universitä tsverwaltung. Ä hnelte das von weitem

der

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alten britischen Monarchie, hatte der

Prä sident der neuen Ord-

nung eher die machtvolle Stellung des

amerikanischen Prä siden-

ten. Und der Verwaltungschef war ihm untergeordnet. Deshalb kam es einem Fauxpas gleich, daû der Leitende Verwaltungsbeamte Seidel am Montag morgen die Prä sidentenrunde auf sich warten lieû.

Das Bü ro des Prä sidenten war durch zwei verschiedene Teppiche in zwei Zonen geteilt. Auf einem Perser, der sich direkt an das Vorzimmer anschloû, markierte eine Sitzgruppe aus cremefarbenen Sesseln den Bereich der Gemü tlichkeit. Auf der weiten Fläc he eines strapazierfä higen Kaufhausteppichs machte ein Konferenztisch mit Stüh len unmiûverstä ndlich klar, daû dort der Bereich ernster Besprechungen war.

Die vier Herren im Bü ro des Prä sidenten hatten sich auf die zwei Zonen verteilt. Vorne saûen Bernie, Schmale und Pollux in der Sitzgruppe. Und hinten, am Kopfende des Konferenztisches, saû der groûe Hä uptling persö nlich und tat so, als ob er schnell noch die Mappe mit Geschä ftspost erledigen wollte, wenn er schon auf seinen Leitenden Verwaltungsbeamten warten muûte.

»Du hast uns in eine unmö gliche Situation gebracht«, giftete Schmale Bernie an. »Sieh dir die Zeitungen an, wieder so ein Artikel im JOURNAL, wir wü rden einen Skandal vertuschen. Im Fernsehen stundenlang Bilder von Demos. Und du hast keine Ahnung, was in deinem eigenen Bericht steht. Das ist fahrlä ssig, Bernie, fahrlä ssig!«

Bernie sah, wie Schmale aus den Augenwinkeln zum Prä sidenten guckte, um zu sehen, wie seine Tirade bei ihm ankam. Sie war zwischen ihnen beiden verabredet. Schmale wü rde Bernie all das vorwerfen, was der groûe Hä uptling sowieso sagen wü rde, und sich dabei als ein Kampfhund fü r die Interessen des Prä sidenten empfehlen; und zugleich konnte Bernie sich ihm gegenü ber viel heftiger rechtfertigen als gegenü ber dem Prä sidenten.

»Das ist Unsinn, Pit, das war nicht fahrlä ssig Ð ich hatte keine andere Wahl. Ich muûte eine Frau zur Befragung mitnehmen. Daû

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die den Bericht an die Presse weitergeben wü rde, war nicht vorauszusehen.«

»Du hast sie nicht gewarnt?«

»Als sie den Bericht schrieb, war Wochenende und von der Presse weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen habe ich die Frauenbeauftragte angerufen und sie an das Dienstgeheimnis erinnert. Du kannst sie fragen.«

Daû die Frauenbeauftragte ihn angerufen hatte, war in diesem Zusammenhang nicht so wichtig. Aber Bernie war sich nicht sicher, ob der Groûe Hä uptling ü berhaupt zuhö rte. Er saû dort hinter dem Konferenztisch und brü tete finster ü ber seiner Mappe. Seinen sandigen Krauskopf hatte er nach vorne gebeugt. Bernie fand alles sandig an ihm. Die Schafwolle auf seinem Kopf, die Augenbrauen, den Oberlippenbart und die ganze Person. Er war erdfarben wie ein Wü stenfuchs. Matte behauptete sogar, daû er vor

lehmigen Hauswä nden plö tzlich

die

Kontur verlö re und unsicht-

bar wü rde. Dann kö nnte man

ihn

nur noch an der schwarzen

Brille erkennen. Bernie kannte

den

Prä sidenten schon lange. Er

hatte kurz vor dem Staatsexamen gestanden, da war Schacht als Assistentenvertreter der Anglisten von den Wellen des Aufstands in die erste Reihe der Revolutionä re gespü lt worden. In einer heroischen Schlacht gegen die alten Ordinarien hatten die Rebellen ihren Kandidaten Schacht dann zum Prä sidenten gewä hlt. Damals war seine wissenschaftliche Laufbahn von einer politischen Karriere abgelö st worden. Genaugenommen war er ein Amerikanist gewesen. Das mäc hte ihn in einem Punkt untypisch fü r die akademischen Linken: Er war nicht antiamerikanisch. Diese Haltung war eher unter Germanisten und anderen provinziellen Fäc hern verbreitet, aus denen die linken Milieus ihren Nachwuchs rekrutierten. Aber Schacht liebte Amerika und verehrte es. Bernie erinnerte sich sogar daran, einmal seine Doktorarbeit in Hä nden gehalten zu haben: »Die Darstellung der Gewerkschaft im amerikanischen Roman des zwanzigsten Jahrhunderts von 1910 bis 1940«. Und in einem Punkt war Schacht sogar ausgesprochen

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amerikanisch: Er glaubte an die unversiegbare Kraft der Reklame. Er verstand es, den Zerfall der Universitä t hinter einem Schleier von Reklame zu verbergen, denn er wollte wiedergewä hlt werden. Er lieû ganze Institute verhungern, um aus ihren Kadavern Studiengä nge mit hoher Auûenwirkung zu formen wie Medienwissenschaft, Theater und Schauspiel, Kulturmanagement, Musiktheaterregie und Sport. Er hielt seine Universitä t in den Schlagzeilen, indem er mit allen Universitä ten der Welt Partnerschaftsverträ ge abschloû. Er kompensierte den Niedergang der Leistungsstandards in den Sozialund Geisteswissenschaften, indem er neue Studenten mit exotischen Fäc herkombinationen anlockte, wie Jura und Japanologie. Und als er es durch die Ü berleitung geschafft hatte, alle seine Wä hler zu Professoren zu ernennen, war seine Wiederwahl gesichert. Nur jetzt, vor der dritten Amtsperiode, hatte sich der Wind gedreht. Der Verfall der Wissenschaft wurde immer sichtbarer, und das hatte den groûen Hä uptling in der letzten Zeit zunehmend nervö s gemacht. Und so hatte Bernie das Gefüh l, daû eine finstere Nachricht in der Mappe die Aufmerksamkeit des Prä - sidenten vö llig gefesselt hatte.

»Hö rt euch das an«, schrie der groûe Hä uptling plö tzlich, sprang auf und klopfte anklagend auf den Brief in seiner Hand, »das ist doch die Hö he! Das gibt's doch nicht! Da grün den die Physiker zusammen mit Wentorf ein Forschungsinstitut auûerhalb der Universitä t, ohne mich auch nur zu benachrichtigen. Wiût ihr, was das Arschloch von GD schreibt? Er schreibt, fü r Neugrün dungen innerhalb der Universitä t wä re angesichts der bekannten Zustä nde der Stagnation und Zerrü ttung kein Geld mehr von auûen zu besorgen. Dieses Schwein! Das ist die Kriegserklä - rung! Jetzt machen die Alternativinstitute auf, jetzt fangen die an, mit sich selbst zu konkurrieren. Das ist Krieg, sage ich euch, das ist Krieg! Das lasse ich mir nicht gefallen! Da muû sofort der Matte her. Wo sind die bloû alle? Pit, wo ist Matte? Der muû denen das

rechtlich verbieten!«

Wenn der groûe Hä uptling

stand,

war er

nicht mehr so groû.

Im Gegenteil, er wirkte eher

klein.

Deshalb

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hielt er sich ganz gerade und wirkte ein biûchen wie ein sandiger Taschennapoleon. Bernie wuûte, daû er manchmal sogar hochhackige Schuhe anzog. Und so reckte er sich jetzt in der Mitte des Raumes hoch auf. Aber die Runde war diese Ausbrü che gewohnt. Pollux fuhr seelenruhig damit fort, den SPIEGEL, das Tageblatt, die Abendpost und die WELT nach Nachrichten ü ber die Universitä t und den groûen Hä uptling durchzusehen. Und auch Schmale blieb ganz ruhig. »Matte klä rt mit Seidel die Rahmenbedingungen fü r die Einrichtung des Medienzentrums«, sagte er. »Deshalb haben sie alle Sprecher zu einer kleinen Konferenz gebeten. Sie erinnern sich, Sie haben ihnen selbst den Auftrag gegeben, bis heute zu klä ren, ob wir Nä gel mit Köp fen machen sollen und einen neuen

Fachbereich

grün den

oder einfach alle Medienaktivitä ten, die

es

jetzt schon

gibt,

fachbereichsü bergreifend koordinieren.

Ich

nehme an, daû die Besprechung etwas lä nger gedauert hat, aber sie mü ûten gleich hier sein.«

Wä hrend Schmale sprach, war der Prä sident erschöp ft auf seinen Stuhl zurü ckgesunken und brü tete wieder dü ster ü ber seinem Brief. In der Stille konnte Bernie von ganz weit her ein Megaphon hö ren, und ihm fiel die Ankün digung von Kurtz ein, die Demos jetzt zum Soziologischen Institut zu dirigieren. In diesem Moment durchzuckte ein neuer Gedanke Bernies Hirn. Der Gedanke hing mit dem neuen Forschungsinstitut der Physiker zusammen, ü ber

dessen Grün dung sich der groûe

Hä uptling so

aufregte. Bernie

hatte sich nä mlich eine Strategie

fü r die heutige

Prä sidialsitzung

zurechtgelegt. Dabei ging er davon aus, daû der Prä sident verlan-

gen wü rde, den Clauditz-Fall weiterzuverfolgen, und

daû

Seidel

und Matte davon abraten wü rden. Schmale verhielt

sich

in sol-

chen Kontroversen in der Regel neutral, denn er muûte spä ter mit beiden Parteien weiterarbeiten und wollte deshalb vermeiden, es sich mit einer von beiden zu verderben. Am Anfang wollte Bernie selbst sich ebenfalls zurü ckhalten, und erst, wenn der Prä sident umzufallen drohte, wollte er ihm beispringen. Er versprach sich davon um so gröû ere Dankbarkeit. Aber jetzt, mit der neuen Idee,

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konnte er vielleicht mehr erreichen. Sollte vielleicht... aber da wurden seine Gedanken durch die Ankunft von Matte und Dr. Seidel unterbrochen. Seidel war ganz der Typ des tü chtigen hö heren Verwaltungsbeamten. Korrekt gekleidet, glatzköp fig, mit Puttogesicht und Engelshaarkranz, intelligent blinkenden Brillenglä - sern und gepflegt modulierter Stimme, also das direkte Gegenteil des ungeschlacht schnaufenden Matte. Trotzdem bildeten die beiden hä ufig eine Koalition.

Matte stampfte stumm zur Sitzgruppe und lieû sich erschöp ft in einen Sessel fallen. Offenbar hatten sie sich beeilt.

»Morgen allerseits, und entschuldigen Sie«, grü ûte Seidel nach allen Seiten, »wir haben uns so sehr beeilt wie mö glich. Die Sprecher sind eben ein unordentliches Volk. Wollen wir gleich...?« Und alle, einschlieûlich des schweigenden Pollux mit seinen Zeitungen, setzten sich an den Konferenztisch. Als sie ihre Akten vor sich aufgebaut hatten, begann der Prä sident wieder mit seinem Gejammer ü ber die Physiker. »Das ist der erste Schritt zur Grün - dung einer Privatuniversitä t. Das kö nnen die doch nicht machen. Dann ö ffnen sich alle Schleusen. Habt ihr davon gar nichts gemerkt in euren Bü rosesseln?« Die Frage enthielt die Andeutung, daû die Verwaltungsheinis im Gegensatz zu ihm vom wirklichen Leben nichts mitkriegten und daû er sich offenbar alleine den Stü r- men des Lebens stellen mü sse, im Stich gelassen von unfä higen Bü - rokraten. Das war die Rolle, die der Prä sident am liebsten spielte. Wie alle guten Politiker füh lte er sich in der Ö ffentlichkeit wohler als im Privaten. Eine ausgesprochen fade Ehefrau mochte dazu beigetragen haben. Aber am wohlsten füh lte er sich in der Halbö f- fentlichkeit seines Kü chenkabinetts. Da lieû er sich gehen. Da konnte er den Luxus privater Hemmungslosigkeit mit dem Status seiner ö ffentlichen Rolle verbinden. Er füh rte sich dann auf wie ein kö nigliches Baby, das mit seinen Anfä llen eine ganze Schar von Ammen, Hoffrä uleins und Kinderschwestern im Zustand besorgter Aufmerksamkeit erhielt. Deshalb mischte sich in ihrem Verhalten die Achtung, die seiner Stellung galt, mit der freundlich-herab-

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lassenden Geduld, die ein Erwachsener einem Kind entgegenbrachte.

»Warum hö rt ihr so was nicht rechtzeitig?« jammerte der groûe Hä uptling und griff sich in die sandigen Haare.

Aber seine Kindermä dchen hatten davon gehö rt. Seidel setzte gerade zu einer Antwort an, da kam Matte ihm zuvor. »Wir kö n- nen sie natü rlich leicht daran hindern. Wenn ein Institut als juristische Person einen Verein grün det, braucht es dazu unsere Genehmigung.«

»Wollen Sie sagen, sie haben das in der Rechtsabteilung schon genehmigt?« Der groûe Hä uptling war bereit, auch diesen Schlag einzustecken.

»Natü rlich haben wir das nicht genehmigt. Die haben das ohne uns getan, weil sie Angst hatten, wir machen Schwierigkeiten. Aber ich wü rde nicht dazu raten, ihnen das nachträ glich zu verbieten.«

»Und warum nicht?« Seine Miene enthielt die Aufforderung -Kommt, hä uft noch mehr Leid auf mein Haupt¬.

»Damit man ihnen ein Ventil gibt«, nahm Dr. Seidel das Wort.

»Herr

Prä sident...« Bernie wuûte, wenn er »Herr

Prä sident«

sagte,

wurde er grundsä tzlich... »Herr Prä sident. Wir

alle kennen

die Probleme der Massenuniversitä t. Die Leute leiden in ihren Instituten. Sie sind frustriert. Sie mö chten forschen, aber sie kö nnen es nicht. Sie sind hochqualifiziert. Sie haben ihre Jugend geopfert. Sie sind Asketen, Mö nche. Sie haben ihr Leben der Wissenschaft geweiht. Sie mö chten der Wahrheit dienen. Aber sie haben keine Rä ume, keine Mittel, keine Gerä te. Sie sind verzweifelt. Da holen sie sich selbst die Mittel, und Sie wollen sie daran hindern?! Wenn Sie das machen, dann holen Sie sich fanatische Feinde auf den Hals. Den Kampf kö nnen Sie nicht gewinnen. Man kann eine Universitä t nicht gegen ihre besten Wissenschaftler regieren.«

Der groûe Hä uptling guckte sie der Reihe nach an wie Christus, der sich beim Abendmahl nach Judas umsieht. -Es ist einer unter euch, der wird mich heute verraten.¬ Pollux tat ihm den Gefallen.

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»Ich bin nicht fü r die groûe Politik zustä ndig«, warf er ein, »aber eins kann ich bestä tigen: Die Presse beschä ftigt sich zunehmend damit, warum die besten Professoren weggehen. Sie lassen sie die ganze Litanei herunterbeten: schlechte Ausstattung, Bü rokratie, Behinderungen. Erinnern Sie sich noch, als alle Informatiker auf einmal verschwanden? Nach Eichstä tt! Stellen Sie sich vor, die gehen von Hamburg nach Eichstä tt!«

Der Prä sident

schaute ihn traurig an,

als

ob

er sagen wollte:

-Auch du, Pollux?¬

 

 

 

 

 

 

»Wenn

es die

Attraktivitä t

der Stadt

nicht

gä be,

hä tten

wir

ü berhaupt

keine

Professoren

mehr.« Der

Dolchstoû

kam

von

Matte.

 

 

 

 

 

 

 

 

»Auûer den selbstgemachten.« Der Stich traf auch Bernie ins Herz. Seidel hatte vergessen, daû auch er zu den selbstgemachten Professoren gehö rte.

»Ja, sollen wir denn die Physiker einfach mit dem Wentorf fremdgehen lassen?« (-Ich will nicht, aber Ihr zwingt mich ja dazu.¬)

»Ich fü rchte, es ist besser so.« Seidel läc helte schmal hinter seinen blitzenden Brillenglä sern. »Eine hä ûliche Ehefrau soll lieber nicht soviel ö ffentlichen Krach schlagen, wenn der Ehemann sich eine hü bsche Geliebte nimmt.«

Das reichte dem Prä sidenten. Er hatte genug von dem Thema. Schlieûlich war seine Leidensfä higkeit nicht unerschöp flich, er war ja nur Jesus Christus.

»Und was ist bei der Sprecherkonferenz rausgekommen?«

»Gar nichts ist da rausgekommen, sie kö nnen sich nicht einigen.« Seidel schaufelte seine Akten um. »Sie haben zwar gesagt, wir sollten das bis heute klä ren, aber klä ren Sie mal einen Glaubenskrieg. Die Literaturwissenschaftler mit historischem Schwerpunkt haben Angst, daû sie zu kleinen Orchideenfäc hern verkü m- mern, wenn die Medienleute aus ihren Seminaren herausgenommen werden. Niemand beachtet sie dann mehr, wä hrend die Medienvertreter alle Gelder kriegen. Aber die Medienburschen fü rch-

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ten, wenn sie keinen eigenen Fachbereich bekommen, wü rden ihnen die anderen wie Müh lsteine am Hals hä ngenbleiben, und sie kä men auf keinen grün en Zweig. Und die Frauenvertreter sind gegen alles, weil sie wollen, daû erst eine Stelle fü r Frauenforschung gegrün det wird.«

»Und ausgerechnet jetzt muû diese Panne mit der sexuellen Nö - tigung passieren!« Der Prä sident tauschte jetzt die Miene eines sandigen Gekreuzigten gegen das Visier des entschlossenen Kä mpfers. »Hier mü ssen wir denen den Wind aus den Segeln nehmen.« Er wandte sich an Bernie. »Wir haben jetzt keine Wahl, Herr Weskamp, Sie mü ssen weiterermitteln. Wir mü ssen da Dampf machen!« Er wandte sich an Pollux. »Wir geben eine Presseerklä rung heraus, daû wir auf Hochtouren weiterermitteln. Wir stellen uns voll hinter die Forderung der Frauenbeauftragten und der Demonstranten. Wir werden mit allen disziplinarrechtlichen Mitteln gegen den Tä ter vorgehen. Am besten setzen Sie sie gleich auf.«

Pollux wollte sich erheben, wurde aber von Seidel aufgehalten. »Ist das auch alles richtig durchdacht?«

Der Prä sident ging hoch.

»Jetzt kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren Bedenklichkeiten! Haben Sie die Demonstrationen im Fernsehen gesehen? Wir kö nnen jetzt nicht mehr anders, wir mü ssen darauf reagieren. Sonst stellen die uns alle als chauvinistische Frauenschä nder hin.« Wenn es unangenehm wurde, redete der groûe Hä uptling gerne von »wir« und »uns« und schloû sie alle mit ein. Wenn er Triumphe feierte, zog er die erste Person Singular vor.

»Aber was soll dabei rauskommen?« Bernie wuûte, daû Seidel jetzt mit dem Kampf der Glaubwü rdigkeiten argumentieren wü rde, und so war es. »Das geht aus wie das Hornberger Schieûen«, schloû er, »und dann stehen wir am Ende schlechter da als vorher. Solch eine Form der Selbstdarstellung sollten wir lieber vermeiden. Hier werden Lehre und Forschung betrieben, und keine Schlammschlacht.«

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