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Der_Campus

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schrieben worden.« Hanno sah auf seine Notizen und schrieb dann auf die Folie des Overhead-Projektors »P Berger/T. Luckmann, The Social Construction of Reality. New York 1976«. Die Hand eines Studenten ging nach oben. »Ja, bitte?« »Das ist ja auf englisch. Gibt's das auch auf deutsch?« Hanno unterdrü ckte den Impuls zu einer Predigt ü ber das Thema »Englischkenntnisse bei Soziologen«, denn es gab tatsäc hlich eine deutsche Ü bersetzung. »Wie sich unschwer erraten lä ût, heiût der deutsche Titel -Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit¬. Ich glaube, bei Fischer. In der Ethnomethodologie«, nahm er den Faden wieder auf, »wird diese Beschreibung nun experimentell geprü ft. Wie kann man aber ü ber das Fraglose Experimente machen? Nun, Harold Garfinkel hat es uns gezeigt. Er hat das Fraglose fraglich gemacht, indem er seine Studenten anwies, ihren Bezugsfiguren die Konsensunterstellung ü ber das geteilte Verstä ndnis von Alltagssituationen stillschweigend aufzukün den. Zum Beispiel muûten die Studenten ihren Eltern gegenü ber mindestens 15 Minuten lang die Unterstellung durchhalten, sie seien ihnen vö llig fremd und sä hen sie zum ersten Mal. Nach kü rzester Zeit konnten sie die Symptome schwerster psychotischer Stö rungen beobachten.« Im Auditorium erhob sich Gekicher. »Den Opfern wurde der Boden unter den Fü ûen weggezogen.« -Wie bei mir selbst¬, dachte er. »Das Phä nomen wurde unter dem Jargonausdruck bekannt, den ich Ihnen genannt habe. Auf die Beobachter wirkten diese Experimente wie besonders effektive Szenen aus einem absurden Drama. Sie zeigten die Brü chigkeit unseres Realitä tsgefüh ls.«

In diesem Moment wurde die Tü r des Hö rsaals aufgestoûen, und eine Truppe von zehn bis zwö lf Studentinnen und zwei Studenten zog herein, baute sich in einer Reihe vor dem Auditorium auf und entfaltete ein Transparent. Hanno beugte sich vor, um es

lesen zu kö nnen. GEGEN VERTUSCHUNG VON SEXUELLER ERPRES- SUNG IN UNSEREM SEMINAR stand darauf.

»Darf ich fragen, in welchem hö heren Auftrag Sie die Vorlesung stö ren?« Hanno versuchte es mit einem sardonischen Ton.

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Eine langhaarige, korpulente Studentin in Latzhose und Birkenstockschuhen schnellte herum, daû ihre Mä hne flog.

»Wir sind von der Fraueninitiative Sozialwissenschaften. Angelika hier vertritt die Frauenhausgruppe, und Manfred ist von der Selbsthilfegruppe -Mä nner gegen Mä nnergewalt¬.« Sie wandte sich wieder dem Auditorium zu. »Ihr habt ja sicher alle von diesem Fall sexueller Nö tigung gehö rt, der in unserem Institut passiert ist. Und wir dachten, das ist unheimlich wichtig, daû wir das auch in den Lehrveranstaltungen diskutieren.« Manfred hatte inzwischen damit begonnen, Handzettel zu verteilen. »Und wir fordern euch alle auf, zur näc hsten Vollversammlung der Frauengruppe im Audimax zu kommen. Da soll die Resolution verabschiedet werden, die auf eurem Zettel steht.«

Hinten im Auditorium stand ein Student auf. »Ihr kommt hier einfach rein und drä ngt uns euer Thema auf, aber wir wollen die Vorlesung weiter hö ren.« Ein gewaltiges Getö se war die Folge. Alle Studenten schrien durcheinander. Die Bemerkung hatte das Auditorium in Sekundenschnelle in zwei Parteien gespalten. Die einen wollte diskutieren und die anderen die Vorlesung hö ren. Darauf drä ngelte sich die Sprecherin der Gruppe an Hanno vorbei ans Mikrophon.

»Wenn hier im Institut sexuelle Gewalt ausgeü bt wird, kann man doch nicht Lehrveranstaltungen abhalten, als ob nichts passiert wä re! Das hat doch Einfluû auf die Lehrinhalte und die Lehrformen. Diese mä nnliche Art Wissenschaft und die sexuelle Gewalt gehö ren doch zusammen. Das muû man doch sehen.«

Hanno lehnte sich zum Mikrophon vor. »Alles vergebens, kein Schü tz, kein Berger, kein Luckmann und kein Garfinkel.« Aber weiter kam er nicht. Die Sprecherin hatte das Mikrophon wieder zu sich herü bergebogen. »Professor Hackmann versucht, das hier

läc herlich zu machen,

aber jeder von den Hochschullehrern hier

im Institut kö nnte der

sexuelle Erpresser sein. Jedenfalls jeder

mä nnliche. Und es gibt fast keine anderen. Jeder, Sie auch.« Und sie trat zurü ck und legte mit ausgestrecktem Finger auf Hanno an.

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Ein ohrenbetä ubender Lä rm war die Folge. In die Rufe »Das kannst du doch nicht einfach behaupten!« »Das ist Rufmord!« »Sie hat recht!« »Wir wollen diskutieren!« mischten sich Ausbrü - che hysterischer Heiterkeit und extremer Empö rung. Hanno dachte daran, daû Hirschberg ihm geraten hatte, sich immer wie ein Unschuldiger zu benehmen. Er bog das Mikrophon wieder zu sich herü ber, drehte es etwas lauter und sprach mit Gottesstimme in das Pandä monium: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Es ist jetzt 11.25 Uhr. Ich gebe bis 11.40 Uhr eine Kurzfassung der Vorlesung, die ich hä tte halten wollen, und lasse Ihnen zwanzig Minuten zum Diskutieren. Das finde ich fair.« Unterstü tzt von Teilen des Auditoriums erhoben die Demonstranten ein Protestgeheul. Wieder fiel ihm Hirschberg und seine Analyse der Korruption ein. »Wieso, es ist doch so ausgewogen wie der Parteienproporz. Sie diskutieren ü ber die Gefahren sexueller Nö tigung an diesem Seminar einschlieûlich der Mö glichkeit, daû ich der Tä ter bin. Dafü r gestatte ich mir, Ihren Go-In als Beispiel fü r Garfinkeis Regelverletzungsstrategie zu analysieren.« Im Auditorium erhob sich sporadisches Geläc hter. »Die Frage ist, ist das eine Vorlesung oder ein Gottesdienst politischer Fundamentalisten?« Ein wü tendes Protestgeheul war die Antwort. Hanno stellte das Mikrophon noch lauter, so daû er sich mit der schieren Gewalt der Lautstä rke Gehö r verschaffte. »Meine Damen und Herren! Sie haben bemerkt, daû ich durch meinen Vorschlag der Demonstration eine neue symbolische Rahmung gegeben habe. Die Demonstranten sind jetzt zu einem Beispiel fü r die Garfinkelsche Regelverletzung umfunktioniert worden.« Geläc hter antwortete ihm. Er hatte das Gefüh l, das Auditorium auf seine Seite zu ziehen. »Damit sind sie in einem double-bind; sie kö nnen sich nur durch Eskalation der Regelverletzung daraus befreien, aber damit bestä tigen sie ihre Beispielhaftigkeit fü r Garfinkel.«

»Du verdammtes Chauvi-Schwein!« gellte plö tzlich die Sprecherin der Demonstranten.

»Sehen Sie«, sagte Hanno, »das ist es, was ich meine.«

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Im Auditorium lachten nun die meisten.

Da rollte Manfred plö tzlich das Transparent wieder zusammen und brü llte ins Auditorium: »Also das finde ich echt schwach, wie Ihr euch von so einem Prof einseifen laût! Komm, Inge, wir hauen ab.« Und die Gruppe marschierte im Gä nsemarsch aus dem Hö r- saal. Hanno aber füh lte die Exaltation eines gewonnenen Kampfes und füh rte die Vorlesung in gehobener Stimmung zu Ende.

Am früh en Nachmittag desselben Tages saû Bernie in seinem schä bigen Bü ro, hatte die Beine auf den Schreibtisch gebettet und telefonierte mit der Frauenbeauftragten.

»Ganz recht, am Freitag um 11 Uhr ist das Hearing.«

Ihre Reaktion klang begeistert. »Das ist ja plö tzlich rasend schnell gegangen, Herr Weskamp. Haben Sie Ihre Meinung geä n- dert?«

Bernie wuûte, daû es hier Interpretationsbedarf gab. »Ich glaube, da gab es einfach ein kleines Miûverstä ndnis zwischen uns. Ich habe schon verstanden, daû Sie den Eindruck gewinnen muûten, ich verschleppe die Sache. Aber ich schwö re Ihnen, Frau Wagner, ich wollte einfach nur sichergehen. Schlieûlich hat es da gewisse Empfindlichkeiten gegeben wegen des Dienstgeheimnisses.«

»Sie meinen in der Rö ssner-Sache?«

»Es hat Schwierigkeiten gegeben. Aber glauben Sie mir, ich wollte die Sache genausowenig unter den Tisch fallen lassen wie Sie. Vielleicht sollten wir uns kün ftig einfach besser abstimmen.« Frau Wagner wü rde damit sehr einverstanden sein, das wuûte Bernie. »Wir sollten einfach zusammenarbeiten.«

Die Stimme der Frauenbeauftragten nahm eine wohltemperierte Fä rbung an.

»Herr Weskamp, sind das etwa neue Tö ne? Oder habe ich die alten bisher falsch interpretiert?«

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»Ich habe mich vielleicht nicht immer ganz klar ausgedrü ckt. Aber ich glaube, Sie werden in Zukunft mit mir zufrieden sein.«

»Nun sagen Sie schon, wer ist es denn, den Sie da am Wickel haben? Ich hö re, es ist ein Soziologe?«

Bernie ü berlegte. Sollte er es ihr sagen? Aber Ð das hä tte wirklich den Bruch des Dienstgeheimnisses bedeutet.

»Frau Wagner, morgen ist Prä sidentenrunde. Ja, eine auûerordentliche Sitzung. Und da werde ich dafü r kä mpfen wie ein Lö we, daû wir das Hearing am Freitag ö ffentlich machen. Und wenn der groûe Hä uptling mitzieht, sind Sie die erste, die es erfä hrt, das schwö re ich Ihnen.«

»Ist es denn wenigstens jemand, der sich als Schlachtopfer eignet?«

»Ein Prachtstier, Frau Wagner. Am Freitag kö nnen Sie sehen, wie ich in der Arena auf der Spitze meiner Muleta sein Leben aufspieûe, und in der Sekunde der Wahrheit widme ich Ihnen seine

Hoden.«

 

 

Die Frauenbeauftragte

lieû ein wohltö nendes Geläc hter

durch

den Hö rer perlen.

 

 

»In Sü damerika sind

Stierhoden eine Delikatesse. Au

revoir,

Monsieur Weskamp.« Bernie legte auf und machte sich an die Vorbereitung der Freitagssitzung.

Gegen vier Uhr hatten sich in Hannos Bü ro die Mitglieder der Berufungskommission fü r die C3-Stelle »Kultursoziologie, mö g- lichst unter Berü cksichtigung der Exilliteratur« versammelt: Veronika, Hannos Kollege Gün ter, Grabert mit dem grinsenden Mondgesicht, der Amerikanist Beyer und Gerke, der Dozentenvertreter. Sie alle saûen um seinen Sofatisch und blä tterten in ihren Papieren. Nur die Vertreterin der Studenten war nicht erschienen. Nachdem Hanno die Anwesenheit festgestellt und die Sitzung er- ö ffnet hatte, kam er zur Tagesordnung.

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»Also, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, habe ich mir ein paar Auswahlkriterien ü berlegt. Ich denke, ü ber die sollten wir uns im Groben einigen, bevor wir die Kandidaten inhaltlich durchgehen.« Er blickte in die Runde, und alle nickten Zustimmung. »Ich hatte mir gedacht, wir verfahren so, daû wir die Kriterien erst sammeln und dann in eine Prioritä tsordnung bringen.« Wieder nickten alle, das war ja das ü bliche Verfahren. »Nun denn. Wie immer gibt es das Kriterium der Einschlä gigkeit, das durch die Ausschreibung festgesetzt ist. In diesem Fall muû der Kandidat also durch Forschungen in der Kultursoziologie ausgewiesen sein. Das ist unverzichtbar. Ich stelle die Anbindung an die Exilliteratur erst noch mal zurü ck. Herr Graben?« Grabert grinste. Er hatte gegrinst, wann immer Hanno ihn getroffen hatte. Jetzt hatte der grinsende Grabert die Hand erhoben, und wie ein Kind, das eine frische Entdeckung gemacht hat, schrie er mit brü chiger Stimme: »Ja, aber da liegt ja schon das Problem. Nehmen wir die Exilliteratur als Zusatzqualifikation fü r die besten Kultursoziologen, oder ist es ein Essential?« Hanno wuûte, das war der Sprengsatz fü r den Konflikt. In jeder Berufungskommission gab es die Mitglieder, die einfach den Besten ihres Faches haben wollten, und diejenigen, die mit Hilfe der Stellenausschreibung die Qualitä t unterliefen. War etwa eine Stelle mit Schwerpunkt »Stadtsoziologie« ausgeschrieben, wurde der beste Soziologe unter den Bewerbern regelmä ûig mit dem Argument torpediert, der Drittbeste hä tte aber mehr ü ber Stadtsoziologie gearbeitet. Und im Handumdrehen hatte sich die Kommission in die Vertreter der Qualitä t und die Advokaten des Ausschreibungstextes gespalten.

»Ich finde, wir sollten das auch offenlassen und erst mal sammeln«, fuhr Hanno fort. »Exilliteratur ist auch ein Kriterium.« Mit diesem Bonbon muûte er Grabert beruhigen. »Dann gibt es natü rlich das Kriterium Qualitä t; dann sehe ich noch das Kriterium Binnendifferenzierung der Forschung; also sind seine Forschungen breit gestreut, oder konzentriert er sich auf ein Spezialgebiet?«

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»Fä llt das nicht unter Einschlä gigkeit?« Es war Beyer, der Amerikanist, der das fragte.

»Mir schien es einfach praktischer. Auûengrenzen und Binnendifferenzierung zu unterscheiden«, entgegnete Hanno. Aber er wollte Beyer, der neu war, keineswegs antagonisieren und gab seiner Antwort einen versö hnlichen Unterton, mit dem er mitteilte, daû er dafü r keine Schlachten schlug.

»Na, und schlieûlich ist da noch die Lehrerfahrung als letztes Kriterium. Ja, Herr Gerke?«

Gerke hatte sich mit einem rä tselhaft tragischen Ausdruck kommenden Unheils gemeldet.

»Ich weiû nicht, ob wir diese Sitzung weiterrüh ren sollten.« Er zwinkerte heftig und schwieg.

Hanno starrte ihn an. Offenbar war Gerke nicht gewillt, seine Bemerkung zu erlä utern. Er ü berlieû es den Anwesenden, ihren bodenlosen Sinn zu ergrün den, und starrte auf seine Akten.

»Wollen Sie die Bedenken erlä utern, die Sie gegen eine Fortsetzung der Sitzung haben?«

»Das ü berlasse ich Ihnen.« Gerke schloû sein Gesicht, wie ein Ladenbesitzer die Rolladen bei Feierabend herunterlä ût.

Atmosphä rische Spannung baute sich auf. Alle blickten von ihren Akten auf. Das Schweigen tropfte langsam wie schmelzendes Eis herab.

»Was soll ich dazu sagen, Herr Gerke? Ich kenne ja Ihre Bedenken nicht.«

Gerke erhob jetzt sein tragisches Tartuffe-Gesicht und zwinkerte.

»Es ist doch bekannt, was in Ihrem Institut vorgekommen ist. Und solange das nicht geklä rt ist, sehe ich mich auûerstande, in dieser Kommission mitzuarbeiten.«

Jetzt wurde Gün ter munter. »Das ist doch eine Ungeheuerlichkeit! Wollen Sie uns etwa verdäc htigen?«

Gerkes Züg e glä tteten sich. Er hatte seinen natü rlichen Lebensraum wiedergefunden: das Chaos.

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»Verdäc htigen will ich niemanden. Im Gegenteil, ich spreche Ihnen hiermit ausdrü cklich mein Vertrauen aus. Aber ich mache mir Sorgen, daû die Arbeit der Kommission umsonst ist. Wenn sich herausstellen sollte, daû eines der Mitglieder...« Er lieû den Satz unvollendet.

Veronika meldete sich und schwyzerte: »Wenn ich als Frau keine Bedenken habe, mit potentiellen sexuellen Belä stigern zusammenzuarbeiten, brauchten Sie das auch nicht, Herr Gerke.«

»Leider ist die Vertreterin der Studenten nicht gekommen. Vielleicht steht ihr Fehlen schon im Zusammenhang mit diesem Vorfall.« Plö tzlich erscholl unmittelbar unter ihrem Fenster ein Megaphon.

»WIR WENDEN UNS GEGEN SEXUELLE ERPRESSUNG AM STU-

DIENPLATZ

Ð

WIR PROTESTIEREN

GEGEN

FRAUENFEINDSCHAFT

UND MÄ NNLICHE

WISSENSCHAFT

Ð

WIR

FORDERN SOFORTIGE

AUFKLÄ RUNG

DER

EREIGNISSE AM SOZIOLOGISCHEN

INSTITUT Ð

WIR RUFEN ALLE STUDENTINNEN AUF, MASSENWEISE IN DIE LEHR-

VERANSTALTUNGEN

ZU GEHEN, UM DIE Ö FFENTLICHKEIT HERZU-

STELLEN Ð

WIR

SOLIDARISIEREN

UNS

MIT

ALLEN

STUDENTINNEN,

DIE VON IHREN PROFESSOREN UNTERDRÜ CKT WERDEN

Hanno verspü rte plö tzlich eine maûlose Wut ü ber den Dozentenvertreter Gerke.

»Das kommt ja wie bestellt, Herr Gerke. Sie sagen. Sie kö nnten nicht mit Leuten in einer Kommission zusammenarbeiten, die unter solch einem Verdacht stehen. Wissen Sie was? Ich mö chte nicht mehr mit Leuten wie Ihnen in einer Kommission zusammenarbeiten! Ich trete vom Vorsitz der Kommission mit sofortiger Wirkung zurü ck. Veronika, sagen Sie Frau Eggert, sie soll dem Sprecher davon Mitteilung machen.« Er stand auf, packte seine Akten in die Tasche und wandte sich zum Gehen. »Ich empfehle mich.« Unter

dem Schweigen der

Zurü ckbleibenden verlieû

er sein Bü ro. Er

füh lte sich besiegt.

Was die Studenten nicht

vermocht hatten,

hatte Gerke geschafft, weil er selbst Hochschullehrer war. Er hatte ihn demoralisiert.

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19

In der Universitä t Hamburg war mittwochs Gremientag. Weil dies nun mal so war, hielten die Gremienprofis diesen Tag weitgehend frei von Lehrveranstaltungen und anderen Verpflichtungen, um sich dem Geschä ft der Sitzungen hinzugeben. Aus diesem Grund fand auch die auûerordentliche Prä sidentenrunde am Mittwoch morgen statt. Sie sollte auch nur kurz tagen, um den Prä sidenten in einem einzigen Punkt zu beraten: Sollte er wegen des auûerordentlichen Interesses der Ö ffentlichkeit an dem Fall Clauditz das Hearing am Freitag ö ffentlich stattfinden lassen oder nicht? Denn fü r die Aufhebung der Vertraulichkeit von Dienstgeschä ften, so sah es ein Nachtrag zum Hamburger Hochschulgesetz vor, bedurfte es einer Genehmigung durch den Prä sidenten.

In der morgendlichen Runde am Konferenztisch im Prä sidialbü ro waren die Meinungen so geteilt, wie zu erwarten war. Der Leitende Verwaltungsbeamte Seidel und der Leiter des Rechtsreferats, Dr. Matte, waren gegen die Ö ffentlichkeit, der Prä sident und Bernie waren dafü r. Pit Schmale, der Persö nliche Referent des Prä - sidenten, hielt sich bedeckt, indem er so tat, als ob er nicht anwesend sei. Pollux dagegen war tatsäc hlich nicht anwesend, da er den Auftrag erhalten hatte, zwei entgegengesetzte Pressemitteilungen aufzusetzen. Wie immer die Runde entscheiden wü rde - er konnte dann sofort eine Erklä rung abgeben, und diesmal war Eile geboten, wenn man vor der Sitzung am Freitag noch in die Nachrichten am Donnerstag kommen wollte.

Die Runde legte gerade eine kurze Erholungspause ein, da beide Seiten das Gefüh l hatten, die wichtigsten Argumente seien ausgetauscht. Bemie ü berlegte, ob er ihnen noch eine Runde gö nnen oder jetzt schon sein entscheidendes Argument in die Waagschale werfen sollte. Das Timing war in solchen Fragen immer auûeror-

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dentlich wichtig. Wenn die Kombattanten noch zu frisch waren, konnte das Reserveargument im Getü mmel der näc hsten Runde zerfetzt werden und untergehen. Waren sie aber schon zu erschöp ft, konnte es vorkommen, daû das Argument zur Entscheidung zu spä t kam. Es war wie beim Stierkampf, dachte Bernie: Lieû der Torrero die Lanzenreiter zu lange in der Arena, war der Stier durch den Blutverlust vielleicht zu geschwäc ht, um noch einen guten Kampf zu liefern, und dann muûte der Torrero gefä hrliche Risiken eingehen, um ihn zu reizen. Schickte er sie dagegen sofort wieder hinaus, blieb der Stier zu gefä hrlich. Bernie beschloû, den Zeitpunkt seines Eingreifens von der kommenden Runde abhä ngig zu machen. Seidel erholte sich als erster.

»Herr Prä sident«, begann er wieder, »mir geht es nur um unsere Reputation. Eine Universitä t kann einfach nicht gewinnen, wenn sie durch solche Affairen in die Schlagzeilen kommt.«

Auf dem sandigen Gesicht des Prä sidenten ruhte ein gü tiges Licht.

»Mein lieber Seidel, ich gebe Ihnen recht.« Er sprach auûerordentlich milde, wie zu einem unverstä ndigen Kind. »Aber leider sind wir bereits in den Schlagzeilen.« Sein mildes Läc heln machte ganz plö tzlich einem bö sen Ausdruck Platz. »Warum, zum Teufel, tun Sie stä ndig so, als ob ich eine schmutzige Kampagne angezet-

telt hä tte. Dieser Hackmann hat eine Studentin

vergewaltigt,

und

Sie tun permanent so, als ob ich es gewesen wä re.«

 

 

»Noch wissen wir ja nicht, ob er es getan hat.«

 

 

Der Prä sident zeigte auf Bernie. »Wir wissen

es nicht? Er

hat

Zeugen, die haben es sich angeguckt. Na sicher wissen wir es, und Sie wollen, daû wir den Kerl damit durchkommen lassen.«

»Ich sage ja nicht, daû er nicht vor den Ausschuû soll«, erwiderte Seidel ruhig. »Mir geht es ja nur...«

»... um die Reputation der Universitä t, ich weiû!« ergä nzte der Prä sident. »Worum es Ihnen nie geht, ist meine Reputation. Stellen Sie sich mal vor, wir machen es nicht ö ffentlich. Wir machen es hinter verschlossenen Tü ren. Kö nnen Sie sich die Schlagzeilen vor-

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