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Der_Campus

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Das brachte den Prä sidenten endgü ltig in Rage. Das hö rte sich ja an, als ob Seidel fü r die Forschung und Lehre und der Prä sident fü r die Schlammschlachten zustä ndig wä re. Der groûe Hä uptling zü ckte wieder die bewä hrte Waffe des Bü rokratenvorwurfs.

»Sie mü ssen ja nicht wiedergewä hlt werden!« schrie er. »Sie kö nnen bequem auf Ihrem Hintern sitzen und in die Bü rostüh le furzen. Ich aber muû meinen Arsch retten!« Mit solchen Ausdrük - ken spielte der groûe Hä uptling den amerikanischen tough guy: »I've got to save my ass!«

Aber das Argument war natü rlich kaum widerlegbar.

»Eine Universitä t sollte von so etwas die Finger lassen«, murmelte Seidel schwach.

Der Prä sident wandte sich wieder an Bernie:

»Was sagen Sie dazu, wie stehen die Chancen, den Kerl zu finden und kunstgerecht zu schlachten?«

Jetzt schlug Bernies Stunde. Jetzt muûte er seine Karten richtig ausspielen. Er dachte an sein schä biges Bü ro und an Rebecca und den Justizsenator. Wenn er diese Chance nicht nutzte, wü rde sich so bald nicht wieder eine bieten; sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er hoffte nur, daû er nach auûen hin küh l wirkte. Er brauchte jetzt gute Nerven.

»Ich habe ihn schon gefunden«, sagte er so ruhig er konnte, aber ihm war, als hä tte seine Stimme gezittert.

»Was?« entfuhr es dem Prä sidenten. Alle blickten ihn erwartungsvoll an.

»Aber bevor ich Ihnen sage, wer es ist, mö chte ich eine Bitte ä u- ûern: Die Bedenken des Leitenden Verwaltungsbeamten sind mir nicht fremd. Es kann sein, daû man selbst am schlimmsten verschmutzt aus so einer Schlammschlacht hervorgeht. Als Vorsitzender des Disziplinarausschusses trage ich das ganze Risiko.« Bernie konnte sehen, wie bei dem Wort »Risiko« der Ausdruck des Prä sidenten mö rderisch wurde. Er ahnte also, daû Bernie eine Forderung stellen wollte. Aber es gab jetzt kein Zurü ck mehr. Er wandte sich direkt an den Prä sidenten: »Meine Bitte ist ganz leicht

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zu erfü llen. Bevor wir weiterreden, mö chte ich, daû Sie mir etwas versprechen.«

Der Prä sident machte eine Geste, die bedeuten sollte: -Red nur weiter, solange du noch kannst.¬

»Ich mö chte, daû Sie beim Justizsenator anrufen und ihn fragen, ob er mich Ihnen fü r das Amt des Vizeprä sidenten empfehlen kann.«

Als das heraus war, erwartete Bernie eine Explosion. Einen Vulkanausbruch. Eine Naturkatastrophe gröû erer Art. Aber das einzige, was er hö rte, war das Klopfen seines Herzens. Da stand der Prä sident auf, umrundete seinen Stuhl, ergriff die Lehne und lä - chelte. Ja, er läc helte.

»Sieh einer an!« wandte er sich an die anderen. »Ich habe oft erlebt, wie um mich herum jemand zum Politiker gereift ist. Ich selbst habe darin einen crash course absolviert. Aber so schnell wie beim Vorsitzenden des Disziplinarausschusses habe ich das noch nie erlebt. Sie wollen mich also erpressen?« fragte er mit der

Liebenswü rdigkeit eines Vertreters,

der sagt: -Sie

mö chten also

eine Versicherung abschlieûen?¬

 

 

Bernie war darauf vorbereitet.

 

 

»Nein, das mö chte ich nicht. Ich

versichere hier

vor Zeugen,

daû ich weiterhin loyal bei... daû ich weiterhin loyal mit Ihnen kooperieren werde, auch wenn Sie jetzt nein sagen. Ich habe nur diese Bitte, daû Sie mir versprechen, den Justizsenator anzurufen.«

Der Blick des Prä sidenten drü ckte fachliche Anerkennung aus. -Ja, so muû man das machen¬, schien er zu sagen. »Den Justizsenator? Was hat der damit zu tun?«

»Er kö nnte zum Beispiel einen eleganten juristischen Weg finden, die Sache mit den Physikern zu regeln und mit allen kün ftigen Grün dungen.«

Der Prä sident pfiff leise durch die Zä hne und dachte nach.

»Das kö nnte er vielleicht tatsäc hlich. Wenn er das kö nnte, wä re das wunderschö n. Ja, das wä re wunderschö n Ð sehr schö n wä re

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das. Aber Vizeprä sident kö nnen Sie trotzdem nicht werden. Das muû nä mlich eine Frau werden, das werden Sie einsehen. Da sind mir die Hä nde gebunden.«

Jetzt kam Bernies politischer Vorschlag: »Ich hatte daran gedacht, daû Sie zwei Vizeprä sidenten ernennen. Das ist in Bremen so, in Osnabrü ck so, und ich weiû nicht, wo noch, ganz ü blich.«

Der groûe Hä uptling sah sich um. »Zwei Vizeprä sidenten?« wiederholte er. »Was haltet ihr davon?« Er wandte sich an die anderen. Schmale ergriff das Wort.

»Warum nicht? Der Prä senz des Prä sidiums in der Universitä t wü rde es guttun; der Arbeitsteilung auch. Und wenn Bernie sich jetzt als Räc her der Frauen profiliert, dann gewinnt er die Wahl auch, dann bringt er Ihnen sogar Stimmen.«

»Ich mach Ihnen einen Vorschlag.« Der Prä sident hatte einen Entschluû gefaût. »Sie sagen uns, wer der sexuelle Erpresser ist, und wenn er sich zur ö ffentlichen Schlachtung eignet, verspreche ich Ihnen den Anruf beim Justizsenator. Und alles, was dazugehö rt«, füg te er hinzu. »Nun, ist das ein Deal?«

»Ist es das?« fragte Bernie. »Ja«, sagte der Prä sident.

»Das geht ja hier zu wie auf dem Viehmarkt«, murmelte Matte, aber niemand achtete auf ihn.

»Es ist Professor Hackmann vom Soziologischen Institut.«

Als es heraus war, erlitt der Prä sident einen bedrohlichen Hustenanfall. Er explodierte ganz plö tzlich und steigerte sich dann in eine solche Inbrunst, daû er rot anschwoll und ihm die Trä nen ü ber das Gesicht liefen. Schmale war aufgesprungen und klopfte ihm auf den Rü cken wie eine Amme bei einem Baby, das ein Bä u- erchen machen soll. Als er sich schlieûlich japsend beruhigt hatte, hechelte er: »Entschuldigt... aber ich war... es hat mich einfach ü berrascht... weil ich ihn noch gestern gesehen habe. Auf der Beerdigung des alten Zitkau. Und wiût ihr was?... Das glaubt ihr nicht... er ist ins Grab gefallen.« Und er erzä hlte die Geschichte von Hackmanns Grabsturz mit solch einer Lust am grotesken De-

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tail, daû ihr gemeinsames Geläc hter homerische Qualitä ten annahm. Und kaum hatten sie sich beruhigt, lö ste Bernie eine gigantische neue Heiterkeitswelle aus, indem er erzä hlte, wie er Hackmann auf die Spur gekommen war, daû die First Lady im Vorzimmer zu ihren Untersekretä rinnen sagte: »Heute ist der groûe Hä uptling wieder gut aufgelegt.« Und das war er.

»Hackmann!« Er lieû den Namen auf der Zunge zergehen. »Das ist unser Mann! Ich habe ihm das gar nicht zugetraut. Aber so sind sie, diese reaktionä ren Schweine. Ich hatte schon Angst, es kö nnte irgendein armer Teufel aus dem BdH sein. Aber Hackmann, der ist ideal! Ü berall tö nt er vom Verfall der Leistungsstandards herum und vom Niedergang der Universitä t. Er hat sogar neulich im Fernsehen darü ber rumgeschwafelt Ð sollen die Leute jetzt mal sehen, wer zum Niedergang der Universitä t wirklich beiträ gt! Die, die ihn am meisten bejammern! Wir werden ihn ö ffentlich steinigen!« Er rieb sich die Hä nde. »Was haben Sie denn gegenü ber ihm in der Hand, Bernie?« Es war plö tzlich »Bernie«. Er hatte es geschafft. Bernie jubelte! Jetzt wü rde er mit dem groûen Hä uptling auf demselben Ticket laufen. Sie wü rden zusammen Wahlkampf machen. Er hatte es geschafft! Die Macht schaute ihn an mit ihrem blauen und ihrem grün en Auge.

Doch bevor er antworten konnte, sagte Matte: »Nichts hat er gegen ihn in der Hand. Ich habe das Befragungsprotokoll gelesen. Da steht nichts drin. Diese Theaterstudentin sagt, sie hä tte einen Moment das Gefüh l gehabt, das Schicksal dieser Figur, die sie da spielt, selber erlebt zu haben. Einen Moment das Gefüh l gehabt! Ich bitte dich«, wandte er sich an Bernie, »und um diese Rolle zu kriegen, hat sie dann behauptet, daû es stimmt. Was willst du damit anfangen?«

So hatte Bernie vor kurzem auch noch geredet. Aber der Deal hatte Bernie den Skeptiker in Bernie den Enthusiasten verwandelt.

»Aber hast du nicht gelesen, daû die Hopfenmü ller glaubt, sie verheimlichte etwas, um den Tä ter zu schü tzen?«

Er war ihr jetzt fü r diese Unverfrorenheit dankbar, obwohl er

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sie sich nicht erklä ren konnte. Sein Verdacht, daû die Frauenbeauftragte dahintersteckte, hatte sich jedenfalls nicht bestä tigt.

»Und auûerdem wird der Hackmann von selbst aus dem Leim gehen. Noch ein paar Demos vor dem Soziologischen Institut, und er kracht zusammen.«

Seidel gab nicht auf.

»Da war ich nicht so sicher! Wenn so jemand ö ffentlich angegriffen wird, findet er schnell Leute, die sich mit ihm solidarisieren.«

»Mit einem sexuellen Erpresser?« fragte Bernie.

»Mit jemandem, den sie fü r das Opfer einer schmutzigen Rufmordkampagne durch einen Haufen Feministinnen und Fundamentalisten halten. Auûerdem hat er in seinem Institut eine gut funktionierende Abteilung. Die werden alle einen Treueeid auf ihn ablegen. Und was glauben Sie, was die konservativen Zeitungen schreiben?«

Das letzte Argument belebte den Prä sidenten wieder. »Aber dann haben wir ja, was wir wollen! Dann gibt es den groûen Solidarisierungseffekt. Dann jagen wir nicht ein armes Wü rstchen, dann füh ren wir einen groûen Kampf; dann ist dieser Skandal das Symptom eines Gesinnungssumpfs, dann geht es um die ganz groûen Fragen. Und die Frauen, die hä tten wir alle auf unserer Seite.«

Sie wurden von Frau Ö sterlin-Knö chel unterbrochen, die ihr toupiertes Haupt zur Tü r hereinsteckte. »Ein Anruf fü r Professor Weskamp.«

Der Kopf verschwand wieder, und Bernie erhob sich, um ins Vorzimmer zu gehen.

»Auf Apparat drei«, sagte die First Lady und deutete auf einen abgelegten Telefonhö rer.

»Ja, hier Weskamp?«

Er hö rte die Stimme von Kurtz. »Sie haben recht gehabt, er ist es.«

»Sie meinen Hackmann?«

»Ja. Es gibt Zeugen. Sie erinnern sich doch, daû ich am Freitag

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abend einen Mitarbeiter von mir angerufen habe, er solle die Demos am Soziologischen Institut abhalten, und daû ich ihn nicht erreichen konnte?«

Bernie erinnerte sich.

»Am Sonntag hab ich ihn erreicht.« Und Bernie erfuhr mit wachsender Aufregung die Geschichte von Tews. »Ich liefer Ihnen den Fuchs in der Falle«, schloû Kurtz seinen Bericht. »Jetzt dü rfen Sie ihn aber auch nicht wieder laufen lassen.«

»Keine Angst«, sagte Bernie, »jetzt zieh ich ihm das Fell ü ber die Ohren, und Sie kriegen den langen roten Schwanz.« Er legte auf und ü berlegte. Er surfte auf Adrenalin. Er war wie elektrisiert. Das war das Leben, das er füh ren wollte. Bernie der Machiavellist. Er sollte jetzt besser Rebecca anrufen, bevor er zu den anderen ging, damit sie den Senator vorbereitete. Er blickte zur First Lady hin- ü ber und zeigte auf das Telefon. »Darf ich?« Sie nickte, und er wä hlte. Die Nummer kannte er auswendig. 97123 fü r den Senat, 6358 fü r Rebecca. Am anderen Ende nahm niemand ab. Er lieû es eine Weile tuten und legte dann auf. Gut Ð wü rde er sie eben spä ter anrufen. Er nickte der First Lady zu und ging dann zu den anderen zurü ck, die ihren Disput unterbrachen.

»Es gibt eine neue Lage«, verkün dete er. Alle sahen ihn an. Bernie der Stratege! »Wir haben Zeugen gefunden.«

Sie haben gefunden. Bernie und seine Leute hatten sie gefunden! »Was?« Es war Matte, der das sagte. »Zeugen fü r die Vergewal-

tigung?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht.« »Das ist auch unglaublich.« »Und wer ist das?«

»Eine Horde Bauarbeiter. Die haben auf dem Baugerü st oben am Soziologischen Institut gestanden und von auûen zugeguckt, wie der Hackmann in seinem Bü ro eine Studentin vergewaltigt hat.«

»Und haben nicht eingegriffen?« rief Seidel empö rt.

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»Offenbar nicht. Sie dachten wahrscheinlich, das ist Wissenschaft«, erwiderte Bernie trocken.

Der Prä sident legte sich in seinem Stuhl zurü ck und keckerte vor Lachen. Bernie registrierte es mit Genugtuung. Er und der Prä sident! Sie fingen an, ein Team zu bilden.

Aber Matte war nicht einverstanden und warf Bernie einen nassen Blick zu.

»Also, ich muû schon sagen...«

»Ja, ist schon gut, ist schon gut! Ich weiû nicht, warum die nicht eingegriffen haben. Vielleicht haben sie es versucht. Vielleicht haben sie gelä rmt, aber der Hackmann hat nichts gehö rt. Vielleicht konnten sie grad nur so ü ber die Fensterbank schielen, wä hrend das Gerü st wackelte Ð was weiû ich? Auf jeden Fall haben wir jetzt Zeugen.«

»Fabelhaft, einfach fabelhaft. Das muû ich sagen. Haben Sie sie schon befragt?«

»Noch nicht ö ffentlich. Ein...« Bernie suchte nach einem neutralen Wort... »ein Informant von mir hat sie aufgetrieben.«

»Dann befragen Sie sie sofort. Und jetzt geben wir die Presseerklä rung heraus, daû wir in der Sache weitergekommen sind.« Pollux stand auf, und der Prä sident gab ihm noch ein paar Stichworte. »Von Vertuschung kann keine Rede sein Ð Wir haben mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ermittelt Ð Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses wird demnäc hst einen Bericht ü ber den Stand der Untersuchung geben. Rufen Sie Frau Scherm- bek-Galen vom Abendblatt an, die soll das in die näc hste Ausgabe nehmen, und dann sagen sie Frau Ö sterlin, sie soll versuchen, Redlich vom NDR zu finden; ich mö chte ihn sprechen.« Pollux ging ins Vorzimmer. »Und dann soll sie uns einen Kaffee bringen«, rief er ihm hinterher. Er stand jetzt auf, zog sich die Jacke aus und krempelte die Ä rmel auf.

»Jetzt fä ngt unser Wahlkampf an zu laufen, was Bernie?«

Da stand Bernie ebenfalls auf, zog die Jacke aus und krempelte die Ä rmel auf. Er füh lte sich schon als zukün ftiger Vizeprä sident.

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Er hatte es geschafft! Der Mantel der Gelegenheit war an ihm vor- ü bergerauscht, und er hatte seinen Saum ergriffen. Was kü mmerte es ihn da, daû Matte ihn ansah, als ob er ein ekliges Insekt wä re. Rebecca wü rde ihn ganz anders anschauen!

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Am Montag morgen hatte Hanno als erstes das JOURNAL gekauft und hastig nach dem neuesten Artikel durchgeblä ttert. Und richtig, auf der dritten Seite stand in groûen Lettern die Ü ber-

schrift: FRAUEN FRAGEN: WANN GREIFT DER PRÄ SIDENT DER UNI-

VERSITÄ T EIN? Aber sein Name wurde nicht erwä hnt. Wenn er nachträ glich an das Gespräc h mit dem Vorsitzenden des Disziplinarausschusses dachte, schien es ihm gar nicht so abwegig, daû dieser Sommer vom JOURNAL recht hatte: Vielleicht wollte die Verwaltung die Sache wirklich vertuschen. Dieser Weskamp hatte beim Abschied doch sehr ambivalente Reden gefüh rt. Und was konnte die Universitä tsverwaltung sich eigentlich davon versprechen, wenn sie den Fall weiterverfolgte? Er wü rde nur ein schlechtes Licht auf die Universitä t werfen.

Doch dann war etwas geschehen, was ihn vö llig entnervt hatte. Das Telefon hatte geklingelt, und Sarah hatte den Hö rer abgehoben. Es war noch beim Früh stü ck gewesen, und er hatte ü ber der Zeitungslektü re plö tzlich bemerkt, daû Sarahs Stimme sich geä n- dert hatte. Sie schrie auf, und dann, »Papi, Papi, komm schnell, da

ist

so ein

Mann!«, und hatte ihm den Telefonhö rer hingehalten.

Als

Hanno

sich meldete, sagte eine klare Mä nnerstimme: »Wir

kriegen dich, du geile Sau!« Er lieû fast den Hö rer fallen. Es war so unerwartet, wie wenn ihn aus dem Dunkeln ein Puma angesprungen hä tte. Er stammelte: »Wer ist denn da?« Aber da machte es klick, und der letzte Teil der Frage wehte ins Leere. Sarah sah ihn ä ngstlich an. »Wer war das, Papi, wer war das?«

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»Was hat er dir gesagt, Liebes?«

»Ich habe es gar nicht richtig verstanden. Irgendeine... irgend etwas Ekelhaftes... Wer war das, Papi?«

Hanno hatte ü berlegt, ob er seiner Tochter ein abgeschwäc hte Version der Wahrheit erzä hlen oder ihr wenigstens klarmachen sollte, daû man ihn vielleicht eines scheuûlichen Vergehens bezichtigen wü rde. Aber dann hatte er nicht den Mut gehabt und etwas von Verrü ckten gemurmelt, die zu anonymen Anrufen neigten. Sarah war natü rlich aufgeklä rt aufgewachsen, und es gab keine Zeit, in der sie nicht, dem Verstä ndnis ihres Alters entsprechend, ü ber die menschliche Sexualitä t Bescheid gewuût hä tte. Al-

lein schon

die stä ndige Wiederholung ihrer Geburtsgeschichte

setzte das

voraus. Entsprechend war die Kommunikation ü ber

dieses Thema zwischen Vater und Tochter immer vö llig unverkrampft gewesen. Aber seit ihrer Pubertä t war es etwas in den Hintergrund getreten und wurde von beiden gemieden. Deshalb hatte Hanno nur eine unklare Vorstellung von den Gedanken, die sie sich ü ber die Sexualitä t ihres Vaters machte. Seinen Auszug von den ehelichen Fleischtöp fen hatte sie gelassen und kommentarlos hingenommen. Um so mehr war Hanno entsetzt gewesen, als er ihr verzerrtes Gesicht am Telefon gesehen hatte. Sie war ihm so jung und verletzlich vorgekommen, und das war der Anlaû gewesen, daû er eine Minute spä ter den Chefredakteur Hirschberg von der Abendpost angerufen hatte, den er auf der Beerdigung des alten Zitkau getroffen hatte.

Als er seine Nummer im Telefonbuch nachschlug, bemerkte er, daû er tatsäc hlich nur wenige Straûen weiter in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnte. Doch als er anrief, war er nicht zu Hause. Seine Frau sagte ihm, er fä nde ihn im Reiterhof Peerstall, Richtung Ahrensburg. Er kö nne ihn gar nicht verfehlen. Ja, er solle ihn ruhig stö ren, ihr Mann habe ihr eigens den Auftrag gegeben, ihn dorthin zu schicken. Er habe seinen Anruf erwartet. Hanno kam dieses Vorwissen etwas unheimlich vor, aber er war

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entschlossen, mit Hirschberg zu reden. Bis jetzt hatte er eigentlich nichts unternommen, um sich selbst vor dem Hurrikan zu schü t- zen. Aber der anonyme Anruf und der Gedanke, daû er Sarah schü tzen muûte, hatten seine Handlungsfä higkeit geweckt.

Er kannte den Reiterhof, von dem Frau Hirschberg gesprochen hatte, ganz gut. Sarah hatte dort hä ufig ihrem Jungmä dchentrieb der Pferdepflege gefrö nt und bei mancher Fohlengeburt geholfen. Er fand Hirschbergs Kö rper in ein Reiterkostü m gezwä ngt auf dem Sattelplatz. Er hatte offenbar nach seinem Ausritt schon abgesattelt und war damit beschä ftigt, einen groûen braunen Hannoveraner mit einer weiûen Blesse zu bü rsten.

»Ah, Professor Hackmann! Das ist gut, daû Sie mich gefunden haben«, begrü ûte er ihn ü ber den Pferderü cken hinweg.

»Ich muû mit Ihnen sprechen«, begann Hanno.

»Legen Sie los«, und als Hanno zö gerte, »legen Sie los, der Gaul versteht nichts.«

Als Hanno so unvermittelt damit konfrontiert wurde, sein Problem zu formulieren, scheute er doch zurü ck. Plö tzlich kam er sich selbst vor wie ein Pferd, das Anlauf genommen hatte und nun vor der Hö he der Hü rde zurü ckschrak. In seinem Hirn breitete sich das Bild davon aus, wie das Pferd seine Beine kurz vor der Hü rde plö tzlich in den Boden stemmte und, weil es die Wucht des An-

laufs nicht

mehr abfangen konnte, in das Gestä nge stolperte

und

den Reiter

in hohem Bogen in die Trü mmer katapultierte,

wä h-

rend sein Bein im Steigbüg el hä ngenblieb und seine Hand am Zü - gel den Kopf des Pferdes zur Seite riû. Er schaute nach oben, um das Bild loszuwerden, und sah unter dem Dachvorsprung des Stallgebä udes die Schwalben wie Geschosse in die Lö cher ihrer Lehmnester flutschen.

»Kö nnen Sie sich etwas unter dem Begriff -Interne Grenzen der Kommunikation¬ vorstellen?« begann er seinen Anlauf.

Hinter dem Rü cken des Pferdes murmelte Hirschberg: »Irgendein soziologischer Sophismus, vermute ich?«

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