Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

.pdf
Скачиваний:
250
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
1.28 Mб
Скачать

den zweiten Panzer, der wendete und verschwand. »Sechs sind durchgebrochen«, schrie Rahe. »Sie werden zurückkommen. Alle MG Kreuzfeuer. Wir müssen die Infanterie aufhalten!»

»Wo ist Reinecke?« fragte Immermann, als sie wieder denken konnten. Niemand wußte es. Reinecke kam nicht zurück.

Sie hielten sich den ganzen Nachmittag. Die Bunker wurden allmählich zerpulvert, aber beide feuerten noch. Sie feuerten langsamer. Es gab nur noch wenig Munition. Sie aßen Konserven und tranken Wasser aus den Trichtern. Hirschmann erhielt einen Schuß durch die Hand.

Die Sonne brannte. Der Himmel hing voll großer, glänzender Wolken. Der Bunker roch nach Blut und Pulver. Die Toten draußen schwollen auf. Wer konnte, schlief. Sie wußten nicht mehr, ob sie bereits abgeschnitten waren oder noch Verbindung hatten.

Abends wurde das Feuer stärker. Dann, plötzlich, schwieg es fast ganz. Sie stürzten hinaus und erwarteten den Angriff. Er kam nicht. Er kam für zwei Stunden nicht. Diese ruhigen zwei Stunden fraßen mehr an ihrer Energie als ein Gefecht. Um drei Uhr morgens war der Bunker nichts mehr als eine Masse von zerknäultem Stahl und Beton. Sie mußten heraus. Sie hatten sechs Tote und drei Verwundete. Sie mußten zurück. Den Verwundeten mit dem Bauchschuß konnten sie ein paar hundert Meter weit zurückschleppen; dann starb er. Die Russen griffen wieder an. Die Kompanie hatte nur noch zwei Maschinengewehre. Von einem Trichter aus wehrte sie sich damit. Dann fiel sie weiter zurück. Die Russen hielten sie für stärker, als sie war; das rettete sie. Beim zweiten Halt

431

fiel Sauer. Er erhielt einen Kopfschuß und war sofort tot. Ein Stück später, als er geduckt lief, fiel Hirschmann. Er drehte sich langsam um sich selbst und blieb liegen. Graeber zerrte ihn in einen Trichter. Er rutschte hinein und kollerte auf den Grund. Die Brust war von Schüssen zerrissen. Graeber fand, als er ihn abtastete, seine blutige Brieftasche und steckte sie ein. Sie erreichten die zweite Linie. Später kam der Befehl durch, noch weiter zurückzugehen. Die Kompanie wurde aus dem Gefecht gezogen. Die Reservestellung wurde die Front. Sie sammelten sich einige Kilometer weiter hinten. Die Kompanie hatte nur noch dreißig Mann. Einen Tag später wurde sie aufgefüllt auf hundertzwanzig.

Graeber fand Fresenburg in einem Feldlazarett. Es war eine Baracke, die notdürftig eingerichtet war. Fresenburgs linkes Bein war zerschmettert. »Sie wollen es amputieren«, sagte er. »Irgend so ein lausiger Assistenzarzt. Hat weiter nichts gelernt. Ich habe durchgesetzt, daß sie mich morgen abtransportieren. Besser, ein erfahrener Mann sieht sich das Bein erst einmal an.« Er lag in einem Feldbett, einen Drahtkorb über dem Knie. Das Bett stand neben dem offenen Fenster. Draußen sah man ein Stück flaches Land. Eine Wiese blühte rot und gelb und blau. Das Zimmer stank. Es hatte noch drei andere Betten. »Was macht Rahe?« fragte Fresenburg. »Armschuß. Fleisch wunde.»

»Lazarett?»

»Nein. Er ist bei der Kompanie geblieben.»

»Das habe ich mir gedacht.« Fresenburg verzog das Gesicht. Die eine Hälfte lächelte; die andere, mit der Narbe, blieb starr.

432

»Manche wollen nicht zurück. Rahe will nicht.» »Warum nicht?»

»Er hat aufgegeben. Keine Hoffnung mehr. Und keinen Glauben.« Graeber sah auf das pergamentfarbene Gesicht. »Und du?»

»Ich weiß nicht. Dieses hier muß erst einmal geordnet sein.« Er zeigte auf den Drahtkorb.

Der warme Wind von der Wiese kam herein. »Sonderbar, was?« sagte Fresenburg. »Im Schnee hat man gedacht, es würde nie Sommer in diesem Land. Dann ist er plötzlich da. Und gleich zuviel.»

»Ja.»

»Wie war es zu Hause?»

»Ich weiß es nicht. Ich kann beides nicht mehr zusammenbringen. Den Urlaub und dieses. Früher ging es. Jetzt nicht mehr. Es ist zu weit auseinander. »Ich weiß nicht mehr, was die Wirklichkeit ist.»

»Wer weiß das?»

»Ich dachte, ich hätte es gewußt. Drüben schien alles richtig zu sein. Jetzt weiß ich es nicht mehr. Es ist zu kurz. Und zu weit weg von diesem hier. Drüben dachte ich sogar, ich würde nicht mehr töten.»

»Das haben manche gedacht.»

»Ja. Hast du starke Schmerzen?« Fresenburg schüttelte den Kopf. »Diese Bude hatte etwas, was man kaum erwartet hätte: Morphium. Man hat mir Injektionen gemacht. Sie wirken noch. Die Schmerzen sind da; aber so, als hätte sie ein anderer. Ich

433

habe noch ein, zwei Stunden zum Denken.» »Kommt ein Lazarettzug?»

»Es ist ein Lazarettauto da. Das bringt uns zur nächsten Station.»

»Bald ist keiner von uns mehr hier«, sagte Graeber. »Jetzt gehst auch du.»

»Vielleicht flicken sie mich noch einmal so zusammen, daß ich zurückkomme.« Sie sahen sich an. Sie wußten beide, daß es nicht wahr war. »Ich will es glauben«, sagte Fresenburg. »Wenigstens noch für die ein, zwei Stunden des Morphiums. Ein Stück Leben kann manchmal verdammt kurz sein, was? Und dann kommt ein anderes, von dem man absolut nichts kennt. Dieses war mein zweiter Krieg.»

»Was willst du später machen? Weißt du das schon?« Fresenburg lächelte flüchtig. »Ich weiß noch nicht einmal, was die andern mit mir machen werden. Das werde ich zuerst abwarten. Ich hätte nicht gedacht, daß ich hier herauskommen würde. Glaubte immer, es würde mich richtig erwischen, fertig. Jetzt muß ich mich daran gewöhnen, halb erwischt worden zu sein. Ich weiß nicht, ob es einfacher ist. Das andere schien einfacher. Man hatte abgeschlossen, die Schweinerei ging einen nichts mehr an, man würde den Preis zahlen, Schluß. Jetzt ist man wieder mittendrin. Man hat sich etwas vorgemacht; daß der Tod alles auslösche und so weiter. Es stimmt nicht. Ich bin müde, Ernst. Will versuchen, zu schlafen, bevor ich fühlen werde, daß ich ein Krüppel bin. Mach’s gut.« Er hielt Graeber die Hand hin. »Du auch, Ludwig«, sagte Graeber.

434

»Natürlich. Schwimme ja jetzt mit dem Strom. Primitiver Lebenstrieb. Vorher war’s anders. War aber vielleicht auch nur Schwindel. Irgendein Stück versteckter Hoffnung war noch drin. Macht nichts. Man vergißt immer wieder, daß man selbst Schluß machen kann. Wir haben das als Geschenk zusammen mit unserer sogenannten Vernunft bekommen.« Graeber schüttelte den Kopf.

Fresenburg lächelte sein halbes Lächeln. »Du hast recht«, sagte er. »Das tun wir nicht. Wir werden lieber dafür sorgen, daß dies alles nie wieder passieren kann.« Er legte den Kopf zurück. Er sah plötzlich sehr erschöpft aus. Als Graeber an der Tür war, hatte er die Augen schon geschlossen.

Graeber ging zu seinem Dorf zurück. Ein schwaches Abendrot färbte den Himmel. Es hatte nicht mehr geregnet. Der Schlamm trocknete. Auf den verlassenen Äckern waren Blumen und Unkraut emporgeschossen. Die Front grollte. Alles war plötzlich sehr fremd, und alle Verbindungen schienen gelöst zu sein. Graeber kannte das Gefühl; er hatte es oft gehabt, wenn er nachts aufgewacht war und nicht gewußt hatte, wo er sich befand. Es war so, als wäre man aus der Welt herausgefallen und schwebte völlig einsam in der Dunkelheit. Es dauerte nie lange. Man fand immer bald zurück; aber jedesmal blieb ein leises, sonderbares Gefühl, einmal nicht mehr zurückzufinden. Er spürte es nicht als Angst; man schrumpfte nur ein, als wäre man winzig wie ein Kind, ausgesetzt in einer riesigen Steppe, aus der jeder Weg hinaus hundertmal zu weit war. Er steckte die Hände in die Taschen und sah sich um. Rund um ihn war das alte Bild: Ruinen, Äcker, die unbebaut waren, ein russischer

435

Sonnenuntergang und gegenüber das fahle, beginnende Wetterleuchten der Front. Es war da wie immer, und mit ihm war auch die hoffnungslose Kühle da, die mitten durchs Herz ging. Er fühlte in seiner Tasche die Briefe Elisabeths. Wärme war in ihnen, Zärtlichkeit und der süße Aufruhr der Liebe. Aber sie waren keine ruhige Lampe, die ein wohlgeordnetes Haus erhellte; sie waren Irrlichter über einem Moor, und je mehr er ihnen zu folgen versuchte, um so sumpfiger schien das Moor zu werden. Er hatte eine Lampe aufstellen wollen, um zurückzufinden; aber er hatte sie aufgestellt, bevor das Haus gebaut war. Er hatte sie in eine Ruine gestellt; sie schmückte sie nicht, sie machte sie nur trostloser. Drüben hatte er das nicht gewußt. Er war dem Licht gefolgt und hatte nicht gefragt und hatte glauben wollen, es sei genug, ihm zu folgen. Es war nicht genug. Er hatte die Erkenntnis abgewehrt, solange er konnte. Es war nicht einfach gewesen, zu sehen, daß das, von dem er gewollt hatte, es solle ihn halten und tragen, ihn nur noch mehr isolierte. Es reichte nicht weit genug. Es rührte sein Herz, aber es hielt ihn nicht. Es versank, es war ein kleines Privatglück, es konnte sich nicht halten in dem endlosen Moor des allgemeinen Elends und der Verzweiflung. Er nahm die Briefe Elisabeths heraus und las sie, und der rote Widerschein des Sonnenuntergangs lag auf den Blättern. Er kannte sie auswendig, er las sie noch einmal, und wieder machten sie ihn einsamer als vorher. Es war zu kurz gewesen, und das andere war zu lang. Es war ein Urlaub gewesen; aber das Leben eines Soldaten rechnet nach der Zeit an der Front und nicht nach Urlauben.

Er steckte die Briefe wieder ein. Er tat sie zu den Briefen seiner

436

Eltern, die er auf der Schreibstube vorgefunden hatte. Es hatte keinen Zweck, zu grübeln. Fresenburg hatte recht; ein Schritt nach dem andern war genug. Man sollte keine Welträtsel lösen wollen, wenn man in Gefahr war. Elisabeth, dachte er. Warum denke ich nur an sie wie an etwas Verlorenes? Ich habe doch ihre Briefe hier! Sie lebt!

Das Dorf kam näher. Es lag düster und verlassen da. Alle diese Dörfer sahen aus, als würden sie nie wieder aufgebaut werden. Eine Birkenallee führte zu den Resten eines weißen Hauses. Ein Garten mußte dort gewesen sein; hier und da blühten noch Blumen, und an einem schmutzigen Teich stand eine Statue. Es war ein Pan, der die Flöte blies; aber niemand kam zu seinem feierlichen Mittag. Nur ein paar Rekruten suchten in den Obstbäumen nach unreifen Kirschen.

437

27»Partisanen.« Steinbrenner leckte sich die Lippen und sah die Russen an. Sie standen auf dem Dorfplatz. Es waren zwei Männer und zwei Frauen.

Eine der Frauen war jung. Sie hatte ein rundes Gesicht und hohe Backenknochen. Alle vier waren morgens eingeliefert worden.

»Sie sehen nicht aus wie Partisanen«, sagte Graeber. »Es sind welche! Woran kannst du sehen, daß es keine sind?»

»Sie sehen nicht so aus. Sie sehen aus wie arme Bauern!« Steinbrenner lachte. »Wenn es danach ginge, gäbe es keine Verbrecher.« Das ist wahr, dachte Graeber. Du selbst bist das beste Beispiel dafür. Er sah Rahe kommen. »Was sollen wir nur mit denen machen?« fragte der Kompanieführer.

»Sie sind hier gefangen worden«, sagte der Feldwebel. »Wir müssen sie einsperren, bis wir Befehle bekommen.»

»WirhabenweißGottgenugKramamHalse.Warumschicken wir sie nicht zum Regiment?« Rahe erwartete keine Antwort. Das Regiment hatte keinen festen Standort mehr. Der Stab würde im höchsten Falle irgendwann jemand schicken, die Russen zu verhören, und dann mitteilen, was mit ihnen geschehen sollte. »Vor dem Dorf ist ein früheres Gutshaus«, meldete Steinbrenner. »Es hat einen Keller mit Gittern und einer Eisentür und einem Schloß.« Rahe musterte ihn.

Er wußte, was Steinbrenner dachte. Die Russen würden bei ihm den üblichen Fluchtversuch machen, und das würde ihr Ende sein. Vor dem Dorf war das leicht zu fingieren.

Rahe sah sich um. »Graeber«, sagte er. »Übernehmen Sie die Leute. Steinbrenner kann Ihnen zeigen, wo der Keller ist. Prüfen

438

Sie ihn, ob er gut ist. Melden Sie es mir dann, und lassen Sie eine Wache da. Nehmen Sie Leute von Ihrer Gruppe. Sie haben die Verantwortung. Sie allein«, fügte er hinzu.

Einer der Gefangenen hinkte. Die ältere Frau hatte Krampfadern.

Die jüngere ging barfuß. Vor dem Dorf stieß Steinbrenner den jüngeren der gefangenen Männer an.

»Heda! Du! Lauf!« Der Mann drehte sich um. Steinbrenner lachte und winkte. »Lauf! Lauf! Los! Frei!« Der ältere Russe sagte etwas auf russisch. Der andere lief nicht. Steinbrenner trat ihm mit dem Stiefel auf die Hacken. »Lauf, du Aas!»

»Laß das«, sagte Graeber. »Du hast gehört, was Rahe befohlen hat.»

»Wir können sie hier laufenlassen«, flüsterte Steinbrenner. »Die Männer, meine ich. Zehn Schritt, dann schießen wir. Die Frauen sperren wir ein. Die junge holen wir nachts raus.»

»Laß sie in Ruhe. Und verschwinde. Ich habe hier das Kommando.« Steinbrenner betrachtete die Waden der jungen Frau. Sie hatte einen kurzen Rock an, und ihre Beine waren braun und kräftig. »Sie werden sowieso erschossen«, erklärte er. »Entweder von uns oder vom Sicherheitsdienst. Wir können noch einen Spaß mit der Jungen haben. Du kannst leicht reden. Du kommst gerade vom Urlaub.»

»Halt die Schnauze, und denk an deine Braut!« sagte Graeber. »Rahe hat dir befohlen, uns den Keller zu zeigen, das ist alles.« Sie gingen die Allee entlang, auf das weiße Haus zu. »Hier«, erklärte Steinbrenner mürrisch und zeigte auf den kleinen Anbau, der

439

gut erhalten war. Er war aus Stein gebaut und fest und hatte eine Tür aus Eisenstangen, die mit einem Vorhängeschloß von außen verschlossen werden konnte.

Graeber untersuchte den Anbau. Es schien eine Art Stall oder ein Schuppen gewesen zu sein. Der Boden war zementiert. Die Gefangenen konnten ohne Hilfsmittel nicht heraus; und sie waren schon darauf untersucht worden, ob sie etwas bei sich hatten.

Er öffnete die Tür und ließ sie hinein. Zwei Rekruten, die als Wache mitgekommen waren, standen mit ihren Gewehren bereit. Die Gefangenen gingen einer nach dem andern in den Schuppen. Graeber schloß ab und versuchte das Schloß. Es hielt. »Wie die Affen im Käfig«, grinste Steinbrenner. »Banane! Banane! Wollt ihr eine Banane, ihr Affen?« Graeber wandte sich zu den Rekruten. »Ihr bleibt hier als Wache. Ich mache euch dafür verantwortlich, daß nichts passiert. Ihr werdet nachher abgelöst. Spricht jemand von euch deutsch?« fragte er die Russen.

Keiner antwortete. »Wir werden später sehen, ob wir noch etwas Stroh für euch finden. Komm«, sagte Graeber zu Steinbrenner.

»Besorge ihnen doch noch ein paar Federbetten.»

»Komm! Und ihr da, paßt auf!« Er meldete sich bei Rahe und erklärte, daß das Gefängnis sicher sei. »Übernehmen Sie mit ein paar Mann die Bewachung«, sagte Rahe. »In einigen Tagen, wenn die Lage sich etwas beruhigt hat, werden wir die Leute hoffentlich los.»

»Jawohl.»

440

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]