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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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schlüge er ein Klavier an, und es käme kein Laut heraus. Was ist geschehen? dachte er. Vielleicht ist ihr etwas passiert. Vielleicht ist sie bewußtlos. Vielleicht ist gerade jetzt das Haus eingestürzt. Vielleicht ist sie tot.

Er riß seine Stiefel los. Die nasse Erde seufzte. Er spürte, daß er schwitzte.

»Das wird dich müde machen«, sagte jemand.

Es war Sauer. Er stand in der Ecke eines zerstörten Stalls. »Außerdem hört man es einen Kilometer weit«, erklärte er. »Was machst du? Freiübungen?»

»Du bist verheiratet, Sauer, was?»

»Klar. Wenn du einen Hof hast, mußt du verheiratet sein. Ohne Frau ist kein Hof gut.»

»Bist du schon lange verheiratet?» »Fünfzehn Jahre. Warum?»

»Wie ist das, wenn man so lange verheiratet ist?» »Mensch, was du auch fragst! Wie soll das schon sein?»

»Ist es so wie ein Anker, der dich hält? Etwas, woran du immer denkst und wohin du zurück willst?»

»Anker, was heißt Anker? Natürlich denke ich daran. Den ganzen Tag heute schon. Die Frühjahrssaat ist fällig und das Pflanzen! Ganz dämlich wird man davon im Kopf.»

»Ich meine nicht deinen Hof. Ich meine deine Frau.»

»Das gehört zusammen. Ich habe es dir doch gerade erklärt. Ohne Frau kein guter Hof. Aber was hast du schon davon? Nichts als Sorgen. Dazu dieser Immermann, der einem

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immer einreden will, die Kriegsgefangenen lägen mit jeder Frau, die allein ist, im Bett.« Sauer schneuzte sich. »Es ist ein großes doppelschläfriges Bett«, fügte er aus einem rätselhaften Grunde hinzu.

»Immermann ist ein Schwätzer.»

»Er sagt, daß eine Frau, die einmal gewußt hat, was ein Mann ist, es nicht lange ohne einen aushält. Daß sie sich bald einen andern sucht.»

»Ach, Scheiße!« sagte Graeber, plötzlich sehr wütend. »Dieser verdammte Quatschkopf denkt, alle Menschen wären gleich. Das ist der größte Unsinn, den es gibt!«

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26Sie kannten sich nicht mehr. Sie kannten nicht einmal die Uniformen mehr. Es waren oft nur noch die Helme und die Stimmen und die Sprache, durch

die sie wußten, daß sie zueinander gehörten. Die Gräben waren längsteingestürzt.EineunregelmäßigeLinievonGranattrichtern und Bunkern war die Front. Sie wechselte fortwährend. Es war nichts mehr da als Regen und Geheul und Nacht und das Licht der Explosionen und der fliegende Dreck. Der Himmel war eingestürzt. Stormoviks hatten ihn zertrümmert. Der Regen stürzte herunter, und mit ihm fielen die Meteore der Bomben und Granaten.

Die Scheinwerfer zerrten wie weiße Hunde an den zerrissenen Wolken. Flakfeuer knatterte durch das Dröhnen der bebenden Horizonte. Brennende Flugzeuge stürzten herab, und der goldene Hagel der Leuchtmunition flog garbenförmig hinterher und verschwand in der Endlosigkeit. Gelbe und weiße Leuchtschirme hingen im Ungefähr und erloschen wie in tiefem Wasser. Dann begann das Trommelfeuer wieder.

EswarderzwölfteTag.IndendreierstenhattedieLiniegehalten. Die Stachelschweinbunker hatten das Artilleriefeuer ohne allzu schwere Beschädigungen überstanden. Dann waren die äußeren Blockhäuser verlorengegangen. Die Linie war von Panzern durchbrochen worden, aber die Pak hatte den Durchbruch ein paar Kilometer weiter aufgefangen. Die Panzer hatten brennend im Morgengrauen gestanden; einige, umgeworfen, hatten mit den Raupenbändern noch eine Zeitlang weitergemahlen wie auf dem Rücken liegende Riesenkäfer. Strafbataillone waren hinausgeschickt worden, um Knüppeldämme zu legen und

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die Telefonverbindungen wiederherzustellen. Sie mußten fast ohne Deckung arbeiten. In zwei Stunden verloren sie über die Hälfte ihrer Leute. Wolken von Bombern taumelten niedrig und unbeholfen aus dem grauen Himmel und attackierten die Stachelschweinbunker. Am sechsten Tage war die Hälfte der Bunker außer Gefecht; man konnte sie nur noch als Deckung verwenden. In der siebenten Nacht stürmten die Russen und wurden zurückgeschlagen. Dann begann es zu regnen, als käme die Sintflut noch einmal. Die Soldaten waren nicht mehr zu erkennen. Sie krochen in den schmierigen Lehmtrichtern herum wie Insekten, die alle dieselbe Schutzfarbe hatten. Die Kompanie stützte sich nur noch auf zwei zerstörte Blockhäuser mit Maschinengewehren, hinter denen ein paar Minenwerfer standen. Der Rest der Leute hockte in Trichtern und hinter letzten Mauerresten. Rahe hielt einen der Blocks. Maß den anderen.

Sie hielten sie drei Tage. Am zweiten waren sie fast ohne Munition; die Russen hätten einfach durchmarschieren können. Aber es erfolgte kein Angriff. Spät, im letzten Zwielicht, kamen ein paar deutsche Flugzeuge durch, die Munition und Essen abwarfen. Die Mannschaft holte einen Teil davon herein und aß. Nachts kam Verstärkung. Die Arbeitsbataillone hatten einen Knüppeldamm fertiggestellt. Man brachte Waffen und Maschinengewehre heran. Eine Stunde später erfolgte ein überraschender Angriff ohne Artillerievorbereitung. Die Russen tauchten plötzlich fünfzig Meter vor der Linie auf. Ein Teil der Handgranaten explodierte nicht. Die Russen brachen durch.

Graeber sah vor sich, im Flackern der Explosionen, einen

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Helm mit weißen Augen darunter, ein aufgerissenes Mundloch, und dahinter, wie einen knorrigen, lebendigen Ast, einen Arm, der ausholte — er schoß hinein, riß dem Rekruten neben sich eine Handgranate weg, mit der er nicht fertig wurde, und warf sie hinterher. Sie explodierte. »Schraub die Kapseln ab, Idiot!« schrie er den Rekruten an. »Gib sie her! Zieh sie nicht ab!« Die nächste explodierte nicht. Sabotage, schoß es ihm durch den Schädel, Sabotage der Gefangenen, die sich jetzt gegen uns richtet! Er warf eine andere und duckte sich und sah die russische herangeflogen kommen, und er wühlte sich in den Dreck und spürte den Luftdruck der Explosion und einen Peitschenhieb und Klatschen und Dreck, der auf ihn schlug. Er griff zurück und schrie: »Los! Rasch! Gib!«, und erst als seine Hand leer blieb, drehte er den Kopf und sah, daß kein Rekrut mehr da war und daß der Dreck auf seiner Hand Fleisch war. Er rutschte herunter, suchte, fand ein Koppel, riß die beiden letzten Handgranaten los, sah Schatten über den Rand des Trichters klettern, springen, weiterlaufen, duckte sich...

Gefangen,dachteer.Gefangen.Überrannt.Erkrochvorsichtig an den Rand des Trichters. Der Dreck schützte ihn, solange er ruhig lag. Im Licht eines Leuchtschirmes sah er, daß der Rekrut überall klebte, ein Bein, ein nackter Arm, der zerfaserte Körper. Er hatte die Handgranate direkt gegen den Bauch bekommen; sein Körper hatte die Explosion aufgefangen und Graeber geschützt.

Erbliebliegen,denKopfnichthöheralsdenRanddesTrichters. Er sah ein MG vom rechten Blockhaus feuern. Dann feuerte auch das linke. Solange sie feuerten, war er nicht verloren. Sie hielten

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den Abschnitt unter Kreuzfeuer. Es kamen auch keine Russen mehr. Anscheinend war nur ein Teil durchgebrochen. Ich muß hinter das Blockhaus kommen, dachte er. Sein Kopf schmerzte, er war halb betäubt, aber hinten im Schädel dachte etwas sehr klar, begrenzt und scharf. Es war das, was den Unterschied zwischen erfahrenen Soldaten und Rekruten ausmachte;

im Rekruten wurde alles zur Panik, deshalb fiel er leichter. Graeber wußte, daß er sich totstellen konnte, wenn die Russen zurückkamen. Es war schwierig, ihn im Dreck zu entdecken. Aber je näher er im Feuerschatten dem Blockhaus kommen konnte, um so besser war es für ihn später.

Er glitt über den Rand zum nächsten Loch, fiel hinunter und bekamdenMundvollWasser.NacheinerWeilekletterteerweiter. Im nächsten Trichter lagen zwei Tote. Er wartete. Dann hörte er Handgranaten und sah Explosionen in der Nähe des linken Bunkers. Die Russen waren drüben durchgebrochen und hatten von zwei Seiten angegriffen. Die Maschinengewehre flackerten. Nach einiger Zeit hörten die Detonationen der Handgranaten auf; aber das Blockhaus feuerte weiter. Graeber kroch vorwärts. Er wußte, daß die Russen zurückkommen würden. Sie würden Truppen in den großen Trichtern vermuten; in den kleineren war er sicherer. Er erreichte einen und blieb liegen. Ein schwerer Regenschauer kam herunter. Das Maschinengewehrfeuer verflackerte. Dann begann die Artillerie wieder. Ein direkter Einschlag traf das rechte Blockhaus. Es schien in die Luft zu fliegen. Der Morgen kam naß und spät.

Es gelang Graeber, vor dem ersten Licht durchzukommen. Hinter einem zerschossenen Panzer traf er Sauer und zwei

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Rekruten. Sauers Nase blutete. Eine Granate war sehr nahe geplatzt. Einem der Rekruten war der Bauch aufgerissen. Die Gedärme lagen frei. Es regnete hinein. Niemand hatte etwas, um ihn zu verbinden. Es war auch zwecklos. Je eher er starb, um so besser. Der zweite Rekrut hatte ein gebrochenes Bein. Er war in einen Trichter gefallen. Es war unverständlich, wie er sich in dem weichen Dreck ein Bein hatte brechen können. In dem ausgebrannten Panzer, der in der Mitte geborsten war, sah man die schwarzen Skelette der Mannschaft. Einer hing mit dem Oberkörper heraus. Sein Gesicht war nur halb verbrannt; die andere Hälfte war dick geschwollen, Rot und violett und geplatzt. Die Zähne waren sehr weiß, wie gelöschter Kalk.

Ein Verbindungsmann vom linken Bunker kam durch. »Sammeln beim Bunker«, krächzte er. »Sind drüben noch welche in den Trichtern?»

»Keine Ahnung. Gibt es keine Sanitäter?»

»Tot und verwundet.« Der Mann kroch weiter. »Wir bringen dir einen Sanitäter«, sagte Graeber zu dem Rekruten, in dessen Bauch es hineinregnete. »Oder wir holen Verbände. Wir kommen zurück.« Der Rekrut antwortete nicht. Er lag mit blassen Lippen sehr klein im Lehm. »Wir können dich nicht mit einer Zeltbahn ziehen«, sagte Graeber zu dem mit dem gebrochenen Bein. »Nicht in diesem Dreck. Stütz dich auf uns, und versuch mit dem heilen Bein zu springen.« Sie nahmen ihn in die Mitte und stolperten von Loch zu Loch. Es dauerte lange. Der Rekrut stöhnte, wenn sie sich hinwarfen. Das Bein verdrehte sich. Er konnte nicht weiter. Sie ließen ihn hinter einem Mauerrest in der Nähe des Bunkers und legten seinen

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Helm auf die Mauer, damit die Sanitäter ihn finden konnten. Neben ihm lagen zwei Russen; einer hatte keinen Kopf mehr; der andere lag auf dem Bauch, und der Lehm unter ihm war rot. Sie sahen noch mehr Russen. Dann kamen ihre eigenen Toten. Rahe war verwundet. Sein linker Arm war oberflächlich verbunden. Drei Schwerverwundete lagen mit einer Zeltbahn zugedeckt im Regen. Es war kein Verbandszeug mehr da. Eine Stunde später warf eine Junkers einige Pakete ab. Sie fielen zu weit nach vorn, zu den Russen.

Noch sieben Mann kamen. Der Rest sammelte sich im rechten Bunker. Leutnant Maß war tot. Feldwebel Reinecke übernahm das Kommando. Es war nicht mehr viel Munition da. Die Minenwerfer waren zerstört. Aber zwei schwere und zwei leichte MG funktionierten noch.

Von der Strafkompanie kamen zehn Mann durch. Sie brachten Munition und Konserven und nahmen die Verwundeten mit. Sie hatten Bahren. Zwei sah man hundert Meter weiter zurück in die Luft fliegen. Das Artilleriefeuer riegelte den ganzen Vormittag fast jede Verbindung ab.

Mittags hörte es auf zu regnen. Die Sonne kam heraus. Es wurde sofort heiß. Der Dreck wurde krustig. »Sie werden mit leichten Panzern angreifen«, sagte Rahe. »Verdammt, wo sind die Abwehrgeschütze? Wir müssen welche haben; ohne Pak sind wir fertig.« Das Feuer hielt an. Nachmittags kam wieder eine Transport-Junkers. Sie war von Messerschmitts begleitet. Die Stormoviks erschienen und griffen an. Zwei wurden abgeschossen. Dann kamen zwei Messerschmitts herunter. Die Junkers kam nicht durch. Sie warf ihre Ballen weiter hinten ab.

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Die Messerschmitts kämpften; sie waren schneller als die Russen; aber es waren dreimal soviel russische Flugzeuge wie deutsche. Die deutschen mußten zurück.

Die Toten begannen am nächsten Tage zu riechen. Graeber saß im Bunker. Sie waren noch zweiundzwanzig Mann. Ungefähr ebenso viele hatte Reinecke auf der anderen Seite gesammelt. Der Rest war tot oder verwundet. Sie waren hundertzwanzig gewesen. Er saß und reinigte seine Waffen. Sie waren voll Dreck. Er dachte nichts. Er war nur noch eine Maschine. Er wußte nichts mehr von früher. Er saß nur da und wartete und schlief und erwachte und war bereit, sich zu verteidigen. Die Panzer kamen am folgenden Morgen. Die Nacht durch hielten Artillerie, Minenwerfer und MG die Linie isoliert. Die Telefonleitungen wurden ein paarmal geflickt, aber immer wieder unterbrochen. Die Verstärkungen, die angesagt waren, kamen nicht durch. Die deutsche Artillerie war nur noch schwach. Das russische Feuer war tödlich gewesen. Der Bunker wurde noch zweimal getroffen; aber er hielt stand. Es war kein eigentlicher Bunker mehr; es war ein Betonklotz, der im Dreck herumtaumelte wie ein Schiff im Sturm. Ein halbes Dutzend naher Einschläge hatte ihn losgeschüttelt. Man fiel gegen die Wände, wenn er sich hob.

Graeber hatte seinen Streifschuß an der Schulter nicht verbinden können. Er hatte etwas Kognak, den er gefunden hatte, daraufgegossen. Der Bunker schlingerte und dröhnte weiter. Es war jetzt kein Schiff im Sturm mehr; er war ein Unterseeboot, das auf dem Meeresgrund mit toten Maschinen rollte. Es gab auch keine Zeit mehr. Sie war ebenfalls kaputtgeschossen. Man hockte in der Dunkelheit und wartete. Es gab keine Stadt mehr

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in Deutschland, in der man vor ein paar Wochen gelebt hatte. Es hatte auch nie einen Urlaub gegeben. Keine Elisabeth war mehr da. Das alles war nur ein wilder Traum zwischen Tod und Tod gewesen — eine halbe Stunde Wahnsinnsschlaf, in dem eine Rakete aufgestiegen und verlöscht war. Es gab nur noch den Bunker.

Die leichten russischen Panzer brachen durch. Infanterie folgte ihnen und kam mit ihnen. Die Kompanie ließ die Panzer vorbei und nahm die Infanterie unter Kreuzfeuer. Die heißen Läufe der Maschinengewehre verbrannten die Hände. Sie feuerten weiter. Die russische Artillerie konnte sie nicht mehr beschießen. Zwei Panzer drehten, rollten heran und feuerten. Sie hatten es einfach; es gab keine Gegenwehr. Die Panzer waren zu stark für die MG. Man zielte auf die Schlitze; aber es war Glückssache, da zu treffen. Die Panzer manövrierten sich aus dem Feuer heraus und schossen weiter. Der Bunker bebte. Beton splitterte. »Handgranaten!« schrie Reinecke. Er band ein Bündel zusammen, hing es sich über die Schulter und kroch zum Eingang. Nach der nächsten Salve kroch er hinaus, in Deckung hinter seinen Bunker.

»Zwei MG auf die Panzer feuern«, kommandierte Rahe. Sie versuchten Reinecke zu decken, der im Bogen herankriechen wollte, um mit der geballten Ladung Handgranaten die Bänder des Panzers zu sprengen. Es war fast aussichtslos. Schweres russisches Maschinengewehrfeuer hatte eingesetzt. Nach einer Weile hörte einer der Panzer auf zu feuern. Niemand hatte eine Explosion gesehen. »Wir haben ihn erwischt!« brüllte Immermann. Der Panzer feuerte nicht mehr. Die MG beschossen

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