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Remarque_-_Zeit_zu_Leben_und_Zeit_zu_Sterben

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werden wohl reichen.»

»Ich brauche nicht alle«, erklärte Frau Witte. »Die Linsen haben wir noch von früher. Es sind nur ein paar nötig für die Wurst. Ich bringe Ihnen den Rest nachher zurück. Wollen Sie etwas trinken? Wir haben ein paar Flaschen Bier.»

»Das ist großartig. Bier ist gerade das, was wir haben möchten.« Das Abendrot war nur noch ein blasser Schein. Eine Drossel begann zu schlagen. Graeber erinnerte sich, schon vormittags eine gehört zu haben. Sie hatte auf einer Station des Kreuzweges gesessen. Seitdem schien viel passiert zu sein. Er hob den Deckel von der Terrine. »Wurst. Gute Mettwurst. Und Linsen, dick gekocht. Ein herrliches Essen!« Er füllte die Teller, und ihm war einen Augenblick, als hätte er ein Haus und einen Garten und eine Frau und einen Tisch und Essen und Sicherheit, und es sei Frieden. »Elisabeth«, sagte er. »Wenn du einen Vertrag machen könntest, daß du die nächsten zehn Jahre so leben könntest wie jetzt — mit Ruinen und diesem Garten und wir beide zusammen, würdest du ihn unterschreiben?»

»Sofort. Auch für länger.»

»Ich auch.« Frau Witte brachte das Bier. Graeber öffnete die Flaschen und schenkte die Gläser voll. Sie tranken. Das Bier war kühl und gut. Sie aßen die Suppe. Sie aßen sie langsam und ruhig und sahen sich an.

Es wurde dunkler. Ein Scheinwerfer schnitt über den Himmel, stocherte in den Wolken und glitt weiter. Die Drossel hatte aufgehört zu singen. Die Nacht begann.

Frau Witte erschien, um die Terrine nachzufüllen. »Sie haben

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nicht genug gegessen«, sagte sie. »Junge Leute müssen tüchtig essen.»

»Wir haben gegessen, was wir konnten. Die Terrine ist fast leer.»

»Ich werde Ihnen noch etwas Salat bringen. Und ein Stück Käse.« Der Mond kam herauf. »Jetzt haben wir alles«, sagte Elisabeth. »Den Mond, den Garten, und wir haben gegessen und noch den ganzen Abend vor uns. Es ist so schön, daß man es fast nicht aushalten kann.»

»So haben Menschen früher gelebt. Und sie haben nichts Besonderes darin gefunden.« Sie nickte und sah sich um. »Man sieht keine einzige Ruine von hier. Der Garten liegt so, daß man sie nicht sieht. Die Bäume verdecken sie. Zu denken, daß es ganze Länder gibt, die so sind!»

»Wir werden nach dem Kriege hinfahren. Wir werden lauter unzerstörte Städte sehen, und sie werden abends erleuchtet sein, und niemand wird Angst vor Bomben haben. Wir werden vor Schaufenstern voll von Licht Spazierengehen, und es wird so hell sein, daß wir endlich einmal abends unsere Gesichter wie am Tage auf der Straße erkennen können.»

»Werden sie uns hineinlassen?»

»Für eine Reise? Warum nicht? In die Schweiz?»

»Wir müssen Schweizer Franken haben. Wie kriegen wir die?»

»Wir nehmen Fotoapparate mit und verkaufen sie drüben. Davon leben wir ein paar Wochen.« Elisabeth lachte. »Oder Schmuck oder Pelzmäntel, die wir nicht haben.« Frau Witte kam

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mit dem Salat und dem Käse. »Gefällt es Ihnen hier?» »Ja, sehr. Können wir noch etwas sitzenbleiben?»

»Solange Sie wollen. Ich bringe Ihnen noch Kaffee. Malzkaffee natürlich.

»Kaffee auch noch. Wir leben heute wie Fürsten«, sagte Graeber.

Elisabeth lachte wieder. »Wie Fürsten haben wir im Anfang gelebt. Mit Gänseleber und Kaviar und Pfälzer Wein. Jetzt leben wir wie Menschen. So wie wir später leben wollen. Ist es nicht schön, zu leben?»

»Ja, Elisabeth.« Graeber blickte sie an. Sie hatte müde ausgesehen, als sie aus der Fabrik kam. Jetzt hatte sie sich ganz erholt. Es ging immer rasch bei ihr; sie brauchte nur wenig dazu. »Es wird schön sein, zu leben«, sagte sie. »Wir sind so wenig gewöhnt. Fast nichts mehr. Deshalb haben wir noch so vieles vor uns. Was anderen Menschen selbstverständlich ist, wird uns ein großes Abenteuer sein. Luft schon, die nicht mehr nach Brand riecht. Oder ein Abendessen ohne Marken. Läden, in denen man kaufen kann, was man möchte. Städte, die nicht zerstört sind. Oder sprechen zu können, ohne sich vorher nach allen Seiten umzusehen. Keine Angst mehr haben zu brauchen! Das wird lange dauern, aber die Angst wird weniger und weniger werden, und sogar wenn sie ab und zu noch einmal kommt, wird sie wie Glück sein, weil man gleich darauf weiß, daß man sie nicht mehr zu haben braucht. Glaubst du nicht?»

»Ja«, sagte Graeber mit Mühe. »Ja, Elisabeth. Wenn man es so sieht, liegt noch eine Menge Glück vor uns.« Sie blieben, solange

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sie konnten. Graeber bezahlte das Essen, und Frau Witte ging schlafen. Sie konnten so noch allein sitzenbleiben.

Der Mond stieg höher. Der Nachtgeruch des Bodens und des jungen Laubes wurde stärker, und da es windstill war, verdrängte er für Augenblicke den Geruch von Staub und Schutt, der immer über der Stadt hing. In den Büschen huschte es. Eine Katze jagte dort Ratten. Ratten gab es meh als früher; sie fanden unter den Ruinen genug zu fressen.

Sie gingen um elf Uhr. Es war, als verließen sie eine Insel. »Sie sind zu spät«, sagte der Küster, als sie ankamen. »Alle Plätze sind besetzt.« Es war ein anderer als der vom Morgen. Dieser war jünger, glattrasiert und von einer steifen Würde. Wahrscheinlich war er es, der Josef denunziert hatte. »Können wir nicht im Kreuzgarten schlafen?»

»Im Kreuzgarten schlafen überall an den überdachten Stellen schon Leute. Warum gehen sie nicht zur amtlichen Nothilfsstelle?« Das war um zwölf Uhr nachts eine idiotische Frage. »Wir vertrauen mehr auf Gott«, erwiderte Graeber.

Der Küster sah ihn einen Moment scharf an. »Wenn Sie hierbleiben wollen, müssen Sie im Freien schlafen.»

»Das macht nichts.» »Sind Sie verheiratet?» »Ja. Warum?»

»Dies ist ein Gotteshaus. Menschen, die nicht verheiratet sind, können hier nicht gemeinsam schlafen. Im Kreuzgang haben wir eine Abteilung für Männer und eine für Frauen.»

»Auch wenn sie verheiratet sind?»

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»Auch dann. Der Kreuzgang gehört zur Kirche. Hier gibt es keine Fleischeslust. Sie beide sehen nicht verheiratet aus.« Graeber zog seine Heiratsurkunde heraus. Der Küster setzte eine Nickelbrille auf und studierte sie im Schein der Ewigen Lampe. »Sehr kurze Zeit«, sagte er dann. »Darüber gibt es im Katechismus keine Bestimmungen.»

»Sind Sie auch kirchlich verheiratet?»

»Hören Sie«, sagte Graeber. »Wir sind müde. Meine Frau hat schwer gearbeitet. Wir gehen jetzt im Kreuzgarten schlafen. Wenn Sie etwas dagegen haben, versuchen Sie, uns herauszutreiben. Aber bringen Sie mehrere Leute mit. Es wird nicht einfach sein.« Ein Geistlicher stand plötzlich neben ihnen. Er war geräuschlos herangekommen. »Was gibt es hier?« Der Küster erklärte die Sache. Der Geistliche unterbrach ihn nach ein paar Sätzen. »Böhmer, spielen Sie nicht den lieben Gott. Es ist schlimm genug, daß Leute hier schlafen müssen.« Er wandte sich zu Graeber. »Wenn Sie morgen keine Wohnung haben, kommen Sie bis neun Uhr abends zum Domhof 7, Pastor Biedendieck. Meine Haushälterin wird Sie schon irgendwo unterbringen.»

»Danke vielmals.« Biedendieck nickte und ging weiter. »Los, Sie Unteroffizier Gottes!« sagte Graeber zu dem Küster. »Ein Major hat Ihnen einen Befehl erteilt. Sie haben zu folgen. Die Kirche ist die einzige Diktatur, die über Jahrhunderte erfolgreich war. Wo ist der Weg zum Kreuzgarten?« Der Küster führte sie durch die Sakristei. Meßgewänder schimmerten im Dunkeln. Dann kam eine Tür und ein Gang und der Kreuzgarten. »Kampieren Sie aber nicht auf den Gräbern der Domkapitulare«, knurrte Böhmer. »Bleiben Sie auf der Seite drüben, neben dem

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Kreuzgang. Sie dürfen auch nicht zusammen schlafen. Nur nebeneinander. Jedes Bett muß einzeln liegen. Und Ausziehen ist verboten.»

»Die Schuhe auch?»

»Die Schuhe nicht.« Sie gingen hinüber. Ein vieltöniges Schnarchkonzert kam aus den Gängen. Graeber breitete die Zeltbahn und die Decken auf dem Rasen aus. Er sah Elisabeth an. Sie lachte. »Was lachst du?« fragte er.

»Ich lache über den Küster. Und über dich.»

»Gut.« Graeber stellte die Koffer gegen die Mauer und machte aus dem Tornister eine Art Kopflehne. Plötzlich drang ein Frauenschrei durch das rhythmische Schnarchen. »Nein! Nein! Oh-h-« Es erstarb in einem Gurgeln.

»Ruhe!« schnarrte jemand. Die Frau schrie wieder. »Ruhe! Zum Donnerwetter!« schrie die andere Stimme lauter. Der Schrei brach ab, wie erstickt.

»Das sind wir Herrenmenschen!« sagte Graeber. »Sogar im Traum gehorchen wir jedem Befehl.« Sie legten sich nieder. Sie warenfastalleinanderWand.NurinbeidenEckenzeigtendunkle Erhebungen, daß dort auch Leute schliefen. Der Mond stand hinter dem zerschossenen Turm. Er warf einen Streifen Licht auf die alten Gräber der Domherren. Einige waren eingebrochen. Es waren keine Bomben gewesen, die das verursacht hatten; die Särge waren vermorscht und hatten nachgegeben. In der Mitte des Gartens, zwischen wilden Rosenbüschen, ragte ein großes Kreuz. Rundherum, den Weg entlang, standen die steinernen Stationen des Kreuzweges. Elisabeth und Graeber lagen

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zwischen den Stationen der Geißelung und der Dornenkrönung. Dahinter, im zweiten Viereck, schimmerten die Säulen und Rundbogen der Kreuzgänge, die nach dem Garten zu offen waren »Komm herüber zu mir«, sagte Graeber. »Zum Teufel mit den Anordnungen dieses asketischen Küsters!«

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23Schwalben umflogen den zerschossenen Turm. Die erste Sonne funkelte auf den Kanten der losgerissenen Dachplatten. Graeber packte den Spirituskocher aus. Er wußte nicht, ob es erlaubt war, zu kochen; deshalb wollte er das alte Soldatengesetz befolgen: zu handeln, bevor es jemand verbieten konnte. Er nahm sein Kochgeschirr und suchte nach einem Wasserhahn. Er fand ihn hinter der Kreuzigungsstation. Ein Mann mit offenem Munde und roten Bartstoppeln schlief dort. Er hatte nur ein Bein. Die Prothese hatte er abgeschnallt und neben sich gelegt. Sie glänzte mit ihren Nickelstreben im frühen Licht wie eine Maschine. Graeber blickte durch die offenen Säulenreihen in die Kreuzgänge. Der Küsterhatterechtgehabt:dieGeschlechterlagengetrennt.Ander Südseite schliefen nur Frauen. Als er zurückkam, war Elisabeth erwacht. Sie sah frisch und ausgeschlafen aus; nicht wie die fahlen Gesichter, die er in den Kreuzgängen gesehen hatte. »Ich weiß, wo du dich waschen kannst«, sagte er. »Geh hin, bevor der Sturm der anderen beginnt. Heilige Organisationen haben stets mangelhafte sanitäre Einrichtungen. Komm, ich zeige dir den Waschraum für Domkapitulare.« Sie lachte. »Bleib lieber hier und achte auf den Kaffee, sonst ist er nachher verschwunden. Ich werde den Waschraum schon finden. Wo geht es herum?« Er beschrieb es ihr. Sie ging durch den Garten. Sie hatte so ruhig geschlafen, daß ihr Kleid kaum verdrückt war. Er sah ihr nach.

Er liebte sie plötzlich sehr.

»So, Sie kochen im Garten des Herrn!« Der fromme Küster war auf Filzsohlen herangeschlichen. »Und sogar noch unter einer Station des schmerzhaften Rosenkranzes!»

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»Wo ist der freudenreiche? Ich kann auch dorthin gehen.» »Hier ist überall heiliger Grund. Sehen Sie nicht, daß

Domherren dort begraben liegen?»

»Ich habe schon auf manchem Friedhof gesessen und gekocht«, sagte Graeber ruhig. »Aber sagen Sie mir, wohin wir sonst gehen sollen. Ist hier irgendwo eine Kantine oder eine Feldküche?»

»Kantine?« Der Küster kaute das Wort wie eine angefaulte Frucht. »Hier?»

»Es wäre keine schlechte Idee.»

»Vielleicht für Heiden wie Sie. Zum Glück gibt es Menschen, die anders denken. Eine Speisewirtschaft auf Christi Boden! So eine Blasphemie!»

»Es ist keine solche Blasphemie. Christus hat mit ein paar Broten und Fischen ein paar tausend Menschen gespeist, das sollten Sie wissen. Aber er war sicher nicht ein so würdiger Rabe wie Sie! Und nun schwirren Sie ab! Es ist Krieg, das ist vielleicht neu für Sie.»

»Ich werde Herrn Pastor Biedendieck von Ihrem Sakrileg benachrichtigen!»

»Tun Sie das! Er wird Sie rauswerfen, Sie trockener Schleicher!« Der Küster ging würdig und wütend in seinen Filzschuhen zurück. Graeber öffnete ein Kaffeepaket aus dem Nachlaß Bindings und roch daran. Es war echter Bohnenkaffee. Er goß ihn auf. Der Geruch verbreitete sich und hatte sofortige Wirkung.

Hinter dem Grabe der Domherren hob sich der struppige

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Kopf eines Mannes und witterte. Dann nieste er, stand auf und kam näher. »Wie wär’s mit einer Tasse?»

»Schieb ab«, sagte Graeber. »Dies ist ein Haus Gottes; hier gibt man keine Almosen, hier nimmt man nur welche.« Elisabeth kam zurück. Sie ging leicht und gelockert, als ginge sie spazieren. »Woher hast du den Kaffee?« fragte sie. »Er stammt von Binding. Wir müssen ihn rasch trinken, sonst fällt der ganze Kreuzgang über uns her.« Die Sonne wanderte über die Bilder des schmerzhaften Rosenkranzes. Vor der Bank der Geißelung blühte ein violetter Tupf Veilchen. Graeber holte Brot und Butter aus seinem Tornister. Er schnitt das Brot mit seinem Taschenmesser und strich die Butter darauf. »Richtige Butter«, sagte Elisabeth. »Auch von Binding?»

»Alles. Merkwürdig — er hat mir nur Gutes getan, und ich habe ihn nie leiden können.»

»Vielleichthateresdeshalbgetan.Dassollesgeben.«Elisabeth saß neben Graeber auf dem Tornister. »Als ich sieben Jahre alt war, wollte ich ungefähr so leben wie hier.»

»Ich wollte Bäcker werden.« Sie lachte. »Du bist dafür Furier geworden. Wie spät ist es?»

»Ich packe zusammen und bringe dich zur Fabrik.»

»Nein. Laß uns hier in der Sonne bleiben, solange es geht. Das Zusammenpacken und Wegbringen nimmt zuviel Zeit, und wir müssen zu lange warten, bis wir herankommen, um alles unten zu verstauen. Der Kreuzgang steht, schon voll von Leuten. Du kannst es nachher tun, wenn ich weg bin.»

»Gut. Glaubst du, daß man hier rauchen darf?»

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