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IlFrnk / Немецкий / Ilya_Frank_Nemetskiy_yazyik_s_E_M_Remarkom_T

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3Rosa empfing mich mit dem Lächeln einer großen Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzähne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und überreichte für sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte.

4Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly. »Meine herzlichsten Glückwünsche!«

5»Er ist und bleibt ein Kavalier!« sagte Rosa. »Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.«

6Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glänzende Karriere hinter sich. Sie war das gewesen, was die unerreichbare Sehnsucht jeder kleinen Hure ist: eine Hotelfrau. Eine Hotelfrau geht nicht auf den Straßenstrich – sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften. Fast alle Huren kommen nicht dazu – sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld, um einmal eine Zeitlang auf Freier warten zu können. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte doch im Laufe der Jahre fast viertausend Mark gespart. Jetzt wollte sie heiraten. Ihr künftiger Mann betrieb ein kleines Installationsgeschäft. Er wusste alles von ihr, und es war ihm gleichgültig. Für die Zukunft konnte er unbesorgt sein; wenn eines dieser Mädchen heiratete, war es zuverlässig. Sie kannten den Rummel und hatten genug davon. Sie waren treu.

7Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Alle waren dazu erschienen, um noch einmal mit Lilly zusammen zu sein. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.

8Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Alois trabte mit einem riesigen Napfkuchen herbei, der gespickt war mit Rosinen, Mandeln und grüner Sukkade. Sie legte mir ein mächtiges Stück davon auf. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Kennerisch probierte ich einen Bissen und markierte gewaltiges Erstaunen.

9»Donnerwetter, der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft –«

10»Selbstgebacken«, sagte Rosa glücklich. Sie war eine fabelhafte Köchin und hatte gern, wenn man es anerkannte. Besonders in Gulasch und Napfkuchen war sie unerreicht. Sie war nicht umsonst eine Böhmin.

11Ich blickte mich um. Da saßen sie rings um den Tisch, die Arbeiterinnen im Weinberge Gottes, die untrüglichen Menschenkennerinnen, die Soldaten der Liebe – Wally, die Schöne, der man neulich bei einer nächtlichen Autofahrt den Weißfuchs gestohlen hatte; – Lina mit dem Holzbein, die immer noch Liebhaber fand; – Fritzi, das Luder, die den plattfüßigen Alois liebte, obschon sie längst eine

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eigene Wohnung hätte haben können und einen Freund, der sie aushielt; – Margot mit den roten Backen, die immer in Dienstmädchentracht ging und damit elegante Freier fing; – Marion, die jüngste, strahlend und unbedenklich; – Kiki, der als Mann nicht mitzählte, weil er Frauenkleider trug und geschminkt war; – Mimi, das arme Biest, dem das Laufen mit seinen fünfundvierzig Jahren und den Krampfadern immer schwerer fiel; – ein paar Barfrauen und Tischdamen, die ich nicht kannte; – und endlich, als zweiter Ehrengast, klein, grau und verschrumpelt wie ein Winterapfel, Muttchen, die Vertraute aller, Trost und Stütze nächtlicher Wanderer, Muttchen mit dem Wurstkessel von der Ecke Nikolaistraße, fliegendes Büfett und Wechselbüro nachts, die neben ihren Frankfurter Würstchen auch noch heimlich Zigaretten und Gummiartikel verkaufte und angepumpt werden konnte.

12Ich wusste, was sich schickte. Kein Wort von Geschäft, keine unzarte Andeutung heute – vergessen die wunderbare Leistung Rosas, die ihr den Beinamen das »Eiserne Pferd« eingetragen hatte; – vergessen Fritzis Unterhaltungen mit dem Viehhändler Stefan Grigoleit über die Liebe; – vergessen Kikis Tänze um den Salzbrezelkorb im Morgengrauen. Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkränzchen Ehre machen.

13»Alles schon vorbereitet, Lilly?« fragte ich.

14Sie nickte. »Die Aussteuer hatte ich ja schon lange.«

15»Wunderbare Aussteuer«, sagte Rosa. »Fehlt aber auch nicht ein Spitzendeckchen.«

16»Wozu braucht man denn Spitzendeckchen?« fragte ich.

17»Na hör mal, Robby!« Rosa sah mich so vorwurfsvoll an, dass ich rasch erklärte, ich wüsste es schon. Spitzendecken – gehäkelte Möbelschoner, natürlich, sie waren das Symbol kleinbürgerlicher Behaglichkeit, das geheiligte Symbol der Ehe, des verlorenen Paradies. Sie waren ja alle keine Huren aus Temperament; sie waren Gescheiterte der bürgerlichen Existenz. Ihre geheime Sehnsucht war das Ehebett; nicht das Laster. Aber das hätten sie nie eingestanden.

18Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik wie alle diese Mädchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das »Gebet einer Jungfrau«. Der Titel war zwar nicht ganz angebracht für das Lokal, aber es war auch nur ein Bravourstück mit viel Geklimper. Dann folgte »Der Vöglein Abendlied«, das »Alpenglühen«,

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»Wenn die Liebe stirbt«, »Die Millionen des Harlekin« und zum Schluss »Nach der Heimat möcht' ich wieder«. Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Härteste und Sentimentalste zugleich. Alle sangen es mit. Der schwule Kiki die zweite Stimme.

19Lilly brach auf. Sie musste ihren Bräutigam abholen. Rosa küsste sie herzhaft ab. »Mach's gut, Lilly. Lass dich nicht unterkriegen!«

20Beladen mit Geschenken ging sie davon. Weiß der Henker, sie hatte ein ganz anderes Gesicht als früher. Die harten Linien, die sich bei jedem eingraben, der mit der menschlichen Gemeinheit zu tun hat, waren weggewischt; das Gesicht war weicher geworden, es hatte wahrhaftig wieder etwas von einem jungen Mädchen.

21Wir standen vor der Tür und winkten Lilly nach. Mimi fing plötzlich an zu heulen. Sie war selbst mal verheiratet gewesen. Ihr Mann war im Kriege an Lungenentzündung gestorben. Wäre er gefallen, hätte sie eine kleine Rente gehabt und nicht auf die Straße müssen. Rosa klopfte ihr auf den Rücken. »Na, Mimi, nur nicht weich werden! Komm, wir trinken noch einen Schluck Kaffee.«

22Die ganze Gesellschaft kehrte in das dunkle International zurück, wie eine Schar Hühner in den Stall. Aber es kam keine rechte Stimmung mehr auf. »Spiel uns noch einen zum Schluss, Robby!« sagte Rosa. »Zum Aufmuntern.«

23»Schön«, erwiderte ich. »Wollen wir mal den ‘Alten Kameradenmarsch’ ‘runterhauen.«

24Dann verabschiedete ich mich auch. Rosa steckte mir noch ein Paket Kuchen zu. Ich schenkte es Muttchens Sohn, der draußen bereits den abendlichen Wurstkessel aufbaute.

1Ich überlegte (размышлял, раздумывал), was ich machen sollte. In die Bar wollte ich auf keinen Fall; in ein Kino auch nicht; in die Werkstatt? Unschlüssig (нерешительно) sah ich nach der Uhr. Es war acht. Jetzt musste Köster wieder zurück sein. Wenn er da war, konnte Lenz nicht wieder stundenlang über das Mädchen reden.

Ich ging hin.

2In der Bude (в «будке» = в /небольшом/ помещении) war Licht. Nicht nur in der Bude – auch der ganze Hof war überflutet (залит /светом/; die Flut – прилив). Köster

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104 war allein da. »Was ist denn hier los, Otto?« fragte ich. »Hast du vielleicht den Cadillac verkauft?«

3Köster lachte. »Nein. Gottfried hat nur ein bisschen illuminiert.«

4Beide Scheinwerfer (фары; der Schein – свет; werfen – бросать) des Cadillac brannten. Der Wagen war so geschoben (машина была так подвинута, поставлена: schieben – двигать, толкать), dass die Lichtgarben (снопы света: das Licht + die Garbe) durch das Fenster in den Hof fielen, mitten (прямо: «в самую середину») auf den weiß blühenden Pflaumenbaum. Es sah wunderbar aus, wie er so kreidig (белая, как мел: die Kreide) dastand. Die Dunkelheit zu beiden Seiten schien wie ein schwarzes Meer zu rauschen (темнота, казалось, шелестит, шумит: scheinen –

казаться).

5»Großartig (великолепно)«, sagte ich. »Wo ist er denn?«

6»Er holt was zu essen.«

7»Glänzende Idee (блестящая). Fühle mich so ein bisschen windig («ветренно» =

голова немного кружится). Kann aber sein, dass es bloß Hunger ist (всего лишь голод: der Hunger)

8Köster nickte »Essen ist immer gut. Hauptgesetz aller alten Krieger (основной закон всех старых вояк, воинов; das Gesetz – закон). Ich habe heute Nachmittag auch was Windiges gemacht (кое-что головокружительное). Habe Karl zum Rennen gemeldet (записал на гонки)

9»Was?« sagte ich. »Etwa zum Sechsten?«

10Er nickte.

11»Verdammt noch mal, Otto, da starten doch allerlei Kanonen («всякие пушки» =

такие крутые автомобили: die Kanone)

12Er nickte wieder. »In der Sportwagenklasse Braumüller.«

13Ich krempelte mir die Ärmel auf (засучил рукава: der Ärmel). »Dann 'ran (за работу), Otto! Große Ölwäsche (смазочную мойку) für unsern Liebling.«

14»Halt (стой)«, rief der letzte Romantiker, der gerade hereinkam, »erst futtern

(сначала пожрать; futtern – есть, уплетать, уписывать /разг./)!« Er packte das Abendbrot aus – Käse, Brot, steinharte Räucherwurst (твердая, как камень, копченая колбаса; räuchern – коптить; der Rauch – дым) und Sprotten. Dazu tranken wir gut gekühltes Bier. Wir aßen wie eine Kolonne ausgehungerter Drescher (молотильщиков; dreschen – молотить). Dann gingen wir Karl zu Leibe (взялись за него: der Leib – тело, туловище). Zwei Stunden arbeiteten wir an ihm herum (возились с ним) und kontrollierten und schmierten alle Lager (смазали все подшипники: das Lager – ложе;

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подшипник). Hinterher aßen Lenz und ich zum zweitenmal Abendbrot. Gottfried beleuchtete (осветил) jetzt auch den Ford. Durch Zufall (благодаря случайности) war bei dem Zusammenstoß (при столкновении; stoßen – толкать) einer der Scheinwerfer heil geblieben (осталась цела, невредима). Der starrte nun von dem hochgebogenen Chassis (смотрела с выгнутого кверху шасси; biegen – гнуть) schräg hinauf (косо вверх) in den Himmel.

15Lenz drehte sich zufrieden um. »So, Robby, nun hol mal die Flaschen. Wir wollen das ‘Fest des blühenden Baumes’ feiern.«

16Ich stellte den Kognak, den Gin und zwei Gläser auf den Tisch.

17»Und du?« fragte Gottfried.

18»Ich trinke nichts.«

19»Was? Warum nicht?«

»Weil ich keine Lust zu dieser verdammten Sauferei mehr habe (нет больше охоты на

это проклятое бухание; saufen – пить /о животных/; пьянствовать)

20Lenz betrachtete mich eine Weile (созерцал какое-то время). »Unser Kind ist übergeschnappt (свихнулся; schnappen – защелкнуться, захлопнуться на замок), Otto«, sagte er dann zu Köster.

21»Lass ihn doch, wenn er nicht will.«

22Lenz schenkte sich sein Glas voll. »Der Junge ist schon seit einiger Zeit etwas verrückt (сдвинут; rücken – двигать, подвигать)

23»Ist noch nicht das Schlechteste«, erklärte ich.

24Der Mond kam groß und rot hinter dem Dach der Fabrik gegenüber hervor. Wir saßen eine Weile und schwiegen. »Sag mal, Gottfried«, begann ich dann, »du bist doch ein Fachmann in der Liebe (специалист; das Fach – ящик /например, стола/; /учебный/ предмет), nicht?«

25»Fachmann? Ich bin der Altmeister der Liebe (глава /средневекового/

профессионального цеха; гроссмейстер)«, erwiderte Lenz bescheiden (скромно).

26»Schön. Ich möchte nämlich mal wissen (дело в том, что я хотел узнать: nämlich

– именно), ob man sich eigentlich dabei immer blödsinnig benimmt (всегда ли при этом ведут себя так по-дурацки; blöd – глупый; der Sinn – разум; смысл; der Blödsinn – глупость)

27»Wieso blödsinnig?«

28»Na so, als ob man halb trunken ist (словно ты полупьян). Herumredet (болтают) und Unsinn quatscht (несут чушь: «бессмыслицу») und schwindelt (обманывают)

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29Lenz brach in ein Gelächter aus (разразился хохотом). »Aber Baby! Das Ganze ist doch Schwindel (надувательство: der Schwindel). Ein wunderbarer Schwindel von

Mama Natur. Schau dir den Pflaumenbaum an! Er schwindelt auch gerade. Macht sich schöner, als er nachher ist. Es wäre ja scheußlich (было бы ведь отвратительно), wenn Liebe was mit Wahrheit zu tun hätte (имела бы отношение, была бы связана с правдой, действительностью). Gott sei Dank, alles können die verdammten Ethiker doch nicht unterjochen (подчинить себе, поработить; das Joch – ярмо, хомут)

30Ich richtete mich auf (выпрямился). »Du meinst, ohne etwas Schwindel geht's überhaupt nicht?«

31»Überhaupt nicht, Kindchen.«

32»Kann man sich aber doch verflucht lächerlich dadurch machen (можно показаться чертовски смешным)

33Lenz grinste (ухмыльнулся). »Merke dir eins, Knabe (заметь себе, мальчик): Nie, nie, nie kann man sich lächerlich bei einer Frau machen, wenn man etwas ihretwegen tut (ради нее). Selbst beim albernsten Theater nicht (даже самую пошлую комедию: albern – нелепый, дурацкий). Mach, was du willst – steh Kopf (стой на голове), rede den dümmsten Quatsch, prahle wie ein Pfau (хвастай, как павлин), singe vor ihrem Fenster, nur eins tu nicht (только одного не делай); sei nicht sachlich (не будь деловит, объективен, материалистичен)! Nicht vernünftig (разумен; die Vernunft –

разум)

34Ich wurde lebendig (оживился). »Was meinst du dazu, Otto?«

35Köster lachte. »Wird wohl stimmen (видимо, так и есть)

36Er stand auf und klappte Karls Motorhaube auf (поднял капот). Ich holte meine Rumflasche und ein Glas und stellte sie auf den Tisch. Otto ließ den Wagen an (запустил, завел). Der Motor schlurfte ganz tief (вздыхал, сопел очень глубоко: schlurfen – шаркать /ногами/) und verhalten (сдержанно). Lenz hatte die Füße auf der Fensterbank (на подоконнике) und starrte hinaus. Ich setzte mich neben ihn. »Warst du schon mal betrunken, wenn du mit einer Frau zusammen warst?«

37»Oft«, erwiderte er, ohne sich zu rühren (не пошевельнувшись).

38»Und? (ну и как)«

39Er sah mich aus schrägen Augen an. »Du meinst, wenn man dann was verboxt hat

(натворил)? Nie entschuldigen, Baby. Nie reden. Blumen schicken. Ohne Brief. Nur Blumen. Die decken alles zu (покрывают). Sogar Gräber (даже могилы: das Grab)

40Ich sah ihn an. Er rührte sich nicht. Seine Augen glitzerten im Widerschein

(мерцали в отражении) des weißen Lichtes draußen. Der Motor lief immer noch (все

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еще работал), leise grollend (тихо урча: grollen – громыхать), als bebe unter uns die Erde (словно под нами дрожала земля).

41»Könnte nun eigentlich ruhig etwas trinken«, sagte ich und machte die Flasche auf.

42Köster stellte den Motor ab (заглушил). Dann wandte er sich an Lenz. »Der Mond ist jetzt hell genug, um ein Glas zu finden, Gottfried. Mach die Illumination aus (выключи). Besonders den Ford. Das Biest (бедняжка) erinnert mich mit dem schrägen Scheinwerfer an den Krieg. War kein Spaß nachts, wenn die Dinger nach dem

Flugzeug langten (когда эти штучки тянулись за самолетами, ловили самолеты: nach etwas langen – потянуться к чему-либо, дотягиваться до чего-либо)

43Lenz nickte. »Und mich erinnert das da – na, ist ja egal – « Er stand auf und machte die Scheinwerfer aus.

44Der Mond war über das Fabrikdach emporgestiegen (поднялась; empor – ввысь; steigen подниматься). Er war immer heller geworden und hing nun wie ein gelber

Lampion (фонарик) in den Ästen (в ветвях: der Ast) des Pflaumenbaumes. Die Zweige

(ветки: der Zweig) schwankten (качались) leise hin und her im schwachen Wind. »Merkwürdig (странно)«, sagte Lenz nach einer Weile, »warum setzt man allen möglichen Leuten Denkmäler (кому только не ставят памятников: das Denkmal) – warum nicht mal dem Mond oder einem blühenden Baum –«

1Ich überlegte, was ich machen sollte. In die Bar wollte ich auf keinen Fall; in ein Kino auch nicht; in die Werkstatt? Unschlüssig sah ich nach der Uhr. Es war acht. Jetzt musste Köster wieder zurück sein. Wenn er da war, konnte Lenz nicht wieder stundenlang über das Mädchen reden. Ich ging hin.

2In der Bude war Licht. Nicht nur in der Bude – auch der ganze Hof war überflutet. Köster war allein da. »Was ist denn hier los, Otto?« fragte ich. »Hast du vielleicht den Cadillac verkauft?«

3Köster lachte. »Nein. Gottfried hat nur ein bisschen illuminiert.«

4Beide Scheinwerfer des Cadillac brannten. Der Wagen war so geschoben, dass die Lichtgarben durch das Fenster in den Hof fielen, mitten auf den weiß blühenden Pflaumenbaum. Es sah wunderbar aus, wie er so kreidig dastand. Die Dunkelheit zu beiden Seiten schien wie ein schwarzes Meer zu rauschen.

5»Großartig«, sagte ich. »Wo ist er denn?«

6»Er holt was zu essen.«

7»Glänzende Idee. Fühle mich so ein bisschen windig. Kann aber sein, dass es bloß Hunger ist.«

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8Köster nickte »Essen ist immer gut. Hauptgesetz aller alten Krieger. Ich habe heute Nachmittag auch was Windiges gemacht. Habe Karl zum Rennen gemeldet.«

9»Was?« sagte ich. »Etwa zum Sechsten?«

10Er nickte.

11»Verdammt noch mal, Otto, da starten doch allerlei Kanonen.«

12Er nickte wieder. »In der Sportwagenklasse Braumüller.«

13Ich krempelte mir die Ärmel auf. »Dann 'ran, Otto! Große Ölwäsche für unsern Liebling.«

14»Halt«, rief der letzte Romantiker, der gerade hereinkam, »erst futtern!« Er packte das Abendbrot aus – Käse, Brot, steinharte Räucherwurst und Sprotten. Dazu tranken wir gut gekühltes Bier. Wir aßen wie eine Kolonne ausgehungerter Drescher. Dann gingen wir Karl zu Leibe. Zwei Stunden arbeiteten wir an ihm herum und kontrollierten und schmierten alle Lager. Hinterher aßen Lenz und ich zum zweitenmal Abendbrot. Gottfried beleuchtete jetzt auch den Ford. Durch Zufall war bei dem Zusammenstoß einer der Scheinwerfer heil geblieben. Der starrte nun von dem hochgebogenen Chassis schräg hinauf in den Himmel.

15Lenz drehte sich zufrieden um. »So, Robby, nun hol mal die Flaschen. Wir wollen das ‘Fest des blühenden Baumes’ feiern.«

16Ich stellte den Kognak, den Gin und zwei Gläser auf den Tisch.

17»Und du?« fragte Gottfried.

18»Ich trinke nichts.«

19»Was? Warum nicht?«

»Weil ich keine Lust zu dieser verdammten Sauferei mehr habe.«

20Lenz betrachtete mich eine Weile. »Unser Kind ist übergeschnappt, Otto«, sagte er dann zu Köster.

21»Lass ihn doch, wenn er nicht will.«

22Lenz schenkte sich sein Glas voll. »Der Junge ist schon seit einiger Zeit etwas verrückt.«

23»Ist noch nicht das Schlechteste«, erklärte ich.

24Der Mond kam groß und rot hinter dem Dach der Fabrik gegenüber hervor. Wir saßen eine Weile und schwiegen. »Sag mal, Gottfried«, begann ich dann, »du bist doch ein Fachmann in der Liebe, nicht?«

25»Fachmann? Ich bin der Altmeister der Liebe«, erwiderte Lenz bescheiden.

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26»Schön. Ich möchte nämlich mal wissen, ob man sich eigentlich dabei immer blödsinnig benimmt.«

27»Wieso blödsinnig?«

28»Na so, als ob man halb trunken ist. Herumredet und Unsinn quatscht und schwindelt.«

29Lenz brach in ein Gelächter aus. »Aber Baby! Das Ganze ist doch Schwindel. Ein wunderbarer Schwindel von Mama Natur. Schau dir den Pflaumenbaum an! Er schwindelt auch gerade. Macht sich schöner, als er nachher ist. Es wäre ja scheußlich, wenn Liebe was mit Wahrheit zu tun hätte. Gott sei Dank, alles können die verdammten Ethiker doch nicht unterjochen.«

30Ich richtete mich auf. »Du meinst, ohne etwas Schwindel geht's überhaupt nicht?«

31»Überhaupt nicht, Kindchen.«

32»Kann man sich aber doch verflucht lächerlich dadurch machen.«

33Lenz grinste. »Merke dir eins, Knabe: Nie, nie, nie kann man sich lächerlich bei einer Frau machen, wenn man etwas ihretwegen tut. Selbst beim albernsten Theater nicht. Mach, was du willst – steh Kopf, rede den dümmsten Quatsch, prahle wie ein Pfau, singe vor ihrem Fenster, nur eins tu nicht; sei nicht sachlich! Nicht vernünftig!«

34Ich wurde lebendig. »Was meinst du dazu, Otto?«

35Köster lachte. »Wird wohl stimmen.«

36Er stand auf und klappte Karls Motorhaube auf. Ich holte meine Rumflasche und ein Glas und stellte sie auf den Tisch. Otto ließ den Wagen an. Der Motor schlurfte ganz tief und verhalten. Lenz hatte die Füße auf der Fensterbank und starrte hinaus. Ich setzte mich neben ihn. »Warst du schon mal betrunken, wenn du mit einer Frau zusammen warst?«

37»Oft«, erwiderte er, ohne sich zu rühren.

38»Und?«

39Er sah mich aus schrägen Augen an. »Du meinst, wenn man dann was verboxt hat? Nie entschuldigen, Baby. Nie reden. Blumen schicken. Ohne Brief. Nur Blumen. Die decken alles zu. Sogar Gräber.«

40Ich sah ihn an. Er rührte sich nicht. Seine Augen glitzerten im Widerschein des weißen Lichtes draußen. Der Motor lief immer noch, leise grollend, als bebe unter uns die Erde.

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41»Könnte nun eigentlich ruhig etwas trinken«, sagte ich und machte die Flasche auf.

42Köster stellte den Motor ab. Dann wandte er sich an Lenz. »Der Mond ist jetzt hell genug, um ein Glas zu finden, Gottfried. Mach die Illumination aus. Besonders den Ford. Das Biest erinnert mich mit dem schrägen Scheinwerfer an den Krieg. War kein Spaß nachts, wenn die Dinger nach dem Flugzeug langten.«

43Lenz nickte. »Und mich erinnert das da – na, ist ja egal – « Er stand auf und machte die Scheinwerfer aus.

44Der Mond war über das Fabrikdach emporgestiegen. Er war immer heller geworden und hing nun wie ein gelber Lampion in den Ästen des Pflaumenbaumes. Die Zweige schwankten leise hin und her im schwachen Wind. »Merkwürdig«, sagte Lenz nach einer Weile, »warum setzt man allen möglichen Leuten Denkmäler – warum nicht mal dem Mond oder einem blühenden Baum –«

1Ich ging früh nach Hause. Als ich die Korridortür aufschloss, hörte ich Musik. Es war das Grammophon Erna Bönigs, der Sekretärin. Eine leise, klare Frauenstimme sang. Dann kam ein Geglitzer (сверкание; glitzern – блестеть, сверкать) von gedämpften Geigen (приглушенных скрипок: die Geige; der Dampf – пар) und Banjopizzikatis. Und wieder die Stimme, eindringlich (проникновенный; eindringen – проникать /внутрь/), weich (мягкий), als wäre sie ganz erfüllt von Glück (словно переполненный счастьем: erfüllen – наполнять; выполнять). Ich horchte, um die Worte zu verstehen. Es klang sonderbar rührend (странно, необычайно трогательно; rühren – шевелить), hier auf dem dunklen Korridor, zwischen der Nähmaschine von Frau Bender (между швейной машинкой; nähen – шить) und den Koffern der Familie Hasse (и чемоданами: der Koffer), wie die Frau da so leise sang. Ich sah den ausgestopften Wildschweinschädel

(на чучело кабаньей головы; ausstopfen – набивать /подушку, чучело/; stopfen –

штопать; набивать, напихивать) über der Küche an. Ich hörte das Dienstmädchen mit Geschirr rumoren (как служанка шумит посудой, возится с посудой: das

Geschirr). »Wie hab' ich nur leben können ohne dich«, sang die Stimme, ein paar Schritte weiter (в нескольких шагах: der Schritt; schreiten – шагать) hinter der Tür.

2Ich zuckte die Achseln (пожал: «дернул» плечами: die Achsel) und ging in mein

Zimmer.

3Nebenan (возле, по соседству) hörte ich erregtes Gezänk (возбужденную перебранку; zanken – браниться, ругаться). Ein paar Minuten später klopfte es bei mir (постучали) und Hasse kam herein.

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