- •Ich erinnere mich auch nicht mehr, was wir in der
- •Ich erinnere mich, daß ihr Körper, ihre Haltungen und
- •In Erinnerung kam, ich mich fragte, warum meine
- •Verächtliches Schnauben und ihre empörten oder beifälligen
- •Verkleidungen, Verwechslungen, Verwicklungen und
- •Versuchen? Und was konnte sie verdunkeln? Andere
- •Immerhin angenommen hatten, sie seien nur kurz weg,
- •Ich, sie in einer Aufseherin zu erkennen, die jung, schön
- •Ihnen nicht aufgeschlossen wurde, war es zu spät. Es war
- •In Panik gerieten, konnte sie es nicht mehr unter ihnen
- •Im Lager und im Zug, das war doch der Sinn, daß wir
- •Ich sah die ausgebrannte Kirche am nächsten Morgen.
- •Ich ging über den leeren Parkplatz. Von einem größeren
Immerhin angenommen hatten, sie seien nur kurz weg,
etwa um Verwundete in ein Lazarett zu schaffen, und bald
wieder zurück?
Als die Verteidiger der anderen Angeklagten merkten,
daß solche Strategien an Hannas bereitwilligem Zugeben
scheiterten, stellten sie auf eine Strategie um, die das
bereitwillige Zugeben ausnutzte, Hanna be- und dadurch
die anderen Angeklagten entlastete. Die Verteidiger
taten es mit fachlicher Distanz. Die anderen Angeklagten
sekundierten mit empörten Einwürfen.
»Sie haben gesagt, Sie hätten gewußt, daß Sie die
Gefangenen in den Tod schicken – das gilt nur für Sie,
nicht wahr? Was Ihre Kolleginnen gewußt haben, können
Sie nicht wissen. Sie können es vielleicht vermuten, aber
letztlich nicht beurteilen, nicht wahr?«
Hanna wurde vom Anwalt einer anderen Angeklagten
befragt.
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»Aber wir alle wußten…«
»›Wir‹, ›wir alle‹, zu sagen ist einfacher, als ›Ich‹ zu
sagen, ›ich allein‹, nicht wahr? Stimmt es, daß Sie, Sie
allein, im Lager Ihre Schützlinge hatten, junge Mädchen
jeweils, eines für eine Weile und dann für eine Weile ein
anderes?«
Hanna zögerte. »Ich glaube, daß ich nicht die einzige
war, die…«
»Du dreckige Lügnerin! Deine Lieblinge – das war
deines, deines allein!« Eine andere Angeklagte, eine
derbe Frau, nicht ohne gluckenhafte Behäbigkeit und
zugleich mit gehässigem Mundwerk, war sichtbar erregt.
»Könnte es sein, daß Sie ›wissen‹ sagen, wo Sie
allenfalls glauben können, und ›glauben‹, wo Sie einfach
erfinden?« Der Anwalt schüttelte den Kopf, als nehme
er ihre bejahende Antwort bekümmert zur Kenntnis.
»Stimmt es auch, daß alle Ihre Schützlinge, wenn Sie
ihrer überdrüssig waren, in den nächsten Transport nach
Auschwitz kamen?«
Hanna antwortete nicht.
»Das war Ihre spezielle, Ihre persönliche Selektion,
nicht wahr? Sie wollen sie nicht mehr wahrhaben, Sie
wollen sie verstecken hinter etwas, was alle gemacht
haben. Aber…«
»0 Gott!« Die Tochter, die sich nach ihrer Vernehmung
unter die Zuschauer gesetzt hatte, schlug die Hände
vors Gesicht. »Wie habe ich das vergessen können?«
Der Vorsitzende Richter fragte sie, ob sie ihre Aussage
ergänzen wolle. Sie wartete nicht, bis sie nach vorne
gerufen wurde. Sie stand auf und redete von ihrem Platz
unter den Zuschauern aus.
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»Ja, sie hatte Lieblinge, immer eine von den jungen,
schwachen und zarten, und die nahm sie unter ihren
Schutz und sorgte, daß sie nicht arbeiten mußten, brachte
sie besser unter und versorgte und verköstigte sie besser,
und abends holte sie sie zu sich. Und die Mädchen
durften nicht sagen, was sie abends mit ihnen machte,
und wir dachten, daß sie mit ihnen… auch weil sie alle
in den Transport kamen, als hätte sie mit ihnen ihren
Spaß und sie dann sattgehabt. Aber so war es gar nicht,
und eines Tages hat doch eines geredet, und wir haben
gewußt, daß die Mädchen ihr vorgelesen haben, Abend
um Abend um Abend. Das war besser, als wenn sie… auch
besser, als wenn sie sich an dem Bau zu Tode gearbeitet
hätten, ich muß gedacht haben, daß es besser war, sonst
hätte ich es nicht vergessen können. Aber war es besser?«
Sie setzte sich.
Hanna drehte sich um und sah mich an. Ihr Blick fand
mich sofort, und so merkte ich, daß sie die ganze Zeit
gewußt hatte, daß ich da war. Sie sah mich einfach an.
Ihr Gesicht bat um nichts, warb um nichts, versicherte
oder versprach nichts. Es bot sich dar. Ich erkannte, wie
angespannt und erschöpft sie war. Sie hatte Ringe unter
den Augen, und in jeder Backe führte eine Falte von oben
nach unten, die ich nicht kannte, die noch nicht tief war,
sie aber schon wie eine Narbe zeichnete. Als ich unter
ihrem Blick rot wurde, wandte sie ihn ab und kehrte sich
wieder der Gerichtsbank zu.
Der Vorsitzende Richter wollte von dem Anwalt, der
Hanna befragt hatte, wissen, ob er noch Fragen an
die Angeklagte habe. Er wollte es von Hannas Anwalt
wissen.
Frag sie, dachte ich. Frag sie, ob sie die schwachen und
zarten Mädchen gewählt hat, weil sie die Arbeit auf dem
Bau ohnehin nicht verkrafteten, weil sie ohnehin mit dem
nächsten Transport nach Auschwitz kamen und weil sie
ihnen den letzten Monat erträglich machen wollte. Sag’s,
Hanna. Sag, daß du ihnen den letzten Monat erträglich
machen wolltest. Daß das der Grund war, die Zarten und
Schwachen zu wählen. Daß es keinen anderen Grund gab,
keinen geben konnte.
Aber der Anwalt fragte Hanna nicht, und sie sprach
nicht von sich aus.
114 Die deutsche Fassung des Buchs, das die Tochter über
ihre Zeit im Lager geschrieben hatte, erschien erst nach
dem Prozeß. Während des Prozesses war das Manuskript
zwar schon vorhanden, aber nur den Prozeßbeteiligten
zugänglich. Ich mußte das Buch auf Englisch lesen, damals
ein ungewohntes und mühsames Unterfangen. Und wie
stets schaffte die fremde Sprache, die nicht beherrscht
und mit der gekämpft wird, ein eigentümliches Zugleich
von Distanz und Nähe. Man hat sich das Buch besonders
gründlich erarbeitet und doch nicht zu eigen gemacht. Es
bleibt so fremd, wie die Sprache fremd ist.
Jahre später habe ich es wiedergelesen und entdeckt,
daß das Buch selbst Distanz schafft. Es lädt nicht zur
Identifikation ein und macht niemanden sympathisch,
weder Mutter noch Tochter, noch die, mit denen beide in
verschiedenen Lagern und schließlich in Auschwitz und bei
Krakau das Schicksal geteilt haben. Die Barackenältesten,
Aufseherinnen und Wachmannschaften läßt es gar nicht
erst so viel Gesicht und Gestalt gewinnen, daß man sich
zu ihnen verhalten, sie besser oder schlechter finden
könnte. Es atmet die Betäubung, die ich schon zu be-
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schreiben versucht habe. Aber das Vermögen, zu
registrieren und zu analysieren, hat die Tochter unter
der Betäubung nicht verloren. Und sie hat sich nicht
korrumpieren lassen, nicht durch Selbstmitleid und
nicht durch das Selbstbewußtsein, das sie spürbar daraus
gezogen hat, daß sie überlebt und die Jahre in den Lagern
nicht nur verkraftet, sondern literarisch gestaltet hat. Sie
schreibt über sich und ihr pubertäres, altkluges und, wenn
es sein muß, durchtriebenes Verhalten mit derselben
Nüchternheit, mit der sie alles andere beschreibt.
Hanna kommt im Buch weder mit Namen noch sonst
erkennbar und identifizierbar vor. Manchmal glaubte