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5.4 Die menschenwürde

Das Bekenntnis zur Menschenwürde (Art. 1 I GG) ist eine Antwort auf die Gewaltverbrechen des Nationalsozialismus und eine Absage an jede Form totalitärer Vereinnahmung des Individuums. Die Menschenwürde gehört als oberster Wert und Maßstab allen staatlichen Handelns zu den tragenden Prinzipien der deutschen Verfassungsordnung.

Art. 1 I Satz 2 GG verpflichtet den Staat zum einen, die Menschenwürde zu achten, also sich aller Eingriffe zu enthalten. Zum anderen ist er verpflichtet, die Menschenwürde (aktiv) zu schützen, also Maßnahmen zu ihrer Bewahrung und Förderung zu ergreifen. Die Menschenwürde steht unter keinem Gesetzesvorbehalt. Nicht einmal durch eine Verfassungsänderung darf sie angetastet werden (Art. 79 III GG). Jeder Eingriff in die Menschenwürde ist demnach verfassungswidrig.

Soziologisch betrachtet ist die Menschenwürde der wohl letzte nahezu allgemein akzeptierte Leitwert unserer Gesellschaft.

Menschenwürde im Sinne von Art. 1 I GG ist ein Rechtsbegriff. Um den Gehalt der Menschenwürdegarantie genauer herauszuarbeiten, muss ihre ideengeschichtliche Tradition ins Auge gefasst werden. Der Menschenwürdetopos hat im Wesentlichen zwei Quellen: die Vorstellung vom Selbstbestimmungsrecht des Menschen (Autonomie), die über die Renaissance bis in die griechische Antike (Stoa) zurückreicht, und die christliche Idee von der menschlichen Gottesebenbildlichkeit. Beide Ideen stehen zueinander in einem deutlichen Spannungsverhältnis. Gemeinsam ist ihnen jedoch die Vorstellung, dass jedem Menschen ein unverlierbarer und unantastbarer Eigenwert zukommt. Der Begriff ”Eigenwert“ ist allerdings zu unbestimmt, um in verfassungsrechtlichen Problemfällen eine eindeutige Lösung zu gewährleisten. Es ist deshalb erforderlich, die Menschenwürde durch eine Reihe subjektiver Rechte näher zu umschreiben. Eine Verletzung des menschlichen Eigenwertes und damit ein Eingriff in seine Würde liegt danach vor,

• wenn einem Individuum existenznotwendige Güter, z.B. Nahrung, Luft, Raum, vorenthalten werden: Recht auf das materielle Existenzminimum;

• wenn einem Individuum minimale Freiheitsrechte genommen werden: Recht auf autonome Selbstentfaltung;

• wenn das Bewusstsein eines Individuums durch unwiderstehliche Mittel (Drogen, ”Gehirnwäsche“) tiefgreifend verändert wird: Recht auf geistig-seelische Integrität;

• wenn einem Individuum schwerer und lang andauernder Schmerz zugefügt wird: Recht auf Schmerzfreiheit;

• wenn die höchstpersönliche Privatsphäre eines Individuums dem Zugriff Dritter offengelegt wird: Recht auf informationelle Selbstbestimmung;

• wenn einem Individuum der Status als Rechtsinhaber verweigert wird: Recht auf Rechtsgleichheit und

• wenn ein Individuum über die aufgeführten Eingriffsformen hinaus in extremer Weise erniedrigt oder um seine Selbstachtung gebracht wird: Recht auf minimale Achtung.

Keine Einigkeit besteht darüber, ob ein Menschenwürdeverstoß auch dann vorliegen kann, wenn sich eine Person freiwillig in eine unwürdige Situation bringt, z. B. in Peepshows. Träger der Menschenwürde ist jeder einzelne Mensch. Ob auch (befruchtete) Eizellen und frühe Embryonen Menschenwürde besitzen, ist umstritten. Problematisch ist ferner, ob Art. 1 I GG über den Schutz konkreter Individuen hinaus noch weitere Schutzwirkungen hat. Diese Frage ist besonders bei der Diskussion um die Gentechnik und Reproduktionsmedizin aktuell.