
- •Vorlesung V, VI
- •1. Die zeitlichen Grenzen der mittelhochdeutschen Periode.
- •2. Gesellschaftliche Verhältnisse.
- •3. Erweiterung des deutschen Sprachraums durch die feudale Ostexpansion.
- •4. Die mittelhochdeutschen Territorialdialekte und ihre Entwicklungstendenzen.
- •Gliederung der mittelhochdeutschen Territorialdialekte.
- •Zwei Tendenzen in der Entwicklung der Territorialdialekte
- •Die Integration der Dialekte und der sprachliche Ausgleich in den Städten
- •5. Die Literatur des Mittelhochdeutschen.
- •6. Die Existenzformen der Sprache in der mittelhochdeutschen Zeit
Zwei Tendenzen in der Entwicklung der Territorialdialekte
Während die Entwicklung der Kolonialdialekte durch die Tendenz zur Integration gekennzeichnet ist, sind in der Entwicklung der altererbten deutschen Dialekte 2 entgegengesetzte Tendenzen zu verfolgen:
die Tendenz zur Integration der Dialekte und
die Tendenz zur weiteren Differenzierung der Dialekte, zur Vertiefung der Unterschiede zwischen ihnen.
Beide Tendenzen sind aufs engste mit den Besonderheiten der gesellschaftlichen Entwicklung des hoch- und spätmittelalterlichen Deutschland verbunden. Obwohl in Deutschland in der behandelten Zeit eine verhältnismäßig rasche Entwicklung der Produktivkräfte vor sich ging, befanden sich zahlreiche Städte, wo sich Handel und Gewerbe konzentrierten, in den Randgebieten des Landes: am Rhein und an der Donau (Köln, Mainz, Trier, Worms, Straßburg, Basel, Regensburg, Augsburg), in Norden (Braunschweig, Bremen, Hamburg) und im Osten (Magdeburg, Halle, Erfurt).
Sie waren in erster Linie an den Außenmärkten interessiert, hatten Handelsbeziehungen zu verschiedenen Ländern und waren miteinander sehr wenig verbunden. Das Wirtschaftsleben Deutschlands hatte deswegen einen ausgesprochen regionalen Charakter, es war in einigen wirtschaftlich voneinander unabhängigen Gebieten konzentriert. Neben der wirtschaftlich fortgeschrittenen gab es eine Reihe rückständiger Gebiete, deren Anteil am wirtschaftlichen Leben des Landes unbedeutend war. Deshalb überwiegen auch im politischen Leben, besonders seit der Mitte des 13. Jhs. , zentrifugale Kräfte.
Nach dem Niedergang der Stauferdynastie war die Macht der deutschen Kaiser stark gesunken. Die kaiserlichen Dynastien lösten einander ab. Sie waren aber nicht imstande, dem wachsenden nationalen Eigenbewusstsein der einzelnen Staaten und Völker entgegenzutreten. Auch innerhalb des eigentlichen Deutschlands wurde die Macht der deutschen Kaiser geschwächt durch den ständigen Hader zwischen Feudalherren sowie zwischen den Städten und den Feudalherren, durch ständige Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser und den oppositionell gestimmten Landesfürsten, sowie dem Papst, der sich oft mit ihnen gegen den Kaiser verbündete. Die alten Herzogtümer waren im 13. Jh. in mehrere kleine Territorien zersplittert. Es bestanden unzählige Herzogtümer, Grafschaften, Markgrafschaften, Pfalzgrafschaften, Erzbistümer und Reichsstädte. Die politische Zersplitterung des Landes, die politische, wirtschaftliche und kulturelle Sonderentwicklung der Territorien wirkte nicht nur bei dem Ausgleich hemmend, sondern führte zur weiteren Zersplitterung der Territorialdialekte. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Dialekten vertieften sich gegenüber dem althochdeutschen Zeitalter.
Die Integration der Dialekte und der sprachliche Ausgleich in den Städten
Gleichzeitig mit der Vertiefung der mundartlichen Zersplitterung der althochdeutschen Dialekte, die hauptsächlich für die ländlichen Verhältnisse kennzeichnend ist, vollzieht sich in den aufblühenden deutschen Städten des Westens dieselbe Integration der Dialekte wie in östlichen Kolonialgebieten. Der Ausgleich der Dialekte und ihre Integration in den Städten war durch ihre gemischte Bevölkerung sowie durch den Verkehr zwischen den Städten bedingt. Die Integration der Dialekte vollzog sich im Osten wie im Westen. Sie war eines der wesentlichen Kennzeichen der Wandlungen in der Existenzformen der deutschen Sprache im mittelhochdeutschen Zeitalter.