
Der Umfang
Im folgenden soll nunmehr der Umfang der westdeutschen Reparationsleistungen kurz dargestellt werden. Dieser Umfang war in der Nachkriegszeit aus naheliegenden Gründen umstritten. Heute gibt es plausible Schätzungen, die versuchen, die Bewertungsprobleme „fair“ zu lösen. Die Bewertungsfrage ist bei Fisch, der selbst zu überzeugenden Schätzungen gelangt, breit diskutiert, so daß sich hier ihre Erörterung erübrigt.46 Man kann den Umfang der westdeutschen Leistungen entweder sachlich oder chronologisch gliedern. Zunächst jedoch ein Hinweis zu den Gesamtleistungen. Westdeutschland zahlte bis 1953 als Reparationsleistungen insgesamt 16,8 Mrd. Dollar (Preisbasis 1938), was einer Belastung pro Kopf der Bevölkerung in Höhe von 360,8 Dollar entspricht (DDR 16,3 Mrd. Dollar/888,7 Dollar). Ohne Besatzungskosten reduziert sich im westdeutschen Fall die Summe auf ca. 4,8 Mrd. Dollar oder 103,1 Dollar pro Kopf der Bevölkerung.47 Die westdeutschen Leistungen übertrafen damit die Zahlungen aller anderen Kriegsverlierer um mehr als das dreifache, entsprachen aber nicht einmal der Hälfte der Prokopfleistung der SBZ/DDR. Zu diesen 16,8 Mrd. Dollar kamen von 1953 bis 1988 Leistungen hinzu, die sich aus öffentlichen und individuellen Wiedergutmachungszahlungen, dem Londoner Schuldenabkommen und weiter (bis 1955) anfallenden Besatzungskosten ergaben. Diese Zahlungen summierten sich noch einmal auf knapp 17 Mrd. Dollar (Preisbasis 1938) bzw. 92 Mrd. DM in laufenden Preisen.48 Da weiterhin Zahlungen geleistet werden, läßt sich eine Gesamtsumme bislang nicht angeben. Nimmt man allein die Jahre 1945 bis 1965, als die einschlägigen Verträge mit Israel ausliefen, ergibt sich eine Gesamtsumme von 22 Mrd. Dollar (Preisbasis 1938). Chronologisch gesehen entfielen die Zahlungen zunächst auf den Zeitraum von 1945 bis 1953, der eine Art Reparationsphase im engeren Sinne ausmachte. Danach erfolgten Zahlungen im Rahmen von internationalen Verträgen und individueller Wiedergutmachung. Diese dauert bis heute an, so daß streng genommen die Reparationszahlungen noch nicht zu einem Ende gekommen sind. Die beiden Reparationsphasen unterschieden sich deutlich. Dominierten im ersten Abschnitt Restitutionen, Zwangsexporte, Nutzung deutscher Arbeitskräfte, Demontagen und Besatzungskosten, so herrschten seit Beginn der zweiten Phase Zahlungen vor, auch wenn es im israelischen Fall zu umfangreichen Lieferungen insbesondere von Investitionsgütern kam. Aus der Übersicht der von der IARA verteilten Reparationsgüter werden die Kategorien dessen deutlich, was als Reparationsgut in Frage kam: 1. Deutsches Auslandsvermögen in Feind- und neutralen Staaten, 2. Demontagen, 3. Handelsflotte. Lieferungen aus der laufenden Produktion wurden nicht gerechnet, jedoch gab es sie, insbesondere Kohle- und Holzlieferungen. Zu diesen drei Hauptkategorien kamen noch die Besatzungskosten hinzu. Ebenso zu Buche schlugen zunächst, ohne entsprechend verrechnet worden zu sein, Restitutionen und Entnahmen aus der Zeit vor dem März 1946, als auf der Basis des Industrieniveauplanes die offizielle Reparationsentnahme begann. Diese „Plünderungen“ dürften insbesondere in der französischen Zone erhebliches Gewicht besessen haben.
Die Bedeutung der in der ersten Reparationsphase entnommenen Werte in Höhe von 16,8 Mrd. Dollar (4,8 Mrd. Dollar ohne Besatzungskosten) ist nicht einfach zu beurteilen. Von den Demotagen wurden nach neuesten Schätzungen knapp 4% des westdeutschen Bruttoanlagevermögens betroffen49, gemessen an den Vorgaben des Industrieniveauplanes und der Kapazitätsauslastung eine eher geringe Zahl. Die Besatzungskosten schlugen schon erheblich stärker zu Buche. Ihr Anteil am Sozialprodukt betrug 1946/47 in der FBZ 28%, in der ABZ 16% und in der BBZ 12,7% (SBZ26,1%).50 Bei diesen Zahlen (16,8 Mrd. Dollar Reparationen) sind andererseits die Lieferungen und Kredite insbesondere der Amerikaner im Rahmen von GARIOA und Marshall-Plan zu berücksichtigen. Fisch schätzt eine Nettokredithilfe in Höhe von 2,5 Mrd. Dollar, Hardach geht von insgesamt gut 3 Mrd. Dollar amerikanischer Nachkriegshilfe für Westdeutschland aus.51 Ohne Besatzungskosten war mithin die Nettobelastung Westdeutschlands bis 1953 ausgesprochen gering. Dafür stiegen die Zahlungen seit 1953 stark an, trafen freilich auf ein sich im wirtschaftlichen Aufschwung befindendes Land. Die volumenmäßige Bedeutung der Zahlungen blieb daher weiterhin gering. Ihr Anteil am Volkseinkommen lag von 1953 bis 1965 bei 0,72%. Sie machten 3,1% der Exporte bzw. 1,63% des gesamten Außenhandels aus. Trotz einer alles in allem sehr hohen Summe war damit die relative Belastung Westdeutschlands nicht gravierend, zumal die Hauptbelastung in den fünfziger Jahre, also in der Zeit des Wirtschaftswunders lag, als die einschlägigen Zahlungen problemlos aufgebracht werden konnten.52