§ 3. Fragesätze
Die Fragesätze sind Äußerungen, die den Gesprächspartner auffordern, einen Sachverhalt zu bestätigen oder einen bekannten Sachverhalt mit einer weiteren Information zu ergänzen. Fragesätze werden im Dialog gebraucht, und sie bilden mit den Antwortsätzen eine kommunikative, semantische und strukturelle Einheit. Bei den mündlichen Äußerungen sind Fragen am Frageton erkennbar. Es werden folgende Arten von Fragesätzen unterschieden: Entscheidungsfragen, Ergänzungsfragen, Alternativfragen, Rückfragen und rhetorische Fragen.
1. Bei den Entscheidungsfragen (Satzfragen) will der Fragende sich vergewissern, ob die von ihm ausgegliederte Situation der Wirklichkeit entspricht: Kommst du heute später aus der Universität zurück? — Ja. / Nein; Arbeitet ihr heute nicht länger? — Doch. /Nein; Ob wir noch rechtzeitig zum Konzert kommen? — Bestimmt. Sicher; Ihre Tochter kommt doch dieses Jahr in die Schule (oder nicht)? — Ja./Nein.
Entscheidungsfragen werden positiv mit "ja" und negativ mit "nein" beantwortet. Den Antworten wird häufig noch eine weiterführende Mitteilung angeschlossen: Lernst du Englisch? — Ja, schon sei zwei Jahren. Hast du schon bestimmte Pläne für die Ferien? — Nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.
Negativ formulierte Entscheidungsfragen werden mit "nein" beantwortet, wenn man bestätigt, dass der Sachverhalt nicht zutrifft. Mit "doch" antwortet man, wenn er zutrifft: Waren Sie noch nicht in Paris? — Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit. /Doch. Ich war vor zwei Jahren dort.
Anders antwortet man, wenn ein Adjektiv oder Adverb das negative Präfix "un-" hat: Bist du unzufrieden? — Ja. (Ich bin unzufrieden)/Nein. (Ich bin zufrieden. /Ich bin nicht unzufrieden). Vgl.: Bist du nicht zufrieden?
— Nein. (Ich bin nicht zufrieden). /Doch. (Ich bin sehr zufrieden).
2. Bei den Ergänzungsfragen (Wortfragen) betrifft die Frage nicht die ganze Situation, sondern nur einen Teil der in der Äußerung enthaltenen Situation. Für solche Fragesätze sind Fragewörter (w-Wörter) im Vorfeld und interrogative Intonation typisch. Die Antwort begnügt sich mit der ergänzenden Auskunft. Wenn mit einem Satz geantwortet wird, erhält das Wort, dessen Inhalt erfragt worden ist, die Hauptbetonung. Beispiele: Was ist mit Franz? — Er ist krank. Wohin fahrt ihr in Urlaub? — Nach Itali- en. (Wir fahren nach Italien). Worüber habt ihr euch gestern unterhalten?
— Uber unseren letzten Urlaub. Wer fährt wann nach Hamburg? — Herr Schmidt fährt am 7. Februar (nach Hamburg).
Die Alternativfragen enthalten eine Wahl für die Antwort, die durch "oder" eingeleitet wird. Die erfragten Inhalte werden extra betont. Dem Bau nach können sie sowohl Entscheidungs- als auch Ergänzungsfragen ähnlich sein: Fährst du morgen nach Hamburg oder (fährt) dein Onkel?
Eine Rückfrage stellt man, wenn man einen Teil der Mitteilung nicht verstanden hat oder wenn eine Information nicht ausreicht: Wir gehen heute ins Kino. — Wohin geht ihr heute? Ich komme zu dir nach dem Unterricht.
— Und wann machst du Schluss?
In mündlicher Rede werden oft Rückfragen gestellt, um eine Denkpause auszufüllen: Wieviel hat dieses Buch gekostet? — Wieviel dieses Buch gekostet hat? Das kann ich dir jetzt nicht mehr genau sagen. Ungefähr 30 DM.
5. Rhetorische Fragen erwarten keine Antwort, sie sind nach- drückliche Feststellungen und signalisieren eine emotional gespannte Ge- sprächssituation: Habe ich nicht schon immer gesagt, dass man dem Mann nicht trauen kann? (= Ich habe doch schon immer gesagt, dass ...).
ÜBUNG 6. Erklären Sie im Text aus dem Buch "Papa, Charly hat gesagt ..." den kommunikativen und den semantischen Gehalt der Sätze in Frageform. Analysieren Sie vom pragmatischen Standpunkt aus die Antworten.
Emanzipation
Sohn: Papa! Charly hat gesagt, seine Mutter hat gesagt ... Vater: Ach, sieh mal an, hat die auch mal was zu sagen? Sohn: Wieso?
Vater: Na, bisher habe ich dich noch nie von der Mutter deines Freundes reden hören.
Sohn: Naja, ich sehe sie ja auch nicht oft. Sie ist ja immer in der Küche beschäftigt. Wie Mama.
Vater: Das ist auch der beste Platz für eine Frau.
Sohn: Aber Charly hat gesagt, seine Mutter hat gesagt, dass sie genug davon hat. Und dass es Zeit wird, dass die Frauen den Männern einmal zeigen, dass sie auch ihren Mann stehen können! Papa, was meinst du damit?
Vater: Womit?
Sohn: Na, dass Frauen ihren Mann stehen sollen — wenn sie doch Frauen sind?
Vater: Wahrscheinlich, hat sie was von Emanzipation gehört. Sohn: Und was heißt das?
Vater: Mein Gott, wie soll ich dir das erklären? Also, pass auf: Die Frauen wollen plötzlich gleichberechtigt sein — das heißt, sie wollen den Männern gleichgestellt sein.
Sohn: Und warum?
Vater: Sie fühlen sich unterdrückt.
Sohn: Ja, das hat Charly auch gesagt, dass seine Mutter gesagt hat, sie lasse sich nicht weiter unterdrücken von den Männern.
Vater: Na siehst du!
Sohn: Papa, aber warum unterdrücken die Männer Frauen?
Vater: Aber das tun sie doch gar nicht.
Sohn: Und warum sagt es dann Charlys Mutter?
Vater: Das versuche ich dir doch gerade zu erklären. Irgendeine Frau hat damit angefangen, sich unterdrückt zu fühlen, und nun glauben es die anderen auch und organisieren sich.
Sohn: Und was heißt organisieren? Klauen?
Vater: Mein Gott, nein, hör mir doch zu: organisieren heißt, sich zusammentun, eine Gruppe bilden, um sich stark zu fühlen.
Sohn: Und warum muss sich Charlys Mutter stark fühlen?
Vater: Das weiß ich doch nicht. Vielleicht will sie etwas erreichen
bei Charlys Vater.
Sohn: Und das kann sie nur organisiert?
Vater: Sicher glaubt sie das. Sonst würde sie es ja nicht tun. Das
darf man nicht so ernst nehmen.
Sohn: Warum nicht? Wenn es doch die Frauen ernst nehmen?
Vater: Aber das sind doch nur wenige. Gott sei Dank. Eine
vernünftige Frau kommt überhaupt nicht auf eine solche
Idee.
Sohn: Ist Mama vernünftig?
Vater: Aber sicher. Deine Mutter ist viel zu klug, um diesen
Unsinn mitzumachen. Frag sie doch mal.
Sohn: Hab ich schon.
Vater: Na, und was hat sie gesagt?
Sohn: Dass sie das alles gar nicht so dumm findet.
Vater: So, hat sie das gesagt? Aber das ist doch etwas anderes.
Sohn: Weil Mama vernünftig ist?
Vater: Nein, herrgottnochmal, musst du dich in deinem Alter mit solchen Fragen beschäftigen? Mama macht sich nur Gedanken darüber — allein, und ohne nun auf die Barrikaden zu gehen.
Sohn: Papa, was heißt: Barrikaden? (Aus: Zielinski W.-D. Papa, Charly hat gesagt .... Berlin, 1994. S. 11-12).
ÜBUNG 7. Bilden Sie Fragen zum folgenden Auszug aus der Biographie von Günter Grass. Unterscheiden Sie dabei Entscheidungs- und Ergänzungsfragen. Verwenden Sie u.a. auch verschiedene Ergänzungsfragen. Stellen Sie 5 Bestätigungsfragen zu diesem Text. Ubersetzen Sie den Text ins Russische.
Günter Grass
1. Günter Grass, einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Nobelpreisträger des Jahres 1999, wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren. 2. Dort verbrachte er seine Jugend, was sein späteres literarisches Schaffen entscheidend beeinflussen sollte. 3. Im Krieg war er zuerst bei der Hitlerjugend, dann Flakhelfer und Soldat, bis 1946 in amerikanischer Gefangenschaft. 4. Zuerst arbeitete er auf dem Lande und in einem Kalibergwerk; dann war er in Düsseldorf als Steinmetz tätig. 5. 1949-1952 studierte er an der Düsseldorfer Kunstakademie, dann an der Berliner Hochschule für Bildende Künste. 6. Er lebte eine Zeitlang in Paris und in Italien, seit 1960 in Berlin und auf dem Lande in Schleswig-Holstein. 7. Grass begann als Bildhauer, Graphiker, Lyriker und Stückeschreiber, seit 1958 konzentrierte er sich auf die erzählende Prosa, ohne seine anderen künstlerischen Aktivitäten aufzugeben. 8. Günter Grass engagierte sich in Bundestagswahlkämpfen für die Sozialdemokraten, arbeitete in der Friedensbewegung und war zeitweilig zum Repräsentanten einer neuen Form öffentlichen Engagements des Literaten im politischen Leben der Gesellschaft geworden.
9. Die drei ersten Prosawerke von Günter Grass, "Die Blechtrommel", "Katz und Maus" und "Hundejahre", später als Danziger Trilogie bezeichnet, begründeten seinen iternationalen Ruhm. 10. Thematischer Hintergrund der Trilogie ist die Stadt Danzig. 11. Der Erzählweise nach steht Grass hier in der Tradition des großen europäischen Schelmenromans, in der Nachfolge auch Jean Pauls und Döblins. 12. Der Roman "Die Blechtrommel", mit dem Grass' ungewöhnlicher literarischer Erfolg einsetzte, erzählt rückwendend aus der Ich-Perspektive des in einer Heil- und Pflegeanstalt sitzenden Zwergwesens Oskar Matzerath die Geschichte Deutschlands, vor allem zwischen 1933 und 1945, mit Rückblicken auf das Wilhelminische Zeitalter und Ausblicken auf die Bundesrepublik. 13. Aus der Tischkantenperspektive dieser Figur, die, halb Kind, halb Gnom, mit drei Jahren aufgehört hat zu wachsen, werden — auf Blech getrommelt — vor allem die kleinbürgerliche Gesinnung der Epoche und deren Folgen satirisch entlarvt.
14. "Örtlich betäubt" ist eine Auseinandersetzung mit den Problemen der rebellierenden Jugend. 15. Der Roman spielt in Berlin Anfang 1967 und ist um die Lebensgeschichte des Studienrats Eberhard Starusch aufgebaut, eines "Liberalen", der für "Evolution statt Revolution" eintritt.
16. In dem epochalen Roman "Der Butt" kehrt Grass an seinen ursprünglichen literarischen Schauplatz Danzig zurück und greift erneut zu den Mitteln des pikaresken Romans. 17. Keimzelle der Geschichte ist das Grimmsche Märchen "Von dem Fischer un syner Fru". 18. "Held" ist der Butt, eine ironische Verkörperung des Hegeischen Weltgeistes oder des Freudschen Über-Ichs: ein ironisches Menschheitspanorama und zugleich eine Nahrungsgeschichte der Menschen, die Geschichte der Frau, die der widersprüchlichen und spannungsreichen Beziehung von Mann und Frau, schließlich auch die Geschichte des Feminismus. 19. Diese geniale Montage vielseitiger Bauformen ist auch thematisch viel- und tiefschichtig, für den Interpreten fast unerschöpflich (Aus: Autorenlexikon deutschsprachiger Literatur des 20.Jahrhunderts. Reinbek bei Hamburg, 1984. S. 206-207).
ÜBUNG 8. Übersetzen Sie folgende Fragesätze ins Deutsche. Finden Sie darunter Vergewisserungsfragen. Beantworten Sie die Fragen.
1. Ваша фамилия, имя, отчество? 2. Вы родились в Санкт-Петербурге, не так ли? В каком году? 3. Вы окончили гимназию? 4. В школе Вы изучали немецкий язык, не так ли? 5. Почему Вы выбрали эту специальность? 6. Где бы Вы хотели работать после окончания университета? 7. Вы хотели бы продолжить учебу в Германии? Почему? 8. Какой предмет Вам особенно нравится? Почему? 9. Чем Вы собираетесь заниматься на каникулах? 10. Неужели Вы никуда не поедете? 11. Вы ведь уже были в Германии, не так ли? 12. Какую специальнось Вы выбрали — лингвистику или литературоведение? 13. Чем Вас привлекает литературоведение?
Вы ведь интересуетесь больше всего современной литературой?
Какой раздел лингвистики представляет для Вас наибольший интерес? 16. Неужели Вам не нравится история языка? 17. Вы ведь уже выбрали тему курсовой работы? 18. Над чем Вы сейчас работаете? 19. Правильно ли я Вас понял, что Вы хотите зимний семестр провести в Берлине? 20. Насколько я понял, эта тема не очень Вас интересует? Так? 21. Верно ли, что Вы хотите писать дипломную работу по стилистике?
