I. Christian
Leben / mit Dir / war. / Leben / war / mit Dir. / Mit Dir / war / Leben (Ghromik R. Gedichte. Kiel, 1984. S.5).
II. Mit vier Worten
Die Überschrift des Gedichts ist ein männlicher Vorname. Die 1. Strophe sagt, dass das Leben mit ihm Vergangenheit sei. Die langsame Sprache — angedeutet dadurch, dass jedes Wort eine Zeile hat und der Ton auf "war" liegt, wirkt sehr ernst. Der Leser ahnt, dass der Genannte gestorben ist. Die 2. Strophe legt die Betonung auf die Worte "mit Dir". Das Leben war eine Gemeinschaft. Jede Strophe ist ganz kurz, die Strophen sind gleich lang, das Betonte steht am Ende. Dieser Klang ist nach 2 Strophen bereits in den Hörer eingegangen. Das Besondere in der 3. Strophe ist das Wort "Leben". Es ist so herausgehoben, dass wir sofort spüren, was gemeint ist: erfülltes Leben, Leben in seiner höchsten Möglichkeit.
Das sind die kurzen Aussagen des Gedichts. Das Besondere ist, wie es gefügt ist und welchen Klang dadurch jedes Wort hat. Durch den Klang wird der Wortinhalt gesteigert in eine Melodie, die bei aller Knappheit Größe hat. Das Gedicht hat drei Hauptmotive. Diese kehren in veränderter Stellung wieder. Es hat also Ähnlichkeit mit einem Dreiklang in der Musik. Man kann ihn so anschlagen, dass in der Oberstimme der Grundton ist oder die Terz oder die Quinte. Jedesmal derselbe Akkord, aber anders klingend, weil jedesmal ein anderer Ton herausgehoben ist. So auch in diesem Gedicht.
Das Gedicht hat eine geradezu mathematische Strenge. Diese Strenge des Baus zeigt sich besonders, weil das Gedicht so knapp ist. Jede Strophe hat nur vier Worte. Und drei von diesen sind einsilbig "mit — Dir — war". Nur das Wort "Leben" hat zwei Silben. So hat jede Strophe nur 5 Silben. In 15 Silben ist ein Lebensschicksal ausgesprochen.
Die drei Glieder des Satzes werden dreimal untereinander vertauscht, so dass jedes Glied einmal am Schluss der Strophe steht. Und der Schluss ist die betonte Stelle. Dabei wird vor der letzten Zeile eine kleine Pause gemacht, dann hat der Satzschluss seinen besonderen Ton. Das Gedicht nutzt also den Ausdruckswert der deutschen Wortstellung und des deutschen Satzakzents bis in alle Feinheiten. Es lebt weitgehend durch den Klang.
Die Worte sagen nur: Ein gemeinsames Leben ist zu Ende. Hört man aber die Satzmelodie der ersten Strophe, die Pause nach dem Wort "Dir" und das betonte "war", so fühlt man den Schmerz. Und so ist in der zweiten Strophe das Glück. Es lebt aber nur in der Fügung des Satzes und im Klang. In der dritten Strophe ist das Gewesene aufgehoben im Jetzt. Kein Wort darüber, wieweit es Schmerz, wieweit es Kraftquelle ist. Aber es besteht ein Wissen, wie Leben sein kann. Dieses Wissen ist Gegenwart. Dadurch ist dieses Gedicht des Schmerzes ein Hinweis auf die Möglichkeit erfüllten Lebens, an welche manche nicht glauben mögen.
Durch die Umordnung der Satzglieder klingen die sich wiederholenden Worte an den verschiedenen Stellen ganz verschieden. Das Gedicht beginnt und endet mit dem Wort "Leben". Doch zu Beginn klingt es ganz anders als am Ende. Die zweite Strophe endet "mit Dir". Die dritte Strophe beginnt mit den gleichen Worten, doch hier sind sie höher im Ton, rascher im Tempo, so dass die Gleichheit nicht stört, sondern die Variation aufhorchen macht.
Durch den Klang, den ruhigen Klang, spüren wir, dass die Beziehung zu dem Du harmonisch war. Es ist nichts von Gespanntheit, von Problematik in diesem Klang. Durch die Satzmelodie ist das Gedicht voll Gefühl. Blickt man aber auf die Worte, spricht keins von ihnen irgendein Gefühl aus. Diese Verbindung macht einen wesentlichen Zug des Gedichts aus. Dieses Gedicht eines Lebensschicksals, das dessen verschiedene Seiten aufleuchten lässt, ist nicht nur knapp — 15 Silben — sondern es benutzt nur vier Worte. Mit diesen vier Worten ist alles gesagt (Trunz E. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1993. N 32).
ÜBUNG 5. Bestimmen Sie den kommunikativen Gehalt des Gedichtes "Liebe" von Alexander Dahmen, indem Sie an verschiedenen Stellen einen Punkt setzen. Wie ändert sich dadurch der kommunikative Gehalt des ganzen Gedichts?
Liebe
auf einmal ist es da / ohne Absicht / wie lange es bleibt / weiß niemand / was daraus wird / ist unbekannt / alles / im Dunkeln (Dahmen A. Viel Lärm um mich. Jugend pur / Hrsg. von Menschenskinder. Bern; Berlin, 1987. S.42).
