
Die Vorlesung 8
Der Satz. 2St.
Die Rede ist die Anwendung der sprachlichen Mittel zum Zwicke Kommunikation. Die Veränderung der Form sprachlicher Elemente hat eine einzige Aufgabe: sie soll es ermöglichen, einzelne Stücke miteinander zu verbinden. Alleinstehende Wörter können einen Begriff, ein Ding, einen Prozess, eine Eigenschaft usw. nennen. Sobald das Bedürfnis entsteht, zwei Begriffe miteinander zu verbinden, entsteht die kleinste Redeeinheit der Satz. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es über 200 Definitionen des Satzes, die verschiedene Seiten dieser Erscheinung aufgreifen. Es wäre richteger bloß die wichtigsten Kennzeichen dieses Gebildes aufzuzählen. Dazu gehören folgende Merkmale:
Der Satz ist die kleinste relativ selbstständige Inhaltseinheit. Jeder Satz steht in gewissen Zusammenhang zu den anderen Sätzen, der Inhalt ist oft unter mehrere Sätze verteilt. Doch enthält jeder Satz ein Quantum (количество, сумма) der Information.
Der Satz stellt eine strukturelle Einheit dar, er ist nach bestimmten Gesetzen gebaut, d.h. auch grammatisch gestaltet.
Der Satz ist eine Einheit des stimmlichen Hinsetzens, sein Anfang und sein Ende werden durch die Tonführung markiert, d.h. er ist auch intonatorisch gestaltet.
W.G.Admodi schlägt vor, bei der definition des Satzes sieben Aspekte in Betracht zu ziehen:
Der erste Aspekt ist der logisch-grammatische Satztyp. Er wird durch die Wortarten bestimmt, die als sinnotwendige, unentbehrliche Satzglieder auftreten und durch ihre morphologische Gestalt.
Jeder grammatische Typ entspricht einem besonderen verallgemeinerten Grundinhalt. W.G.Admoni unterscheidet 12 logisch-grammatische Satztypen:
Arbeiter arbeiten. Der Satz zeigt die Beziehung eines Gegenstandes zu einem Vorgang, der von diesem Gegenstand ausgeht; er hat auch ohne Zugabe (ohne andere Satzglieder) einen vollständigen abgeschlossen Sinn.
Arbeiter fällen Bäume. Gennant werden die Erzeuger der Handlung, die Handlung selbst, der Gegenstand der Handlung. Das Verb braucht eine notwendige Ergänzung, ohne welche der Satz grammatisch falsch ist. Die Unterarten dieses Typus sind die Sätze: Er gefällt mir. Er schenkt ihr ein Buch.
Die Rose ist eine Blume. Diese Sätze ordnen einen Begriff einem anderen, umfangreicheren Begriff an, das einzelte wird in das allgemeine eingegliedert. Unterart: Dieser Wagen ist der sicherste.
Die Rose ist schön. Im Satz wird die Beschaffenheit (свойство, качество, состояние, структура) eines Gegenstandes ausgedrückt. Als Unterarten sind zu betrachten: Das Haus ist gebaut. Das Haus wird gebaut.
Es ist guter Laune. Diese Frage ist von großer Bedeutung. Diese Sätze drücken den inneren Zustand des Subjekts, die Zugehörigkeit, die Qualität usw. aus. Sie unterscheiden sich von dem 4. Typus durch ihre Struktur.
Er ist im Garten. Der Tag ist da. Das Verb "sein" ist hier ein Vollverb (mit der Bdg "sich befinden"). Der Satz kann ohne eine lokale od. eine temporale Adverbialbestimmung nicnt bestehen.
Der Junge muß baden und schwimmen. Dieser Satz ist eine Abart des 1. Satztypus, aber das finite Verb ist prädikativ unzulänglich (недостаточный), der Infinitiv bildet eine unentbehrliche Zugabe.
Ich habe Angst. Es gibt gute Leute. Die Struktur entspricht dem 2. Satztyp, aber hier wird sie zur Bezeichnung eines Zustandes verwendet.
Es war (einmal) ein Mädchen. Deiser Satz bezeichnet die Existenz des Subjekts. Es ist eigentlich die Abart des 1. Satztypes.
Es scheint. Mich hundert. Hier wird nicht geraucht. Die Besonderheit deiser unpersönlichen Sätze ist die Form ihres Subjekts.
Die Gäste waren viele. Solche Sätze unterscheiden sich durch die Form (des Kasus) ihres Subjekts von den anderen.
haue Wärme. Es ist ein eingliedriger Satz.
Der Einteilung zugrunde liegt ein formales Merkmal (die Art und die Fügungspotenz der Hauptglieder); dabei wird die Leistung (die logische Aufgabe) jeder Satzform festgelegt.
Die Versuche, die Grundtypen der Sätze in einzelnen Sprachen festzustellen, waren von mehreren Gelehrten unternommen. In der Vorlesung werden nur einige Vorschläge erwähnt, deren Gegenstand der deutsche Satz war.
H.Brinkmann unterscheidet 4 Grundmodelle des deutschen Satzes. Das wären:
Vorgangssätze, die einen immanenten (имманентный, внутренне присущий), den Prozess schildern, wie: Es hagelt. Die Abstimmung hat stattgefunden. Es mandeln an Verordnungen. Der Studert befindet sich im Auditorium. Anna tanzt. Alle haben dein Rufen gehört. Mein Freund erkrankte an der Grippe.
Handlungssätze, die einen übergreifenden, d.h. auf ein Objekt gerichteten Prozess nennen: Wir planen einen Ausflug. Der Dieb vernichtet alle Spuren. Der Junge legte das Buch auf den Tisch. Die Mutter berücktsichtigte deinen Wunsch. Die Familie fährt an die Ostsee. Walter träumt von der neuen Reise. Der Vater gibt dem Mädchen Geld.
Die Verben, die im Handlungssatz auftreten, können unter Umständen auch im Vorgangssatz erscheinen, z.B.: Er wurde bestraft. Er setzte sich auf den Stuhl. Sie bügelt. Das Wasser kocht.
3) Adjektivsätze, die das Subjekt des Satzes qualitisieren, d.h. die Charakteristik od. die Stellungnahme enthalten, z.B. Der See war ruhig. Der Schuppen ist heizbar. Du siehst traurig aus. Der Abend wird kühl.
Substantivsätze, die das Subjekt des Satzes klassifiziert, ihm einen Namen geben, z.B. Meine Nachbarin ist eine junge Frau. Ich bin Nichtraucher. Sie sind Fachmann.
Auf den ersten Blick scheinen die 4 ersten Typen von W.G.Admoni den 4 Grundmodellen von Brinkmann gleich zu sein. Der grundlegende Unterschied besteht aber darin, dass H.Brinkmann nur den Inhalt berücksichtigt, so dass die Sätze, die zu einem und demselben Modell gehören, recht unterschiedlich gebaut sind. Für W.G.Admoni ist das formale Kennzeichen, u.z. der Bau der Sätze leitend. Die Typen 1,6,7,8,9,10,11 wären ihrem verallgemeinerten Inhalt nach als Vorgangsätze zu bezeichen, aber sie weisen unterschiedliche Strukturen auf. Die Typen 2,3,4, entsprechen wirklich den Handlungs-, Adjektiv- und Substantivsätzen. Es sei bemerkt, dass sie nach verschiedenen Prinzipien genannt werden: während Handlungssätze "einen übergreifenden Prozess" nennen, weisen die Termini "Adjektiv- und Substantivsätze" lediglich (лишь, только, исключительно) auf die Wortart des mit dem finiten Verb verbundenen Gliedes hin. Keine Entsprehung findet bei H.Brinkmann der 12. Typ (der eingliedrige Satz).
J.Erben berücktsichtigt nur das formale Merkmal, u.z. die Wertigkeit des Verbs (V.), das als Prädikat fungiert. Die Zahl der unentbehrlichen Satzglieder (J.Erben bezeichnet sie als Ergänzungsbestimmungen, als E.) kann von 1 bis 4 variiren, demnach lassen sich 4 Grundmodelle unterscheiden. Da die Ergänzungsbestimmungen verschieden sein können, hat jedes Grundmodelle einige Varianten. Es ergibt sich folgende Einteilung:
1) E, - V Vater schläft. Veränderungen geschehen. Es taut.
2) E, - V – E2 a) Fritz ist ein guter Mensch. Fritz ist gut. Fritz arbeitet gut.
b)Katzen fangen Mäuse. Fritz ärgert sich.
c)Mitschüler helfen Fritz.
d)Fritz geht zum Artz. Fritz liegt im Krankenhaus. Fritz geht drei Kilometer.
3
)
E, - V E2
E3 a) Fritzchen nennt Anton Onkel. Der Lehrer nennt ihn faul. Fritz putzt des Messer brank. Fritz schlägt die Ratte tot.
b) Mutter lehrt Bertha das stricken. Passanten beschuldigten Fritz der Fahrlässigkeit. Räuber bemächtigten sich des Koffers. Was fragt Fritz den Vater?
c)Der Vater schenkt dem Sohn ein Buch. Besucher nähern sich dem Marktplatz.
d)Mädchen stellen Blumen auf den Tisch. Die Gäste begeben sich in den Saal.
e)Freunde stehen Fritz zur Seite. Freunde verhelfen mir zur Reise.
4 ) E2
E, - V E3
E4
a)Er schleudert ihr den Handschuh ins Gesicht.
Er stieß sich hoch in den Kopf.
b)Sie macht ihm seinen Fehler klar.
Sie macht sich die Hände nass.
Die Verschiedenheit der Wertigkeit und der Art der Ergänzungsbestimmungen ergibt 12 Modelle.
P.Gräbe versucht die Vorschläge von H.Brinkmann und J.Erben zu berücktsichtigen, wenn er seine Zusammenstellungen der Grundformen deutscher Sätze ausarbeitet. Unter Grundformen versteht er Ganzheiten, die nicht weiter reduzierbar sind: das Abstreichen eines Satzgliedes würde den Satz zerstören. P.Gräbe unterscheidet zwei große Gruppen u.z.:
Zustands-, Vorgangs- und Tätigkeitssätze (die 1 bis 4 notwendige Satzglieder haben) z.B. Die Rosen blühen. Karl ist mein Freund. Der Sohn dankt dem Vater. Ich rate ihm zum Nachgeben. Ich klopfe meinem Freund auf die Schulter.
Handlungssätze (mit 3 bis 5 notwendigen Satzgliedern) z. B. Der Gärtner bildet die Blumen. Ich hänge das Bild an die Wand. Karl legt seinem Freunde die Hand auf die Schulter.
Aus den wenigen angeführten Sätzen ist es zu ersehen, dass der Autor verschiedene Ausbaumöglichkeiten eines Grundtyps in Betracht zu ziehen versucht. Dabei beschreibt er auch den Inhalt der Grundformen. Die artbestimmten Prozesse (um nur ein Beispiel anzuführen) sind folgenderweise definiert:
I 8)Zustände oder Vorgänge, die notwendig artbestimmt sind: Die Rose ist schön. Wilhelm benimmt sich schlecht.
8 a)Notwendig artbestimmte Zustände, Vorgänge oder Tätigkeiten, die notwendig einem Etwas zugewendet (обращать, направлять, поворачивать) sind: Ich bin diesem Mann fremd. Deine Liebe tut ihm wohl.
8b)Notwendig artbestimmte Zustände oder Vorgänge, an denen ein etwas teilhat: Er ist des Diebstahls beschuldigt.
8c)Notwendig artbestimmte Zustände, Vorgänge oder Tätigkeiten , die lage- oder richtungsbestimmt auf ein Etwas bezogen sind: Ich bin auf deinen Bericht gespannt.
8ca)Notwendig artbestimmte Zustände und Vorgänge, die auf ein lage- oder richtungsbestimmtes Etwas bezogen und einem Etwas notwendig zugewendet sind: Er ist mir an Fleiß überlegen (превосходящий в ч.-л.).
8d)Notwendig artbestimmte Zustände und Vorgänge, die raumgebunden sind: Er ist in München ansässig.
II 8)Handlungen, die artbestimmend sind: Die Mutter macht die Suppe warm.
8a)Artbestimmende Handlungen, die notwendig einem Etwas zugewandt sind: Ich machte ihm die Beine lang.
8b)Handlungen, bei denen ein Etwas an dem durch die Handlung hervorgerufene Zustand des im Akkusativobjekt genannten Etwas teilhat: Der Richter sprach diesen Mann des Diebstahls schuldig.
8c)Handlungen,bei denen der durch die Handlung hervorgerufene Zustand des im Akkusativobjekt genannten Etwas lage- oder richtungsbestimmt auf ein Etwas bezogen ist: Mein Freund machte mich auf dieses Mädchen aufmerksam.
Jede von diesen 10 Unterarten hat ihren eigenen Bestand.
Im ganzen findet P.Gräbe 9 Arten (17Unterarten) der Vorgangs-, Zustands- und Tätigkeitssätze und 8 Arten (12 Unterarten) der Handlungssätze, dazu noch 2 Sonderformen (Karl hört seine Schwester singen. Herr Meyer lehrte uns die franz. Sprache), also 31 Modelle. Eine so genaue Ausarbeitung leistet eine große Hilfe beim Fremdsprachenunterricht.
Jede Grundform ist gewiß durch die "freien" Satzglieder zu erweitern, welche den Inhalt bereichern, aber die Struktur des Satzes nicht mehr ändern. Diese freien oder fakultativen Satzglieder können weggelassen werden, ohne dass der Satz zerstört wird: Karl legte (zu underem Erstaunen) (ohne Aufforderung) seinen Mantel (im Vorzimmer) ab.
Nach H.Glinz entspricht jeder Satzbauplan einem "geistigen Grundbild". Er nennt folgende "geistige Grundbilder":
Reiner Ausruf: O!
Wesensanruf: Du!
Geschehens- oder Seinsbild, auf einen Träger bezogen: Du kommst.
Gleichsetzungs- oder Denkbild: Du bist mein Frost.
Handlungsbild: Du rettest mich.
Zuwendungsbild: Du erscheinst mir.
Teilhabebild: Du denkst meiner.
Artbild A. Du bist mächtig;
B. Du kommst als Hilfe;
Hagebild: Du bist bei mir.
Du bist da.
Die zwei ersten "Grundbilder" sind nicht als Sätze zu betrachten. Die übrigen lassen sich leicht auf die 4 Grundtypen von H.Brinkmann zurückzuführen: das 3. "Bild" entspricht dem Vorgangsatz, die Fälle 6,7,8b,9 stellen seine Varianten dar; sie werden aber als verschiedene Typen betrachtet dank ihrer verschiedenen Form. Der 5. Satz ist ein Handlungssatz. Der Satz 4 stimmt mit dem Substantivsatz überein. Das Beispiel 8a fällt unter die Adjektivsätze. Wir stehen hier dem Versuch gegenüber, jede Struktur auf einen Inhalt zu beziehen, ihren Gebrauch mit einem gewissen Denkprozess zu koordinieren. Es gibt auch andere Vorschläge, die in der heutigen Vorlesung nicht erörtert werden.
Die Vorlesung 9
Der Satz (die gebliebenen Aspekte des Satzes 2,3,4,5,6,7)
II. Der zweite Aspekt ist die Modalität des Satzes, d.h. die Art, wie der Sprechende die Realität des Satzes einschätzt. W.G. Admoni hält für die grundlegende Modalität den Unterschied zwischen der positiven (affirmativen) und der negativen Form. Die Negativität wird immer durch spezielle Mittel (Negationen) ausgedrückt. Die verschiedenartigen Schattierungen der modalen Einschätzung, der Grad der Bejahung oder Verneinung werden durch andere Mittel, wie Modus der Verben, Modalverben, Modalwörter und Modalpartikeln angegeben. Der Satz: "Er scheint gekommen zu sein" ist kein affirmativer, ebenso wie der Satz: "Er scheint nicht gekommen zu sein" kein negativer ist. In den Sätzen: "Er ist zweifelsohne krank", "Er scheint krank zu sein", "Er wird kaum krank sein" ist der Grad der Gewissheit unterschiedlich. Demnach überlagert die zusätzliche modale Einschätzung die grundlegende (affirmative oder negative) Modalität.
In der Grammatik ist ein anderer Standpunkt üblich: man hält die Affirmativität und die Modalität auseinander und spricht von den realen Sätzen (sie nennen Vorgänge, dessen Verwirklichung oder nicht Verwirklichung man für real hält, z.B. "Er kommt", "Er kommt nicht") und von den hypothetischen Sätzen, die ihrerseits potential oder irreal sein können. In einem potentialen Satz ist der Vorgang im Moment der Rede noch nicht geschehen; er kann aber unter gewissen Voraussetzungen noch zustande kommen, z.B. "Ich würde dich gerne besuchen".
Der irreale Satz nennt einen Vorgang, dessen Verwirklichung nicht mehr möglich ist: "Du hättest früher kommen sollen". Die Abarten der hypothetischen Modalität sind die heischende, welche einen Vorgang nennt, dessen Ausführung der Sprechende für wünschenswert hält, zu dessen Vollbringung er den Sprechpartner anregt, z.B. "Rufe mich mal an!", und die Modalität der Vermutung, z.B. "Sie wird wohl gleich kommen", "Du wirst im Konzert gewesen sein". Jeder Satz kann zusätzlich die optative Modalität haben, d.h. einen Wunsch ausdrücken, was in einem realen Satz mit Hilfe der lexikalischen Mittel geschieht, z.B. "Ich will essen", in den potentialen und irrealen Sätzen aber durch ein syntaktisches Mittel, und zwar durch die Wortstellung bewerkstelligt wird, z.B. "Bekäme ich endlich eine Nachricht! Wäre ich vorsichtiger gewesen.". Die optative und die heischende Modalität berühren sich, da in einem Aufforderungssatz oft der Wunsch des Sprechers zum Ausdruck kommt, z.B. "Wärest du aufmerksamer!", "Sei aufmerksamer!", "Du sollst aufmerksam sein!" Üblicherweise läßt man sich bei der Bestimmung der Modalität eines Satzes nicht nur durch den Modus des finiten Verbes leiten. Die Schattierungen der Modalität sind sehr mannigfaltig und mit genügender Sicherheit nicht zu bestimmen. Darum begnügt man sich nur mit der gröbsten Einteilung in reale, potentiale, irreale und heischende Sätze.
III. Der dritte Aspekt ist der Erweiterungsgrad des Satzes. Der Tradition nach unterscheidet W.G.Admoni:
den nackten (unerweiterten) Satz (in moderner Terminologie die Tiefenstruktur), der aus zwei Gliedern, dem Subjekt und dem Prädikat mit seinen sinnotwendigen Ergänzungen besteht und das Gerüst des Satzes darstellt, z.B. "Der Zug kommt", "Werner ist Lehrer", "Ich nehme ein Buch".
den erweiterten Satz (in moderner Terminologie die Oberflächenstruktur). Dieser Satz enthält außer den strukturell notwendigen Satzgliedern noch andere Stücke, welche den Satz "füllen", d.h. die näheren Umstände der Vorgänge nennen, die Substantive von verschiedenen Seiten bestimmen und zur Gestaltung einer wohldefinierten Mitteilung beitragen, z.B. "Dr.Heidinger hat an der Gründung der Gesellschaft zum Studium der Kultur Russlands teilgenommen". Die Erweiterung des Satzes geschieht entweder durch die Einschaltung der untergeordneten Satzglieder, oder durch die Anreihung der gleichartigen Satzglieder aneinander, wobei in vielen Fällen beide Verfahren kombiniert werden, vgl.: "In enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung konnte am Mittwoch der flüchtige Betrüger Manfred Drews verhaftet und ein von ihm entwendeter PKW beschlagnahmt werden".
den elliptische Satz, in welchem eins oder beide der Hauptglieder fehlen, z.B. ("Wer sucht mich?") – "Eva"; ("Komm später!") – "Ist gut". ("Wann bist du da?") – "Am Mittwoch". Die elliptischen Sätze sind sehr unterschiedlich, aber in der Regel kommen sie im Kontext oder im Strom der Rede vor, stehen mit den anderen Sätzen in Verbindung und sind darauf bezogen.
Es wäre zweckmäßig, einige Arten der elliptischen Sätze zu unterscheiden, und zwar:
eingliedrige vollendete Sätze, die nur eins der Hauptglieder in ihrem Bestand enthalten, z.B. ("Wer hält die Vorlesung?") – "Professor Schmidt." (Darf ich herein?) – "Ist verboten".
eingliedrige unvollendete Sätze, welchen ein Teil des einzigen vorhandenen Hauptgliedes fehlt, z.B.: "Wie alt?", "Achtzehn". "Schon gut". "Da drüben". "Um sechs". "In der Bibliothek".
zweigliedrige unvollendete Sätze, in welchen ein Hauptglied wohlgestaltet ist, das zweite oder dessen Teil fehlen, und die vom zweiten Hauptglied abhängigen Nebenglieder vertreten sind, z.B. "Ich gehe" – "Ich auch"; "Wo sind die Jungen?" – "Erwin im Kino, Frank im Garten".
Bei der Definition der Sätze hat man sich auf den Kontext zu stützen, ein und derselbe Satz kann verschiedene Funktionen ausüben, vgl. Ruhe! (herrscht hier – ein vollständiger eingliedriger Satz und (Gib endlich) Ruhe! – ein unvollständiger Satz.
IV. Der vierte Aspekt ist die Rolle (die Stellung) des Satzes im Redestrom. Den Satz, in dem es ein (oder einige gleichartige) Subjekt und ein (oder einige gleichartige) Prädikat gibt, nennt man den Elementarsatz. Der Elementarsatz kann verschiedene Stellung im Redestrom einnehmen. Er kann allein als intonatorisches Ganzes gestaltet werden, z.B. "Im Laboratorium unseres Instituts arbeiteten damals viele ungarische Studenten". Einen solchen Satz nennt man einen einfachen unabhängigen Satz (nach H.Glinz ist es ein Alleinsatz). Inhaltlich ist er natürlich mit den vorangehenden und nachfolgenden Sätzen verbunden.
Die Elementarsätze können zu einer größeren Einheit, einem zusammengesetzten Satz vereinigt werden. Dann treten sie als Teile einer Satzreihe auf, z.B. "Einmal sonntags früh betrachtete er den Kalender auf seinem Tisch, das Kalenderblatt stimmte nicht, es war von gestern". In diesem Fall sind die Elementarsätze grammatisch gleich gebaut, d.h. das kongruierte Verb steht an der gleichen Stelle. Die Elementarsätze können auch zu einem Satzgefüge zusammengefügt werden, z.B. "Paul sprach laut und klar, damit Olga nebenan jedes Wort verstehen musste, wenn sie lauschte, was er für sicher hielt". Die Glieder eines Satzgefüges sind verschiedenartig; hier gibt es einen grammatisch herrschenden Satz mit der Zweitstellung des finiten Verbs, und einen oder einige grammatisch untergeordnete Sätze mit dem kongruierten Verb an der letzten Stelle.
V. Der fünfte Aspekt ist die Erkenntnisstellung oder die psychologisch- kommunikative Einstellung des Sprechenden. Wenn der Sprecher einen Satz baut, ist er darauf bedacht, welche Vorstellungen seine Rede bei dem Hörer auflöst. Er will verstanden werden, darum muss er an das Bekannte anknüften. Er will etwas mitteilen, und sucht nach Wegen und Mitteln, um das für beide Sprachpartner besonders Wichtige zu unterstreichen. Dieses Streben ist längst erkannt und von den Vertretern verschiedener Richtungen unterschiedlich gedeutet worden.
Bereits Ende des XVIII – Anfang des XIX Jahrhunderts schied die damals unter dem starken Einfluß der Logik stehende Grammatik in jedem Satz zwei Glieder aus, und zwar das Subjekt, d.h. den Gegenstand der Aussage, und das Prädikat, das über den Gegenstand Ausgesagte. Vom logischen Standpunkt aus kann der Satz je nach der Erkenntnisstellung des Sprechenden unterschiedlich gegliedert werden, vgl.: Ich – fahre morgen nach Sankt-Petersburg. Ich fahre morgen nach Sankt-Peterburg. Ich fahre nach Sankt-Peterburg morgen. Morgen fahre ich nach Sankt-Peterburg, wobei der erste Teil stets das logische Subjekt, der zweite das logische Prädikat ist.
Der Vertreter der Junggrammatiker Hermann Paul (Ende des XIX Jh) spricht vom psychologischen Subjekt, d.h. der Vorstellung (oder der Vorstellungsgruppe), die zuerst in der Seele des Sprechenden vorhanden ist, und vom psychologischen Prädikat, d.h. der neuen, an die erste angeknüpfte Vorstellung. In den Sätzen: "Ich friere", "Mich friert", "Mir graut" sind die verschiedenen Kasusformen "ich, mich, mir", die psychologischen Subjekte. Das Prädikat trägt den stärksten Ton, da die Prädikatsvorstellung sich als das bedeutsamere Neue hervordrängt. Diese Glieder brauchen mit dem grammatischen Subjekt und dem grammatischen Prädikat nicht zusammenzufallen; die letzteren haben immer eine bestimmte grammatische Form, während die ersteren an keine Form gebunden sind.
In den zwanziger Jahren des 20.Jhs. machte Erich Drach darauf aufmerksam, dass jeder Satz drei Glieder enthält: Vorfeld-Mitte-Nachfeld. Im Vorfeld steht das satzeröffnete Glied, die Mitte nimmt das verbum finitum ein, das Nachfeld enthält die eigentliche Mitteilung. Die Stellung der nicht verbalen Glieder richtet sich nach ihrem Mitteilungswert. Den höchsten Mitteilungswert besitzt die Endstelle, die Schwächststelle befindet sich unmittelbar nach dem finiten Verb:
Ich kaufte für meinen Sohn (Schwächststelle) diesen Malkasten (Eindrucksstelle).
Ich kaufte diesen Malkasten (Schwächststelle) für meinene Sohn (Eindrucksstelle).
Ich kaufte diesen Malkasten gestern (Schwächststelle) für meinen Sohn (stark).
Ich kaufte diesen Malkasten für meinen (Schwächststelle) Sohn gestern (stark).
In den 40-er Jahren machte der tschechische Gelehrte Willi Mathesius darauf aufmerksam, dass man außer formaler Gliederung des Satzes auch die sogenannte aktuelle Gliederung in Betracht ziehen muss, d.h. die Rolle des Satzes und seiner Glieder im Kontext. Die Elemente der aktuellen Gliederung sind der Ausgangspunkt und der Kern der Aussage. In der Regel steht der Ausgangspunkt am Anfang des Satzes, nach dem subjektiven Wunsch des Sprechers kann man aber den Kern der Aussage auf die erste Stelle rücken, z.B. Gestritten wurde auch über den Beruf, den die Schüler der Spezialschulen in den höheren Klassen erlernen sollen.
Jede Sprache hat ihre Art, die Bedürfnisse der subjektiven Betonung zu befriedigen. Der Ausgangspunkt der Aussage fällt nicht immer mit deren Thema zusammen, das Thema kann dem Sprechpartner im voraus bekannt sein.
K.G.Kruschelnitzkaja unterscheidet im Satz "das Gegebene" (eigentlich den Ausgangspunkt oder den Quellpunkt der Aussage) und "das Neue" (das Mitgeteilte) und weist darauf hin, dass jedes dieser Glieder als Bekanntes oder als etwas Unbekanntes erscheinen kann. Die Begriffe "Gegeben" – "Bekannt" und "Neu" – "Unbekannt" brauchen sich nicht zu decken, wenn sie auch unter Umständen zusammenfallen können, vgl.
Die Versammlung findet in einer Aula statt.
gegeben-bekannt neu-unbekannt
Die Versammlung findet in der Aula statt.
gegeben-bekannt neu-bekannt
Eine Versammlung findet in der Aula statt.
gegeben-unbekannt neu-bekannt
Eine Versammlung findet in einer Aula statt.
gegeben-unbekannt neu-unbekannt
Im Deutschen spielt bei der Angabe des Bekannten und des Unbekannten eine große Rolle der Artikel.
Karl Boost gliedert in seiner 1955 erschienenen Arbeit jeden Satz in Thema und Rhema ein. Das Thema ist der Satzbeginn, eine Gegebenheit, eine bekannte Erscheinung (dazu gehört alles, was vor dem Prädikat steht). Das Rhema ist die eigentliche Mitteilung, die das Neumitzuteilende enthält. Nach Boost ist jeder Satz eine Spannungseinheit. Mit dem Setzen des Themas wird die Spannung erzeugt, die im Verlauf des Satzes aufrecht erhalten und erst am Ende des Satzes gelöst wird. Das verbum finitum besetzt den zweiten Platz und übernimmt die satzbildende Funktion. Bei den nachfolgenden Elementen tritt der Mitteilungsswert in den Vordergrund. Die im Deutschen übliche Entzweiung des Prädikats erzeugt inhaltliches Spannungsmoment. Erst am Schluss des Satzes mit der zusammengesetzten Zeitform wird der Vorgang genannt, vgl.: Ich habe … gelacht – geweint – getrauert; Ich bin … gekommen – gelaufen; erst am Ende des Satzes steht das trennbare Präfix, welches mit dem kongruierten Teil zusammen die Bedeutung ausmacht; vgl.: Die Sonne geht … auf, unter. Du nimmst … ab, zu. Die Schlussstellung hat die Satzverneinung "nicht", welche die Aussage zu einer negativen macht: Ich verstehe deine Sehnsucht nach dem winzigen Heimatsdorf … nicht. Ich komme morgen zur Prüfung … nicht. In einem drei- oder mehrgliedrigen Satz wirkt das letzte Glied spannungslösend: Ich schenke meiner Tochter … eine Puppe, ein illustriertes Buch, ein Kleid. Punkt zwei bist du … in Kiew, im Institut, auf dem Marktplatz.
Dank verschiedener Wortstellung kann jedes Satzglied den höchsten Mitteilungswert bekommen. Die Aufgabe besteht darin, die Mittel zu erforschen, welche die Spannung schaffen, aufrecht erhalten und lösen können, und das dadurch erreichte kommunikative Effekt zu studieren.
Als solche Mittel dürfen in der ersten Linie die Wortstellung, die Tonführung und der Artikel genannt werden.
Manche Gelehrte weisen darauf hin, dass die Rahmenkonstruktion, d.h. der infolge der Entzweiung des Prädikats entstehende und alle Satzglieder außer dem satzeröffnenden Element umfassende Rahmen, ein Grundgesetz der deutschen Sprache ist.
Die Verletzung der Rahmenkonstruktion, die in der letzten Zeit immer öfter auftritt, die Ausklammerung einzelner Glieder hat in diesem Fall eine bestimmte kommunikative Aufgabe: ein Glied soll besonders betont oder emotional gefärbt werden. Man bekommt dann den verkürzten prädikativen Rahmen, dessen Partner durch die Umstellung einiger Satzglieder näher aneinanderrücken, z.B. Tief aus der Brust heraus haben wir gebrüllt, wie wahrscheinlich die Urmenschen gebrüllt haben vor Zehntausenden vor Jahren.
In einzelnen Sätzen stehen die Rahmenteile nebeneinander; solche Fälle bezeichnet man als potentielle Satzrahmen: Sie ging fort, energischen Schrittes, wie immer.
Die Lockerung der Satzklammer ist bereits grammatikalisiert. Sie ist Norm:
Für die Adverbialbestimmungen des Vergleichs, z.B. Martin kam sich vor wie ein Schüler, der in einer fremden Stadt ankommt;
Für die Satzglieder mit abhängigem Nebensatz, z.B. Sie sind ungehalten über das, was ihnen heute das Leben so schwer macht;
Für Infinitivkonstruktionen, z.B. Sir Arthur war bereit, mir den Aufenthalt in Newcastle so angenehm wie möglich zu machen.
Oft stehen umfangreiche Satzglieder hinter dem Rahmen, z.B.: Würden die Zweifelnden, Suchenden, Lernenden nicht schließlich doch bessere, sichere Kampfgefährten werden als die bedenkenlos schnell Entflammten?
Damit sind weit nicht alle Fälle der Lockerung der Rahmenkonstruktion als eines zusätzlichen Mittels zum Ausdruck des "Eindrucksvollsten" erschöpft.
VI. Der sechste Aspekt: Die Einteilung der Sätze nach ihrer kommunikativen Aufgabe. Der Sprecher verfolgt immer ein bestimmtes Ziel, und zwar versucht eine bestimmte Reaktion des Hörers hervorzurufen. Nach der kommunikativen Aufgabe unterscheidet die traditionelle Grammatik:
Aussagesätze (Mitteilungssätze), die eine Mitteilung enthalten, z.B. die Luft ist kühl.
Fragesätze, die eine Antwort erwarten, dessen Ziel es ist, eine Information vom Sprechpartner zu bekommen, z.B. Wo bist du geboren? – In Moskau.
Aufforderungssätze (Befehlsätze, Heischesätze), mit deren Hilfe der Angesprochene zu einer Handlung veranlasst wird, z.B. Bleib hier! Gib mir dein Buch!
Für die Aussagesätze sind die abschließende Tonführung und die Zweitstellung des Prädikats charakteristisch. Doch gibt es Fragesätze (die Wortfragen) mit der Zweitstellung des finiten Verbs. Dieselbe Wortstellung kommt auch in den Aufforderungssätze vor, z.B.: Du kommst sofort zurück! Die Suppe wird gegessen! Man beachte die Verkehrsregeln.
Die Sätze, die mit der Personalform beginnen, kennzeichnet Hennig Brinkmann als "Partnersätze". Sie sind immer auf die angesprochene Person gerichtet. Ob es eine Frage oder eine Aufforderung ist, bestimmt die Intonation.
VII. Der siebente Aspekt ist der emotionale Gehalt des Satzes. Die meisten Sätze werden ruhig, ohne irgendwelche Emotion ausgesprochen. Daneben gibt es eine Anzahl der emotionell gefärbten Sätze, die verschiedene Gemütsregungen, wie Freude, Empörung, Trauer, Entzücken usw. ausdrücken. Diese Regungen sind schwer zu definieren und einzuschätzen, da sie sehr verschiedenartig sind. Die emotionell verstärkten Sätze enthalten meist verschiedene lexikalische Mittel, wie z.B. Modalwörter und Modalpartikeln. Zu den grammatischen Mitteln zum Ausdruck der Emotionalität gehören vor allem die Satzgliedstellung und die Intonation. Während die Wortstellung öfter in den Aussagesätzen zur Geltung kommt, kann die Intonation auch die Aufforderungs- und Fragesätze emotionell färben, z.B. Und die Brücke bauen wir wieder auf! Nichts ist da von freier Tat! Wie leicht es sich stürzte! Hab ich gelacht! Bist stille, wenn ich mit Erwachsenen rede! Denkst du vielleicht, der Alte läßt die Termine ins Schlitten kommen!
Die emotionell gefärbten Sätze bezeichnet man als Ausrufesätze!
Die Beschreibung des Satzes unter Berücksichtigung aller 7 Aspekte ermöglicht es, ihn auch allseitig zu charakterisieren und zu analysieren, und zwar seine Struktur festzustellen, seine Modalität zu registrieren, die Zahl der Satzglieder und die damit verbundene Quantität der Information zu berücksichtigen, seine Rolle inmitten der anderen Sätze der Rede, d.h. den Grad seiner Selbständigkeit zu erkennen, den für Mitteilung wichtigsten Teil des Satzes auszuscheiden, das vom Sprecher beabsichtigte Ziel und die emotionelle Belastung zu bestimmen.