
4. Der Modus
Literatur: 1) Schendels, 88:79-102
2) Admoni, 60:178-182
3) Moskalskaja, 75: 112-131
Die Kategorie der Modi (Sagweisen, Aussageweisen) gehört zu den prädikativen oder satzgestaltenden Kategorien des Verbs.
Der Modus ist die grammatische Form zum Ausdruck der Modalität. Unter der Modalität (M.) versteht man das Verhältnis zwischen der Wirklichkeit und der Aussage vom Standpunkt des Sprechenden aus. Der Sprechende kann sich den Verbalvorgang als wirklich oder unwirklich vorstellen. Das wirkliche Geschehen kann möglich oder unmöglich sein, wünschenswert, notwendig usw. Es gibt sehr, viele Schattierungen der M. Die Grundtypen sind:
1. die M. der Wirklichkeit (reale Modalität);
2. die M. der Unwirklichkeit (hypothetische M.):
a) die potenzial-irreale M.;
b) die M. der Anregung;
c) die M. der Vermutung.
Zum Ausdruck der M. dienen neben dem Modus (der grammatischen Form des konjugierten Verbs) auch verschiedene lexikalische Mittel, in erster Linie die Modalwörter (vielleicht, sicher, möglicherweise), die Modalverben und die Verben mit modaler Bdg (z.B. verstehen, glauben).
Im Deutschen gibt es drei Modi: den Indikativ, den Imperativ und den Konjunktiv. Die zwei Modi, der Indikativ und der Konjunktiv sind allen Verben eigen. Den Imperativ kann man nicht von jedem Verb bilden (die meisten Modalverben und die Verben, die sich auf kein Lebewesen beziehen können). Der Modus ist eine alternative Kategorie: jedes Prädikat steht in einem der drei Modi. Die Modalität des Satzes entsteht aus dem Zusammenwirken der grammatischen und lexikalischen Mittel.
Der Indikativ ist der Modus der Wirklichkeit. Er entspricht dem russ-en "изъявительное наклонение". Er ist die dominierende Form in der geschriebenen und gesprochenen Rede. Der Indikativ verfügt über sechs Zeitformen mit sehr mannigfaltiger zeitlicher Bedeutung. Er kann durch die Modalwörter unterstützt werden (Selbstverständlich befolge ich Deinen Rat. Du hast mich sicher verstanden).
Andere Modalwörter verwandeln den Satz in eine Vermutung (Wahrscheinlich/vielleicht hat der Zug Verspätung). Dieselbe Rolle können die Modalverben und die Verben mit der modalen Bedeutung spielen (Dein Rat kann mir helfen. Das heutige Konzert soll interessant sein. Du scheinst dich gut zu erholen). Zum Ausdruck der Vermutung dienen auch Futurum I und Futurum II Indikativ (Lisbeth wird zu dieser Zeit zu Hause sein. Alles wird er mir nicht erzählt haben). Dank der Intonation bekommen die Sätze mit dem Verb im Indikativ die Bedeutung der Anregung zu einer Handlung (Du gehst sofort hinaus! Du wirst das Haus nicht mehr betreten!) Auf solche Weise wird die Modalität der Indikativsätze modifiziert.
Der deutsche Konjunktiv besitzt sechs Zeitformen, die im Indikativ vorkommen und noch zwei: Konditionalis I und II. Der Konjunktiv fällt mit dem russischen "сослагательное наклонение" nicht zusammen, sondern entspricht ihm nur in einigen seiner Bedeutungen. Er dient zur Wiedergabe der fremden Rede (ohne modale Einschätzung), was der russischen Form völlig fremd ist. Auch in der modalen Funktion sind Unterschiede zu beobachten. Der russische Modus besitzt eine einzige, zeitlich indifferende Form: diese analytische Form besteht aus dem konjugierten Verb in Vergangenheit und der Partikel бы. Die zeitliche Bedeutung wird durch lexikalische Elemente angegeben (Я охотно зашёл бы к тебе сегодня/завтра/вчера). Dieselbe Form mit Unterstützung der Intonation kann die Aufforderung ausdrücken: Шёл бы ты спать!
Wie gesagt besitzt der deutsche Konjunktiv sechs Zeitformen (wo das Futurum II fast nie gebraucht wird). Die Bedeutung der konjunktivischen Zeitformen unterscheidet sich wesentlich von der Bedeutung derselben Formen im Indikativ. Die Zeitformen des Konjunktivs zerfallen in zwei Gruppen: die präsentalen Formen, welche das finite Verb im Präsens enthalten (Präsens, Perfekt, Futurum I) und die präteritalen Formen mit dem finiten Verb im Präteritum (Präteritum, Plusquamperfekt). Die erste Gruppe nennt man den Konjunktiv I oder den Konjunktiv der 1. Stammform, die zweite wird Konjunktiv II oder der Konjunktiv der 2. Stammform genannt. Jede dieser Gruppen hat ihre eigene Funktion; doch können sie in bestimmten Fällen einander ersetzen, vertreten, ergänzen, was die Regeln ihres Gebrauchs noch komplizierter macht.
Der Konjunktiv II hat die potential-irreale Modalität: er bezeichnet eine Handlung, die nur gedacht, nur vorgestellt wird. Er weist zwei temporale Stufen auf: 1) nicht vergangen, d.h. Gegenwart oder Zukunft, die durch das Präteritum ausgedrückt wird; 2) vergangen, zu deren Ausdruck das Plusquamperfekt dient. Diese absolute zeitliche Bedeutung ist mit der modalen verflochten: eine vorgestellte Handlung in der Gegenwart oder Zukunft ist noch potential möglich; ein gedachtes Geschehen in der Vergangenheit ist nicht mehr möglich, also irreal.
Diese zwei konjunktivischen Zeitformen können durch die umschriebenen analytischen Formen, den Konditionalis I (er würde kommen) und Konditionalis II (er würde gekommen sein) ersetzt werden. Ihre Bedeutung unterscheidet sich durch nichts von der Bedeutung vom Präteritum und Plusquamperfekt, doch ist die Sphäre ihres Gebrauchs etwas anders. Die beiden präteritalen Formen des Konjunktivs können in jedem Satz mit der potentialen, bzw. irrealen Bedeutung gebraucht werden. Es können einfache Sätze sein und zwar Wunschsätze (Wäre die Kleine bald gesund! Hätte ich mich (damals) nicht erkältet!) oder Aussagesätze (Ich hätte den Zug beinahe verpasst). In beiden Fällen ist der Konditionalis nicht gebräuchlich. Dagegen sind die Aussagesätze: Ich ginge gerne mit – Ich würde gerne mitgehen. Jeder von uns hätte dir geholfen – Jeder von uns würde dir geholfen haben – vollkommen synonym. Im Satzgefüge kann der Konjunktiv, je nach der Modalität beider Teile des Satzes, in einem der Sätze, oder auch in beiden Teilen gebraucht werden. Er kann nur im Hauptsatz stehen (Ich nähme gerne ein Kleid, das für das kalte Wetter passt. Ich wäre gerne etwas früher gekommen, als wir es verabredet haben. Du hättest Rolf auch nicht verstanden, weil die Verbindung schlecht war). In anderen Fällen wird der Konjunktiv nur im Nebensatz gebraucht (Helga musste bereits um vier aufstehen, weil sie sich sonst verspätet hätte. Die Mutter suchte Stoffe aus, die nicht zu teuer wären). Für einige Arten der Nebensätze ist der Konjunktiv Norm (Die Nachtschwester versorgte (ухаживала) die Kranke, ohne dass die anderen Patienten erwacht wären). Der gleiche Modus erscheint in beiden Teilen des Satzgefüges mit einem Konditionalsatz (Hätte Lissy keine Stunde, käme sie früher. Hätte Hans das Telegramm gestern bekommen, wäre er bereits in der Nacht abgereist.
Überall kann der Konjunktiv durch den Konditionalis ersetzt werden. Früher warnte man vor dem Gebrauch des Konditionalis in den Bedingungssätzen, in der letzten Zeit erscheint er auch hier (Wenn sie mich schicken würden, ginge ich). Der Konditionalis I ist viel mehr verbreitet als der Konditionalis II. Vielleicht ist es damit verbunden, dass der letzte dreiteilig ist und darum ist im Gebrauch unbequem. Was den Gebrauch des Konditionalis I betrifft, so sind hier die Meinungen auch verschieden: sein Gebrauch in der zusammenhängenden Rede setzt die häufige Wiederholung des Hilfsverbs "werden" voraus. Das wirkt manchmal stilistisch unbeholfen (неуклюже). Gleichzeitig lässt er den Gebrauch des Präteritums Konjunktiv vermeiden, dessen Formen bei den starken Verben nicht immer leicht zu behalten sind. Bei den schwachen Verben, wo die Formen des Indikativs und des Konjunktivs oft zusammenfallen, lässt der Konditionalis die Modalität deutlich erkennen. (Hier soll es niemand geben, der warten würde?). Es ist nicht zu vergessen, dass die Formen des Konjunktivs und des Konditionalis polysemantisch sind und in anderen Texten keine Unwirklichkeit ausdrücken.
Eigentümlich ist der Gebrauch der Modi in drei Arten der Nebensätze, und zwar in den Finalsätzen (придаточные предложения цели), in den Konzessivsätzen (уступительное придаточное предложение) und in den Sätzen mit dem irrealen Vergleich.
Das Geschehen in einem Finalsatz ist immer bevorstehend inbezug auf die Handlung des Hauptsatzes und durchaus (вполне, совершенно) möglich. Darum kann das Prädikat ebenso gut in Präsens und Präteritum (falls das ganze Geschehen sich auf die Vergangenheit bezieht) Indikativ, wie auch im Präteritum Konjunktiv stehen. Gebräuchlich ist aber auch das Präsens Konjunktiv, so dass es immer drei synonyme Formen gibt: Walter beschwert den Brief, damit er nicht fortfliegt/ fortfliege/fortflöge. Edith legte das Buch auf den Tisch, damit Siegfried es gleich sah/sehe/sähe.
Das Geschehen in einem Konzessivsatz (придаточные уступительные) stellt einen Grund dar, der unzureichend (недостаточно) ist, um die Handlung eines anderen Satzes zu verhindern. Dieses Hindernis kann als wirklich oder als unwirklich gedacht werden. Im letzten Fall wird der Konjunktiv II in seiner absoluten Bedeutung verwendet (Katlin entscheidet sich für das rotgeblümte Sommerkleidchen, obwohl die Hose heute für das Motorrad vielleicht praktischer wäre). In einigen Konzessivsätzen erscheint aber auch Präsens Konjunktiv (Kein Gast, und sei er hoch so erstaunlich, kann einen erfahrenen Gastwirt in Erstaunen setzen).
In den Sätzen mit dem irrealen Vergleich wird der Konjunktiv I vorgezogen. Seine Zeitformen werden hier relativ gebraucht. Unabhängig davon, ob die Handlung des Hauptsatzes in der Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit vor sich geht, bezeichnet Präsens Konjunktiv die Gleichzeitigkeit, Perfekt die Vorzeitigkeit und Futurum I die Nachzeitigkeit inbezug auf dieses Geschehen (Jetzt sieht/sah es aus, als müsse Helga pünktlich zu einer Arbeit. Sekundenlang herrscht/herrschte Schweigen, als habe ein Blitz im Zimmer eingeschlagen. Jürgen spannt/spannte sich, als würde er gleich aufspringen). Diese Formen können durch den Konjunktiv II ersetzt werden (Deine Stimme klingt, als ob sie hier im Zimmer spräche. Um Hans war es so finster, als hätte er die Augen geschlossen. Es zischte und pfiff, als ob die Wände bersten würden). Nur im letzten Satz, wo der Konditionalis I die Nachzeitigkeit angibt, wäre Futurum Konjunktiv mit dem Indikativ zusammengefallen. Es kommt vor, dass die beiden Konjunktive abwechselnd gebraucht werden (Walter hörte nichts, als läge er tief im Innern der Erde, als sei er lebendig begraben). In diesen Sätzen sind die Formen der Konjunktive I und II synonym.
Eine besondere Funktion des deutschen Konjunktivs ist sein Gebrauch zur Wiedergabe der fremden Rede. Auch hier haben seine Formen relative zeitliche Bedeutung. Auch hier wird der Konjunktiv I vorgezogen, kann aber durch den Konjunktiv II ersetzt werden (Sie müsse verstehen, schrieb Karl-Heinz, dass er sie nicht besuchen könne, es würde sie gefährden (подвергать опасности). Jürgen sagte, Wolfgang sei nicht nach Hause gekommen. Seine Mutter sei beunruhigt und hätte ihn ins Dorf geschickt, um die Station zu erreichen). Die Funktion des Konjunktivs besteht darin, die vermittelte Rede zu markieren. In einigen Arbeiten wird vermutet, dass der Konjunktiv I in diesem Falle die fremden Worte unbeteiligt wiedergibt, während der Konjunktiv II ihre Einschätzung, und zwar Zweifel enthält.
Der Konjunktiv I kann auch in einem einfachen Satz auftreten. Er drückt dann einen Wunsch aus, dessen Erfüllung möglich erscheint (Es lebe unsere Jugend!). Eine heischende Bedeutung bekommt der Konjunktiv I in den Anweisungen und Vorschriften (Man nehme etwas Salz, gebe es in ein Glas, gieße Wasser nach und rühre um). Auf solche Weise wird die Aufforderung in der Form der 3. Person an einen nicht genannten Partner adressiert.
Der Gebrauch des Konjunktivs ist eines der schwersten Kapitel der deutschen Grammatik. Hier werden viele Widersprüche beobachtet, die unterschiedlich interpretiert werden. Manche Forscher sind der Meinung, der Konjunktiv trete immer mehr zu Gunsten des Indikativs zurück. Aber diese Meinung hat sich bis jetzt kaum bewahrheitet.
Der Imperativ entspricht in seiner Grundbedeutung dem russischen повелительное наклонение. Es ist der Modus der Aufforderung, des Heischens, der Anregung. Die Schattierungen der heischenden Modalität können sich variiren: es kann ein strikter (строгий, категоричный) Befehl, eine Aufforderung, eine Empfehlung, eine Mahnung, ein Verbot, eine Drohung, eine Bitte, ein Flehen sein. Zur Präzisierung dienen die Kontextelemente und die Intonation. Die Aufforderung ist immer an den Sprechpartner gerichtet, darum hat der Imperativ nur die Formen der 2. Person im Sg. und im Pl. Die Personalangabe wäre überflüssig, die Imperativsätze sind gewöhnlich subjektlos. Das Subjekt wird in seltenen Fällen genannt, wenn man es betonen will (Gib du mir das Buch! Bringt ihr die Blumen!). Die Höflichkeitsform ist später entstanden. Sie fällt mit der 3. Person Pl. Präsens Indikativ zusammen und wird durch das nachgestellte Personalpronomen markiert (Kommen Sie!). Die sogenannte "inklusive" (включительно) Form wird gebraucht, wenn der Sprechende einige Personen auffordert, mit ihm zusammen an einer Handlung teilzunehmen (Beeilen wir uns! Lesen wir!).
Die Aufforderung setzt immer eine bevorstehende Handlung voraus, darum besitzt der Imperativ keine Kategorie der Zeit. Die Handlung ist noch nicht vollbracht, aber wird als möglich und real betrachtet. Einige Verben, die ihrer Semantik nach keine Aufforderung zulassen (bekommen, gelten, kennen, vermissen u.a.), bilden keinen Imperativ.
Die Aufforderung kann nicht nur durch den Imperativ, sondern auch durch viele andere Mittel ausgedrückt werden. Durch die Form des Präsens (Du bleibst!) und des Futurums Indikativ (Du wirst schon gehorchen!), des Präsens Konjunktiv (Man störe die Nachbarn nicht!). Außer diesen Formen dient zu diesem Zwecke auch das Passiv (Der Fall wird genau geprüft!). Die Aufforderung drücken die infinitiven Formen aus, d.h. der Infinitiv (Nicht kanten! Alles aussteigen! Ruhe bewahren!) und das Partizip II (Aufgepasst! Abgesessen!). Die heischende Bedeutung haben die eingliedrigen unvollständigen Sätze (Ruhe! Zurück! Vorsicht! Einen Hammer! Ihm nach! Schnell! Hinaus! Ab!). Die Imperativbedeutung haben die alleinstehenden dass – und wenn Sätze (Dass du die Tasse nicht fallen lässt! Wenn du den Mund nicht hältst!).
Zu den lexikalischen Aufforderungsmitteln gehören die Modalverben (Du sollst rechtzeitig kommen! Der Apparat soll geprüft werden! Du darfst mich nicht unterbrechen. Du möchtest Geduld haben!), auch mehrere andere Verben (Ich fordere/verlange, dass du das Zimmer verlässt). Auf solche Weise kann der Befehl auch an die dritte Person adressiert werden (Ich verlange, dass er den Schlüssel abgibt).
Die auffordernde Bedeutung hat auch die Konstruktion sein +zu+Inf (Alle Fenster sind zu schließen).
In mehreren Fällen wird die Modalität der Anregung durch die Kombination mehrerer Elemente erzielt