
Die vierte Vorlesung. Das Verb.
(1)
Plan
Allgemeines über das Verb / 2St.
D
ie Person und die Zahl 2St.
Die Zeit.
D er Modus 2St.
Das Genus
Die Aktionalität
Die Nominalformen des Verbs / 2St.
Literatur.
Смирнова Н.В. Краткий курс теоретической грамматики нем.яз. М., 1972, с. 59-99
Admoni W. Der deutsche Sprachbau. Л.: Учпедгиз, 1960, с. 143-182
Moskalskaja O. Gr. der deutschen Gegenwartssprache M., Verlag "Hochschule", 1975, S. 55-145
Šendels E. Deutsche Grammatik, M., "Высшая школа", 1988, S. 14-126
1.Allgemeines über das Verb.
Moskalskaja: Viele Grammatiker heben die Vorrangsstellung des Verbs im Kreise der Wortart (WA) hervor. Viele Verfasser brechen mit der herkömmlicher Tradition, die aus der antiken Grammatik kommt, und bei der Beschreibung der WA mit dem Substantiv beginnt und stellen das Verb an die Spitze der Darstellung aller Wa (Erben, Glinz, Grebe, Moskalskaja, 55).
Das Verb ist die größte Wortklasse. Es macht etwa ein Viertel des Gesamtwortschatzes aus (Erben, 20). Das Verb ist die bedeutendste Wortklasse in grammatischer Hinsicht:
Es spielt dank seiner inhaltlichen Prägung die zentrale Rolle im Satz (S.). Die Verben "bezeichnen ein Geschehen oder Sein", sagt J.Erben, "liefern…den Aussagekern" (Erben, 20). Seine finiten Formen fungieren als Prädikat des Satzes, es ist das "Leitglied des Satzes" (Glinz, 97); das Verb ist "das satzbildende Wort", "das eigentliche Kraftzentrum in der geistigen Gesamtform des Satzes" (Glinz, 38).
Die satzbildende Kraft der finiten Formen des Verbs erklärt sich durch seine Valenz (Fügungspotenz, Fügungswert, Wertigkeit).
Als struktureller Mittelpunkt des Satzes besitzt das Verb ein reich ausgebautes System von grammatischen Kategorien: die Kategorien der Person, des Numerus, der Zeit, des Modus, des Genus verbi.
Das Zusammenspiel dieser Kategorien ergibt eine Fülle von Wortformen, die das Paradigma des Verbs unter allen anderen Wa auszeichnet.
Смирнова: Das Verb (das Zeitwort) nennt eine Tätigkeit, einen Vorgang, einen Zustand. Es ist eine umfangreiche und für die Verständigung sind wichtige Wa. Es verbindet sich mit einem Substantiv im Nominativ zu einem Satz, wobei eben das Verb die Verbindung zu einer Aussage macht: es zeigt durch seine Form die Rolle des Substantivs, die Zeit der Handlung, den Grad der Wirklichkeit. Darum ist das Verb in der konjugierten Form ein unentbehrliches (необходимый, незаменимый) Glied in jedem Satz. Die grammatischen Formen des Verbs sind gut ausgearbeitet und weisen auf eine grammatische Regelmäßigkeit auf. Im Satz kann das Verb sowohl in der konjugierten, finiten (gehe, gehst, geht), als auch in der unveränderlichen infiniten Form (gehen, gegangen) erscheinen.
Bei der Beschreibung eines Verbs zieht man drei Momente in Betracht: 1) seine morphologische Charakteristik, d.h. die Art der Formenbildung; 2) seine lexikalische Bedeutung und die damit verbundene Rolle in der Rede; 3) seine syntaktischen Eigenschaften, d.h. seine Beziehungen zu den anderen Gliedern der Prädikatsgruppe.
l Die morphologischen Eigenschaften eines Verbs kommen zum Vorschein bei der Bildung des Präteritums und des Partizips II, welche mit der Nennform, dem Infinitiv, zusammen die drei Grundformen bilden. Danach unterscheidet man: 1. starke Verben; 2. schwache Verben; 3. besondere Gruppe der schwachen Verben; 4. die Verben Präteritopräsentia; 5. die unregelmäßigen Verben. Bei Schendels (88:23) bekommt die dritte Gruppe die Benennung Verben mit dem Präsensumlaut.
Die starken Verben gehören zu der ältesten Schicht. Sie bilden ihre Grundformen mit Hilfe des Ablauts. Als Resultat der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Sprache gelten die sieben Ablautreihen (bei Admoni, Moskalskaja 7, bei Šendels 8). Die Zahl der Ablautreihen bei verschiedenen Sprachforschern ist verschiedenen 8,10,14,31; in letzteren Fällen gab es Gruppen, die nur 1-2. Verben zählten. Wir schließen uns der Einteilung der starke Verb an, die E.J. Šendels beschrieb, (S. 24-28) an.
Die Hauptmerkmale der starke Verben sind der Vokalwecksel des Wurzelmorphems, das Fehlen des Suffixes im Präteritum und das Suffixen im Partizip II. Der Vokalwechsel heißt Ablaut, er kann mannigfach sein. Jede Reihe unterscheidet sich durch ihre phonetischen Besonderheiten. Wenigen starken Verben ist noch der Konsonantenwechsel eigen: d-t, h-g.
Der Zahl der starken Verben im Deutschen beträgt etwa 160 (Šendels nennt die Zahl 150). Viele von diesen Verben sind unentbehrlich für die tägliche Verständigung, solche wie: geben, nehmen, sehen, sprechen, fahren, lesen, schreiben u.a. Keines davon ist monosemantisch: im Wörterbuch von Agricola sind mehrere Bedeutungen angeführt für geben (21), nehmen (12), kommen (18), lassen (11), schlagen (8), binden (8), fallen (7), laufen (9), schneiden (8). Viele starke Verben sind sehr produktiv bei der Bildung von Ableitungen und Zusammensetzungen. (vgl. binden, abbinden, anbinden, aufbinden, aneinanderbinden, auseinanderbinden, einbinden, entbinden, festbinden, hineinbinden, hochbinden, losbinden, nachbinden, umbinden, vorbinden, zubinden, zusammenbinden, unterbinden, verbinden u.a., wobei einige dieser Verben auch mehrdeutig sind, wie anbinden, verbinden u.a.)
Die Frequenz der starke Verb ist sehr hoch; mittels Präfixen, Halbpräfixen und Zusammensetzungen nimmt die Zahl der starke Verb ständig zu. Ihre Kombinationsmöglichkeiten sind unabsehbar, vgl. einige Neologismen: das Tonband besprechen "наговорить на магнитную пленку", fernsehen – "смотреть телепередачи", krankschreiben - "выдать больничный лист (справку)", gesundschreiben - "выдать справку о выздоровлении".
Der größte Teil der d-ten Verben folgt der schwachen Konjugation. Sie bilden ihre Grundformen nach dem einheitlichen Muster: sagen-sagte-gesagt. Das Hauptmerkmal der schwachen Verb ist die Bildung des Präteritums und des Partizip II mit Hilfe der sogenannten Dentalsuffixe - (e)te und –(e)t. Der Wurzelvokal bleibt unterändert. Die Varianten –ete und –et stellen sich ein, falls die Wurzel auf –d, -t oder auf eine Lautverbindung eines Geräuschlauts mit den Nasalen –m, -n (dm, tm, dn, gn, chn, u.a.) auslautet: arbeit- ete, gearbeit-et; widm-ete, gewidm-et; atm-ete, geatm-et; ordn-ete, geordn-et; begegn-ete, begegn-et; zeichn-ete, gezeichn-et.
Die schwachen Verben mit dem Präsensumlaut, manchmal als rückumlautende Verben bezeichnet. Sie bilden eine besondere Abart der schwachen Verben. Ihre Besonderheit ist geschichtlich zu erklären: im Infinitiv war der Stammvokal "a" noch in vorgermanischer Zeit unter dem Einfluß des Vokals der Folgesilbe (i oder j) umgelautet; im Präteritum gab es kein "i", also blieb der Stammvokal unverändert, die Grundformen waren: brennen-brannte-gebrannt. Früher gehörten zu derselben Gruppe auch die Verben wenden, senden, setzen u.a., die jetzt ihre Grundformen schwach bilden. Manchmal nennt man diese Gruppe Verben die Verben mit Rückumlaut oder rückumlautende Verben. Die erste Benennung – die schwachen Verben mit dem Präsensumlaut- wird vorgezogen, weil sie das Wesen der Verben klarer ausdrückt. Dazu gehören nur 7 Verben: brennen, kennen, nennen, rennen, wenden, senden, denken.
Die Präterito-Präsentia. Als Präteritopräsentien werden die Verben dürfen, können, müssen, mögen, sollen, wollen, wissen bezeichnet. Ihre Präsensformen entsprechen den Präteritalformen ablautender Verben, d.h. sie nehmen den Ablaut und präteritale Personalendungen an. Ursprünglich waren sie (außer wollen) starke Verben. Da ihre Präsensformen verlorengegangen waren, nahmen die alten Präteritalformen präsentische Bedeutung an; neue Formen für Präteritum und Partizip II wurden schwach gebildet. Verlorengegangen waren auch die indikativischen Präsensformen des Verbs "wollen"; an ihre Stelle traten die Formen des Präsens Optativ, die fehlenden Formen wurden schwach gebildet. Die Verben Präterito-Präsentia sind durch die einheitliche modale Bedeutung zu einer Gruppe verbunden.
Unregelmäßige Verben. Diese Gruppe umfaßt sieben Verben: sein, haben, werden, stehen, gehen, tun, bringen. Jedes dieser Verben weist auf besondere Formen auf, jedes hat seine Eigentümlichkeit (sieh: Šendels, 88: 36-37).
ll Vom semantischen Standpunkt aus/ unterscheidet man die Vollverben und die Hilfsverben. Die Vollverben haben eine deutlich ausgeprägte lexikalische Bedeutung, sie nennen einen Vorgang. Die Hilfsverben dienen zur Bildung der zusammengesetzten Formen und zum Ausdruck der grammatischen Kategorien. Eine solche Dientsrolle wird den Hilfsvebren der Zeit, den Hilfsverben der Modalität und den kopulativen Verben zugeschrieben. In den zusammengesetzten Zeitformen, wie auch im Passiv (hat gearbeitet, ist gekommen, wird singen, wurde gebeten) sind wirklich alle morphologischen Kennzeichen durch die konjugierte Form des Hilfsverbes ausgedrückt: sie zeigt Person, Zahl, Modus, Genus und, in Verbindung mit dem zweiten Glied, auch die Zeit, hat aber keine lexikalische Bedeutung. Die infinite Form dagegen ist grammatisch unmarkiert, trägt aber den ganzen Inhalt.
Die Bezeichnung die "Hilfsverben" ist gerechtfertigt, diese Verben sind desemantisiert. Es ist aber nicht zu vergessen, dass alle drei Verben (haben, sein, werden) nur in bestimmten Fällen die Dienstrolle spielen können. Sie können auch als Vollverben auftreten (Ich habe ein Buch. Ich war da. Es wird dunkel). In der Grammatik unterscheidet man vom semantischen Standpunkt aus die sog. Funktionsverben (sieh Šendels, 88:15). Dazu gehören die Modalverben und auch die Verben beginnen, anfangen, aufhören, abschließen, pflegen u.a. und die Verben bringen, kommem, gehen, u.a. als Bestandteil der sogenannten Streckformen.
In den Verbindungen der Art Modalverb+Infinitiv wird der Vorgang selbst im Infinitiv genannt, das Modalverb aber besorgt die ganze morphologische Charakteristik. Aber es behält auch seine Bedeutung (vgl. ich will, soll, kann, darf fragen). Es bestimmt dabei ganz genau die modale Schattierung.
Einige Vollverben in Verbindung mit zu+Inf können auch die modale Einschätzung ausdrücken (vgl. ich kann gut nähen. Ich verstehe gut zu nähen. auch: Sie weiß sich nicht zu fassen. Du brauchst nicht fortzugehen. Anna versuchte deutlich zu sprechen. Alle diese Verben treten in anderen Texten als Vollverben auf. Hier aber haben sie die modifizierende Bedeutung; dabei wird ihre eigentliche Bedeutung abgeschwächt.
Zu den Hilfsverben gehören auch kopulative Verben. Die kopulativen Verben haben die Aufgabe, zwei Substantive oder ein Substantiv mit einem Adjektiv zu verbinden. Im ersten Fall setzen sie ein Substantiv dem anderen gleich, im zweiten wird dem Substantiv ein Merkmal zugeschrieben. Auch in diesem Fall werden Person, Zahl, Zeit, Modus und Genus durch das Verb ausgedrückt. Dabei haben die kopulativen Verben (auch als Elementarverben bezeichnet) eine eigentümliche Bedeutung: sie nennen keinen Vorgang ; sie bezeichnen aber die Beziehung zwischen zwei Wörtern als eine Bestehende (Ich bin Student. Es ist kalt), als eine sich erst bildende (Ich werde Lehrer. Es wird kalt), als eine Dauernde (Sie blieb ruhig). In verschiedenen Arbeiten ist die Liste der Verben mit kopulativer Bedeutung verschieden lang: als Kopulas werden betrachtet z.B. gelten (Er gilt als tüchtig), dünken (Mir dünkt es wichtig), stehen (Der Teich stand voll Wasser), aussehen, bleiben, erscheinen, heißen, vorkommen. Es handelt sich um die Vollverben mit der kopulativen Bedeutung.
Die Verbindung des kopulativen Verbs mit dem Substantiv oder dem Adjektiv wird von der traditionellen Grammatik als nominales Prädikat betrachtet. In manchen Arbeiten wird das Vorhandensein des nominalen Prädikats abgestritten; das Verb wird als vollwertig, folglich als Prädikat betrachtet.
lll Nach den syntaktischen Eigenschaften, nach ihrer Verbindungsfähigkeit unterscheidet man:
subjektive (ergänzungsunfähige) Verben, welche einen auf das Subjekt beschränkten Vorgang nennen (Er steht auf. Er erwacht).
objektive Verben, welche eine Handlung bezeichnen, die auf ein Objekt gerichtet oder orientiert ist und darum ergänzungsfähig (Ich höre ja – Ich höre deine Worte; Ich esse bereits – Ich esse die Suppe) oder gar ergänzungsbedürftig sind (Ich hole einen Arzt. Ich folge deinem Rat).
Manche Sprachforscher weisen darauf hin, dass die subjektiven Verben immer intransitiv sind, objektive Verben aber können transitiv (d.h. sie verbinden sich mit dem Akkusativobjekt) und intransitiv sein (sie verbinden sich mit andersartigen Objekten). Die Opposition transitiv / intransitiv beruht auf einem anderen Prinzip: sie zeigt die Fähigkeit der meisten (nicht aller!) Verben mit dem Akkusativobjekt in zwei Genera aufzutreten (Ich lese das Buch – Das Buch wird von mir gelesen).
Im 20. Jh. wies L.Tesniere darauf hin, dass das Verb, welches den Kern jedes Satzes ausmacht, zugleich auch die Struktur des Satzes vorbestimmt, weil es bestimmte Zahl der "Actants", der Mitspieler, um sich haben kann. Als Actants treten die Substantive im Nom, Akk, und Dat oder ihre Äquivalente auf. Die Actants sind sinnnotwendig und der Zahl nach begrenzt. Andere Satzglieder, die Circonstantes, die Umstände sind fakultativ und der Zahl nach unbegrenzt. Nach der Zahl der Actants (0,1,2,3) unterscheidet Tesniere vier Gruppen von Verben. Die Fähigkeit der Verben, die Actants an sich heranzuziehen, verglich er mit der Eigenschaft der Atome, sich mit den anderen Atomen zu verbinden, und nannte sie die Valenz.
Dieser Begriff wurde später mehrseitig ausgearbeitet: es erschienen die Termini "äußere" (die Verbindungsfähigkeit der Wörter) und die innere (die Verknüpfbarkeit der Morpheme zwecks Wortbildung), die zentrifugale (die Fähigkeit anderer Wörter an sich zu ziehen, sich zu unterordnen) und die zentripetale (das Bestreben, sich an übergeordnete Wörter anzuschließen, was die Adjektive und die infinitiven Formen des Verbs charakterisiert), die syntaktische und die semastische (durch die Bedeutung des Wortes bestimmte und eingeschränkte) Valenz. Das Wort "Valenz" wurde durch "Wertigkeit" (J.Erben) und "Fügungspotenz" (W.Admoni) ersetzt.
Dem Valenzbegriff sind die Arbeiten von H.Brinkmann, J.Erben, G.Helbig, B.Abramow gewidmet. Hennig Brinkmann ersetzt das Wort "Aktant" durch "Mitspieler", ohne seine Bedeutung zu ändern. Er spricht, ebenso wie Tesniere von den nullstelligen (Es friert), einstelligen (Der Versuch ist mißglückt), zweistelligen (Du schreibst einen Brief) und dreistelligen (Ich habe ihm das Buch geschenkt) Verben. Er scheidet aber auch "erweitert einstellige" (Das Buch gehört mir) und "erweitert zweistellige" (Man hat ihn des Diebstahls beschuldigt) Verben aus. Da in diesen Sätzen jeder Mitspieler sinnnotwendig ist, wäre es richtiger, sie als zwei-bzw. dreistellige zu bezeichnen.
Johannes Erben weist auch darauf hin, dass das Schema des Satzes wesentlich (существленно) abhängig ist von der Wertigkeit des Verbs, welches den Aussagekern bildet und verschiedenartige Ergänzungsbestimmungen fordert. Als Ergänzungsbestimmungen betrachtet er nicht nur das Subjekt und die Kasusobjekte, sondern auch das Prädikativ, die Präpositionalobjekte und die Umstandsbestimmungen, falls sie strukturell notwendig sind. Er unterscheidet ein-, zwei-, drei- und vierwertige Verben und dementsprechend vier Modelle des deutschen Satzes. Die Form der Ergänzungsbestimmungen kann unterschiedlich sein: die zweistelligen Verben erscheinen in den Sätzen: Das Gebäude ist hoch. Werner ist Dreher. Erna liest ein Buch. Otto dankt dir. Fritz fährt an die Ostsee. Die dreistelligen Verben bilden die Sätze: Hilde nennt mich ihre Freundin (ehrgeizig, честолюбивый, тщеславный). Olga reicht mir die Hand. Ich hänge die Tabelle neben der Tafel.
W.G.Admoni spricht von der obligatorischen und von der fakultativen Fügungspotenz der Wa. Obligatorisch sind die Beziehungen, wenn das Wort im Satz nicht stehen kann, ohne daran teilzunehmen. (z.B. Das Verb "nehmen" kann ohne das Akkusativobjekt nicht auftreten – Ich nehme einen Bleistift; die Valenz ist obligatorisch; fakultativ ist die Valenz, wenn ein Wort sie entbehren kann, z.B. Darf ich hier warten? verglichen mit: Ich warte auf dich).
Gerhardt Helbig versucht den Valenzbegriff präzise zu fassen, um ihn später zu pädagogisieren. Er arbeitet die Methode heraus, die es erlaubt, die obligatorischen Satzglieder von den fakultativen zu unterscheiden. Er verwendert die sog. Weglaßprobe oder die Eliminierungstransformation. Wenn nach der Eliminierung eines Satzgliedes der Satzrest grammatisch richtig ist, so kann das eliminierte Glied als fakultativ betrachtet werden. Wenn der Satzrest ungrammatisch bleibt, so handelt es sich um ein strukturell notwendiges Satzglied, z.B. 1) Ich besuche ihn in Berlin; 2) Ich besuche ihn; 3) Ich besuche in Berlin; Der 3. Satz ist ungrammatisch; der zweite Satz ist grammatisch; folglich ist "ihn" ein obligatorisches; "in Berlin" aber ein fakultatives Satzglied. Neben den sinnnotwendigen Ergänzungen gibt es die fakultativen, die zahlenmäßig (количественно, по количеству) unbegrenzt sind und in jedem Satz beliebig weggelassen oder hinzugefügt werden können: das einstellige Verb "schlafen" kann z.B. in einem mehrgliedrigen Satz auftreten: Walter Fabig schlief nach getaner Arbeit ruhig und fest in seiner Kammer bei offenem Fenster. Dieser Satz kann beliebig erweitert werden. Die hinzugefügten Satzglieder ändern zwar wesentlich den Sinn des Satzes und vergrößern seinen informatorischen Wert, aber sie sind keineswegs von der Fügungspotenz des Verbs abhängig und können, zum Unterschied von den obligatorischen Satzgliedern, nicht vorausgesagt werden.
Die mehrdeutigen Verben weisen in verschiedenen Bedeutungen auch verschiedene Valenz auf, vgl. das einstellige Verb im Satz: "Der Wagen hält", das zweistellige im Satz: "Ich halte das Pferd", das dreistellige in den Fällen: "Ich halte ihm Treue", "Ich halte ihn für einen anständigen Mann".
Die quantitative (количественный) Valenz allein charakterisiert das Verb unvollkommen; darüber hinaus muß die qualitative Art der Valenz bestimmt werden, d.h. die Form der Glieder, die sich an dieses Verb anschließen, so steht nach dem Verb "sehen" ein Akkusativobjekt, nach "zuhören" ein Dativobjekt; "schenken" verlangt ein Akkusativ – und ein Dativobjekt; nach "legen" erscheinen ein Akkusativobjekt und eine Adverbialbestimmung des Ortes.
Außerdem unter'liegen (подлежат) die Mitspieler des Verbs oft bestimmten semantischen Beschränkungen: neben dem Verb "wohnen" ist nur ein Lebewesen als Subjekt denkbar; das Verb "stattfinden" läßt kein Lebewesen als Subjekt zu; "gratulieren" verlangt nach einem lebenden Objekt; das Verb "sehen" kann auf jedes belebtes oder unbelebtes Ding gerichtet werden.
Die syntaktischen Potenzen der deutschen Verben sind eingehend von B.A. Abramow untersucht worden. Er betont, die deutschen Verben besitzen immer eine zentrifugale und prädeterminierende (предобусловленная, предопределяющая) Potenz. Die syntaktischen Beziehungen zwischen dem Verb und dem untergeordneten Glied können subjektiv, objektiv, prädikativ und adverbial sein. Dabei kann jede Art der Valenz durch verschiedene Mittel aktualisiert werden (es gibt Akkusativ-, Dativ-, Genetiv- und Präpositionalobjekte, die Adverbialbestimmungen können durch Substantive und Adverbien ausgedrückt werden). Die deutschen Verben können ein- bis vierstellig sein.
Der Subjeknominativ wird fast von jedem Verb prädeterminiert, bei den einstelligen Verben ist er das einzige Glied. Diese einzige Subjektstelle kann durch die Substantive von verschiedenen semantischen Klassen bekleidet werden: für einige Verben (grübeln, schmunzeln) sind es Antroponomina (Bezeichnungen von Menschen), für andere (bellen, laichen-метать икру,нереститься, der Laich - икра) Faunomina (Bezeichnungen der Tiere), für die dritte Gruppe (gähnen, schlafen) – alle Lebewesen. Bei manchen Verben erscheinen als Subjekte nur Dinge, z.B. 'modern (гнить, тлеть, разлагаться), stattfinden. Aber "ausbleiben" und "umfallen" können sich auf Lebewesen und Dinge beziehen. Eine besondere Gruppe bilden die Witterungsverben (verba metereologica), die mit dem "unpersönlichen" Pronomen "es" verbunden sind.
Bei den zweistelligen Verben tritt am öftesten ein Lebewesen als Subjekt auf: von den 3000 untersuchten Verben fordern zwei Drittel das Objekt an der freien zweiten Stelle (u.z. 1300 ein Akkusativobjekt, 407 ein Präpositionalobjekt, 275 ein Dativobjekt und nur 31 ein Genitivobjekt). Die übrigen Verben haben als zweites Glied Adverbialbestimmungen: sie bezeichnen Ort und Richtung (sich im dritten Stock befinden, ins Institut gehen, sich in die Ecke setzen, nach der Ostsee fahren); Art und Weise der Handlung (günstig ablaufen, sich anständig aufführen, sich gut benehmen); Zeit (eine Stunde laufen, dauern; lange währen (высок. продолжаться, длиться).
Bei den zweistelligen Verben "sein, werden, bleiben, heißen, scheinen" charakterisiert das zweite Glied nicht das finite Verb, sondern das Subjekt des Satzes.
Die dreistelligen Verben verbinden sich stets mit einem Subjekt und einem Objekt.
Die dritte Stelle kann verschiedenartig besetzt werden, doch auch hier spielen die Objekte die Hauptrolle (einem die Auskunft verweigern – отказать, отклонить; einen zum Tanzen auffordern, einem zum Studium verhelfen, mit einem über das neue Stück diskutieren). Auch hier kommen als Subjekte meistenteils Personenbezeichnungen vor. Adverbialbestimmungen, die als drittes Glied auftreten, nennen Ort (etwas zur Seite schieben, etwas in der Ecke entdecken) oder Art und Weise (den Text ungefähr ausdeuten, mit dem Kinde wie einem Erwachsenen umgehen, einem gut bekommen (идти, служить на пользу). Prädikative Beziehungen drückt das dritte Glied aus in den Beispielsätzen: Der Plan mutete mich gefährlich an. – план кажется мне опасным; Man hält dich für reif – Тебя считают взрослым.
Die Vorlesung 4. Das Verb (2)
(2) Fortsetzung
2. Die Person und die Zahl