Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
Ежегодник российско-германского колледжа.doc
Скачиваний:
1
Добавлен:
01.04.2025
Размер:
2.04 Mб
Скачать

План действий

Уже осуществляемая и планируемая деятельность охватывает следующие пункты:

Конференции и рабочие совещания

- Международная конференция „Глобальная экологическая политика: устойчивое развитие, этика, экологический мониторинг - опыт и перспективы“ в Санкт Петербурге (город Пушкин), в сентябре 2000 г.

- Экологический форум «10 лет экологической политике в Центральной и Восточной Европе» в г. Карлсруэ, в октябре 2000 г

- Рабочие совещания в России и Германии в марте, июне и сентябре 2001 г.

Планируемые проекты

- МАУРТ, кафедра экономики предприятия Бременского университета и Международный институт глобальных проблем устойчивого развития Международного независимого эколого-политологического университета (МНЭПУ), Москва - совместный проект в области устойчивого хозяйственного развития и глобализации;

- МАУРТ, Исследовательский центр г. Карлсруэ, Институт философии РАН И Международный институт глобальных проблем устойчивого развития МНЭПУ - совместный проект в области оценки техники и устойчивого развития.

(Перевод В.Г. Горохова)

U. Fischer

Landesbischof der Ev. Kirche in Baden

DIE EVANGELISCHE KIRCHE IN UNSERER MULTIKULTURELLEN GESELLSCHAFT

1. Bemerkungen zum Begriff und zur Situation der multikulturellen Gesellschaft

Schon das Thema „Evangelische Kirche in einer multikulturellen Gesellschaft“ läßt ahnen, daß die Positionsbestimmung der Kirche in unserer Gesellschaft nicht mehr unstrittig ist. Hat der Stellenwert der Kirche in dieser Gesellschaft abgenommen, nachdem die Einheit von Kirche/Christentum und Gesellschaft zerbrochen ist? Ist die Kirche vom Platz in der ersten Reihe auf die Plätze im pluralen Parkett verbannt, nachdem auch das Gegenüber von Kirche und Gesellschaft einem Gegenüber vielfältiger Sinnanbieter auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten gewichen ist? Fühlen wir uns durch die Entstehung einer multikulturellen Gesellschaft verunsichert, nehmen wir diese Veränderung lieber gar nicht wahr oder bestreiten gar, daß der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ eine angemessene Bestimmung unserer gesellschaftlichen Situation ist?

In der Tat ist nicht zu bestreiten, daß der Begriff der Multikulturalität als Diagnosebegriff unserer Zeit insofern ungenügend ist, da er zugleich massive Wertungen impliziert. Von den einen wird Multikulturalität als Schreckbild, von anderen als Idealbild gehandelt. Beides aber stellt eine Verkürzung dar. Vielmehr ist die Vielfalt der Kulturen regional äußerst unterschiedlich verteilt: eine Grundschule in den Mannheimer Quadraten ist etwas völlig anderes als eine im südlichen Schwarzwarzwald. Es gibt innerhalb der kulturellen Vielfalt wiederum eine solche Vielfalt, die keineswegs das Urteil zuließe, das christliche Abendland sei generell einem religiösen Pluralismus gewichen. Es gibt - auch in unserer badischen Landeskirche - eben gerade die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, und das schafft Konflikte. Es gibt Menschen, die Kopftücher tragen, und solche, die keine Kopftücher tragen, und die Kopftücher der Aussiedlerinnen sind wiederum ganz anderes zu deuten als die muslimischer Lehrerinnen. Und inmitten dieser verwirrenden Vielfalt wächst das Bedürfnis nach Geborgenheit, nach Eindeutigkeit, nach Beheimatung und damit nicht selten auch die Gefahr eines Fundamentalismus, der sich mit Gewalt gegen die aufbrechende Vielfalt des Multikulturellen sperrt.

So ist es auch kein Zufall, daß wir Evangelischen angesichts der verwirrenden Vielfalt des Multikulturellen danach zu fragen beginnen, was unser Profil ist, was uns von anderen unterscheidet. Die erfahrene Vielfalt läßt nach dem eigenen Profil fragen, nun aber hoffentlich nicht in der Weise, daß wir fundamentalistische Schutzwälle gegen die „multikulturelle“ Gesellschaft errichten, sondern so, daß wir wichtige Eigenheiten des Evangelischen in den Diskurs dieser Gesellschaft und in die Auseinandersetzung der Religionen, Weltanschauungen und Kulturen einzubringen versuchen. Gefordert also ist von uns das, was der Verfasser des 1. Petrusbriefes meint, wenn er zur Rechenschaft mahnt über die Hoffnung, die in uns ist. Reden wir doch der Gesellschaft gegenüber endlich weniger von unserer Geldsorgen, jammern wir doch endlich weniger über angeblich leere Kirchenbänke, die so leer gar nicht sind, und nutzen wir doch die gesellschaftliche Situation endlich dazu, Eigenheiten des Christlichen, des Evangelischen im Gegenüber zu anderen Lebens-, Welt- und Gottesverständnissen herauszuarbeiten, zu zeigen und darzustellen! Dabei wird es darauf ankommen, das Bezogensein unseres christlichen Glaubens auf die Erlösung in Jesus Christus so zur Sprache zu bringen, daß nicht etwa evangelische Mauern gegenüber der multikulturellen Gesellschaft aufgebaut werden, sondern auf das Evangelische neugierig gemacht wird.

2. Evangelische Eigenheiten

Um attraktive Zugänge zum Evangelischen in unserer Gesellschaft also wird es im folgenden zweiten Teil meines Referates gehen, und damit kommt - wenn auch nicht eigens thematisiert - die missionarische Dimension unseres evangelischen Kircheseins zur Sprache. Erinnern möchte ich in diesem zweiten Teil an vier evangelische Eigenheiten, die wir in das gesellschaftliche Miteinander einzubringen haben - attraktiv, selbstbewußt und werbend, wie ich hoffe.

2.1 Evangelische Frömmigkeit

Gehen wir heute in eine Buchhandlung und suchen die Abteilung Lebenshilfe/Esoterik auf, so werden wir hier mit einer Weltsicht konfrontiert, welche die Geheimnisse menschlicher Lebensmöglichkeiten erschließt. Von geistigen Kraftquellen ist da die Rede, von Energieströmen, mit denen wir uns verbinden können, von schier unerschöpflichen Energieressourcen, und wir werden aufgefordert, diese Lebensmöglichkeiten zu erkennen und positiv zu entwickeln. Christlicher Glaube dagegen spricht den Menschen nicht auf die in ihm schlummernden Entwicklungsmöglichkeiten an, sondern darauf, daß Leben mehr ist, als wir aus ihm machen. Wir sind mehr und anders als wir selbst denken, erleben, fühlen oder glauben, weil wir leben von einem Gegenüber, einem Du. Nach christlichem Verständnis eignet unserem Leben eine Tiefe, die wir nicht durch eigene Entwicklungen ergründen können, sondern die nur aus der Beziehung zu einem Gegenüber, aus der Beziehung zu Gott heraus begründet ist. Das ist der Kern der Rechtfertigungsbotschaft. Christliche Vergewisserung ist also „beziehungsorientiert“, nicht primär „entwicklungsorientiert“. Trost und Sinnvergewisserung ereignen sich in Texten der christlichen Tradition vor allem, indem auf das Mitsein, die Begleitung Gottes, auf das „Fürchte dich nicht!“ verwiesen wird; im Abendmahl geht es um die Beziehung zu Jesus Christus, nicht um eine „Arznei der Unsterblichkeit“, und der Geist Gottes ist keine anonyme Kraftquelle, sondern wirkt als der lebendigmachende Herr in der Gemeinde durch die Beziehung von Menschen.

Der Verzicht auf eine personale Sprache und ihre konsequente Ersetzung durch entwicklungsorientierte Vorstellungen würde unsere evangelische Frömmigkeit verändern. Wo bliebe dieses Urvertrauen, das aus den Worten der Psalmisten spricht: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ und „wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde“? Und wo bliebe die Gewißheit, daß Segen anderes ist als eine unpersönliche Kraftquelle, nämlich eine Zusage des uns in seiner Hand haltenden Gottes? Wo sich Spiritualität ausschließlich in entwicklungsorientierten Mustern ausdrückt, kommt es letztlich zu schweren Belastungen für die Menschen. Leidende und sich irgendwie „unvollendet“ Erlebende sind dann selber „schuld“, weil sie sich nicht in Richtung Ganzheit weiterentwickeln, weil sie die in ihnen ruhenden Lebensmöglichkeiten nicht selbst entfalten und es nicht schaffen, sich ihren Lebenssinn selbst zu konstruieren. Oft aber läßt sich in Lebensschicksalen Sinn nicht finden. Zwischen einem realistischen, auch das Scheitern nicht verdrängenden Menschenbild und den beziehungsbegründeten Hoffnungs- und Trostaussagen christlicher Tradition besteht ein enger Zusammenhang. Das Unfertige, das Fragmentarische des Lebens ist eben nicht etwas zu Negierendes. Vor Gott dürfen auch die für uns Menschen uneinsichtigen Seiten des Lebens benannt werden in der Hoffnung auf Annahme, auf Trost, auf Vergebung. Die Brüche des Lebens können aufgehoben werden in der Beziehung zu Gott, dem Vater, zu Jesus Christus, dem Herrn und Bruder, und zum Heiligen Geist, der in der Gemeinschaft der Heiligen wirkt. Die Brüche des Lebens müssen in einer evangelischen Frömmigkeit nicht unter dem Zwang zu positivem Denken verdrängt werden.

2.2. Die Verbindung von Glauben und Tun

Eine beziehungsorientierte Frömmigkeit hat ethische Konsequenzen. Wer aus einer Beziehung im Glauben lebt, dem ist auch im alltäglichen Leben die Gestaltung sozialer Beziehungen wichtig. „Wer Gott liebt, der wird auch seine Geschwister lieben“ (nach 1 Joh 4). So besteht eine Korrespondenz zwischen beziehungsbegründetem Glauben und sozialer Verantwortung. Auf die urreligiösen Fragen des Menschen „Wo komme ich her, wo gehe ich hin“ antwortet christlicher Glaube, indem er auf den unverfügbaren und sein Heil schenkenden Gott verweist. Deshalb ist Kirche zu allererst ein Raum zum Beten, ein Erfahrungsraum für die Begegnung mit Gott; dann aber auch ein Raum, wo Menschen wieder mit ihrem Alltag und ihren sozialen Verantwortungen verbunden werden, weil der dreieinige Gott nicht nur als Erlöser, sondern auch als Schöpfer und Erhalter der Welt begegnet und als der Herr, der in seine Nachfolge ruft. So belebt die Kirche den Raum alltäglicher, sozialer und politischer Verantwortung. Sie verknüpft das Trostwort an die Glaubenden mit dem Sozialwort für alle im Bereich der Gesellschaft Verantwortung Tragenden. Diese enge Verknüpfung von Glauben und Tun, von Spiritualität und Ethik ist eine Eigenheit und Stärke evangelischen Kircheseins. Der Alltag der Welt ist für die Evangelischen nichts Nebensächliches, es ist der Bewährungsort des Glaubens. Im Alltag der Welt findet der Gottesdienst seine Fortsetzung. Das ist die Kernaussage des von Luther wiederentdeckten Priestertums aller Glaubenden, auf das wir zu Recht als Spezifikum evangelischen Kircheseins stolz sind, das wir aber gegenüber unserer Gesellschaft viel deutlicher herausarbeiten müßten.

2.3. Die Unterscheidung von letzten und vorletzten Dingen

Der Raum, in dem es um die Gestaltung des Lebens geht, ist der Raum der Gesellschaft, und hier sind wir Evangelischen nicht unter uns. Vielmehr leben wir - wie eingangs skizziert - zusammen mit Menschen anderer Kulturen, Religionen und Weltanschauungen. Hinsichtlich des Einbringens evangelischer Positionen in den gesellschaftlichen Diskurs ist die von Dietrich Bonhoeffer getroffene Unterscheidung zwischen den „letzten“ und den „vorletzten“ Dingen von besonderer Bedeutung. Der Glaube der Christinnen und Christen betrifft insofern das ganze Leben, als er gerade zur Unterscheidung anleitet, was eine Frage des Glaubens und was eine Frage etwa der Wissenschaft, der ökonomischen und politischen Vernunft ist. Christlicher Glaube unterscheidet, was Gott und was Nicht-Gott, was Schöpfer und was Schöpfung ist. Damit wehrt er Totalansprüche jedes innerweltlichen Bereichs ab und gibt ihn zur vernünftigen Prüfung frei. So gehört der christliche Glaube zu den Wurzeln eines vernünftigen, nicht magischen Umgangs mit der Welt. Und so widersteht der Glaube an ein „Letztes“, das nicht Gegenstand dieser Welt ist, jeder totalitären Heilslehre, welche die Freiheit beschneidet.

Die Unterscheidung zwischen letzten und vorletzten Dingen impliziert also einen Widerspruch gegen jeden Fundamentalismus und befreit zum gesellschaftlichen Diskurs. Sie eröffnet einen weiten Raum von ethischen, politischen und kulturellen Möglichkeiten, bei denen es nicht um ein Bekenntnis des Glaubens geht, sondern um das Suchen nach den jeweils besseren Formen des Miteinanders, nicht um das Heil, sondern um das Wohl der Menschen. Auch die Trennung von Staat und Kirche und das Selbstverständnis des Staates als eines in religiöser Hinsicht neutralen wird auf dem Hintergrund dieser christlichen Traditionslinie begreifbar, und der säkulare Staat bleibt auf diese Traditionen angewiesen, wenn er nicht totalitär werden will. Gerade weil der Staat nicht selbst Religion sein will, muß er den Religionsgemeinschaften Raum in der Öffentlichkeit geben. Und gerade weil wir wissen, daß nicht alles eine Frage der Religion ist, müssen wir als Evangelische an einem weltanschaulich neutralen Staat höchstes Interesse haben.

2.4. Die Besonderheit religiöser Sprache

In einer doppelten Frontstellung ist es für den gesellschaftlichen Diskurs wichtig, daß evangelische Kirche den Sinn und Geschmack für den eigenständigen Bereich des Religiösen weckt. Sowohl einer rationalistischen Weltsicht gilt es zu wehren, für die allein zählt, was sich im Experiment beweisen läßt, wie auch jeder Verformung religiöser Inhalte zu einem bloßen Tatsachenwissen, das dann womöglich auf einer Ebene mit den Naturwissenschaften steht. Bei Religion geht es nicht um etwas, was wir pragmatisch beherrschen oder theoretisch wissen, sondern es geht bei Religion um Sinndeutung des Lebens. Religion hat ihre Wurzeln nicht in unserem Handeln, aber auch nicht in unserem Denken. Um mit Schleiermacher zu sprechen, ist Religion eine Sache des Gefühls, des frommen Selbstbewußtseins, oder - wie wir auch sagen können - des Herzens. Die Sprache der Religion als Sprache des Herzens ist deshalb eine metaphorische. Sie erhebt nicht den Anspruch, Wissen zu vermitteln, wohl aber Gewißheit auszusprechen. Die Sprache der Religion erinnert uns daran, daß es einen eigenen Bereich des Glaubens gibt, der nicht Wissen sein will, der es sich aber auch nicht gefallen lassen muß, durch Wissenschaft bestritten zu werden. Diese selbstbewußte Selbstbeschränkung des Glaubens bewahrt uns auf der einen Seite vor einem weltanschaulichen Rationalismus, der meint, die ganze Welt erklären zu können, auf der anderen Seite aber auch vor einem religiösen Fundamentalismus, der meint, den Geltungsbereich des Glaubens grenzenlos ausdehnen zu dürfen. Die evangelische Anerkennung eines Bereiches des Glaubens bewahrt deshalb die Wissenschaft vor einer Grenzüberschreitung, die sie selbst zum Glauben machen würde, und sie bewahrt unseren Glauben davor, zu einer anderen Form des Wissens zu werden.

3. Eine biblische fundierte Vision von evangelischer Kirche in einer multikulturellen Gesellschaft

Was ist der Sinn dieser Erinnerungen an vier evangelischen Eigenheiten? Mit der Erinnerung an diese Eigenheiten wollte ich umschreiben, was evangelische Identität ausmacht und verdeutlichen, welche Kraft unsere evangelische Identität für das Leben in unserer Gesellschaft entwickeln kann, wenn wir denn diese Eigenheiten selbstbewußt in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Ging es also im 1. Teil meines Referats um eine Skizzierung der Mulitikulturalität unserer Gesellschaft, im 2. Teil um eine Klärung evangelischer Identität, die zur Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs befähigt, so möchte ich nun im 3.Teil meines Referates in etwas assoziativer Form andeuten, wie sich aus dem Gesagten und von biblischen Erinnerungen her eine Vision evangelischer Kirche in der multiulturellen Gesellschaft ergibt:

1. „Gehet hin“ (Mt 28,19), mit diesen Worten Jesu endet das Matthäusevangelium. Wie viele Impulse zu missionarischem Handeln wurden aus diesem sog. Missionsbefehl Jesu gezogen! Aber dennoch haben uns diese Worte Jesu nicht davor bewahrt, uns als Kirche weithin einzurichten und auf das Kommen der Menschen zu warten. Kirche muß aber in dieser multikulturellen Gesellschaft wieder gehende Kirche werden. Sie muß neu lernen, zu den Menschen mit ihren unterschiedlichen kulturellen Prägungen hinzugehen, ihnen nachzugehen. Sie muß aufsuchende Kirche werden. Dies kann sie aber nur, wenn sie Berührungsäng­ste gegenüber der Welt abbaut und sich einläßt auf die Menschen, deren Lebensstil und kulturelle Prägung und auf ihre religiösen Erwartungen, die immer neu entschlüsselt werden müssen.

2. „Ihr seid die königliche Priesterschaft“ (1 Petr 2,9), stellt der Verfasser des 1. Petrusbriefes fest. Damit sind alle Glieder der Kirche angesprochen, und dies mag nnochmals daran erinnern, daß es nach protestantischem Selbstverständnis eine wesenhafte Unterscheidung zwischen Priestern und Laien nicht geben kann. Evangelische Kirche der Zukunft muß die de facto in ihr vorhandene falsche Hierarchie zwischen Priestern und Laien überwinden und das Priestertum aller Glaubenden neu einüben. Sie muß bewußt machen, daß alle Gläubigen zum Auftrag und Dienst in der Welt berufen sind, daß alle Gläubigen etwas weitergeben können von der Wirklichkeit Gottes, die menschlichem Leben eine andere Tiefendimension und Ausrichtung gibt. Nicht durch theologisches Expertenwissen wird Gottes Wirklichkeit als eine helfende, zurechtbringende, ausrichtende Wirklichkeit erfahrbar gemacht, sondern durch das Glaubenszeugnis der Priesterschaft des ganzen Gottesvolkes.

3. „Wir sind durch einen Geist zu einem Leib getauft“ (1 Kor 12,13). Immer wieder bemüht Paulus das Bild des Leibes, um zu beschreiben, daß Kirche nur Kirche Jesu Christi sein kann, wenn sie gabenorientiert denkt und handelt. In der Erkenntnis, daß alle Christen Gaben besitzen, die sie in die Gestaltung der Kirche einbringen können, liegt zugleich ein kritisches Korrektiv gegenüber manchen kirchlichen Ordnungs- und Machtstrukturen, die es natürlich in unserer Kirche geben muß, die aber begrenzt und gabenorientiert gestal­tet werden müssen. Nicht die Frage „Wer darf hier was tun?“ darf leitend sein, sondern die Frage „Wer kann was am besten tun?“ muß die Ordnung unserer Kirche gestalten helfen. Wir können der multikulturellen Gesellschaft nur begegnen, indem wir multicharismatisch denken und handeln lernen.

4. „Lasset die Kinder zu mir kommen“ (Mk 10,14), dieses Wort Jesu haben wir zwar für unsere kirchliche Taufpraxis in Anspruch genommen, aber längst noch nicht in seiner Grundsätzlichkeit für unser Kirchesein eingelöst. Kirche aus der Perspektive von Kindern zu entwickeln, kirchliches Leben so zu gestalten, daß Kin­der nicht nur geduldet sind, sondern daß ihr Glauben, ihre Frömmigkeit, ihr Lachen, ihre Dankbarkeit, kurz: ihre Gaben, durchgängig hineinwirken in die Gemeinschaft der Glaubenden, das steht als Aufgabe an. Kindgerechte, kinderfreundliche, auf Kinder hörende, von den Kindern lernende Kirche zu werden, das würde uns befreien von mancher Verengung, von mancher Denklastigkeit und von mancher Verkopfung, die unser kirchliches Leben prägt. Dies würde auch deutlich dem Mißverständnis wehren, als ginge es beim christlichen Glauben um eine Form des Wissens. Von den Kindern können wir in ganz besonderer Weise lernen, daß Religion eine Sache des Herzens ist.

5. „Ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Haus“ (1 Petr 2,5), fordert der Verfasser des 1. Petrusbriefes und entwickelt damit das Modell der Kirche als eines Hauses der lebendigen Steine. Ein Haus hat Zimmer, Türen und Fenster. So steht das Haus als Symbol für eine höchst kommunikative Einheit, denn innerhalb eines Hauses kann man nicht zusammenleben, ohne miteinander zu kommunizieren. Und ohne Fenster und Haustüren wäre man im Haus gefangen - ohne Kontakt zur Außenwelt. Als Haus der lebendigen Steine muß Kirche die Binnenkommunikation verbessern, wenn sie von ihren MitarbeiterInnen, den lebendigen Steinen, als eine gegliederte Einheit erfahren werden soll, und sie muß die Außenkommunikation verbessern, wenn sie als ein einladendes Haus wahrgenommen werden will. Welche Informationsverluste nehmen wir eigentlich täglich fahrlässig in Kauf! Und welches Signal setzen wir eigentlich jeden Tag neu mit den verschlossenen Türen an evangelischen Kirchen! Kirche als Haus der lebendigen Steine muß zu einer Kirche mit einer geregelten und eingeübten Binnen- und Außenkommunikation werden. Bei der Gestaltung der Außenkommunikation wird es darauf ankommen, daß wir auch fremden Wahrheitsansprüchen anderer Kulturen und Religionen Achtung entgegenbringen, daß wir in diesem Diskurs das Ich-Sagen lernen: eigene Wahrheitsgewißheit ist Voraussetzung für ein fruchtbares Gespräch, daß wir damit rechnen, auch in den Diskurspartnerinnen und - partnern eine prophetische Stimme zu vernehmen, die unsere eigene Wahrheitsgewißheit berührt, daß wir lernen, auch die Differenzen zwischen Kulturen und Religionen auszuhalten und zu akzeptieren.

6. „Hier ist nicht Jude noch Grieche, denn ihr seid allesamt einer in Christus“ (Gal 3, 28), dieser Kernsatz des Paulus aus dem Galaterbrief deutet an, daß in der Kirche als der Gemeinschaft der Gerechtfertigten das Verschiedensein der Verschiedenen in einem doppelten Sinn aufgehoben ist. Kirche wird Zukunft nur gewinnen, wenn sie lernt, mit dem Verschiedensein ihrer Mitglieder anders umzugehen als mit dem bisher oft praktizierten Modell der Ausgrenzung, wenn sie also binnenkirchlich das zuläßt, was sie gesamtgesellschaftlich im Diskurs einfordert. Wir müssen uns - im Wissen um unser gemeinsames Angenommensein bei Gott - viel mehr Verschiedensein, viel mehr Pluralität bei gleichzeitigem Ringen um das Einssein zumuten, und dies gilt auch und ganz besonders im ökumenischen Kontext. Kirche der Zukunft muß innerkonfessionell wie interkonfessionell ein Profil der Vielfalt entwickeln, sie muß sich Erfahrungen des ökumenischen Lernens aussetzen, wenn sie Kraft zu einem glaubwürdigen Zeugnis gewinnen soll.

7. „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet...und hatten alle Dinge gemeinsam“ (Apg 2,42.44). Von ihren Anfängen her war und ist Kirche eucharistische Kirche, d.h. eine Kirche, die in der Feier des Abendmahls nicht nur ihr Zentrum hat, sondern die vom Abendmahl her alle Bereiche des Lebens in den Blick nimmt. Eucharistische Kirche ist eine Kirche, in der die Trennung von Gottesdienst und Weltdienst, von Sonntag und Alltag, von Abendmahl und sozialem Tun aufgehoben ist. Das am Tisch des Herrn geteilte Brot ist dasselbe, das im täglichen Leben miteinander geteilt wird, das Brot ist zugleich Leib des Herrn und Frucht der menschlichen Arbeit. Gottesdienst und soziales Tun, Kampf und Kontemplation, Gebet, Rückbesinnung auf die Lehre der Apostel und Weltzugewandtheit gehören in einer eucharistischen Kirche untrennbar zusammen. Diese Perspektive einer eucharistischen Kirche muß wiedergewonnen werden, wenn Kirche nicht zu einem Club weltabgewandter „Heiliger“ und die Welt nicht der Heillosigkeit anheimgegeben werden soll.

8. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebr. 13,14), mit diesen Worten erfaßt der Hebräerbrief die Kirche als das wandernde Gottesvolk, das in der Nachfolge Jesu Christi auf dem Weg ist durch die Zeiten hin zum verheißenen Ziel des Gottesreiches. Jede Vision von Kirche muß wissen um die Unterscheidung von „Letztem“ und „Vorletztem“, d.h. sie muß wissen darum, daß das verheißene Ziel Gottes nicht die Kirche selbst ist, sondern Gottes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens. Deshalb darf Kirche sich nie zum Selbstzweck machen, sondern muß in all ihrem Tun auf das verheißene Ziel Gottes verweisen und damit über sich selbst hinausweisen. Hängt manche Verbissenheit, mit der wir kirchliche Planung betreiben, nicht vielleicht auch damit zusammen, daß wir dieses weite Ziel aus den Augen verloren und das Unterwegssein zugunsten eines Sich-auf -Dauer-Einrichtens aufgegeben haben? Die Vorläufigkeit von Kirche wiederzuentdecken und ernstzunehmen, ist deshalb das Wichtigste beim Entwickeln von Visionen der Kirche.

Zusammenfassend nun meine aus realen biblischen Impulsen entwickelte Vision von Kirche, die ich in vier Glaubenssätzen formuliere: Ich glaube eine die Menschen aufsuchende Kirche, in der die falsche Hierarchie zwischen Priestern und Laien überwunden und das Priestertum aller Glaubenden neu einge übt wird. Ich glaube eine Kirche, in der die Orientierung an den Gaben der Einzelnen wichtiger ist als die Erhaltung von Ordnungs- und Machtstrukturen und die deshalb auch eine von den Kindern lernende Kirche sein kann und die in ökumenischer Offenheit ein Profil der Vielfalt entwickelt. Ich glaube eine Kirche, die als ein Haus der lebendigen Steine eine Kirche mit einer geregelten und eingeübten Binnen- und Außenkommunikation ist und in der als einer eucharistischen Kirche die Trennung von Gottesdienst und Alltag überwunden wird. Und ich glaube eine Kirche, die als wanderndes Gottesvolk niemals ihre Vorläufigkeit und ihr Ausgerichtetsein auf Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit vergißt.

Ich bin überzeugt daß in solchem Glauben evangelische Kirche in einer multikulturellen Gesellschaft selbstbewußt wirken und Zukunft mitgestalten kann.

У. Фишер

епископ евангелической церкви земли Баден-Вюртенберг