
- •Endozentrische vs. Exozentrische Komposita
- •Charakterisierung der semantischen Eigenschaften der Kompositionsmitglieder
- •Orthographischer Aspekt: Bindestriche in Mehrwortbenennungen
- •Kriterien für den Einsatz von Komposita im Deutschen
- •Übersetzungsparadigmen durch Benennungsparadigmen
- •Herstellung denotativer (d.H. Begrifflicher) Äquivalenz
- •Kompression
- •Kriterien, die den Einsatz von Komposita im Zielsprachen-Text verhindern
- •Anderweitig inhaltlich festgelegter Ausdruck
- •Falsche Bezüge von untergeordneten Satzgliedern
- •2.3. Textexterne Sprachnormung
Vorlesung: Spezialprobleme des Übersetzens
Anja Siebert SS 2013
Thema 1 – Komposita und ihre Übersetzung
Komposita und ihre Übersetzung (I)
Endozentrische vs. Exozentrische Komposita
endozentrische Komposita
exozentrische Komposita
benennen immer ein Exemplar der Klasse, die das Grundwort bezeichnet
Übergänge z.T. fließend
das, was sie benennen, stimmt nicht mit dem überein, was sie bezeichnen
Zeichen werden in direkter Bedeutung verwendet
Bestimmungswort in endozentrischen Komposita wird willkürlich gewählt (Terminologie, Klassifikationen, die in der Allgemeinsprache Eingang gefunden haben)
z.B. der Steinadler, die Bundesregierung, der Bundesbürger
Kompositum steht in seiner Gesamtheit für bestimmte Eigenschaften
Heraushebung einer Untermenge
Motivation verdunkelt
z.B. das Bauamt, die Straßenbahn, das Musikfestival
exozentrische Benennungen, bei denen ein Glied in direkter Bedeutung gebraucht wird
z.B. der Schreihals, der Rabenvater, die Leseratte
Verwendung finden Tiernamen , Personennamen, Körperteile von Menschen, seltene Pflanzen oder andere Gegenstände
z.B. der Haudegen, der Schafskopf, die Rothaut, das Mauerblümchen
Ad-hoc Bildungen kommen sehr häufig vor
Ad-hoc Bildungen sind in publizistischen Texten möglich, seltener ad-hoc Bildungen von Terminologie (Normung, aber Übersetzungen)
mehrheitlich im Lexikon fixiert, kaum Ad-hoc-Bildungen, wenn ja nur durch Kontext erschließbar
Bedeutung kann im Prinzip aus den Einzelbedeutungen des Grund- und des Bestimmungswortes erschlossen werden
Die Bedeutung des Kompositums muss als Gesamtheit erfasst werden.
Die Bedeutungserschließung aus einzelnen Teilen ist nicht oder nur unvollständig möglich.
Charakterisierung der semantischen Eigenschaften der Kompositionsmitglieder
gleiche Verstehensvoraussetzungen bei Kommunikationspartnern einer Sprechergemeinschaft in Bezug auf allgemeinsprachlichen Text gleicher Bestand an generischem, episodischem, sprachlichem Wissen, um Text zu verstehen
trifft bedingt auf Übersetzer mit anderer Muttersprache zu
bestimmte Eigenschaften von Komposita erfordern Aktivierung einer bestimmten Art von Wissen
besondere Übersetzungsprobleme kann es in den folgenden Bereichen geben:
Sachwissen
landeskundliches Wissen, z. B. über die deutsche Steuergesetzgebung (z.B. Mehrwertsteuer)
Fachwissen eines Sachgebietes, z.B. über den Eisenbahnbau (z.B. Transrapid-Projekt)
anderes generisches Wissen, z.B. eine Milliarde = 109
Inhaltliche Komplexität des Kompositums
Schwierigkeiten bei der Bestimmung der semantischen Beziehung der Glieder (z.B. Anschubfinanzierung)
Verwendung von Benennungen mit euphemistischer Komponente, um negative Aussagen zu beschönigen (z.B. Lohneinschnitte statt Lohnkürzungen)
Ungenauigkeit der Benennung eines der Glieder (z.B. Spitzengespräch – welche Spitzen?)
Konnotation eines oder mehrerer Glieder eines Kompositums
eindeutige sprachliche Markierung (z.B. umgangssprachlich, metaphorischer Gebrauch usw.)
Ad-hoc-Bildungen
Ausnutzung des Prinzips der Analogiebildung zur Verkürzung der Informationsangabe, z.B. das Acht-Punkte-Programm
volle Ausnutzung des Potentials des Wortbildungsmusters Kompositum, alle möglichen Wortarten können Eingang finden, z.B. Anti-Terror-Gesetze
Kontextbezogenheit
Bildung des Kompositums unter dem Einsatz von kontextuellen Synonymen zur Wiederaufnahme bestimmter vorhergegangener Information und zur Vermeidung von Wiederholungen, meist Ad-hoc-Bildungen (z.B. Arbeitnehmervertreter anstatt Betriebsrat)
Fehlende semantische Einheiten
im Kompositum werden nur Schlüsselwörter der gesamten semantischen Einheit genannt, z.B. Leistungskürzungen
Übersicht
Eigenschaften von Komposita |
Aktivierung von Wissen |
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Aktivierung landeskundlichen Wissens |
z.B. die Kanzlermehrheit |
Aktivierung von Wissen über das demokratische System in Deutschland |
z.B. das Hartz-Konzept |
Aktivierung von Wissen über aktuelle gesellschaftliche Tendenzen in Deutschland: Konzepte zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit |
z.B. das Deutschland-Stipendium |
Aktivierung von Wissen über aktuelle Situation in der Hochschulausbildung |
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Aktivierung von Sprachwissen (Entschlüsselung der impliziten Bedeutungsstrukturen) |
z.B. die Politikverdrossenheit |
Verdrossenheit der Bevölkerung über die Politik, weil Politiker nur noch nach Macht streben und sich nicht mehr als Volksvertreter sehen |
z.B. Politikverhalten |
Verhalten gegenüber der Politik, +/- politische Aktivität |
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Aktivierung von Sprachwissen (lexikonspezifische Konnotation feststellen), Aktivierung von episodischem Wissen |
z.B. das Wessi-Problem |
lexikonspezifische Konnotation für Wessi = ugs. für Westdeutscher, leicht abwertend, hier: ein typisches Problem für einen Westdeutschen |
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Aktivierung von Wissen aus der Kontextverarbeitung |
z.B. der Sozialismus-Befürworter |
Aktivierung des Wissens aus dem Kontext eines Textes: Die Idee des Sozialismus befürworten |
z.B. das Eilgesetz |
Aktivierung von Wissen aus dem kommunikativen Kontext: eilig verabschiedet |
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Aktivierung von episodischem und kontextuellem Wissen |
z.B. das Jugendinstitut |
Kontext hier: Umfrage, Sozialwissenschaftler, Ergebnisse des Instituts für die soziologische Erforschung der Generation der Jugend |
z.B. die Nullrunde |
episodisches Wissen: Lohnrunde ohne Steigerung der Bezüge |
z.B. der Beitragsstopp |
Kontext: Stopp der Erhöhung der Krankenkassenbeiträge |
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Aktivierung von Sprachwissen, Abstraktionsvermögen |
z.B. die Brückenfunktion |
Brücke als Verbindung |
z.B. das Reformpaket |
Paket als Sammlung mehrerer Reformmaßnahmen |