
- •In der Phonetik wird von manchen Autoren die Möglichkeit von Aussprachevarianten als Phonostilistik bezeichnet. So definiert Fönagy (1977, 16) diese Auffassung wie folgt:
- •In literaturwissenschaftlichen Interpretationen sind Verwechslungen von Phonie und Graphie leider nicht selten:
- •Powerful factor in producing the effect of a certain whole.“ (Thompson 1969/70, 39)
- •(Grammont 1901, 156)
- •Abb. 93.2: Sprecheremotionalität im Schriftbild von Comics (Goscinny/Uderzo: Le Ciel lui tombe sur la tête. Paris 2005, 41)
- •Abb. 93.3: Mündliche Unverständlichkeit charakterisiert durch Schriftbild (Goscinny/Uderzo: Le Ciel lui tombe sur la tête. Paris 2005, 26)
- •Vin tant divin, loin de toi est forclose Toute mensonge et toute tromperie. En joie soit l'aire de Noach close, Lequel de toi nous fit la tempérie.
- •Abb. 93.7: Dynamik durch Typographie (Gomringer 1972, 61)
- •Ivanova, Gergana (2006): Sound-symbolic approach to Japanese mimetic words. In: Toronto Working Papers in Linguistics 26, 103—114.
- •1. Wortbildung und Stil
Stilistische Phänomene der Schreibung und Lautung
Objektbereich der Stilanalyse
Stilphänomene der Lautung: Phonostilistik
Lautliche Phänomene in literarischen Texten: Phonostilistik und Phonästhetik
Stilphänomene der Schreibung: Graphostilistik
Phonostilistik und Graphostilistik: Leistung, Grenzen, Desiderata
Literatur (in Auswahl)
Abstract
In contrast to traditional stylistics that is mostly based on lexical and syntactic items, this article examines the stylistic role of phonetic (pronunciation) and graphematic elements (spelling and typography) in communication. Sounds contribute to the meaning and style of texts through their phonetic "ornatus”, in onomatopoetics, through sound expressivity and sound symbolism. Spelling and typing may be relevant for the analysis of connotation, syntactic focus, communicative expressivity and visualization of lexically expressed semantic content.
The relevance of both written and spoken linguistic signs for stylistics and their limits for stylistic text analysis, in particular when applied to literary texts, are discussed. Moreover, this article proposes methods for stylistic text analysis in both microstylistics and macrostylistics.
Objektbereich der Stilanalyse
Traditionelle Stilanalysen bewegen sich überwiegend in den sprachlichen Objektbereichen von lexikalischer Semantik und Syntax. Lexeme lassen sich stilistisch gut beschreiben, wenn sie z. B. bestimmten Stilebenen angehören, Wertungen ausdrücken, einem geschlossenen Wortfeld angehören, mit dem Kontext semantisch kontrastieren, sich als diachronische, diatopische, diastratische oder diaphasische Varietäten charakterisieren lassen, sich durch eine spezifische Wahl des Autors erklären lassen usw.
In der rhetorischen Tradition lassen sich die Tropen und ein Teil der Figuren dem Bereich der lexikalischen Semantik zurechnen (z. B. Metaphern, Metonymien), ein anderer Teil dem Bereich der Wortspiele (z. B. Oxymoron).
Syntaktisch beschreibbar sind zahlreiche Stilfiguren, von der Aufzählung über die Anapher bis zum Parallelismus. Einige der Stilfiguren werden auch durch eine Kombination von semantischen und syntaktischen Merkmalen konstituiert, z. B.
Antithese: Kombination von zwei semantischen Oppositionen von Lexemen gleicher Wortklasse mit syntaktischem Parallelismus
Chiasmus: Kombination von zwei semantischen Oppositionen von Lexemen gleicher Wortklasse mit syntaktischer Kreuzstellung
Antimetabole: Zwei lexikalische Wiederholungen bei syntaktischer Kreuzstellung.
Diese Befunde beziehen sich überwiegend auf die Mikrostilistik. Dezidiert makrostilistische Analysen sind bislang trotz der textlinguistischen Wende in der Stilforschung erst zurückhaltend durchgeführt worden (z. B. zur Metaphemfiliation, zur Responsion in der Lyrik, zu semantischen Isotopien, zur Textmorphologie). Dies mag daran liegen, dass Resultate der Makrostilistik nur schwer übersichtlich darstellbar sind. Außerdem müssen in diesem Bereich noch geeignete Analysemethoden zu Autor, Text und Rezipienten entwickelt werden. Aber auch dann gilt, dass die sprachlichen Ebenen von Lexik und Syntax im Vordergrund stehen.
Nur in Bezug auf Einzelphänomene ist in der linguistischen Stilforschung und in der literarischen Textinterpretation diskutiert worden, inwieweit Schreibung und Lautung von Sprache zur Gesamtbedeutung eines Textes beitragen oder eigene, genuine Verfahren für Stilwirkungen bereitstellen können. Mit anderen Worten: Können graphische und lautliche Elemente die Information der lexikalischen Semantik verstärken, möglicherweise ein Bedeutungs-Supplement hinzufügen oder sogar stilistisch relevante Textelemente autonom generieren?
Vorab lässt sich feststellen, dass die lautlichen und graphischen Ressourcen der Sprache von den Autoren in Fachsprachen, alltagssprachlicher Kommunikation und auch in literarischen Texten nur sehr begrenzt genutzt werden. Immerhin werden sie in einem Teil der Literatur, z. B. in der Lyrik, in Werbeanzeigen, in Reden, in politischen Traktaten und in Textsorten wie Sprichwörtern, Psalmen, Merkversen durchaus genutzt.
In der linguistischen und literaturwissenschaftlichen Textanalyse sind die Gebiete der Graphostilistik und der Phonostilistik stark vernachlässigt. Eine Aufarbeitung dieses Gebietes setzt voraus, den Objektbereich einer Textstilistik in Richtung einer Stilsemiotik zu erweitern (vgl. Spillner 1995).
Es geht dabei um jene Fälle, in denen graphische oder phonische Elemente der Sprache über ihre rein bedeutungsunterscheidende bzw. bedeutungstransportierende Funktion hinaus selbst an der Bedeutungskonstitution des Textganzen beteiligt sind. Anders gesagt: Laut- oder Schriftzeichen können nicht nur die in den lexikalischen Einheiten und syntaktischen Relationen kodierten Bedeutungselemente im Kommunikationsprozess übermitteln, sondern unter bestimmten Bedingungen selbst am Aufbau des Textsinns mitwirken. Die Bedingungen, unter denen dies geschehen kann, sind schon in der theoretischen Linguistik nicht hinreichend berücksichtigt und geklärt. Erst recht kann es daher nicht verwundern, dass solche Erscheinungen im komplexen und umstrittenen Bereich von Stiltheorie und Stilanalyse nicht abschließend geklärt sind. Hier muss nämlich angenommen werden, dass die betreffenden Laut- oder Schriftzeichen über ihre bedeutungskonstituierende Funktion hinaus obendrein stilistische Wirkung haben können. Es ist also grundsätzlich anzunehmen, dass graphische und phonische Ausdrucksmittel eine eigene textsemantische Leistung vollbringen können. Sofern diese durch Leserreaktionen stilistisch relevant werden kann, sollen sie graphostilistisch bzw. phonostilis- tisch genannt werden. Graphostilistisch bedeutsam können Konnotationen durch typographische Mittel sein, ferner der graphisch vermittelte Ausdruck von Expressivität, Hervorhebung etc., die visualisierte Abbildung von lexikalischen Textelementen und die eigenständige Sinnkonstitution durch graphische und drucktechnische Verfahren bis hin zu spezifischen Wort-Bild-Kunstwerken. Phonostilistisch bedeutsam können intratextuelle Beziehungen jenseits von syntaktischen und semantischen Relationen sein, die phonetische Abbildung lexikalischer Inhalte, die lautsymbolische Sinnkonstitution, ferner die Wiedergabe regionaler, individueller, soziolektaler, nationalsprachlicher Sprechermerkmale. Riesel (1978, 116) zählt „graphische Äquivalente für lautliche Merkmale mündlicher Rede, die aus unterschiedlichen außerlinguistischen Gründen von der überkommenen Orthoepie abweichen“, zu den graphostilistischen Mitteln des Wortkunstwerkes. Hierbei ist zu bedenken, dass es sich lediglich um die graphische Wiedergabe genuin phonostilistischer Ausdrucksmittel handelt, um schriftlich kodierte Elemente der gesprochenen Sprache. Da die Stilanalyse sowohl gesprochene als auch geschriebene Texte untersucht, sollte die Analyse von Aussprachemerkmalen (auch wenn sie in geschriebenen Texten graphisch abgebildet werden) einheitlich dem phonostilistischen Bereich zugeordnet werden. Eine saubere Trennung zwischen Phänomenen der Lautung und der Schreibung lässt sich nur dann realisieren, wenn man die Gegensatzpaare „gesprochene — geschriebene Sprache“ einerseits und „phonischer - graphischer Code“ andererseits unterscheidet. Varianten der Aussprache, also Merkmale der gesprochenen Sprache, können nicht nur im phonischen Code übermittelt werden, sondern zum Teil auch im graphischen Code abgebildet werden. Durch die Natur des graphischen Zeichensystems und der phonographemischen Zuordnungsregeln sind die Abbildungsmöglichkeiten begrenzt, aber durchaus vorhanden.
Bei einigen Autoren sind auch ohne solche typographischen Mittel Aussprachemerkmale im graphischen Code abgebildet worden (vgl. zu Queneau die Analyse von Baligand 1972). Umgekehrt scheinen sich graphostilistische Ausdrucksmittel (Drucktypen, typographische Anordnung, Satzzeichen) nicht im phonischen Code abbilden zu lassen.
Stilphänomene der Lautung: Phonostilistik
Phonostilistik als Komponente des Sprachsystems
In der Phonologie ist wiederholt versucht worden, eine Phonostilistik dem Bereich des Sprachsystems zuzuschlagen, wobei man annimmt, dass Stilwirkungen bereits der Ebene der langue einer Einzelsprache zu eigen sind. Eine sehr differenzierte Fassung dieser Annahme findet sich bereits bei Trubetzkoy, der - in Anlehnung an Bühlers drei Sprach- funktionen - vorschlägt,
„daß man die Untersuchung der lautlichen Kundgabe- und Appellmittel einem besonderen Wissenschaftszweige, nämlich der Lautstilistik zuweist, die einerseits in eine Kundgabestilistik und eine Appellstilistik, andererseits in eine phonetische und eine phonologische Stilistik
eingeteilt werden könnte. [...] Der Name ,Phonologie1 darf nach wie vor auf die Untersuchung der darstellungsrelevanten lautlichen Seite des Sprachgebildes beschränkt bleiben, während die Untersuchung der kundgaberelevanten und der appellrelevanten Elemente der lautlichen Seite des Sprachgebildes von der „phonologischen Stilistik“ besorgt wird, die ihrerseits nur ein Teil der ,Lautstilistik‘ ist.“ (Trubetzkoy 1958, 28 f.)
Sehr viel vereinfachter schreiben viele Autoren die Phonostilistik dem System einer Einzelsprache bzw. grundsätzlich ihren Phonemen zu (z. B. Bergsveinsson 1940; Househol- der 1946; Weidner 1950; Leon 1969; 1971; Van den Berghe 1976; Fönagy 1977; Jakobson/ Waugh 1979). Zu diesen Konzeptionen gehören auch die Versuche, ein Phonaesthem auf der Systemebene der Sprache zu konstruieren (vgl. Householder 1946; Anderson 1972; Bergen 2004). Wenn man jedoch davon ausgeht, dass Stil sich in Texten, also auf der parole-Ebene manifestiert, ergeben sich erhebliche theoretische Probleme mit einer systemorientierten Phonostilistik. Dass eine solche Konzeption tatsächlich für die Stilistik inadäquat ist, zeigt sich deutlich, wenn Barysnikova (1973, 305) die „stylistique phonétique (phonostylistique)“ dem „ensemble du système stylistique de la langue“ zuordnet.
Für eine theoretische Fundierung der Stilforschung kommt eine langue-orientierte Phonostilistik also nicht in Frage. Für die Methodik der Stilanalyse ist sie allerdings insofern von Belang, als sie auf Lautebene die Ausdrucksmöglichkeiten des Sprachsystems beschreiben könnte, die einem Autor bei seiner stilistischen Wahl zur Verfügung stehen.
Phonostilistische Analyse von Aussprachevarianten
In der Phonetik wird von manchen Autoren die Möglichkeit von Aussprachevarianten als Phonostilistik bezeichnet. So definiert Fönagy (1977, 16) diese Auffassung wie folgt:
„En vérité, la phonostylistique étudie des phénomènes sonores particuliers, des variantes associées soit à la parole de certains groupes sociaux majeurs (classes sociales, sexes, groupes d’âges) ou mineurs (groupes professionnels, groupuscules), soit à certaines situations. Ajoutons qu’elle peut s’intéresser même à des phénomènes phonétiques individuels, expressifs. [...] Elle étudie surtout des phénomènes [...] en fonction de leur .valeur stylistique1 c’est-à- dire en déterminant le message supplémentaire qu’ils ajoutent au message verbal proprement dit.“
Dies mag dann gerechtfertigt sein, wenn solche Varianten etwa einen bestimmten regionalen Dialekt oder eine soziale Schicht oder — in historisierenden literarischen Texten — eine historische Epoche charakterisieren. Allgemein gilt jedoch, dass Varietät ein grundsätzliches Merkmal menschlicher Sprache ist. Als phonostilistisch werden im Folgenden daher nur lautliche Merkmale bezeichnet, die wegen ihrer stilistischen Wirkung ausgewählt wurden und/oder spezifische Stileffekte verursachen.
Dies kann für die literarische Stilanalyse relevant werden, wenn es um die Untersuchung gesprochen vorgetragener Lyrik geht. Aber auch für andere Textsorten muss die literarische Stilanalyse mitunter auf eine phonostilistische Analyse von Aussprachevarianten rekurrieren. Dies ist dann der Fall, wenn in Textsorten mit wörtlicher Rede (Drama, Hörspiel, Roman etc.) Personen im Hinblick auf ihre Aussprachemerkmale gekennzeichnet werden. In der Komödie dienen dialektale oder soziolektale Artikulations-
Varianten oft dazu, die Sprecher der Lächerlichkeit preiszugeben (z. B. bei Molière, Gol- doni). Im Roman bewirken regionale Sprechermerkmale Authentizität und Lokalkolorit (Balzac, Zola, Grass), im naturalistischen Drama dienen Aussprachevarianten der Personen ihrer Zuordnung zu einem sozialen Milieu (z. B. bei Gerhart Hauptmann) usw.
Methodisch wird die Stilanalyse in diesen Fällen die Aussprachevariante mit der kodifizierten Hochlautung vergleichen, die sprachliche Art des Kontrastes ermitteln (regional, sozial etc.) und Stileffekte durch empirische Ermittlung der Leser/Hörer-Reaktion feststellen. Obwohl die Stilanalyse methodisch vergleichsweise einfach ist, liegen - abgesehen von Arbeiten zu Übersetzungsaspekten — nur vereinzelt phonostilistische Untersuchungen zu Aussprachevarianten in literarischen Texten vor (vgl. u. a. Gnutzmann 1983; Gagliardi 1989).
2.3. Grundsätze der phonostilistischen Textanalyse
Wenn lautliche Beziehungen hergestellt werden, wenn lautsymbolische, lautexpressive, lautimitative Funktionen festgestellt werden, geht es grundsätzlich immer um Phänomene der gesprochenen Sprache. In der Praxis der literarischen Stilanalyse beziehen sich phonostilistische Deutungen jedoch fast ausschließlich auf Texte, die im graphischen Code vorliegen. Dieses Paradox lässt sich nur dann auflösen, wenn man annimmt, dass Lautassoziationen auch in graphischer Abbildung der Laute existieren, dass der Leser im literarischen Rezeptionsvorgang eine graphophonemische Umsetzung vomimmt und den Lautklang der einzelnen Laute innerlich aktualisiert. Dass die literaturwissenschaftliche Lautanalyse in diesem Punkt auf ungeprüften Annahmen beruht, hat bereits Hymes (1960, 130) kritisch angemerkt:
„Another limitation which, as far as I know, all stylistic approaches share is the making of untested assumptions about the psychology of poet or audience. [...] we do not in fact know that the use of a sound in one part of a poem has any effect on a reader in a subsequent part; [...]. Rather, we analyze the poem, construct an interpretation, and postulate (or instruct) the reader’s response.“
Für eine auf empirische Leserbefragung verzichtende, hermeneutisch-zirkuläre Stildeutung ist dieses Urteil gewiss zutreffend.
Die Analyse von Phänomenen der Lautung setzt also voraus, dass die untersuchten Texte entweder gesprochen werden oder — wenn sie wie die meisten literarischen Texte geschrieben tradiert werden — vorgelesen, rezitiert oder zumindest vom Leser mental lautlich realisiert werden. Diese Bedingung ist unabdingbare Voraussetzung für eine phonostilistische Analyse. Streng genommen sollten sich phonostilistische Aussagen nur auf Textsegmente in lautschriftlicher Transkription beziehen.