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613897_0139E_moskalskaja_o_i_deutsche_sprachges...doc
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§ 72. Die Existenzformen der Sprache in der mittelhochdeutschen Zeit

Die vorherrschende Existenzform der deutschen Sprache bleiben auch in dei miiielhochdeulschen Zeil die Territonaldialekte. Sic sind die alleinige Sprach form, der sich Bauern. Handwerker. Handler und auch ein groЯer Teil der in der Hauptmasse noch ungebildeten, .schrillunkundigen Adeligen bedienen

Die Grenzen der einzelnen Territonaldialekte werden durch die politi­schen Cirenzen dei Territorien bestimmt, die die Herzogtumer der allhoch­deutschen Zeit abgelost hatten, und. wo diese mit den Grenzen der alten Herzogtumer nicht zusammenfallen, allmдhlich verschoben.

Das Kennzeichen der mittelhochdeutschen Sprachpenode ist aber, dass sich neben den Territorialdialeklcn neue Existenzformen der deutschen Spra­che zu enlwickeln beginnen Einen machtigen AnstoЯ dazu gibt das Auf­blьhen der weltlichen Dichtung und die Entwicklung verschiedener Gattun­gen der Prosa.

Die hцfische Dichtung erreicht im 13. Jh. auf dem Hцhepunkt ihrer Ent­wicklung groЯe Formvollendung. Das Schaffen der mittelhochdeutschen Dichter kennzeichnet das Streben nach sirengem MaЯ und einwandfreiem Reim. Es entsteht ein besonderer literarischer Stil - der Stil der hцfischen Dichtung mil einigen Aharten je nach den einzelnen Gattungen der Dich­tung Sehr beliebt werden in der Dichtung Epitheta ornantia, wie z. B. ein kumnj* edel mute rieh ein edler und machtiger Konig', ein schmieg mage-dm eine schone Jungfrau' u. a Es eniw ickeln sich besondere, nur der Dich­tung eigene Phrascologismen, z. B. Akkusative des Inhalts: einen slac sta­uen, einen schuj schieben u. д Die Gedankenwell der ritterlichen Verdich­tung bringt in die Sprache der Dichtungen neue Lexik mit sich Im Helden­epos sind beliebt: degen Held", recke Kncger'. wьte Freund*. Geliebter . halt 'kьhn', snel •kьhn', m.vre berьhmt": in den hofischen Epen und in dei Lyrik: mmne 'Liebe', tnuwe 'Treue', tugeni Tugend', diu mд$e 'die MaЯig keif, das ritterliche Benehmen", hцvesch hцfisch', 'mit guten Manieren'; die Worter. die das ritterliche Standesleben und die ritterliche Kultur wider spiegeln (darunter viele franzosische Entlehnungen: lurnei 'Turnier rastet 'Schloss'. harnasch 'Harnisch", pasturele Pastorale' u. a).

Die Sprache der hцfischen Dichtung ist das Produkt bewusster literari­scher Formung der Sprache. Die literarische Formung ist aber zunдchst haupt­sдchlich auf die Herausbildung eines bestimmten Kunstsьls und noch nicht aul die Normung und Vereinheitlichung der Sprache gerichtet. Die Dichter sind bestrebt, die auffдlligsten Dialektismen, d. h. die primдren Merkmale einzelner Territorialdialekle. die vor einem grцЯeren Horerkreis einen komi­schen Effekt hervorrufen und in zu krassem Widerspruch zur gebotenen

Viimehmthcit der kьnstlerischen Form stehen konnten, zu vermeiden Doch weisen die Literaturdenkmaler jener Zeit noch einen groЯen Einfluss der heimatlichen Mundart des Verfassers auf. Ihre Sprache ist also eine Uber-gangstorm vom Territorialdialekt zur einheitlichen Literatursprache. Sie er­hebt sich ьber den einzelnen Territorialdialektcn und hat in diesem Sinne bereits ubermundartlichen Charakter Die landschaftlich bedingten Unter schiede in Lautform, Schreibung, Wortwahl und zum Teil auch in der For­menbildung der Dichtungen dieser Zeit kennzeichnen aber die Sprache die­ser Dichtungen als landschaftliche (regionale) Literatursprachen.

Auch die Sprache der religiцsen, rechtlichen, historischen, wissenschaft­lichen und Geschaftsprosa streift die primдren Merkmale von TemtoriaJdia-lekten ab und strebt immer mehr dem sprachlichen Ausgleich zu.

Um die Mitte der behandelten Sprachpenode kommt auch ein erster An-saiz zu einer gemeindeutschen Literatursprache auf. Es ist das sog, klassi­sche Mittelhochdeutsch, das sich Ende des 12. Jh. in Verbindung mit der hofischen Literatur Sud- und Mitteldeutschlands herausbildet und bis ins 14. Jh hinein lortlebi.

Das klassische Mittelhochdeutsch der hofischen Dichtung lasst sich kei­ner bestimmten Sprachlandschaft zuordnen Es weist starke ьberlandschaft­liche Tendenzen auf. die ihren Ausdruck darin finden, dass die Dichter ei­nerseits in der Lautform, Wonform und Wonwahl mundartliche Fligcnheiten vermeiden und andererseits gern l'arallelformen gebrauchen, die mit ver­schiedenen Sprachlandschaften verbunden sind. So stehen oft in derselben Dichtung die ale.nannischen gдn 'gehen', stдn 'stehen' und das hainsehe ven. sten, das sьddeutsche nach 'nah' und das frankische nд. das bairische het. hete 'hatte' und das alemannische hatte, das alemannische mahle 'mochte' und das frankische mahle nebeneinander. Beliebt sind auch paarweise ver­bundene territoriale lexikalische Dubletten wie hlide unde frd. 'froh', lьtzel und wenec 'wenig", perd inde ross 'Pferd' u. a. Die ьberlandschaftlichen Tendenzen in der klassischen mittelhochdeutschen Dichtersprache wurden durch lebhaften Verkehr der Ritter ьber die landschaftlichen Grenzen hin­weg bei Turnieren. Hoffesten. Reichstagen und aut Knegszugen begьnstigt Sie sicherten auch den Erfolg der mьndlich vorgetragenen Dichtungen an den Hofen verschiedener Fьrsten, da die Dichter sich oft fern von ihrer Hei­mat an verschiedenen Furstenhцfcn authielten. So haben am Hofe des Thьnn-gcr Landgrafen in Wartburg der niedertrдnkische Dichter Heinrich von Vel-deke und die sьddeutschen Dichter Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogclwctdc gelebt.

Das klassische Mittelhochdeutsch entwickelte sich auf hochdeutscher Grundlage. Die Sprache der sьddeutschen Dichter Hartmann von Aue. Wolf­ram von Eschenbach. Gottfried von StraЯburg wurde zum Vorbild fьr alle Dichter dieser Epoche. Dass auch viele niederdeutsche Dichter die klassi­sche mittelhochdeutsche Literatursprache nachahmten, verlieh ihr den Cha­rakter einer uberlandschaftlichen gemeindeutschen Literatursprache. Eine „verhochdeutsehte" Sprachform kennzeichnet zum Beispiel das Epos „Eneit" des flдmischen Dichters Heinrich von Veldeke (seine Heimatmundart ist das

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niederlrankischc Limhurgisch). Eine ..verhochdeut sehte Mischsprache", die auf den Einfluss der suddeutschen hцfischen Dichtung zurьckgeht, weisen auch die Dichtungen niederdeutscher und mitteldeutscher Dichter, wie Wer­ners von Elmendort. Albrechts von HalbetMadi Heinrichs von Morungen sowie die Prosaschriften niederdeutscher Verfasser auf.

Das klassische Mittelhochdeutsch bьЯte jedoch gegen Mitte des 11 Jh. seine fuhrende Rolle ein. da die vorherrschende politische und kulturelle Stellung des schwцbisch frankischen Sьdwestens in der Geschichte Deutsch­lands nur von kurzer Dauer war und bald an die anderen Gebiete Deutsch­lands uberging Auch die ritterliche Dichtung, die die klassische mittelhoch­deutsche Dichtersprache ins Leben gerufen hatte, war bereits seit der zwei­ten Hдlfte des 13 Jh im Niedergang begriffen und starb bis zum 14. Jh fast gдnzlich aus An ihre Stelle trat allmдhlich die stadlische oder bьrgerliche Literatur (s. S. 150 f.). die sich durch eine volkstьmlich derbe, stark mund­artlich gefдrbte Sprache auszeichnete.

Das klassische Mittelhochdeutsch als eine erste gemeindeutsche Sprach­form hatte keine Aussichten auf dauerhaftes Fort bestehen, da es als ritterli­che Dichtersprache eine Sondersprache mit sehr enger sozialer Basis und nicht weniger engem Bereich des Funktionieren* war Auch waren in jener Zeit die Kommunikationsverhallmssc fьr die Herausbildung einer einheitli­chen gemeindeutschen Sprachform noch nicht gereift (vgl. S. 157 0 Dage­gen erwiesen sich jene ubermundartliehen regionalen Ausgleichslormen der Sprache, die nichl nur durch die Dichtung des 12.-13. Jh., sondern auch durch die Entwicklung verschiedener Prosagattungen gefordert waren und somit einen weiteren Bereich des Funktionierens und eine breitere soziale Basis hatten, als hцchst lebensfдhig Sie mussien auch in mьndlicher Form im цffentlichen Lehen Anwendung gefunden haben, und nдmlich als Ver­tragssprache der Predigt, als Verkehrssprache bei ьberregionalen Unterneh­men wie Reichstage. Kriegszьge. Tumicre. Hoffeste u. a.

Ausgleichstcndenzen ergriffen nicht nur die geschriebene Form der Spra­che, sondern auch die gesprochene Sprache. Berьcksichtigt man die Inlc-grationstendenzen in den kolonialen Territorialdialekten und den Verkehrs­sprachen der Stдdte (s. S. 158). so kann man sagen, dass die Integration sich nicht nui in der geschriebenen Sprache, sondern zum Teil auch in ihrer mьnd­lichen Gebrauchsform ankundet.

Hand in Hand mit der Entwicklung neuer Existenzformen der Sprache und mit der Erweiterung ihres Geltungsbereiches musste die Vertiefung der sozialen und funktionalen Schichtung der Sprache gehen sowie die Entfal­tung ihrer Stilarten.

Die soziale Schichtung der Sprache, die bereits auch in althochdeutscher Zeit bestanden hatte, vertieft sich mit der Entwicklung neuer Existenzfor­men der Sprache, da Angehцrige verschiedener Klassen an den einzelnen Existenzformen der Sprache verschiedenen Anteil hatten. Die Bauern be­herrschten nur ihre heimische Mundart und bekamen die ubermundartlichen Ausgleichsformcn der Sprache nur vom Prediger. Richter und Amismann zu hцren. Alle anderen Existenzformen der deutschen Sprache sowie das La-

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lein, das noch immer internationale Sprache von Bildung. Wissenschaft und Recht war. sowie die Kenntnis lebender Fremdsprachen (vor allem des Franzцsischen) waren ein Monopol der herrschenden Klasse, des geistlichen und weltlichen Feudaladels, und einer dьnnen Oberschicht des aufkommen­den Bьrgertums, wenn auch die Beherrschung verschiedener Sprachformen bzw. Sprachen je nach Bildung und gesellschaftlichem Rang auch innerhalb des Adels sehr stark variierten.

Die funktionale Schichtung der Sprache und die Entfaltung ihres Stilsy­stems hingen aufs engste mit der Entwicklung der Dichtung und verschiede­ner Prosagattungen zusammen. Im mittelhochdeutschen Schrifttum spiegeln sich der dichterische Stil, die hцfische Kunstsprache <s. S. 159). der aufkom­mende rednerische Stil sowie die Funktionalstile der Amts- und Wissen­schaftssprache ab. Es entwickeln sich die entsprechende Terminologie, be­liebte Redewendungen und Formeln.

Die wachsende Arbeitsteilung und das Aufblьhen des stadtischen Hand­werks mussten die Entwicklung der Berufslexik und der Berufssprachen Mrdern. doch gibt die schriftliche Uberlieferung der mittelhochdeutschen Zeit leider noch keinen genьgenden Aufschluss darьber.

DI H WORTSCHATZ