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Lottchen_m.doc
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22.05.2015
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1 Frau Körner hat Fräulein Linnekogel, die Lehrerin, in der Wohnung aufgesucht.

2 „Das ist eine mehr als merkwürdige Frage, die Sie an mich richten“, sagt Fräulein Linnekogel. „Ob ich für möglich halte, dass Ihre Tochter nicht ihre Tochter, sondern ein anderes Mädchen ist? Erlauben Sie, aber …“

3 „Nein, ich bin nicht verrückt“, versichert Frau Körner und legt eine Fotografie auf den Tisch.

4 Fräulein Linnekogel schaut das Bild an. Dann die Besucherin. Dann wieder das Bild.

5 „Ich habe zwei Töchter“, sagt die Besucherin leise. „Die zweite lebt bei meinem geschiedenen Mann in Wien. Das Bild kam mir vor etlichen Stunden durch Zufall in die Hände. Ich wusste nicht, dass sich die Kinder in den Ferien begegnet sind.“

6 Fräulein Linnekogel macht den Mund auf und zu wie ein Karpfen auf dem Ladentisch. Kopfschüttelnd schiebt sie die Fotografie von sich weg, als hätte sie Angst, gebissen zu werden. Endlich fragt sie: „Und die beiden haben bis dahin nichts voneinander gewusst?“

7 Die junge Frau schüttelt den Kopf. „Nein. Mein Mann und ich haben’s damals so vereinbart, weil wir es für das Beste hielten.“

8 „Und auch Sie haben von dem Mann und Ihrem anderen Kind nie wieder gehört?“

9 „Nie.“

10 „Ob er wieder geheiratet hat?“

11 „Ich weiß es nicht. Ich glaube kaum. Er meinte, er eigne sich nicht fürs Familienleben.“

12 „Eine höchst abenteuerliche Geschichte“, sagt die Lehrerin. „Sollten die Kinder wirklich auf die absurde Idee verfallen sein, einander auszutauschen? Wenn ich mir Lottchens charakteristische Wandlung vor Augen halte, und dann die Schrift, Frau Körner, die Schrift! Ich kann es kaum fassen! Aber es würde manches erklären.“

13 Die Mutter nickt und schaut starr vor sich hin.

14 „Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel“, meint Fräulein Linnevogel, „ich war nie verheiratet, ich bin Erzieherin und habe keine Kinder aber ich meine immer: Die Frauen, die wirklichen, verheirateten, nehmen ihre Männer zu wichtig! Dabei ist nur eines wesentlich: das Glück der Kinder!“

15 Frau Körner lächelt schmerzlich. „Glauben Sie, dass meine Kinder in einer langen, unglücklichen Ehe glücklicher geworden wären?“

16 Fräulein Linnekogel sagt nachdenklich: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Sie sind noch heute sehr jung. Sie waren, als Sie heirateten, ein halbes Kind. Sie werden Ihr Leben lang jünger sein, als ich jemals gewesen bin. Was für den einen richtig wäre, kann für den anderen falsch sein.“

17 Der Besuch steht auf.

18 „Und was werden Sie tun?“

19 „Wenn ich das wüsste!“ sagt die junge Frau.

1 Luise steht vor einem Münchner Postschalter (перед окошечком почты; der Schalter – окошечко /кассы, банка, почты/). „Nein“, sagt der Beamte für die postlagernden Sendungen (служащий, отвечающий за посылки /писем/ до востребования) bedauernd (с сожалением, сожалея). „Nein, Fräulein Vergissmeinnicht, heut hätten wir wieder nix.“

2 Luise blickt ihn unschlüssig an (растерянно). „Was kann das nur bedeuten (что же это может значить, в чем же тут дело)?“ murmelt sie bedrückt (удрученно; drücken – давить, жать).

3 Der Beamte versucht zu scherzen (пытается шутить). „Vielleicht ist aus dem Vergissmeinnicht ein ‘Vergissmich’ geworden?“

4 „Das ganz gewiss nicht“, sagt sie in sich gekehrt (погруженная: «повернутая» в себя). „Ich frag morgen wieder nach.“

5 „Wenn ich darum bitten darf (как вам будет угодно: «если я могу об этом попросить»)“, erwidert er lächelnd.

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